Protocol of the Session on December 15, 2000

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 49. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der dritten Wahlperiode. Ich darf Sie auf das Herzlichste begrüßen und die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses feststellen.

Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst eine angenehme Mitteilung zu machen. Das Mitglied des Landtages Herr Minister Dr. Jürgen Heyer hat heute Geburtstag.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei der PDS und von der Regierungsbank - Zustimmung von Frau Wiechmann, FDVP)

Herr Minister Heyer, im Namen des Hohen Hauses sowie persönlich gratuliere ich Ihnen dazu recht herzlich. Wir wünschen Ihnen alles Gute, besonders natürlich persönliche Gesundheit und immer glückliche Entscheidungen zum Wohle unseres Landes.

Wir setzen nunmehr die 26. Sitzungsperiode fort und beginnen die heutige Beratung vereinbarungsgemäß mit dem Tagesordnungspunkt 3, der Aktuellen Debatte. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass danach der Tagesordnungspunkt 27 folgt, dann die Tagesordnungspunkte 13, 18, 22 und danach die Tagesordnungspunkte in aufsteigender Reihenfolge. Die übrigen Tagesordnungspunkte hatten wir gestern schon erledigt.

Wenn Sie dies jetzt alles verinnerlicht haben, setzen wir die Beratung fort. Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 3:

Aktuelle Debatte

Dazu liegen zwei Beratungsgegenstände vor.

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren! Mithilfe der Technik kann ich auch lauter sprechen, aber das macht keinen Sinn. Ich muss einfach bitten, die gestern nicht abgeschlossenen Privatgespräche später fortzusetzen.

Sie wissen, in der Aktuellen Debatte beträgt die Redezeit je Fraktion fünf Minuten. Für die Landesregierung beträgt die Redezeit zehn Minuten.

Ich rufe das erste Thema auf:

Verabschiedung der mittelfristigen Schulentwicklungspläne in den Landkreisen und kreisfreien Städten Sachsen-Anhalts kurz vor dem fristgemäßen und sachgerechten Abschluss

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/3998

Die Debatte wird in folgender Reihenfolge durchgeführt: SPD, FDVP, PDS, DVU-FL, CDU. Zunächst hat für die SPD als Antragsteller Frau Abgeordnete Kauerauf das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der von unserer Fraktion beantragten Aktuellen Debatte zur mittelfristigen Schulentwicklungsplanung in Sachsen-Anhalt verbinden wir nicht die Zielstellung, eine Standortdiskussion in den Landtag zu tragen. Vielmehr geht es uns darum, auf die Notwendigkeit und die Aufgaben der mit

telfristigen Schulentwicklungsplanung hinzuweisen sowie die erfreuliche aktuelle Beschlusslage im Land darzustellen.

Bei der Betrachtung der demografischen Entwicklung seit 1990 wird auch Außenstehenden bewusst, dass diese gravierende Auswirkungen auf den Bestand von Schulen und Schulstandorten haben wird.

Die folgenden Zahlen sollen dies belegen: 1987 gab es im Landesgebiet fast 40 000 Geburten, 1993 nur noch 15 000, im letzten Jahr knapp 18 000. Das ist ein Geburtenrückgang von über 60 %. Bis zum Jahre 2010 wird sich der Gesamtschülerbestand um mehr als die Hälfte reduzieren.

Die rückläufigen Schülerzahlen erreichen die einzelnen Schulformen in Etappen. Während die Grundschulen damit schon seit 1997 kämpfen, sind die Förderstufe erst ab 2001, Sekundarschulen und Gymnasien ab 2003 betroffen. Der wirkliche Schülereinbruch in den weiterführenden Schulformen steht uns aber noch bevor.

Aus dieser Darstellung ergibt sich die Notwendigkeit einer mittelfristigen Schulentwicklungsplanung. Diese muss auf der Grundlage schulfachlicher Richtwerte erfolgen.

Mit der Verordnung hat die Landesregierung den Planungsträgern das notwendige Instrumentarium in die Hand gegeben. Bisher wurden die Schulentwicklungspläne jährlich fortgeschrieben. Der neue Planungszeitraum erstreckt sich bis 2006, zuzüglich einer weitergehenden Prognose.

