Protocol of the Session on November 9, 2000

Neben strukturellen, institutionellen und reformierten pädagogischen Konzepten müssen vor allem Bildungsinhalte auf den Prüfstand und neu bestimmt werden. Das ist offensichtlich auch Inhalt des entsprechenden Beschlusses des SPD-Landesparteitages. Unter diesem Blickwinkel halten auch wir eine Einführung moderner IuK-Techniken an allen Schulen, auch an Grund- und Sonderschulen, für ein dringendes Gebot der Zeit. Ziel sollte eine Ausrüstung sein, die ihre Integration in das pädagogische Konzept von Schulen und in alle Fachdisziplinen erlaubt.

Was ist im Übrigen aus dem Vorhaben von Bildungsministerin Bulmahn geworden, jeder Schülerin und jedem Schüler einen Laptop aus den UMTS-Zinsersparnissen zu finanzieren? Davon habe ich gar nichts mehr gehört.

Parallel müsste eine umfassende Bildungsoffensive mit den Bildungsträgern, darunter vor allem Hochschulen und Unternehmen, konzipiert und finanziert werden, die den Beschäftigten des ersten und zweiten Arbeitsmarktes gleichermaßen Qualifikationsangebote unterbreitet. Digitale Spaltung der Gesellschaft droht ansonsten nicht allein Ergebnis, sondern eben weitere Ursache vertiefter sozialer Polarisierung der Gesellschaft zu werden. Darin haben Sie völlig Recht.

(Beifall bei der PDS)

Erstausbildung und Weiterbildung sollten zu einem einheitlichen dynamischen System zusammengeführt werden.

Abschließend will ich darauf verweisen, dass die Entwicklung zur Informations- und Wissensgesellschaft mittlerweile durch die marktvermittelte Technik selbst kommuniziert wird. Deren schnelle Verbreitung setzt gegenwärtig eben einfach Fakten, ohne dass es hierzu eine ausreichende politische Diskussion um Ziele und Leitvorstellungen gäbe.

Es geht uns aber gerade um Gestaltung statt um Verwaltung. Deshalb stehen wir der geplanten Bildung eines IT-Beirates der Landesregierung zwar aufgeschlossen gegenüber, fürchten aber zugleich den Zeitfaktor. Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit trifft sich zweimal im Jahr. Wenngleich angeschlossene Arbeitsgruppen häufiger und auch ergebnisorientierter tagen, so wäre doch ein solcher Arbeitsrhythmus das Grab aller Ihrer guten Absichten.

(Beifall bei der PDS)

Auch Ihre Verarbeitungsgeschwindigkeiten - um im Bild zu bleiben - müssten sich dann deutlich erhöhen. Ich verstehe Ihre Initiative als demokratisches Angebot der Mitwirkung. Ob es bei einem Mitglied aus dem Landtag bleibt, hätten wir dann noch zu bereden.

Zugang zu Wissen und Information ist unter den skizzierten Rahmenbedingungen mehr als bisher grundsätzliche Voraussetzung, um reale Beteiligungsmöglichkeiten an der politischen Willensbildung auszuweiten sowie Entscheidungsprozesse dezentral und transparent

zu organisieren. Gelingt es uns, diese Position in den Gesamtprozess zu integrieren, haben wir in SachsenAnhalt auch neue Chancen auf eine interaktive Landespolitik. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Frau Bud- de, SPD, und von Frau Lindemann, SPD)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Bevor wir die Aussprache fortsetzen, heißen wir Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Zörbig sowie eine Gruppe von Pflegedienstleisterinnen der Fit Bildungs-GmbH Magdeburg willkommen.

(Beifall im ganzen Hause)

Die Aussprache wird fortgesetzt mit einem Beitrag der Abgeordneten Frau Wiechmann. Bitte, Frau Wiechmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich war ich entsetzt, als ich heute diese Erklärung gehört habe. - Nein, falsch: Ich war schon gestern Abend entsetzt, als ich sie das erste Mal gelesen habe.

Ich glaubte mich in ein anderes Land versetzt, nach dem Motto: Alles in Ordnung in Sachsen-Anhalt; Erfolg auf der ganzen Linie. - Mitnichten.

