Protocol of the Session on December 15, 2000

Meine Damen und Herren! Der Beschluss des halleschen Stadtrats spiegelt die Einmütigkeit hinsichtlich der Bekämpfung des Rechtsextremismus wider, zu der wir im Landtag mit der Annahme inhaltlich gleich lautender Anträge der Fraktionen der SPD und der PDS so- wie der Fraktion der CDU in der Sitzung am 14. September 2000 gefunden haben. Dieser Beschluss hat überall im Land eine positive Resonanz gefunden. Die Stadt Halle ist nur ein Beispiel.

(Zuruf von Herrn Kannegießer, DVU-FL)

Vor diesem Hintergrund soll es heute nicht darum gehen, das Thema erneut in seiner ganzen Breite zu diskutieren. Das Ziel des Ihnen vorliegenden Antrags der SPD-Fraktion ist es vielmehr, einen Teilaspekt besonders zu beleuchten, und zwar das Problem der

rechtsextremistisch motivierten Straftaten. Zu diesem Thema heißt es in dem Beschluss des halleschen Stadtrates:

„Der Stadtrat fordert die Landesregierung auf, in ihren Anstrengungen bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht nachzulassen. Härte und Entschlossenheit von Justiz und Polizei sowie deren zeitnahe Reaktionen gegenüber rechtsextremistischen Straftätern sind notwendig, um diese in die Schranken zu weisen und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unseren Rechtsstaat zu stärken.“

Lassen Sie mich eine Zahl aus der polizeilichen Kriminalstatistik in Erinnerung rufen. In Sachsen-Anhalt wurden im vergangenen Jahr 829 rechtsextremistische Delikte registriert.

Kollege Gärtner hat neulich behauptet, dass zwei Morde mit rechtsextremistischem Hintergrund nicht in die Landespolizeistatistik eingegangen seien. Dabei handelt es sich um den Tod eines Diskobesuchers in Obhausen im April 1993 und um den Mord an dem Magdeburger Frank Böttcher im Februar 1997.

Herr Gärtner, ich teile Ihre Position in der Sache zwar nicht, dass diese Taten als rechtsextremistisch hätten registriert werden müssen, aber ich respektiere Ihren Standpunkt. Ihren Vorwurf, mit dem Sie in der „Volksstimme“ vom 2. Dezember 2000 zitiert worden sind, es handele sich bei der vorgenommenen Einstufung dieser Taten als nicht gezielt rechtsgerichtet um - ich zitiere - „einen Beitrag Sachsen-Anhalts zur Vertuschung und Verharmlosung rechtsextremer Gewalt“, weise ich zurück.

Das Bundeskriminalamt hat die Einstufung der Tötungsdelikte der letzten zehn Jahre nachuntersucht. Die Zahl der bundesweit bei rechtsgerichteten Taten Getöteten ist im Ergebnis dieser Untersuchung von 25 auf 36 korrigiert worden. Was Sachsen-Anhalt angeht, hat das Bundeskriminalamt in keinem Fall Veranlassung zu einer Korrektur gesehen.

Die Mitarbeiter der Polizei und des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt behandeln den Rechtsextremismus als Schwerpunkt. Jeder einzelne der 829 Fälle rechtsextremistischer Straftaten im vergangenen Jahr wird von den Beamtinnen und Beamten in den Fachkommissariaten Staatsschutz der Polizeidirektionen als eine Tat zu viel verfolgt.

Auch im Ländervergleich wird deutlich, dass die Polizei bei uns nicht auf dem rechten Auge blind ist. Das Spektrum reicht von nur 79 registrierten Straftaten in Mecklenburg-Vorpommern bis zu 1 142 Straftaten in Thüringen. Offensichtlich gelten unterschiedliche Erfassungskriterien. Dieses Problem haben die Innenminister erkannt und arbeiten an einer Lösung. Anzustreben ist, dass die Einstufung von Delikten als rechtsextrem bundesweit nach einheitlichen Kriterien erfolgt.

Die in unserem Antrag erwähnten Maßnahmen, die die Innenministerkonferenz Ende November beschlossen hat, ergänzen die vorhandenen Instrumente zur Bekämpfung rechtsextremer Kriminalität. Eine dieser Maßnahmen ist die Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit durch die Einrichtung von Hotlines und Präsentationen im Internet.

Anfang Dezember haben die Verfassungsschutzbehörden von Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein

eine gemeinsame Homepage gegen den Rechtsextremismus in das Internet eingestellt. Hier finden sich auch Hinweise zum Umgang mit Rassismus und rechtsextremistisch motivierter Gewalt im Alltag. Die Seite kann unter der Adresse www.verfassungsschutzgegenrechts.de aufgerufen werden.

