Protocol of the Session on October 13, 2000

Weil ich in der Auffassung mit der Präsidentin des Oberlandesgerichtes Celle übereinstimme, deshalb zitiere ich selbstverständlich sie.

(Unruhe bei der SPD und bei der CDU)

Es gibt einige Vorschläge zur Reformierung des Zivilprozesses, die unterstützt werden können, wie zum Beispiel die Erweiterung der materiellen Prozessleitung durch das Gericht, mit Einschränkungen die Einführung des originären obligatorischen Einzelrichters in erster Instanz, die Einführung einer vorgeschalteten obligato- rischen Güteverhandlung.

Über andere Punkte muss weiter diskutiert werden, andere Vorschläge müssen aber abgelehnt werden. Heute ist jedoch weder Zeit noch Raum, dies im Einzelnen zu tun, weil der Antrag der CDU-Fraktion nur einen Punkt herausgegriffen hat.

Wir schlagen deshalb vor, den Antrag in den Ausschuss für Recht und Verfassung zu überweisen, um dort eine Beschlussempfehlung zu erarbeiten, die dann auch der Richtigkeit und Komplexität des Reformvorhabens Rechnung trägt.

Zwei verschiedene Entwürfe zu einer Reformierung des Zivilprozesses befinden sich zurzeit im Bundestag bzw. im Bundesrat in der Beratungswarteschleife. Wir können dann aktiv in diesen Prozess eingreifen und dafür sorgen, dass all die guten Vorschläge und Kritiken der Praktiker auch berücksichtigt werden. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Danke sehr. - Für die Fraktion der FDVP spricht jetzt der Abgeordnete Herr Wiechmann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Fraktion fordert die Landesregierung auf, den von der rot-grünen Koalition in Berlin eingebrachten Gesetzentwurf zur Reform des Zivilprozesses im Bundesrat abzulehnen; denn es besteht keinerlei Notwendigkeit, das bewährte Zivilprozessrecht zu reformieren. Auch dann nicht, wenn man eventuell vorhandene Verkrustungen, die von Frau Tiedge hier angesprochen wurden, aufbrechen könnte.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Berliner Koalition mangels erkannter anderweitiger Aufgaben eines Reformeifers in fremden Sachgebieten bedient, um das geordnete System des Zivilprozesses infrage zu stellen. Auf der Strecke bleiben die Bürger als Parteien im Zivilprozess, die Richter und die Rechts- anwälte.

Der Deutsche Anwaltsverein - an dieser Stelle wiederholt erwähnt - hat dem Bundesministerium der Justiz seine dahin gehende Stellungnahme zum Referentenentwurf übermittelt. Diese Stellungnahme beinhaltet eine vernichtende Kritik am Vorhaben der Berliner Koalition. Gleichzeitig sieht der Deutsche Anwaltsverein aber auch wichtige Reformvorschläge, die unterstützungswürdig sind oder unter bestimmten Voraussetzungen unterstützt werden können. Es handelt sich bei diesen Vorgaben aber um Minimalansätze, die keinen aktuellen Handlungsbedarf nach sich ziehen.

Weit mehr als 90 % der deutschen Rechtsanwälte lehnen den Reformansatz des Bundesministeriums der Justiz ab. Nahezu die gesamte Richterschaft der Zivilprozesse erachtet den Referentenentwurf als ein Arbeitsergebnis, das keinerlei Daseinsberechtigung hat.

Der Bürger ist völlig desorientiert; denn bei der Vielzahl der so genannten Reformen auf Bundes- und Landesebene hat er bereits den Durchblick verloren. Er wird wie in anderen Bereichen dann schließlich die Erfahrung machen, dass auch diese Reform an seinen Geldbeutel geht.

Mir sind, meine Damen und Herren, kaum Reformen bekannt, die Vorgaben zum Wohle der Bürger verfügten und sich dann schließlich auch als Wohltat ausgewirkt haben. Dabei will ich auf einen Exkurs in die Aktualität verzichten, da das Thema hinreichend bekannt ist.

