Protocol of the Session on April 5, 2001

- Genau. Herr Metke hat mich eben darauf hingewiesen, ich hatte es mir auch schon aufgeschrieben. Manche sind ihrer Zeit voraus, andere sind ihrer Zeit in erheblichem Maße hinterher. Der derzeitige Ratspräsident ist Herr Göran Persson aus Schweden. Die Ratspräsidentschaft von Herrn Chirac ist Schnee vom letzten Jahr gewesen. Aber, wie gesagt, so viel auch nur fürs Protokoll.

Ich möchte kurz festhalten, dass im Prinzip darüber Einigkeit besteht, dass der Vertrag von Nizza nicht der große Wurf gewesen ist. Wir alle, einschließlich der Bundesregierung, hätten uns sicherlich mehr an Demokratisierung, an Rechten für das Parlament, an finanzieller Vorausschau und finanziellen Auswirkungen gewünscht. Mit dem Vertrag von Nizza ist die Osterweiterung aber erst möglich geworden.

Der Beitritt von Kandidatenländern wird erst nach dem tatsächlichen Stand der einzelnen Kapitel in den Verhandlungen mit der Kommission erfolgen. Damit ist sichergestellt, dass nicht nach einem abstrakten Zeitplan gearbeitet wird, sondern nach dem aktuellen Stand der Möglichkeiten der Beitrittskandidaten.

Ich komme kurz zu den Übergangsfristen, die Herr Gärtner erwähnt hat. Es gibt verschiedene Prognosen und Untersuchungen, inwieweit sich die Arbeitnehmerfreizügigkeit positiv oder negativ auswirken wird. Ich habe dabei keine großen Ängste, dass wir davon überrollt werden könnten, zumal in vielen Bereichen Arbeitnehmer aus Osteuropa schon jetzt hier arbeiten können. Insofern sehe ich da wenig Probleme. Wir haben aber mit Übergangsfristen die Möglichkeit, flexibel zu reagieren.

Herr Verheugen hat in dieser Woche in Berlin gesagt, dass er den Vorschlag der Bundesregierung, eine fünfjährige Übergangsfrist bezüglich der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu schaffen und diese im Anschluss daran eventuell um weitere zwei Jahre zu verlängern, unterstütze. Diese Regelung kann in diesen fünf Jahren flexibel nach Branchen und nach Regionen unterschiedlich gehandhabt werden, sodass zum Beispiel in Mangelberufen die Möglichkeit bestünde, Arbeitskräfte aus den Beitrittsländern in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu beschäftigen.

Ich möchte eine Zahl nennen. Bisher liegen aus den Beitrittsländern schon 500 Anträge auf Übergangsregelungen vor, die noch zu behandeln sind. Beispielsweise fordert Polen eine 18-jährige Übergangsregelung für den Erwerb von Grund und Boden. Das sind alles Dinge, über die noch verhandelt werden muss. Das zeigt, dass Übergangsfristen auch für die Beitrittsländer wichtig und notwendig sind.

Auch wir leben teilweise heute noch von Übergangsfristen, die uns die Europäische Union eingeräumt hat. Im Umweltbereich und in anderen Bereichen haben wir einen erheblichen Nachholebedarf, der nicht von heute auf morgen zu befriedigen ist.

Ich möchte noch kurz etwas zu dem von Herrn Sobetzko vorgebrachten Argument sagen, das von Beginn der Einbringung bis zu den Diskussionen im Ausschuss immer wieder auftauchte.

Ein Vorziehen der Regierungskonferenz wird es nicht geben. Das ist ein Beschluss von Nizza. Es macht keinen Sinn, dass wir die Vorverlegung fordern, wenn es anders beschlossen worden ist. Wir haben keinerlei Einflussmöglichkeiten. Das haben Sie richtig gesagt.

Es wäre aber auch politisch falsch. Denn wenn wir die Regierungskonferenz, die für das Jahr 2004 geplant ist, vorziehen würden, würden wir den neu hinzukommenden Mitgliedsstaaten keine Möglichkeit geben, in den Prozessen der Reform der Europäischen Union mitzureden.

Ich denke, es ist auch aus unserer Sicht unter dem Blickwinkel der Solidarität mit den Staaten, die über 40 Jahre unsere Verbündeten waren, nur recht und billig, dass wir dafür eintreten, dass sich die osteuropäischen Beitrittskandidaten bei der Reform der Europäischen Union zu Fragen der Daseinsvorsorge und zu Kompetenzabgrenzungen einbringen können und nicht nach dem Prinzip gearbeitet wird: Friss, Vogel, oder stirb. Insofern stehe ich auch politisch zu dem Termin der Regierungskonferenz im Jahre 2004, ganz unab

hängig davon, dass wir keine Chance haben, daran etwas zu ändern.

