Protocol of the Session on December 15, 2000

Dabei, meine Damen und Herren, konnte beobachtet werden, wie sich die zunächst lockeren Verbindungen der Milieutäter immer mehr verfestigten. Es wurden nicht nur Absprachen und Kontakte auf örtlicher Ebene festgestellt, sondern auch zur Szene in den Ballungszentren. Festgestellt wurden gut funktionierende Nachrichtenwege zur arbeitsteiligen Begehung von Straftaten, zur Ausschaltung von lästigen Konkurrenten, zur Beeinflussung von Milieuangehörigen und zur Abschottung gegenüber Strafverfolgungsbehörden.

Das Zusammenwachsen in Europa, meine Damen und Herren, bietet dabei einen günstigen Nährboden für die organisierte Kriminalität. Begünstigende Faktoren sind das liberale Wirtschaftssystem und der riesige Kapitalmarkt mit seinen legalen und illegalen Möglichkeiten - etwa abdeckende Schein- und Tarnfirmen, lukrative Gewinnanlagen und die mannigfaltigen Möglichkeiten der Geldwäsche.

Hinzu kommen ein hoher Wohlstand, eine moderne Infrastruktur sowie in Mittel- und Osteuropa nicht ausreichende gesetzliche Grundlagen mit einer totalen Veränderung der alten Systeme und vor allem hoher Korruptionsbereitschaft.

Die heutige Euro-OK-Szene - ich verkürze „organisierte Kriminalität“ auf „OK“, das verkürzt auch meinen Beitrag - weist zahlreiche Gruppierungen unterschiedlicher Herkunft auf, die teilweise völlig selbständig arbeiten, teilweise miteinander kooperieren oder sich auch harte Konkurrenzkämpfe liefern. Der eigentliche Pate nach mafiosem Vorbild konnte zumindest bisher in Deutschland und in seinen Nachbarstaaten nicht festgestellt werden. Dennoch gibt es natürlich in der OK-Szene Strukturen und Personen, die in Kombination mit ihren legalen Geschäften illegale Aktivitäten betrieben, aber schon in einem Maße in die Gesellschaft aufgestiegen sind, dass sie für die Strafverfolgungsbehörden kaum noch angreifbar sind.

In der Euro-OK-Szene existieren verschiedene Typen nebeneinander. Der erste Strukturtyp ist als Mafia-Typus anzusehen, hierarchisch vertikal organisiert, in sich geschlossen und international in fast allen kriminellen Bereichen tätig. Dazu gehören die italienische Mafia, die chinesischen Triaden und die kolumbianischen Kartelle.

Der zweite Typus ist der Netzstruktur-Typus, das heißt, die Gruppierungen bestehen nebeneinander, man kennt sich, man unterstützt sich, die Tätigkeitsfelder sind teilweise klar abgegrenzt. Das Netzwerk ist allerdings schon international. Ich nenne hier polnisch-deutsche Kfz-Verschieber, tschechisch-deutsche Schleuser, russisch-deutsche Frauen- und Mädchenhändler und italienisch-deutsche Rauschgifthändler.

Bei der Auswertung des deutschen Lagebildes im Jahr 1998 wurde in allen 41 untersuchten Verfahren ein hierarchischer Aufbau festgestellt. Danach verfügen hierarchisch geführte Gruppierungen zum größten Teil über drei typische Hierarchiestufen, nämlich über eine Führungsebene, über Organisations- und Koordinationsebenen sowie über eine Arbeits- und Ausführungsebene. Letztere braucht man eben auch. In den meisten Verfahren wurde ein einfacher Organisationsaufbau beschrieben. Die typische Grundform war hierbei die EinKopf-Anführer-Organisation.

Des Weiteren ergab die Strukturanalyse, dass die Netzwerk-Kriminalität als Form der Zusammenarbeit zwischen hierarchisch unterschiedlich aufgebauten Gruppen existiert. Diese Beziehungsgeflechte werden anlassbezogen bei lohnenswert erscheinenden kriminellen Aktivitäten in Anspruch genommen.