Diese in der Begründung so genannter grundlegender Reformen angeführten Schwachstellen und Strukturmängel bestehen nicht. Wohl aber gibt es Defizite im bisherigen Verfahren des Zivilprozesses, die durch weitere Optimierungen abgebaut werden können.

Eine Überlastung der Justiz ist nicht erkennbar. Das in den Medien seit Jahren gezeichnete Bild, es gebe zu viele Verfahren, für diese Zahl der Verfahren seien zu wenige, aber dafür völlig überlastete Richter vorhanden und die Verfahren dauerten zu lange, lässt sich bisher durch Zahlen nicht belegen. Auch die Einführung des originären und obligatorischen Einzelrichters beim Landgericht ist keine Stärkung der ersten Instanz, sondern als Schwächung einzuordnen. Sechs Augen sehen eben mehr als nur zwei.

Vor allem auch die von der rot-grünen Koalition geplante Umstrukturierung der Berufungsinstanz erscheint für alle Beteiligten unerträglich. Die Abschaffung der bisher in der Rechtstradition begründeten, bestens bewährten und notwendigen Tatsacheninstanz in der Berufung führt nicht zu einer Entlastung der Gerichte. Schon jetzt werden - nun wiederhole ich Zahlen, die der Herr Kollege Remmers bereits genannt hat - 93,9 % der Amtsgerichtsprozesse und 83,2 % der Landgerichtsprozesse in der ersten Instanz endgültig abgeschlossen.

Auf der anderen Seite zeigt die Zahl der Verfahren, in denen Berufung eingelegt wurde, die Notwendigkeit dieser Überprüfung. Im Jahr 1998 gingen 14,8 % aller Berufungsurteile ganz oder teilweise zugunsten des Berufungsklägers aus. Das heißt, die Möglichkeit der Berufung darf nicht beschränkt werden, die volle Fehlerkontrolle muss erhalten bleiben.

Auch die alleinige Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes für das Berufungsverfahren ist abzulehnen. Bürgernähe bedeutet nicht, dass der Berufungskläger, der gegen ein amtsgerichtliches Urteil vorgehen möchte, nun deutlich längere Wege zum Berufungsgericht in Kauf nehmen muss. Das wurde an dieser Stelle wiederholt angesprochen.

Dies gilt insbesondere für Flächenstaaten. Dort kann es zu Entfernungen von mehreren Hundert Kilometern bis zum Berufungsgericht kommen, sollte dies dann das Oberlandesgericht sein. Dies kommt praktisch einer Rechtsverweigerung zulasten des Rechtsuchenden gleich.

Welcher Rechtsanwalt wird sich unter Zugrundelegung von 0,52 DM für jeden gefahrenen Kilometer zum Berufungsgericht aufmachen, um die Interessen sei- nes Mandanten wahrzunehmen? Auch Anwaltskanzleien

sind wirtschaftliche Unternehmen, die sich am Ende rechnen müssen.

Ein Austausch des Rechtsvertreters gegen einen beim Oberlandesgericht in Naumburg ansässigen Rechtsanwalt wäre für den Rechtsuchenden im Regelfalle nicht annehmbar, da er einen völlig neuen Prozess aufrollen müsste.

Auch die Vorschläge zur Neuordnung des Revisionsrechtes führen nicht zur Bürgernähe,

(Zuruf von Herrn Kühn, SPD)

sondern zum genauen Gegenteil. Eine Neuordnung würde dazu führen, dass die Zulässigkeit einer Revision nur auf Fälle von grundsätzlicher Bedeutung begrenzt sein würde, aber eine Revision bei schlicht falschen Urteilen ausgeschlossen wäre. Faktisch würde auch hier Rechtsverweigerung zulasten der Bürger eintreten.