Aber, meine Damen und Herren, der Ministerpräsident Herr Dr. Höppner ist ja bekannt dafür, dass er nicht nur im Nebenjob als Politik-Jahrmarktspropagandist für bunte Wundertüten auftritt.

(Zustimmung bei der FDVP - Frau Lindemann, SPD: Das ist doch eine Frechheit! - Zuruf von Herrn Sachse, SPD)

Er reist vielmehr auch, meine Damen und Herren, wie sein oberster Kanzler durch die Lande und verkündigt und kündigt an. Wir haben es heute gehört.

Meine Damen und Herren! Bärbel Bohley verlässt das Land wegen der Politik des Handelsreisenden Schröder, ohne die weitaus schrecklichere Variante von Politik kennen gelernt zu haben, die Politik des Dr. Höppner.

Aber wie das bei Wundertüten bekanntermaßen ist: Ein Trick, die Tüte ist bunt und geheimnisvoll anmutend. Beim Öffnen stellt sich heraus, sie ist voller Plunder.

(Beifall bei der FDVP - Zurufe von der SPD: Ach, Mensch!)

Natürlich verstehe ich es, dass Sie, Herr Ministerpräsident, den Menschen als großer Verkünder und Visionär erscheinen wollen, da Sie in der alltäglichen Politik nichts zu bieten haben und dieses Land vollends in den Abgrund gefahren haben. Aber - das muss ich an dieser Stelle sagen - Sie sind kein Visionär, Herr Ministerpräsident. Sie sind ein wendiger Zeitgeistreiter.

(Unruhe bei der SPD)

Allerdings kommen Sie nicht auf einem edlen Rappen daher, sondern müde und mühsam auf einem alten Klepper und sehen statt Visionen nur eine Fata Mor- gana.

Herr Ministerpräsident, Sachsen-Anhalt ist und wird unter Ihrer Regierung nicht zur Win-Gesellschaft. Da hilft auch nicht aller Wind, den Sie verbreiten. Nein, Herr

Ministerpräsident, Sie sind kein Winner, Sie sind ein Loser.

(Beifall bei der FDVP - Zurufe von Frau Linde- mann, SPD, und von Frau Kauerauf, SPD)

Sie verurteilen ein ganzes Land mit all den fleißigen Menschen zu Losern, Frau Lindemann, und dazu, all die roten Laternen voranzutragen, die Sie mit Ihrer gescheiterten rot-roten Bündnispolitik diesem Land auf allen Gebieten verliehen haben.

(Frau Kauerauf, SPD: Furchtbar!)

Wer Ihre Regierungserklärung vernimmt, Herr Dr. Höppner, glaubt sich ins Zauberland versetzt, weil er dieses Land einfach nicht kennt.

(Frau Lindemann, SPD: Reden Sie einmal zum Thema! Das ist nicht das Thema! Dazu können Sie nichts sagen!)

Ich schlage vor, nehmen Sie Harry Potter als Staatssekretär. Vielleicht vermag er Ihnen beizustehen. Aber selbst Harry Potter, Herr Dr. Höppner, wäre aufgrund Ihres Politikstils und Ihrer Politik zur Aufgabe seines Vorhabens verurteilt.

In Ihrer Erklärung finden wir kein einziges Wort einer realistischen Betrachtung und Bewertung der gegenwärtigen Situation in Sachsen-Anhalt.

(Frau Lindemann, SPD: Weil Sie es nicht ver- stehen!)

Ihre Erklärung, Herr Ministerpräsident, erinnert an ein unseliges Plenum der Übergabe eines Megachips vor zwölf Jahren. Auch damals war das Motto: Nur keine Fehlerdiskussion. Ihre Erklärung, Herr Dr. Höppner, leidet unter Realitätsverlust.

Herr Ministerpräsident, das muss ich Ihnen an dieser Stelle auch sagen: Sie wurden vor Tagen bei der Ehrung des Philosophen Jakob Böhme in Görlitz vermisst. Böhme, der sich vor Hunderten von Jahren mit dem philosophischen Begriff des Nichts befasste, hätte in Ihrer heutigen Erklärung das totale Nichts entdeckt.