Ich bedauere es, dass Sie es vorziehen, sich der Stimme zu enthalten und sich nicht klar zur Osterweiterung und zur Ratifizierung der Verträge von Nizza zu bekennen. Ich bin froh, dass der Landtag dies mit seiner Mehrheit tun wird. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung.

(Zustimmung bei der SPD und von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Meine Damen und Herren! Bevor wir zum Abstimmungsverfahren kommen, hat Frau Wiechmann als Fraktionsvorsitzende um das Wort gebeten. Bitte, Frau Wiechmann.

Danke schön, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Ganz kurz und ganz wichtig für das Protokoll: Herr Tögel, ich möchte an dieser Stelle auf das Schärfste ihre Aussage zurückweisen, dass unsere Fraktion im Ausschuss und im Plenum nicht mitarbeiten würde.

Ich denke, Ihre Beiträge dort - das habe ich wiederholt im Wirtschaftsausschuss erlebt - halten sich weiß Gott in Grenzen.

(Herr Becker, CDU: Er hat Recht!)

- Herr Becker, von Ihnen habe ich auch noch nicht so sehr viel gehört.

(Lachen bei der SPD und bei der CDU)

Auch wenn wir in der Sache nicht Ihrer Meinung sind, Herr Tögel, sollte Ihr Demokratieverständnis es doch ermöglichen, eine abweichende Meinung zu akzeptieren.

Ihre Sachkenntnis, Herr Tögel, kann im Übrigen nach dem, was Sie heute und in der Vergangenheit vorgetragen haben, durchaus angezweifelt werden und wird von uns auch angezweifelt. Das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Tögel, wird durch ständiges Wiederholen nicht richtiger.

Ich kann Ihnen einfach nur raten: Nehmen Sie die Sorgen und die Ängste der Bürger ernst; tun Sie es einfach, vielleicht auch für Ihre Zukunft als SPD. Schreiben Sie sich das auf die Fahne!

Frau Präsidentin, wir würden gern eine punktweise Abstimmung beantragen.

(Beifall bei der FDVP - Unruhe bei der SPD, bei der CDU und bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zum Abstimmungsverfahren zur Drs. 3/4382. Von der FDVPFraktion ist punktweise Abstimmung verlangt worden. Wir verfahren so.

Wer stimmt dem Punkt 1 der Beschlussempfehlung zu? - Machen die CDU-Kollegen noch mit?

(Heiterkeit bei der SPD - Herr Dr. Bergner, CDU: Ja, wir sind dabei! Aktiv!)

Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Gegenstimmen ist dem Punkt 1 der Beschlussempfehlung mit deutlicher Mehrheit gefolgt worden.

Ich lasse nun über den Punkt 2 der Beschlussempfehlung abstimmen. Wer folgt in diesem Punkt der Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei Gegenstimmen der FDVP- und der DVU-Fraktion sowie Enthaltungen der CDU-Fraktion ist der Beschlussempfehlung in diesem Punkt mit Mehrheit gefolgt worden.

Wer stimmt dem Punkt 3 der Beschlussempfehlung zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Keine. Bei einer Reihe von Gegenstimmen ist diesem Punkt der Beschlussempfehlung mehrheitlich gefolgt worden.

Wer stimmt dem Punkt 4 der Beschlussempfehlung zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung und einer Reihe von Gegenstimmen ist Punkt 4 der Beschlussempfehlung gefolgt worden.

Wer stimmt dem Punkt 5 der Beschlussempfehlung zu? - Gegenstimmen? - Keine. Enthaltungen? - Ebenfalls keine. - Diesem Punkt der Beschlussempfehlung ist damit einstimmig gefolgt worden.

Meine Damen und Herren! Wir haben damit über die Drucksache abgestimmt und den Tagesordnungspunkt 14 bewältigt.

Meine Damen und Herren! Ich verweise darauf, dass wir möglicherweise einen Tagesordnungspunkt vom morgigen Tag vorziehen könnten. Da die Tagesordnungspunkte 1, 8, 9 und 10 gesetzt sind, wäre das der Tagesordnungspunkt 19. Ich bitte Sie vorsorglich, sich darauf vorzubereiten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:

Erste Beratung

Durchsetzung des sozialhilferechtlichen Anspruches einer in Art und Umfang angemessenen Eingliederungshilfe für Behinderte gemäß §§ 39, 40 und 43 BSHG

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/4340

Der Antrag wird durch den Abgeordneten Herrn Dr. Nehler eingebracht. Bitte schön, Kollege Nehler.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir im Jahr 1990 im Parlament angefangen haben, konnte man bestenfalls ahnen - man könnte auch sagen: befürchten -, welche riesige Aufbauleistung zur Erneuerung speziell auch der gesundheitlichen und sozialen Versorgungssysteme in unserem Land wirklich vor uns liegen würde - ein gewaltiger, aus damaliger Sicht kaum vorstellbarer investiver Nachholbedarf und vor allem ein immenser Umstrukturierungsbedarf, sei es in der Krankenhauslandschaft, in der Altenpflege oder in der sehr vielgestaltigen Behinderteneingliederung, wobei wir allein schon vom Begrifflichen her grundsätzlich umzudenken hatten.