Die Aufgabe der mittelfristigen Schulentwicklungsplanung besteht darin, das Netz der Schulstandorte den zurückgehenden Schülerzahlen anzupassen. Dies soll mit dem Ziel erfolgen, ein regional ausgeglichenes, bedarfsgerechtes und leistungsfähiges Bildungsangebot im Land zu entwickeln. Außerdem sollen die Kommunen die notwendige Planungssicherheit und Investitionssicherheit erlangen.

Aus eigenen Erfahrungen wissen wir, welche Ängste und Probleme in diesem Zusammenhang auftreten. In der Regel sind Schulen mehr als eine Stätte der Wissensvermittlung. Sie sind oft kommunikatives, soziales und kulturelles Zentrum. Somit ist es mehr als verständlich, dass sich die Betroffenen in den Diskussionsprozess vor Ort einbringen möchten.

Gemäß dem Schulgesetz gehört die Schulentwicklungsplanung zum eigenen Wirkungskreis der Landkreise und kreisfreien Städte. Der zeitliche Planungsrahmen sieht eine Beschlussfassung bis zum 31. Dezember 2000 vor. Geringfügige Überschreitungen des Termins sind tolerierbar.

Wie sieht nun die Beschlusslage zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus? Das Land Sachsen-Anhalt verfügt über 21 Landkreise und drei kreisfreie Städte. Bis zum heutigen Tag haben zwölf Landkreise und die Stadt Halle ihre Schulentwicklungspläne beschlossen.

Der Landkreis Aschersleben-Staßfurt und der Saalkreis haben einen Teilbeschluss herbeigeführt, bei dem die Schulform Sekundarschule ausgenommen wurde, über die nachträglich im Januar 2001 ein Beschluss gefasst werden soll. Noch vor Weihnachten werden weitere sechs Landkreise über ihren Schulentwicklungsplan abstimmen.

In einem Landkreis fand der erarbeitete Schulentwicklungsplan keine Zustimmung; der Landrat hat den Be

schluss aufgehoben. Der Kreistag wird wahrscheinlich in der nächsten Woche erneut darüber befinden.

Es verbleiben somit nur noch ein Landkreis und die Stadt Magdeburg. Die Ausschussberatungen befinden sich dort jedoch schon in der Endphase; mit einer Beschlussfassung ist im Januar, spätestens Anfang Februar 2001 zu rechnen.

Der dargestellte Stand der Beschlussfassung ist beachtlich und erfreulich. Er dokumentiert, dass die Mitglieder der Kreistage und Stadträte - einige sitzen hier im Saal - parteiübergreifend ihre Verantwortung wahrgenommen und fristgerechte Entscheidungen getroffen haben. Dafür gebührt ihnen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Der Weg von der Aufstellung bis zur Verabschiedung der Schulentwicklungspläne war oft beschwerlich und erforderte neben der inhaltlichen Auseinandersetzung auch viel Fingerspitzengefühl. Nach der Übergabe der Pläne an die Staatlichen Schulämter erfolgt im neuen Jahr das staatliche Genehmigungsverfahren.

Eine Verschiebung der mittelfristigen Schulentwicklungsplanung, wie vereinzelt gefordert, ist unverantwortlich und falsch, weil die geringen Schülerzahlen ab dem Jahr 2001 auch die weiterführenden Schulformen erreichen.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist eine sehr weit- gehende Schlussfolgerung!)

Investitionsentscheidungen werden erschwert und Standortentscheidungen dem Zufall überlassen; das kann keiner wollen. Andererseits steht die Beschlussfassung vor Ort kurz vor dem Abschluss.

(Zuruf von Herrn Schomburg, CDU)

Meine Damen und Herren! Das vorrangige Ziel besteht darin, für alle Schülerinnen und Schüler in erreichbarer Nähe ein Schulangebot für jeden Bildungsgang vorzuhalten. Dafür bedarf es eines langfristig stabilen Schulnetzes. Die mittelfristige Schulentwicklungsplanung leistet den dafür notwendigen Beitrag. Die Sicherung und Entwicklung schulischer Qualität ist dabei ein weiterer Aspekt. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Stol- fa, PDS, und von Frau Theil, PDS)

Vielen Dank. - An dieser Stelle hat für die Landesregierung Kultusminister Herr Dr. Harms um das Wort gebeten. Bitte, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrte Damen und Herren! Kaum eine andere Entwicklung hat in unserem Land derart für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt wie die Notwendigkeit der mittelfristigen Schulentwicklungsplanung in diesem Jahr. Ich bin mir sicher, dass Sie alle die Problemlage sehr intensiv in Ihren Wahlkreisen erlebt haben und genau kennen. Sie haben erlebt, wie viele Auseinandersetzungen um diese Frage geführt worden sind. Auch ich habe in zahlreichen Veranstaltungen zwischen Salzwedel und Zeitz und auf vielen Foren, auf denen ich zu diesem Thema diskutiert habe, gemerkt, wie stark das Engagement von Menschen für ihre Schule im Ort ist.

