Protocol of the Session on January 25, 2001

Erstens. Ich möchte von dieser Stelle aus den betroffenen Betrieben, insbesondere den Betriebsinhabern in Mücheln, mein tiefes Mitgefühl zu dem schweren Schicksalsschlag, der sie getroffen hat, zum Ausdruck bringen.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Wir werden zwar niemals tatsächlich ermessen können, was das insgesamt für die Betroffenen bedeutet; aber ich möchte an dieser Stelle für die Landesregierung deutlich machen, dass wir uns bemühen werden, im Rahmen unserer Möglichkeiten bei der Bewältigung der Folgen dieses Schicksalsschlages zu helfen.

Zweitens. Ich möchte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Veterinär- und Lebensmittelverwaltung danken. Seit dem 24. November des vergangenen Jahres leisten sie einen weit über das Normale hinausgehenden Arbeitsaufwand.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Das betrifft sowohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Labors als auch im Ministerium und im Regierungspräsidium in Halle, aber auch die in den Land- kreisen.

Ihnen ist es zu verdanken, dass wir nach dem Auftreten des BSE-Falles relativ schnell einen Überblick auch über

die bestehenden Defizite im Lande bekommen haben. Dies ist für die weiteren Handlungsnotwendigkeiten eine wesentliche Grundlage.

Ich sage sehr deutlich, dass diese Belastung auf Dauer nicht zu tragen ist. Deshalb wird es zu Personalverstärkungen in diesem Bereich kommen müssen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Landtag befasst sich heute nicht zum ersten Mal mit der Problematik BSE. Wenn ich mir die Rede ansehe, die ich am 15. Dezember 2000 in diesem Hohen Hause gehalten habe, kann ich feststellen, dass davon nichts zurückzunehmen ist. Im Gegenteil, die Dramatik der Lage hat sich nach meiner Einschätzung ungeheuer beschleunigt.

Wir haben nach dem Stand vom 24. Januar in der Zwischenzeit in Deutschland 19 bestätigte BSE-Fälle und bereits vier weitere Verdachtsfälle - und dies, obwohl die Anzahl der Schlachtungen seit dem Auftreten von BSE in Deutschland dramatisch zurückgegangen ist. Dies übertrifft alle Erwartungen zu dem offensichtlich in der Bundesrepublik vorhandenen Krankheitsgeschehen in den Rinderbeständen.

Ich möchte an dieser Stelle zu folgenden drei Themenkomplexen Ausführungen machen: erstens zum BSEFall in Sachsen-Anhalt, zweitens zu einem nationalen Bekämpfungsplan für BSE in Deutschland und drittens zur Umsteuerung der Agrarpolitik.

Der BSE-Fall in Sachsen-Anhalt ist in der Landwirtschaftlichen Produktions- und Vertriebsgenossenschaft Mücheln GmbH aufgetreten. Die Rinderproduktion wird an zwei Standorten betrieben, die Kuhhaltung in Mücheln mit 517 Kühen, 27 Jungrindern und 104 Kälbern und eine Jungviehhaltung in der Größe von 282 Jungrindern.

Das auf BSE positiv getestete Tier wurde am 3. Juni 1996 in dem Betrieb geboren. Es war festliegend und wurde - da es sich als behandlungsresistent erwies - durch die Tierärztin am 5. Januar 2001 getötet. Es zeigte keine BSE-Symptome. Am 8. Januar wurde es der Tierkörperbeseitigungsanstalt zugeführt. Am 9. Januar erfolgte die Probenahme. Das Ergebnis des Schnelltestes lag am 19. Januar 2001 vor.

Die zeitliche Verzögerung von zehn Tagen ist auf das Nicht-zur-Verfügung-Stehen von Testkits zurückzuführen. Diese werden nämlich vorrangig für Schlachtrinder verwendet; gefallene oder krankheitsbedingt getötete Tiere werden hierbei zurückgestellt.