Horizontale Strukturen wurden bei Gruppen verschiedener Nationalitäten festgestellt. Diese deckten einen bestimmten geografischen oder auch deliktischen Rahmen ab. Viele der Gruppierungen arbeiten mit betriebswirtschaftlichen Elementen. Die Logistikelemente wie Personalmanagement, Beschaffung, Herstellung, Absatz und Gewinnanlage werden genutzt, um legale oder illegale Macht- und Marktchancen zu erhöhen und natürlich auch um erhebliche Finanz- und Machtpositionen zu erreichen.

Gepaart sind diese Bestrebungen mit Korruptions- und Monopolisierungsstrategien und einer gelenkten imagebildenden oder tendenziösen Öffentlichkeitsarbeit. Ich denke dabei an Partys, Parteispenden, Sponsoring in Sport und Kultur bzw. angebliches rechtswidriges Verhalten der Verfolgungsbehörden, pressemäßige Begleitung von Hauptverhandlungen und Ähnliches mehr.

Meine Damen und Herren! Die Tätergruppierungen arbeiten - darüber müssen wir uns im Klaren sein - mit modernsten nachrichtentechnischen Mitteln, die denen der Polizei häufig völlig überlegen sind. Die Abwehrtechniken wie Gegenobservationen oder Kodierungen sind hoch entwickelt. Der Polizeifunk wird einfach abgehört. Durch Desinformationen werden falsche Fährten gelegt oder die Polizei wird gezwungen, sich mit sich selbst zu beschäftigen, weil es in ihren Reihen angeblich korrupte Beamte gibt.

Die Geschäftspartner werden genauestens überprüft, weil mit dem Einsatz von V-Leuten oder verdeckten Ermittlern gerechnet wird.

Die strafrechtlichen Sanktionen der einzelnen Länder spielen dabei eine große Rolle. So werden illegale Güter bevorzugt durch Länder transportiert, in denen eine niedrige oder kaum eine Bestrafung zu erwarten ist.

Die Täter arbeiten unter Legenden, mit verfälschten oder gefälschten Papieren oder führen ihre illegalen Geschäfte aus konspirativen Wohnungen.

Innerhalb der organisierten Banden findet eine starke Kontrolle und Überwachung der einzelnen Mitglieder statt. Durch die Gewährung von großzügigen Krediten werden Abhängigkeitsverhältnisse geschaffen.

Die organisierten Banden verfügen über ein eigenes wirkungsvolles Sanktionierungssystem. Es reicht von Ausgrenzungen mit großen finanziellen Einbußen über ein Bündel von Repressalien bis hin zur Liquidierung. Bei Bewährung und guten Leistungen innerhalb der Organisation winken Prämien, Sachwerte oder ein Aufstieg in der Hierarchie.

In Deutschland gibt es eine eigenständige organisierte Kriminalität. Sie wird zu einer ständigen Herausforderung der nächsten Jahre. Die organisierte Kriminalität stellt sich als Netzstrukturkriminalität mit hoher krimineller Intensität dar. Es gibt neue Formen schwerer Kriminalität, die eine hohe Sozialschädlichkeit beinhalten, mit gefährlicher Energie begangen werden, Schäden in Milliardenhöhe verursachen und eindeutig der organisierten Kriminalität zuzuordnen sind.

Wesensmerkmale dieser national und international verflochtenen Kriminalität sind eine nach innen und außen praktizierte Abschottung sowie eine konspirative und schwer erkennbare Vorgehensweise der Bandenmitglieder.

Beim Kfz-Diebstahl und bei der internationalen Verschiebung wird eine zunehmende Professionalisierung und ein höherer Organisationsgrad krimineller Zusammenschlüsse festgestellt.

Meine Damen und Herren! Westeuropa hat sich zu einem geschlossenen Absatzmarkt auch für Rauschgift entwickelt.

Das Lagebild der organisierten Kriminalität und damit der Informationsaustausch - darüber, denke ich, sind wir uns alle einig - müssen verbessert werden. Neben neuen Ermittlungsmethoden ist ein möglichst dichtes Informationsnetz mit OK-relevanten Informationen aufzubauen. Ziel muss das Erkennen von relevanten Personen, Personengruppierungen, kriminellen Organisationen sowie deren interner Strukturen und das Gewinnen von Erkenntnissen für das polizeiliche und ermittlungstaktische Vorgehen sein.

Bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität sind neben den organisatorischen und personellen Veränderungen auch verdeckte Ermittlungen, überregionale Informationssammlungen und -auswertungen sowie eine internationale Zusammenarbeit unverzichtbar.