Gut zehn Jahre danach - das wird wohl jeder in diesem Hohen Haus ehrlicherweise so einschätzen - ist ein guter Teil dieses Weges der Erneuerung zurückgelegt, wenn auch nicht immer alle Struktursteuerungsmaßnahmen für jeden einzelnen Bürger nachvollziehbar waren. - Übrigens müssen wir heute manchmal schmerzlich feststellen, wie wenig auch Sozialstrukturen in einem marktwirtschaftlich geprägten System politisch überhaupt steuerbar sind.

Meine Damen und Herren! Mir ist es wichtig anzumerken, dass um diesen Reformprozess im Osten und um die damit verbundenen riesigen Investitionsprogramme alle bisherigen Landesregierungen und auch die Bundesregierungen unterschiedlicher politischer Färbungen gleichermaßen bemüht waren. Ohne das Krankenhausinvestitionsprogramm des Bundes, ohne Artikel 52 speziell für den Osten bzw. ohne das Pflegeversicherungsgesetz überhaupt wären wir möglicherweise noch bei Honeckers Devise: „Überholen ohne einzuholen“ - auch wenn nach wie vor vieles zu tun bleibt.

Die Frage, was für die nähere und auch für die weitere Zukunft zu tun bleibt, ließ uns - unter anderem zumindest den Behindertenbereich betreffend - diesen Antrag zum Thema „Durchsetzung des sozialhilferechtlichen Anspruchs einer in Art und Umfang angemessenen Eingliederungshilfe für Behinderte“ formulieren.

Dieses Problem wiederum - insofern kann ich Ihnen eine ausführlichere Einbringung nicht ersparen - sollten wir unter die seit Jahren bundesweit geführte Debatte um dringlichst erforderliche Sozialreformen einordnen - eine Debatte, die sich unerfreulicherweise zumeist im Spannungsfeld zwischen den Varianten der angeblich erforderlichen Reduzierung von Sozialleistungen bzw. der Privatisierung von Sozialrisiken zwecks Kostendämpfung einerseits und des Erhalts bzw. gar noch der Verbesserung von Sozialstandards mit dann allerdings erst recht nicht mehr tragfähigen gesellschaftlichen Kosten andererseits bewegt.

Nur selten verbindet sich der Ruf nach sozialen Reformen mit der Vorstellung, etwas besser und trotzdem, ob nun solidarisch oder steuerfinanziert, auch kostengünstiger machen zu können. Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD will gerade in diese Richtung drängen - daher auch die etwas tiefer gehende Einleitung.

Der eingangs resümierte Entwicklungsprozess der letzten zehn Jahre sollte uns nunmehr über zukünftige Strategien nachdenken lassen, da es nicht heißen kann: noch mehr Quantität, noch mehr Pflegeheimplätze, noch mehr Krankenhausbetten und noch mehr Behindertenheime. Der Bund bestätigt mit seinen neuen Gesetzen, unter anderem mit dem neuen Heimgesetz und dem Pflegequalitätssicherungsgesetz, dass zukünftig Qualität und nicht Quantität im Vordergrund stehen muss.

Aber bleiben wir im Behindertenbereich, in dem wir seit dem Jahr 1990 aus einem Zustand des fast völligen Versteckens behinderter Menschen vor der Öffentlichkeit folgenden Status quo erreicht haben:

Erstens. Der Gesetzgeber spricht in den in der Überschrift zitierten §§ 39, 40 und 43 des BSHG von Eingliederungshilfen für Behinderte, deren Umfang in individuellen Hilfeplänen festzulegen ist und die in ihrer Wirksamkeit - auch in Bezug auf ihren rehabilitativen Effekt; gegebenenfalls bis hin zu Enthospitalisierungsmöglichkeiten, also im Sinne wirklicher sozialer Eingliederung halbjährlich zu überprüfen sind.

Der Gesetzgeber weist in diesem Zusammenhang auch die Zuständigkeiten, insbesondere die Kostenträgerschaft für eine angemessene Versorgung von Behinderten zu - gesplittet an die Länder auf der einen und die Kommunen auf der anderen Seite.

Zweitens. Sachsen-Anhalt hat inzwischen eine deutlich zu hohe Platzdichte an stationären Unterbringungen für Behinderte: 250 je 100 000 Einwohner. Dagegen haben wir bei den ambulant betreuten Wohnplätzen ein Ver