Am 24. Januar wurde das positive Ergebnis des Schnelltests durch die Bundesforschungsanstalt in Tübingen bestätigt. Nunmehr ist die Frage der Behandlung des Bestandes auf der Tagesordnung. Nach den Verabredungen im nationalen Krisenstab, der auf Beschlusslagen in der Europäischen Union beruht, hat sich Deutschland entschlossen - genauso wie Frankreich -, die vollständige Bestandstötung vorzunehmen.

In diesem Zusammenhang stellte sich bei den zwei Standorten die Frage, ob es sich hierbei um einen oder zwei Bestände handelt. Die epidemiologische Erhebung hat allerdings ergeben - sie ist sehr sorgfältig vor Ort durchgeführt worden -, dass es sich aufgrund des Austausches von Tieren und der gemeinsamen Futtergrundlage um einen Bestand handelt.

Im Betrieb wurde nicht eindeutig nachgewiesen, dass in der Vergangenheit Schweine- und Rinderfutter getrennt

gelagert worden sind. Aufgrund der Feststellung der Futtermittelüberwachung kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einer Vermischung des Futters gekommen ist und damit zu einer Verfütterung von Tiermehl an die Rinder.

Nach der gegenwärtigen Lage ist deswegen angeordnet worden, den gesamten Bestand zu töten. Ich halte das deswegen für erforderlich, weil ich keinen Sinn darin sehe, dass innerhalb Deutschlands diesbezüglich unterschiedlich vorgegangen wird.

Am 29. und 30. Januar, also in der kommenden Woche, befasst sich der Agrarrat in Brüssel erneut mit der Frage, ob im BSE-Fall eine Bestandstötung erforderlich sein wird oder eine Tötung der Kohorte ausreicht. Momentan ist jedenfalls vorgesehen, dass die Europäische Union an der Bestandstötung festhält. Wir werden sehen, ob es zu einer anderen Entscheidung kommen wird.

Ich halte im Übrigen einen Sonderweg, wie er von Wissenschaftlern und von Vertretern des Berufsstandes gefordert wird, zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus mehreren Gründen nicht für sinnvoll:

Erstens bleibt das Problem der Abnahme der Milch ungelöst. Solange in der Gesellschaft kein Konsens darüber besteht, dass die Milch von Beständen, in denen BSE aufgetreten ist, weiter bedenkenlos verarbeitet werden kann, und solange die Molkereien diese Milch nicht annehmen, ist dem Betrieb mit der Kohortentötung nicht gedient.

Zweitens ist meines Erachtens auch aus Verbraucherschutzgründen die Tötung der Bestände, in denen BSE aufgetreten ist, für den Erkenntnisgewinn sehr hilfreich. Wir haben derzeit aufgrund der wenigen Schlachtungen wenig Informationen über das BSE-Geschehen im Lande, und ich halte es für einen großen Zugewinn, wenn wir anhand der Tests bei den jetzt zu tötenden Tieren feststellen können, ob weitere BSE-Befunde gemacht werden.

So Leid mir das für den Betrieb und für die betroffenen Tiere im Einzelnen tut - zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich aus der allgemeinen Beschlusslage nicht ausscheren.

Die Tatsache, dass es sich in diesem Falle um einen großen Bestand handelt, kann auch nicht zu einer Sonderbehandlung führen. Ein Kredo der Agrarpolitik dieses Landes ist es, keine unterschiedliche Behandlung von großen und kleinen Beständen vorzunehmen. Das muss auch dann gelten, wenn sich aus diesem Kredo negative Auswirkungen für den Betrieb ergeben.

Lassen Sie mich zum zweiten Themenkomplex kommen. Die Landesregierung hat, wie Sie wissen, unmittelbar nach dem Auftreten der ersten Verdachtsfälle von BSE in Deutschland gehandelt. Ich verweise in diesem Zusammenhang noch einmal auf meine Ausführun- gen vom 15. Dezember vergangenen Jahres. Im Anschluss daran hat sich die Landesregierung in die agrarpolitische Diskussion eingeschaltet und hat am 28. Dezember 2000 ein Sechspunkteprogramm vorgelegt, das einige Sofortmaßnahmen, die nach meiner Auffassung notwendig waren, enthält.

