Protocol of the Session on March 2, 2001

(Zustimmung bei der FDVP)

Vielen Dank. - Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Ältestenrat eine Fünfminutendebatte in der Reihenfolge PDS, DVU-FL, CDU, SPD und FDVP vereinbart. Für die PDS-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Stolfa. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag der FDVP-Fraktion trägt den Titel „Die Wahrung der deutschen Sprache als Bestandteil der sprachlich-kulturellen Vielfalt Europas“.

An der Stelle stocke ich schon. Was ist eigentlich deutsche Sprache? Etwa das, was ich zum Beispiel einer Rede des besonders qualifizierten Pflegers der deutschen Sprache und Kultur Herrn Wolf dem Plenarprotokoll der 51. und der gestrigen Sitzung entnehmen durfte?

Ich bringe eine kleine Kostprobe: Maxime, Integration, institutionell, Defizit, Niveau, Charta, Tradition, Effizienz, Konvergenz,

(Zuruf von Herrn Weich, FDVP)

parallel, Guerilla, Fax, Akzeptanz, Desaster, Sciencefiction - man höre -, Old Economy und Domäne.

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS und bei der SPD - Frau Wiechmann, FDVP: Frau Stolfa, Sie haben den Antrag nicht verstanden! Sie müs- sen den Antrag vorher richtig lesen! Dann kann man es verstehen! - Herr Wolf, FDVP: Wir sind modern!)

- Ich habe Ihren Antrag sehr gut verstanden.

Aber zunächst etwas Fachliches, ausschließlich an Sie gerichtet: Sprache, meine Damen und Herren, ist lebendig, kein geschlossenes System, ist im Wandel begriffen, entwickelt sich, wie sich auch die Völker entwickeln. Das ist normal. Das soll und das wird auch so bleiben. Wörter verschwinden aus dem Wortschatz, weil sie infolge der Entwicklung nicht mehr gebraucht werden, wie zum Beispiel „Brünne“, „Halsberg“, „Pferdkleid“.

Wörter wandeln sich in ihrer Bedeutung. Zum Beispiel hat das Wort „Arbeit“, das früher ausschließlich für Ritterkämpfe benutzt wurde, heute eine andere Bedeutung. Völker begegnen einander, handeln miteinander, übernehmen Empfindungen, Erfindungen, Sitten, verbinden sich und verschmelzen gar miteinander. Sie entlehnen Wörter, wandeln sie dabei auch in ihrer Bedeutung, wie zum Beispiel „Fenestra“ und „Natura“, oder sie übernehmen sie völlig und aus den verschiedensten Gründen als Fremdwörter wie auch Herr Dr. Wolf. - Nein, Entschuldigung, Herr Wolf.

(Oh! bei der SPD)

- Das kann ja noch werden.

Was also wollen Sie bewahren? Das ist das Entscheide für mich. Die deutsche Sprache, wie sie einst war, also im Sinne des Purismus des 19. Jahrhunderts, oder wie sie jetzt ist? Wer soll Sprachnormen setzen?

(Frau Wiechmann, FDVP: Das ist doch Blödsinn, was Sie erzählen! Und das wissen Sie ganz ge- nau!)

- Das können Sie doch gar nicht beurteilen.

(Heiterkeit bei der PDS und bei der SPD - Frau Wiechmann, FDVP: Das kann ich wohl!)

Wer soll Sprachnormen setzen, wer entscheiden, was zur deutschen Sprache gehört? Wer soll entscheiden?

(Zuruf von Frau Wiechmann, FDVP - Lachen bei der PDS und bei der SPD)

Entschuldigung, Frau Abgeordnete Wiechmann. Zur deutschen Sprache gehört auch, dass nicht mehr als einer gleichzeitig spricht.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der PDS - Frau Wiechmann, FDVP: Herr Präsident, Zurufe sind erlaubt! Das fehlte wohl noch, dass Sie Zurufe verbieten!)

Herr Präsident, seien Sie bitte so liebenswürdig, mir einen kleinen Zeitaufschlag zu geben.

Wer soll Sprachnormen setzen, wer entscheiden, was zur deutschen Sprache gehört?