Meine Damen und Herren! Vieles wird kommen und eintreten, aber nicht unter dieser Regierung, weil diese nicht in der Lage ist, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um eine Wissens- und Informationsgesellschaft zu errichten. Sie mögen, Herr Ministerpräsident, dem Wahn verfallen sein und daran glauben, was Sie heute hier zu verkaufen versuchten. Aber die Bürger Sachsen-Anhalts glauben Ihnen das schon längst nicht mehr.

(Herr Steckel, SPD, und Herr Bischoff, SPD, hal- ten rote Karten hoch)

Erfüllen Sie einfach die Versprechen in Ihrer Regierungserklärung vom 18. Juni 1998. Damit hätten Sie genug zu tun. Dann wären Sie ein glaubwürdiger Politiker. Aber so sind Sie nur, wie es in der Presse zu sehen war, ein Nachtmützenträger. Gruselig, wenn ich mir vorstelle, dass die Welt die Sachsen-Anhalt-Seite im Internet aufruft und womöglich genau dieses Bild, symptomatisch für Sachsen-Anhalt, abruft.

Ihre Erklärung erinnert an ein ängstliches Kind, Herr Ministerpräsident, - Sie kennen das Bild - das vor Angst und gegen die Angst im Keller anfängt zu singen.

Sie bauen, Herr Ministerpräsident, auf die bürger- nahe Gesellschaft, die per Mausklick die Verwaltung erreicht. Aber im Landtag werden die Volksinitiativen ab

geschmettert. Dabei zeigen Sie Ihr wahres Gesicht und was Sie von Demokratie halten.

(Beifall bei der FDVP)

Die Eltern werden einfach nicht gefragt, wenn Sie Gesetze durchpeitschen, die auch die Zukunft unserer Kinder betreffen und auf geballten Widerstand der Bevölkerung stoßen.

Herr Ministerpräsident, Ihre Erklärung gleicht einem Treppenwitz, wenn sich die Landesregierung dafür einsetzen wird, die Schulen zu öffnen, während Ihr Kultusminister reihenweise Schulen schließt. Es würde natürlich Ihrem Verständnis von den Rechten der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder entsprechen, wenn Sie die Kinder in Grundschulen mit festen Öffnungszeiten künftig zur Nutzung des Internets gleich einschließen.

Die Kinder können dann im Höppner‘schen Sinne, meine Damen und Herren, online und per Mausklick mit ihren Eltern Kontakt aufnehmen und SOS-Rufe - „Holt uns aus dieser Schule!“ - versenden.

Nach Ihrer Erklärung, Herr Dr. Höppner, wollen Sie bis zum Jahr 2005 gewährleisten, dass ein allgemeiner elektronischer Zugang zu den wichtigsten öffentlichen Diensten des Landes sichergestellt ist und wesentliche Dienstleistungen der Verwaltung online angeboten werden.

Herr Ministerpräsident, Sie waren bisher noch nicht einmal in der Lage, den Flickenteppich, den Sie Verwaltungsreform nennen, so zu gestalten, dass endlich eine Verwaltungsreform von oben nach unten stattfindet. Nach Ihrer Vision erreicht man online zwar die Regierungspräsidien, aber erfährt dann auf dem Bildschirm die Mitteilung „gelöscht“.

Wenn Sie in Ihrer Erklärung der Initiative „www.frauenans-netz.de“ Unterstützung zusagen und erklären, Frauen mit geringeren Zugangsmöglichkeiten, Frauen in der Familienphase und anderen zu helfen, den Nutzen des Internets zu erkennen, dann würde es uns schon interessieren, wie diese Frauen mit geringem oder ohne Einkommen, mit Arbeitslosen- oder Sozialhilfe diesen Wünschen entsprechen können. So wird eine vielleicht gut gemeinte Initiative, meine Damen und Herren, den gleichen Sinngehalt bekommen wie die von Ihnen, Herr Ministerpräsident, sicherlich mit heißem Herzen unterstützte Aktion „www.saufen-gegen-rechts.de“.