Protocol of the Session on October 12, 2000

(Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU)

Denn mit einer Opa-Polizei - um es einmal in ein Bild zu kleiden - können wir sicherlich nicht mehr alle Aufgaben der Polizei vernünftig erfüllen. Es gibt nämlich, Herr Kühn, eine Vielzahl von Aufgaben, die besser von jungen Beamten zu verrichten sind. Ich erinnere an die Bepo, die Bereitschaftspolizei, das Sondereinsatzkommando, das Mobile Einsatzkommando, die Landeseinsatzreserve, die Bereitschaft bei den Polizeidirektionen sowie an viele andere Bereiche, in denen es besser ist, Beamte einzusetzen, die nicht unmittelbar vor dem

Ruhestand stehen. Dies brauchen wir für die Schlagkraft der Polizei.

Tatsächlich aber werden in Aschersleben - auch das ist in der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage nachzulesen - pro Jahr durchschnittlich nur etwa 70 bis 80 Polizeianwärter ausgebildet. Rechnen Sie sich einmal aus, was das bei mehr als 8 000 Stellen bedeutet: Wir brauchten 100 Jahre, um den Personalkörper zu erneuern. Es wäre ja schön, wenn wir 200 Jahre alt werden würden, aber, Herr Kühn, das werden wir leider nicht.

(Herr Kühn, SPD: Sie vielleicht nicht! - Heiterkeit bei der SPD und bei der PDS)

- Das überlassen wir einem anderen da oben, Herr Kühn; der soll da richten. Ich wünsche Ihnen jedenfalls ein langes Leben, wie Sie wissen. Das ist ganz klar.

(Herr Kühn, SPD: Danke, ich Ihnen auch! - Zuruf von Frau Dr. Sitte, PDS)

Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist natürlich alarmierend. Wer davor, wie die Landesregierung, die Augen verschließt und sagt: Wir haben keine Personalprobleme zu erwarten, der versteckt sich eigentlich hinter der gesamten Problematik dieses Gebiets.

(Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU)

Wir verprellen im Grunde genommen alle, die sich mit dieser Problematik befassen.

Ich muss ganz offen sagen: Herr Minister, natürlich ist dies kein Problem von Sachsen-Anhalt allein. Auch das wissen wir, so ehrlich sind wir. Das ist ein Problem der neuen Bundesländer, weil wir relativ viele starke jüngere Jahrgänge aus der Polizei der DDR übernommen haben. Die wachsen jetzt nach oben.

Deshalb müsste man im Grunde genommen auf gesetzlichem Gebiet Klartext reden. Was das Beamtenrechtsrahmengesetz und die Ländergesetze anlangt, müsste man zu gesetzlichen Regelungen kommen und müsste auch die alten Bundesländer für unsere Problematik gewinnen können, damit ältere Beamte vorzeitig in den Ruhestand geschickt werden können, um mindestens einen Korridor für 2,5 %, sprich 200 Beamtenanwärter pro Jahr zu schaffen.

(Beifall bei der CDU)

Das erscheint mir wichtig und auch richtig. Es wäre Aufgabe der Landesregierung, des Ministerpräsidenten und nicht so sehr des Innenministers, dass eine gesetzliche Regelung herbeigeführt wird.

Denn, Herr Minister, Geld kostet es so und so. Wenn wir in zehn Jahren feststellen, dass uns plötzlich nicht nur soundso viele junge Beamte fehlen, sondern dass auch der Arbeitsmarkt, also der Stellenmarkt leergefegt ist, weil die geburtenschwachen Jahrgänge kommen, dann werden wir junge Anwärter nicht mehr in A 9, A 8 oder A 7 einstellen können. Dann werden wir die Situation haben, die in den alten Bundesländern schon einmal bestand. Seinerzeit hat man junge Leute nur für die Besoldungsgruppe A 10 bekommen. Auch dann wird es uns Geld kosten. So oder so muss also eine Regelung her, und davor dürfen und können wir uns nicht drücken.

Sie verprellen aber nicht nur die jungen Leute, Herr Minister; Sie bieten auch den Polizistinnen und Polizisten, die täglich ihren Dienst versehen, kaum eine Perspektive.

Ich darf daran erinnern, dass beispielsweise die Einführung der so genannten zweigeteilten Laufbahn ein Wahlkampfschlager der Landes-SPD im Jahr 1994 war, um die Polizei auf ihre Seite zu ziehen. Wenn jetzt der Herr Ministerpräsident in der Großen Anfrage antwortet, er habe nicht vor, diesbezüglich irgendetwas zu tun, dann muss ich fragen: Wo bleibt eigentlich die Einlösung dieses Wahlkampfversprechens von 1994?