(Frau Wiechmann, FDVP: Ich lasse mir nicht alles bieten! - Lachen bei der PDS)

- Ich auch nicht. - Wer soll entscheiden, was, wie Sie sagen, als „maßlos überzogenes fremdsprachliches Element“ zu gelten hat? Wollen Sie eine Art Sprachdiktatur einführen, vielleicht mit einem obersten Zensor?

(Herr Wolf, FDVP: Herr Böhmer, ich begreife Sie nicht!)

Vielleicht mit Herrn Wolf oder Herrn Weich an der Spitze?

(Heiterkeit bei der PDS und bei der SPD)

Wollen Sie jungen Leuten verbieten, „date“ zu sagen, wenn sie „Treffen“ meinen, auch wenn mir persönlich solche Anglizismen nicht passen? Wollen Sie künftig verlangen, dass alle Computerfachausdrücke ins Umstandsdeutsch übersetzt werden sollen?

(Frau Wiechmann, FDVP: Sie hätten besser zu- hören sollen, Frau Stolfa! - Zuruf von Herrn Weich, FDVP)

- Ich habe sehr gut zugehört. Ich weiß doch, was Ihnen aufgeschrieben worden ist.

Ich verstehe, wenn ein so brillanter, kulturvoller Redner wie Herr Bundestagspräsident Thierse sich darüber erbost, wenn mit der deutschen Sprache oft kulturlos umgegangen wird, auch durch Politikerinnen und Politiker. Aber er will Sprachkultur, und zwar in Inhalt und Form, und er lebt sie vor. Davon sind Sie, wie Sie eben auch bewiesen haben, sehr weit entfernt.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Herr Wolf, FDVP: Schön! Wir haben Sie getroffen! Schön!)

Das belegen Sie mit jeder Ihrer Reden und mit Ihrem Auftreten in diesem Hohen Haus.

Was Sie wollen, ist eigentlich etwas ganz anderes. Damit komme ich zum politischen Teil meiner Entgegnung auf Ihren Antrag,

(Zuruf von Herrn Weich, FDVP)

den ich sehr kurz halten kann. Eigentlich wird Ihr Anliegen in der Begründung zu dem Antrag deutlich. Sie verfolgen auch mit Ihrem so genannten Sprachantrag nichts anderes als Ihre zutiefst nationalistischen und fremdenfeindlichen Ziele.

(Frau Wiechmann, FDVP: Lassen Sie sich etwas Neues einfallen! - Zuruf von Herrn Weich, FDVP)

Sonst würden Sie nicht ein solches Unwort im Sprachgebrauch wie „Überfremdung“ der deutschen Sprache verwenden.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)

Ein Herr Goebbels sagte einst, im Jahr 1944 - ich zitiere -:

„Ich sehe in erster Linie in der Muttersprache eines Volkes ein scharf geschliffenes Schwert zur geistigen Verteidigung einer Nation.“

Ich habe keine Lust, meine Damen und Herren von der FDVP-Fraktion, mich an Ihre Sprache und deren Geist zu gewöhnen.

(Zuruf von Herrn Weich, FDVP)

Dann lasse ich schon lieber meinen Enkel von einem „date“ oder einem „event“ reden, weil er das „chic“ findet. Ich frage ihn dann einfach, ob er auch übersetzen kann, was er da gesagt hat.

Im Übrigen wendet sich auch das Mannheimer Institut für deutsche Sprache als bundesweit maßgebliche Instanz gegen ein so genanntes Sprachschutzgesetz. Wirkungsvoller sei - so die Meinung des Instituts -, in der Schule und in der Öffentlichkeit einen kulturvollen Umgang mit der deutschen Sprache zu pflegen und ebenso Fremdsprachen zu vermitteln.

Ihnen, meine Damen und Herren von der FDVP-Fraktion - damit bin ich am Schluss -, empfehle ich dringend die Lektüre von Victor Klemperers „LTI“.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Herr Rahmig, SPD: Ja! - Zustimmung von Frau Fischer, Merseburg, CDU)

Entschuldigung, Frau Abgeordnete Stolfa. Sind Sie bereit, noch eine Frage zu beantworten?

Dann würde ich Sie bitten, noch einmal zum Pult zu kommen.