Die Landesregierung wolle somit den so genannten Gesetzentwurf der rot-grünen Koalition in Berlin ablehnen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDVP)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Ich möchte eine Mitteilung machen. Die Fragestellung durch die Frau Ministerin war eigentlich nicht zulässig. Ich bin mir dessen bewusst.

(Zurufe von der CDU und von Ministerin Frau Schubert)

- Wird zurückgenommen. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Brachmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss zunächst der CDU ein Kompliment machen

(Zustimmung von Herrn Remmers, CDU)

und eingestehen, dass sie in diesem Zusammenhang etwas zum Thema gemacht hat, was wir auch ganz gern zum Thema gemacht hätten, allerdings mit einem anderen Vorzeichen, mit einer anderen Zielstellung.

(Frau Weiß, CDU: Das ist ja selbstverständlich!)

In der Tat ist etwas in der Justizlandschaft in Bewegung geraten, was in der Öffentlichkeit wohl noch nicht so wahrgenommen wird, jedoch unter Juristen - das sind nicht wenige in diesem Lande - bereits sehr heftig und kontrovers diskutiert wird.

(Herr Dr. Rehhahn, SPD: Aber nur zwei im Land- tag!)

Die Bundesjustizministerin ist drauf und dran, die altehrwürdige Justiz generalzuüberholen. Sie will die Justiz transparenter, einfacher und effektiver gestalten.

(Zuruf von Herrn Remmers, CDU)

Dem dient auch das jetzt auf den Weg gebrachte Reformvorhaben. Es beinhaltet ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Herr Remmers ist darauf eingegangen. Ich habe hier nur fünf Minuten und kann das im Einzelnen nicht erläutern; aber ich will schon auf ein paar politische Gesichtspunkte aufmerksam machen und versuchen,

das Thema - darum ist auch gebeten worden - so rüberzubringen, dass man es vielleicht auch versteht.

(Frau Lindemann, SPD: Das ist bei Juristen schwierig!)

Es ist bereits gesagt worden: Wir haben eine Justiz, die in ihren Grundstrukturen und in ihrer Organisationsweise aus dem 19. Jahrhundert stammt. Seitdem hat sich auf diesem Gebiet kaum etwas verändert.

Kein Land der Welt leistet sich eine so hohe Richterdichte wie die Bundesrepublik Deutschland. Dennoch wurde - Herr Remmers hat gesagt, sie seien relativ schnell - nicht irgendeine Bananenrepublik, sondern eben diese Bundesrepublik Deutschland schon vor Jahren durch den EuGH für Menschenrechte verurteilt, weil die Verfahren in der Bundesrepublik viel zu lange dauern, auch Zivilverfahren.

(Herr Oleikiewitz, SPD: Das ist richtig!)

Die Justiz in ihrer jetzigen Ausgestaltung ist kaum noch bezahlbar und steht vor einem „Kollaps“. Das ist keine Aussage von mir, sondern von Herrn Caesar, der viele Jahre als Justizminister in Rheinland-Pfalz tätig war, inzwischen aber leider verstorben ist. Dies hat er bereits im Jahr 1994 gesagt.

Solange die CDU im Bund die Verantwortung hatte, hat sie versucht, durch eine ganze Zahl von so genannten Rechtspflegeentlastungs- und Beschleunigungsgesetzen Herr der Situation zu werden. Es wurden Streitwertgrenzen erhöht, Berufungssummen heraufgesetzt und verfahrensmäßige Kürzungen vorgenommen.

Eines haben diese so genannten Entlastungsgesetze nicht gebracht, nämlich eine wirkliche Entlastung der Justiz oder gar eine transparentere Rechtspflege. Ein ohnehin schwerfälliges System wurde allenfalls verschlimmbessert.

Diese Flickschusterei muss ein Ende haben. Anstelle weiterer Entlastungsgesetze brauchen wir - und darum geht es, Herr Remmers - eine wirklich durchgreifende Strukturreform in der Justiz.

(Beifall bei der SPD)