Heute, ein Jahr nach der endgültigen Inkraftsetzung der Verordnung, lässt sich absehen, dass die Entscheidung, eine mittelfristige Schulentwicklungsplanung zu erarbeiten, richtig war. Dabei können alle demokratischen Parteien zu Recht auf einen Großteil ihrer kommunalen Vertreter stolz sein, die die Planung pragmatisch und umsichtig vollziehen.

Lassen Sie mich auf drei wesentliche Aspekte der Diskussion etwas näher eingehen: zum Ersten natürlich auf die zugrunde liegende demografische Entwicklung, zum Zweiten auf die Frage des Zusammenhangs mit der Kommunalgebietsreform und zum Dritten auf die Teilproblematik der Sekundarschulen.

Die Geburtenzahlen in ganz Ostdeutschland sind nach der Wende dramatisch gefallen. Sie erinnern sich alle daran, wie wir in den Jahren 1990/1991 angenommen haben, dass es sich hierbei um einen vorübergehenden Zustand aufgrund der Unsicherheit der Wendezeit handele. Inzwischen sehen wir klarer.

Während in Sachsen-Anhalt im Jahre 1988 noch über 38 000 Kinder geboren worden sind, waren es im Jahr 1994 nur noch etwas mehr als 14 000. Der leichte Anstieg der Geburtenzahlen, mit dem im Moment vielfach argumentiert wird, wird sich nach der koordinierten Bevölkerungsprognose bei etwa 20 000 Geburten einpendeln, sodass wir langfristig mit nur etwa der Hälfte der früheren Geburten rechnen können.

Das ist nicht nur in Sachsen-Anhalt so, das ist im ganzen Osten so. Die Entwicklung bei uns lehnt sich in etwa an die in anderen Industriestaaten an. Die zugrunde liegenden Lebenskonzepte von Menschen und Familien haben sich verändert.

Im Schulbereich erleben wir nach der Entwicklung in Krippe und Kindergarten zurzeit deutlich, mit wie vielen Schwierigkeiten dieser Einbruch bei den Geburtenzahlen verbunden ist.

Man muss kein Prophet sein, um die weiteren Auswirkungen der geburtenschwachen Jahrgänge zu prognostizieren, wenn wir uns vor Augen halten, dass in wenigen Jahren die Elterngeneration von denjenigen gestellt werden wird, die in diesen schwachen Jahrgängen geboren worden sind. Die Auswirkungen auf das Sozialsystem, auf die Infrastruktur und auf die Wirtschaftskraft werden erheblich sein und werden uns noch erhebliche Kopfschmerzen bereiten.

Es war notwendig, diese Entwicklung realistisch in den Blick zu nehmen, weil - das zeigt sich in allen Kreisen des Landes - Wunschträume hierbei nicht weiterhelfen. Was wir benötigen, was die kommunalen Träger benötigen, ist ein Grad an Verlässlichkeit, den nur eine mittelfristige Planung schaffen kann.

Die Auseinandersetzung mit solch einem Zeitraum brachte es mit sich, dass landesweit erstmalig für viele deutlich geworden ist, mit welcher Dramatik sich die Entwicklung tatsächlich vollzieht. Daher kann ich an jeder einzelnen Stelle nachvollziehen, wie schwierig es ist, die Vorstellung zu bewältigen, dass heute sta- bile Sekundarschulstandorte beispielsweise mit 200 bis 250 Schülerinnen und Schülern in wenigen Jahren deutlich unter die Mindestgrenze schrumpfen werden.

Diese Entwicklung und die sich daraus ergebenden Notwendigkeiten den Menschen plausibel und nachvollziehbar zu machen und zu nachvollziehbaren Entscheidungen zu kommen, ist in der zehnjährigen Geschichte