Hierfür, meine sehr verehrten Damen und Herren, besteht Handlungsbedarf. Die Landesregierung ist aufgerufen, ein ungeschöntes Bild der Verflechtungen der beiden Strukturtypen in Sachsen-Anhalt mit deren Auswirkungen auf Deutschland und Europa zu geben und gegebenenfalls die Rechtsgrundlagen zu erarbeiten oder erarbeiten zu lassen, damit die innere Sicherheit im sprichwörtlichen Sinne wiederhergestellt wird.

Meine Damen und Herren! Herr Innenminister Püchel, eine Bagatellisierung dieses Problems kann nicht hingenommen werden. Unseres Erachtens ist es in diesem Bereich auch in Sachsen-Anhalt fünf vor zwölf.

Erlauben Sie mir abschließend noch einen Blick auf die Sichtweise der OK-Täter, die wie folgt formulieren:

Wir arbeiten global und elektronisch. Mit unseren Mitteln ist fast jeder käuflich. Wir kennen keine Budgetierung. Wir können uns jeden Fachmann leisten. Für die Polizei gibt es immer noch Grenzen, für uns schon lange nicht mehr. Die Strafverfolgung scheitert an einer überzogenen Rechtsstaatlichkeit. Der Datenschutz hilft uns.

Die Verantwortlichen diskutieren langwierig über OK und deren Bekämpfung, wir handeln nach unseren eigenen Gesetzen. Wir sind nur uns verantwortlich. Wir sind immer ein Stück voraus. Erkannte OK ist keine OK. Ihr wart zu langsam. Wir sind heute nur noch schwer zu stoppen. Mit Gesetzen von gestern gegen OK-Strukturen von heute können wir sehr gut leben.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. - Danke schön.

(Beifall bei der FDVP)

Danke sehr. - Für die Landesregierung spricht jetzt Innenminister Herr Dr. Püchel.

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie alle kennen den Ausspruch von Eulen und Athen. Die Landesregierung in Form des uns vorliegenden Antrags auf die Gefahren der organisierten Kriminalität aufmerksam zu machen, heißt in der Tat, Eulen nach Athen zu tragen.

Das Innenministerium ist an den Beratungen zu dieser Frage auf europäischer Ebene wegen der bekannten engen Verbindungen zu Europol besonders stark beteiligt. Natürlich werden auch die Informationen und Beschlüsse auf nationaler Ebene im Rahmen der IMK, ihrer Arbeitskreise und Unterarbeitskreise sowie seitens des BKA intensiv verfolgt, ausgewertet und für das Land umgesetzt. Dabei kommt unserem LKA eine zentrale Bedeutung zu.

Die Landesregierung unterrichtet über diese Zusammenhänge, wie ich meine, Landtag und Öffentlichkeit in der den Gefahren der OK angemessenen Form. Ich erinnere hier nur an die diesbezüglichen Informationen im Rahmen der jährlichen Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik. Ich erinnere an anlassbezogene Berichte zu spezifischen Erscheinungsformen der OK. Als konkretes Beispiel wäre hier etwa die Vorstellung der Fachberatungsstelle „Vera“ zu nennen. Hier finden Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution Schutz, und zwar auch um die Frauen als Zeuginnen für die Strafverfahren gegen ihre Peiniger zu gewinnen, die in der Regel nicht nur organisiert, sonder auch international vorgehen.

Auch die Vorstellung der erfolgreichen Konzeption sowie der ersten Ergebnisse zur Ermittlung und Abschöpfung von kriminell erworbenen Vermögenswerten sind aktuelle Beispiele von Veröffentlichungen des Innenministeriums zu diesem Thema.

Ich erinnere schließlich an die Große Anfrage zur Polizei in diesem Jahr, deren Beantwortung eine Fülle von Informationen zur OK und einschlägigen Kriminalitäts- feldern enthält.

Wenn mit dem Antrag tatsächlich gemeint sein sollte, dass über diese Informationen hinaus ein geschlossenes Lagebild zu den Strukturen der OK vorgelegt werden soll, so muss ich die Antragsteller auf die Vertraulichkeit solcher Informationen hinweisen. Es müsste doch allen klar sein, dass niemand an dem diesbezüglichen Informationsstand der Polizei ein größeres Interesse hätte als die organisierten Kriminellen selbst.