Bereits Ende September wurde die „Hotline gegen Rechts“ des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt geschaltet. Die Telefonnummer lautet: 0 18 01/73 24 87. Sie ist in ganz Sachsen-Anhalt zum Ortstarif zu erreichen.

Die Polizei ist gerade bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus auf die Hinweise der Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Sie ist - ich habe es ausgeführt - auch in diesem Bereich uneingeschränkt vertrauenswürdig.

Lassen Sie mich ein letztes Mal den Beschluss des halleschen Stadtrates zitieren:

„Alle Bürgerinnen und Bürger sind aufgefordert, Zivilcourage zu zeigen. Niemand darf wegsehen, wenn Menschen misshandelt, beleidigt oder bedroht werden.“

Meine Damen und Herren! Jeder kann durch sein Handeln dazu beitragen, rechtsextremistische Taten zu verhindern oder zu unterbinden. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Aber es gibt Dinge, die jeder tun kann, ohne sich selbst zu gefährden, zum Beispiel das Anrufen bei der Polizei. Praktische Hinweise, was man darüber hinaus in konkreten Situationen gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit tun kann, ob in der Bahn, im Bus, in der Fußgängerzone oder anderswo im öffentlichen Raum, finden sich auf der erwähnten Internetseite, und zwar unter der Rubrik „Was tun/Hilfe“.

Meine Damen und Herren! Zu den weiteren Maßnahmen, die die Innenministerkonferenz beschlossen hat, gehört die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Schulen, sozialen Einrichtungen und sonstigen Trägern, etwa der Jugendsozialarbeit. Ich halte es für sinnvoll, wenn Mitarbeiter des Verfassungsschutzes auf Einladung von Schulen dort über den Rechtsextremismus referieren.

Dieses Thema sollte auch in der Lehrerfort- und -weiterbildung einen größeren Raum einnehmen. Wenn 15Jährige mit dem Begriff Auschwitz nichts anfangen können und Schüler einer 8. Klasse das Hakenkreuz nicht als ein Symbol des Nationalsozialismus zuordnen können,

(Zuruf von Frau Brandt, DVU-FL)

wie kürzlich auf einem SPD-Forum in Stendal von einem Vertreter der DGB-Jugend berichtet wurde, so lässt das aufhorchen.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Das liegt aber dann an der SPD!)

In der Präventionsarbeit mit Schulen und anderen Einrichtungen kann die Nachhaltigkeit der Anstrengungen gegen Rechtsextremismus erreicht werden, die der Kollege Gärtner heute Vormittag zu Recht eingefordert hat.

(Zuruf von Herrn Buder, DVU-FL)

Meine Damen und Herren! Zeitgleich mit der Innenministerkonferenz hat sich die Herbstkonferenz der Justizministerinnen und -minister mit der Bekämpfung rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher und antisemitischer Straftaten befasst.

Die Ministerinnen und Minister betonen in ihrem Beschluss, dass diese Erscheinungen mit allen Mitteln des Rechtsstaates bekämpft werden müssen. Sie betonen die besondere Bedeutung einer wirksamen Strafverfolgung in diesem Bereich, insbesondere durch einen intensiven Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Verfassungsschutz, durch Fortbildungsveranstaltungen für Justizangehörige, durch eine besondere Beschleunigung des Strafverfahrens und eine nachhaltige Strafvollstreckung. Sie betonen auch die Notwendigkeit einer weiteren Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit.

Schließlich stimmen die Justizministerinnen und -minister darin überein, dass die Prüfung, ob es weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarf im Bereich der Bekämpfung des Rechtsextremismus gibt, rasch fortgesetzt werden soll.

Meine Damen und Herren! Beim Sicherheits- und Ordnungsgesetz sieht die SPD-Fraktion auch mit Blick auf den Rechtsextremismus in dieser Legislaturperiode keinen weiteren Handlungsbedarf. Mit der Einführung des erweiterten Platzverweises durch die im Juni beschlossene SOG-Novelle ist ein dringend benötigtes Instrument zur Verhinderung rechtsextremistischer Straftaten geschaffen worden.