Dieses Sofortprogramm ist Gegenstand der Erarbeitung einer Beschlussfassung für die vorgesehene Konferenz der Agrar- und Umweltminister am 18. Januar 2001 in Berlin gewesen, die aus politischen Gründen dann ausgefallen ist.

Die Agrarstaatssekretäre haben aber am 17. Januar 2001 einen Beschluss gefasst, der inzwischen Gegenstand eines Antrages der Länder Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern für den Bundesrat geworden ist. Dieser Antrag geht davon aus, dass die gesundheitliche Unbedenklichkeit aller Nahrungsmittel oberste Priorität haben muss und deshalb der gesamte Erzeugungs- und Herstellungsprozess von Lebensmitteln transparent zu gestalten ist.

Insgesamt sind 13 Sofortpunkte vorgesehen, unter anderem die massive Verstärkung und bessere Koordinierung der BSE-Forschung einschließlich der humanmedizinischen Seite auf allen Ebenen, die schnellstmögliche Schaffung eines BSE-Bekämpfungsgesetzes sowie die Festlegung eines bundesweit geltenden BSE-Bekämpfungsplanes. Insbesondere sind Regelungen zur Tötung des Gesamtbestandes bei positivem BSE-Befund zu schaffen. BSE-Tests sind schrittweise auf alle Schlachtrinder europaweit auszudehnen.

Es soll eine EU-weite Gendatenbank für Rinder eingeführt werden. Die Länder bitten den Bund, im Agrarrat der Europäischen Union auf eine solche Gendatenbank für alle Rinder zu dringen. Der Ministerpräsident hat im Übrigen heute für Sachsen-Anhalt den Startschuss für den Aufbau der bundesweit ersten Gendatenbank gegeben.

Die Flächenprämie für den Anbau heimischer Eiweißpflanzen ist zu erhöhen. Auf Stilllegungsflächen ist der Anbau eiweißhaltiger Futterpflanzen freizugeben, um Alternativen zu Soja und als Ersatz für tierisches Eiweiß zu schaffen. Die Länder bitten den Bund, auf eine diesbezügliche Umgestaltung des europäischen Prämiensystems zu drängen.

Das Verbot der Verfütterung von Tiermehl und Tierfett ist verstärkt zu überwachen und mit verstärkten Sanktionen bei Verstößen gegen dieses Verbot durchzusetzen. EUweit ist ein totales und zeitlich unbefristetes Verbot der Verfütterung von Tiermehl und Tierfett einzuführen.

Ich mache noch einmal deutlich: Wenn der Bundesregierung das nicht gelingt, halte ich alle Ansätze einer Neuausrichtung der Agrarpolitik für äußerst problematisch; denn wenn es nicht möglich ist, EU-weit gleiche Rahmenbedingungen zu schaffen, werden wir die Probleme insgesamt nicht bewältigen.

(Zustimmung bei der SPD)

Es wird im Übrigen ein BSE- und Scrapie-Überwachungsprogramm für Schafe und Ziegen gefordert.

Wir brauchen eine konsequente Überwachung der Risikomaterialentfernung und die Beseitigung des Risikomaterials bis zur Verbrennung. Dabei geht es auch um neue Schlachttechnologien.

Es wird das Verbot der Gewinnung und Verarbeitung von Separatorenfleisch gefordert und schließlich die strenge Verfolgung von Etikettenschwindel bei der Auszeichnung von Lebensmitteln. Diesbezüglich mussten wir bei der Überprüfung der Auszeichnungen, aber auch bei der Untersuchung der jeweiligen Produkte erstaunliche Feststellungen machen. Die Erkenntnis daraus ist für uns, dass auch das Lebensmittelbuch als Konsequenz aus diesen Vorkommnissen überarbeitet werden muss.

Meine Damen und Herren! Dieser Beschlussvorschlag, der nun im Bundesrat vorliegt, ist maßgeblich durch unser Land mitgeprägt worden.