Das Ziel einschlägiger polizeilicher Lagebilder ist deshalb nicht die Information von Öffentlichkeit und Parlamenten. Ihr Sinn und Zweck ist es vielmehr, der Polizeiführung in Bund und Ländern eine Analyse und Bewertung der Tätergruppierungen an die Hand zu geben.

In dieser Analyse werden effektive ermittlungstaktische Vorgehensweisen und polizeiliche Ansatzpunkte vorgeschlagen und Schwachstellen aufgezeigt. Dass solche Informationen nur zum dienstlichen Gebrauch bestimmt sein können, versteht sich, denke ich, von selbst. Sowohl der Lagebericht unseres LKA zur OK als auch der des BKA unterliegen entsprechenden Geheimhaltungsgraden.

Abschließend will ich anmerken, dass die in der Antragsbegründung genannte Expertentagung des Arbeitskreises 2 der IMK vom März 1999, auf deren Beschluss Bezug genommen wird, unsererseits nicht bekannt ist.

Selbst die Geschäftsstelle des Arbeitskreises 2 wusste hiermit auf unsere Anfrage nichts anzufangen.

Hierbei gilt das, was ich auch im Zusammenhang mit der Beantwortung von Anfragen im Rahmen der Fragestunde bereits mehrmals zum Ausdruck gebracht habe: Derlei Fragen und Antragstexte sind für eine klare Beschreibung des Antragsziels und eine konstruktive Diskussion wenig geeignet.

Ich denke, alles in allem ist deutlich geworden, dass ich Ihnen nur die Ablehnung dieses Antrags empfehlen kann. - Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Außer der FDVP-Fraktion haben alle Fraktionen auf einen Beitrag verzichtet. Bitte, Frau Wiechmann, Sie haben noch einmal das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister Dr. Püchel, ich erinnere nochmals an die Debatte zur Errichtung eines Drogeneinsatzkommandos in der letzten Landtagssitzung. Ich glaube, die Abgeordnete Frau Kerstin Helmecke hat gesagt: Man hat den Eindruck, es ist alles in Ordnung und wir haben alles im Griff auf dem sinkenden Schiff. Ich habe nicht den ganzen Spruch im Kopf. Aber ich glaube, Sie erinnern sich alle. Genau denselben Eindruck habe ich auch heute gewonnen.

Bei Ihren Darlegungen habe ich allerdings noch einen zweiten Eindruck gewonnen, nämlich den, dass Sie unseren Antrag einfach nicht verstanden haben. Aber vielleicht wollen Sie ihn einfach nicht verstehen. Oder Sie haben ihn erst gar nicht richtig gelesen. Oder der, der Ihnen das heute aufgeschrieben hat, hat ihn nicht richtig gelesen. Das kann natürlich auch sein. Dann müssten Sie sich gegebenenfalls nachher an ihn wenden.

Wir wollten - ich rufe Ihnen das gern noch einmal in Erinnerung - von der Landesregierung einen Bericht haben, in dem die Strukturen der organisierten Kriminalität unter Bezugnahme auf die Etablierung in Europa, Deutschland und Sachsen-Anhalt dargestellt werden.

Jetzt muss ich einmal fragen, was um Himmels willen daran vertraulich sein soll; denn das, was wir fordern, wissen die ganz genau. Nur wir wissen es nicht und deswegen wollten wir das von Ihnen haben.

Zum Zweiten muss ich sagen: Fragen Sie doch Ihre Mitarbeiter im Innenministerium. Ich denke, wenn Sie richtig forschen, finden Sie das auch. Sollte das Arbeitspapier nicht aufgefunden werden, dann, Herr Minister Püchel, wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an uns. Unsere Fraktion wird Ihnen das zur Verfügung stellen.

(Unruhe bei der PDS - Herr Wolf, FDVP: Ja!)

Ich denke, alles Schönreden hat nichts geholfen. Das Problem bleibt bestehen. Ich will nicht noch einmal alles wiederholen. Ich habe zwar noch etwas vorbereitet, aber das bringt hier nichts. Ich denke, Sie wissen alle, welches Problem die organisierte Kriminalität weltweit, aber auch in unserem kleinen, bescheidenen Sachsen-Anhalt darstellt. Deshalb bitte ich noch einmal um die Überweisung des Antrags.