Das hat sich mittlerweile herumgesprochen. So hat der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Gottfried Timm, am 9. November eine Novellierung des dortigen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes angekündigt. In seiner Pressemitteilung heißt es unter anderem:

„Neu geregelt wird die Möglichkeit des Aufenthaltsverbotes. Bislang konnten Polizei und Ordnungsbehörden nur vorübergehende Platzverweise aussprechen. Nunmehr sind längerfristige Aufenthaltsverbote möglich, wenn Tatsachen auf eine bevorstehende Straftat hinweisen. Relevant ist diese Möglichkeit der Gefahrenabwehr etwa dann, wenn eine gewaltbereite rechtsextremistische Szene bestimmte öffentliche Plätze zu besetzen versucht.“

So viel aus der Pressemitteilung des Innenministers von Mecklenburg-Vorpommern. Ich gehe davon aus, dass die Gesetzesinitiative zwischen den dortigen Koalitionspartnern abgestimmt ist.

(Zurufe von Herrn Dr. Rehhahn, SPD, und von Frau Wiechmann, FDVP)

Meine Damen und Herren! Die von mir angesprochenen Dissenspunkte haben wir bewusst nicht in unseren Antragstext aufgenommen. Es sollte bei allen Unterschieden in Einzelfragen deutlich werden, dass sich die Parteien des Verfassungsbogens bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus im Wesentlichen einig sind.

Ich bitte um die Annahme unseres Antrages und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Herr Rothe, würden Sie eine Frage von Frau Wiechmann beantworten?

Nein.

(Herr Weich, FDVP: Ha, Feigling!)

Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden, und zwar in der Reihenfolge DVU-FL, CDU, PDS, FDVP und SPD. Ich erteile zunächst für die Landesregierung Herrn Minister Dr. Püchel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kampf gegen den Rechtsextremismus eignet sich nicht für Streit zwischen den demokratischen Parteien. Deshalb bin ich froh, dass wir vor kurzem im Landtag, wenn auch über Umwege, mit großer Mehrheit eine gemeinsame Entschließung zum Thema Rechts- extremismus verabschieden konnten.

Auch über den heute von der SPD-Fraktion vorgelegten Antrag bin ich froh; denn es ist gut, wenn sich im Landtag die Meinungsbildung zum Thema Rechtsextremismus auf der Grundlage von Anträgen vollzieht, die von demokratischen Fraktionen eingebracht wurden, und nicht als Reaktion auf Anträge - das sagte ich heute Morgen bereits - von Fraktionen, die selbst ein Teil dieses Problems sind.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der PDS - Frau Wiechmann, FDVP: Das ist eine Unver- schämtheit! Das kann doch nicht wahr sein! Was haben Sie denn für ein Demokratiever- ständnis?)

Meine Damen und Herren! Der im Antrag der SPDFraktion begrüßte Beschluss der Innenminister war einer der Kernpunkte der Herbstsitzung der Innenministerkonferenz, die Ende November stattfand. Die Beschlussniederschrift der IMK wird dem Landtag wie gewöhnlich zur Kenntnis gegeben. Ich darf besonders Interessierte deshalb auf diese schriftliche Unterlage verweisen und will mich jetzt auf wenige Grundzüge des Beschlusses konzentrieren.

Zum einen geht es den Innenministern darum, die Erfassung rechtsmotivierter Straftäter und auch Störer in den polizeilichen Dateien zu verbessern. Ich nenne ein Beispiel: Die Polizei hat bei der Verhinderung eines Skin-Konzerts in Annaburg bei Jessen die Identität von nahezu 450 Konzertbesuchern feststellen können. Eine Speicherung dieser Daten soll zukünftig bei vergleich- baren Ereignissen die Ermittlungen erleichtern helfen.

Zweitens geht es um die Fortschreibung eines Maßnahmenkataloges, der von einer Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit über Internetrecherchen bis hin zu Meldeauflagen und zu so genannten Gefährdetenansprachen reichen. Diese gezielte Ansprache polizeibekannter potenzieller Störer und Straftäter aus der rechten Szene ist hier im Land im Rahmen der so genannten Hess-Gedenkwoche von der Polizei bereits erfolgreich praktiziert worden. Die rechte Szene spürt den Druck des Staates und dieser Druck zeigt Wirkung.

Ein gleichartiges Konzept wurde übrigens im Vorfeld der Fußballeuropameisterschaft mit großem Erfolg bei der Bekämpfung der Hooligans angewandt.

Den dritten Schwerpunkt des IMK-Beschlusses bildet zu Recht eine Präventionskampagne gegen Rechtsextremismus.

(Zurufe von der DVU-FL und von der FDVP)

Sie hebt die Bedeutung gesamtgesellschaftlicher Prävention hervor.