Zum nationalen Programm gehört meines Erachtens aber ebenfalls die Bewältigung der finanziellen Auswirkungen. Es handelt sich hierbei einerseits um die Kosten der Entsorgung von Altbeständen von Futtermitteln, die Tiermehl enthalten, und zwar sowohl bei den Tierkörperbeseitigungsanstalten als auch bei den Herstellerbetrieben und in der Landwirtschaft. Es geht um die laufenden Kosten bei der Entsorgung einschließlich der Erlösausfälle für Tiermehle und Tierfette.

Es geht um die Kosten für die BSE-Tests, und zwar für die Schlachttiere über 30 Monate ohne Aufkaufaktion, für die Schlachttiere von 24 bis 30 Monaten und für die gefallenen Tiere.

Es geht um die Kosten der Herauskaufaktion der bundesweit vorgesehenen 400 000 Rinder und dort um den Kauf, die Schlachtung, die Entsorgung und die BSETests. Die Bundesregierung hat sich bekanntermaßen noch nicht entschieden, ob sie diese Aktion tatsächlich durchführen will.

Es geht um die Einkommensausfälle der Landwirtschaft. Hier sind Erlösminderungen durch die Marktlage, durch die Erhöhung der Futterkosten, durch die Folgen aus der Überlieferung der Milchquote und durch die Folgen der Keulung in Betrieben mit BSE-Fällen in Betracht zu ziehen.

Schließlich geht es um die Einkommensausfälle der gewerblichen Wirtschaft, nämlich um Erlösminderungen durch die Marktlage in Schlacht- und Zerlegebetrieben, in Viehhandelsbetrieben und in der Ernährungswirtschaft insgesamt.

Über die Kosten ist noch nicht endgültig entschieden worden. Überschlägige Berechnungen haben ergeben, dass allein beim Land zusätzliche Kosten von ca. 8 Millionen DM zu erwarten sind, die beispielsweise durch Mehraufwendungen am Landesveterinär- und -lebensmitteluntersuchungsamt, an der Lufa oder bei Tierseuchenentschädigungen bzw. bei der Tierkörperbeseitigung entstehen.

Die tatsächlichen Belastungen des Landeshaushaltes werden maßgeblich vom Ergebnis der Verhandlungen der Länder mit dem Bund und von der Bereitschaft des Bundes abhängig sein, sich an den Mehraufwendungen finanziell zu beteiligen. Das Land wird, soweit es in seiner Macht steht, die Möglichkeiten der Abgabenordnung und die bestehenden Landesprogramme ausschöpfen, wie beispielsweise das Konsolidierungsprogramm und ähnliche Dinge.

So weit, meine Damen und Herren, zu den unmittelbaren Folgen. Lassen Sie mich abschließend noch kurz auf die Umsteuerung der Agrarpolitik eingehen.

Die Umsteuerung selbst ist, glaube ich, in der Zwischenzeit in der Gesellschaft Konsens und auch der Berufsstand verweigert sich einer Diskussion nicht. Ich gehe allerdings davon aus, dass es sich um einen Prozess handelt, der nur mittelfristig zu bewältigen sein wird. Er wird noch von vielen Hindernissen geprägt sein.

Mir liegt daran, dass nicht einseitige ökologische Betrachtungsweisen in den Vordergrund geschoben werden, denn seit Rio wissen wir, dass nachhaltiges Wirtschaften sowohl die ökologischen als auch die ökonomischen und sozialen Gesichtspunkte zu berücksichtigen hat.

(Zustimmung bei der CDU)

Gerade dies ist für die ländlichen Räume in unserem Bundesland von entscheidender Bedeutung. Eine Extensivierung der Landwirtschaft würde beispielsweise im Bereich der Milchviehhaltung bedeuten, dass wir Exportchancen, die Molkereien in unserem Land wahrnehmen, nicht mehr nutzen könnten. Dies führt zur Vernichtung von Wertschöpfung im ländlichen Raum und damit zu einer Destabilisierung in bereits jetzt nicht sehr gefestigten Strukturen. Ich erinnere beispielsweise an die Molkereien in Bad Bibra und in Jessen, die in ihren Regionen die größten Arbeitgeber sind und die wesentlich vom Export leben.