(Beifall bei der CDU)

Schade, dass der Herr Ministerpräsident nicht da ist. - Aber auch bei den Beförderungs- und Aufstiegsmöglichkeiten sowie der Ostangleichung der Gehälter bietet die Landesregierung den Polizisten keinerlei verlässliche Zukunftsaussichten, geschweige denn einen Stufenplan.

Wir wissen, dass sich 50 % der Polizeibeamten - das sind rund 4 000 - in den unteren Besoldungsgruppen befinden. Ist es denn da gerechtfertigt, dass der Tarifabschluss für Angestellte erst viele Monate später für diese Beamten übernommen wird? Bestünde denn keine Möglichkeit, diesen Beamten entgegenzukommen und die Tariferhöhung für diese Gruppen eher umzusetzen?

(Beifall bei der CDU)

In den Vorbemerkungen zur Antwort auf die Große Anfrage hat die Landesregierung auch festgestellt - das ist richtig -, dass motiviertes und gut ausgebildetes Personal die entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Polizeiarbeit ist. Wenn aber die Landesregierung nichts zu bieten hat, erreicht sie mit ihren Lippenbekenntnissen genau das Gegenteil.

Das, Herr Minister, zeigt sich auch bei der Sachausstattung der Polizei, die zu einem immer größeren Problem wird. Waren 1994 noch rund 50 Millionen DM für die Polizeiausstattung vorgesehen, sind es jetzt nur noch rund 25 Millionen DM.

(Minister Herr Dr. Püchel: Wider besseres Wis- sen!)

Wir haben festgestellt, Herr Minister, dass Sie in diesen Jahren sogar 20 Millionen DM an den Finanzminister zurückgegeben haben, weil sie nicht ausgegeben worden sind.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Haushaltssperre! - Herr Dr. Rehhahn, SPD: Die Haushaltssperre trifft das doch gar nicht!)

- Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um das zu er- reichen.

(Zuruf von Herrn Dr. Rehhahn, SPD)

- Herr Rehhahn, reden Sie jetzt oder ich? - Danke. Dann kann ich fortfahren.

(Herr Dr. Rehhahn, SPD: Ich spreche mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden!)

Wichtig für die Polizei ist: Die 20 Millionen DM sind nicht ausgegeben worden. Das ist das Entscheidende, meine Damen und Herren.

Wo hätten sie denn überall ausgegeben werden können? Wir wissen das doch. Beispielsweise bei den Einsatzfahrzeugen. Wir wissen doch, dass es im Lande über 2 000 Einsatzfahrzeuge gibt und dass jährlich nur rund 120 gekauft werden können. Nun frage ich Sie, um bei diesem Beispiel zu bleiben: Wie alt sollen denn die Fahrzeuge noch werden? Wie lange sollen wir denn eigentlich den Verbrechern damit noch hinterherfahren?

Die Gefahr, dass unsere Autos stehen bleiben, weil sie einfach nicht mehr funktionieren, ist viel zu groß. Das Problem ist viel zu ernst, als dass man 20 Millionen DM einfach zurückgeben kann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDVP)

Herr Minister, Sie wissen auch: Sie haben die CDU immer auf Ihrer Seite, wenn es um die Polizei geht. Wir haben oft verlangt: aufstocken, aufstocken! Im letzten Jahr haben wir es im Innenausschuss sogar geschafft und dann sind die Finanzer gekommen und haben alles wieder kassiert.

(Herr Dr. Rehhahn, SPD: Ja, richtig! Wir machen das wieder! Wir haben genügend Autos und Aus- stattung! Der Ausstattungsgrad ist gut! Es muss gleichmäßig verteilt werden!)

- Herr Rehhahn, das geschah offensichtlich in Verkennung der Situation der Polizei. Sie sollten sich einmal vom Herrn Minister erzählen lassen, wie es dort aussieht.

(Zuruf von Herrn Dr. Rehhahn, SPD)

Die Liste der Versäumnisse bei der Sachausstattung geht ja weiter. Ich spreche in diesem Zusammenhang die Munition an. Das leidige Thema der schusssicheren Westen, das hier schon fünfmal diskutiert wurde, will ich nicht wieder ansprechen.

(Herr Dr. Rehhahn, SPD: Ach!)

Auch insoweit zeigt sich, dass Handlungsbedarf gegeben ist. Die Versäumnisse ließen sich weiter ausbreiten.

Wenn wir dann einen Vorschlag machen, wie man die Polizei entlasten könnte - etwa durch Polizeihelfer, durch weitere Maßnahmen zur Privatisierung bisheriger Polizeiaufgaben, etwa bei der Aufnahme von Verkehrsunfällen ohne Personenschäden -, wird plötzlich auf das staatliche Gewaltmonopol verwiesen und gesagt: Das geht bei uns nicht. Aber vielleicht könnte man es doch einmal modellhaft erproben und überlegen, ob es nicht doch geht.

Denn, Herr Minister, schon die Enquetekommission, in der der Herr Ministerpräsident federführend beschäftigt war, hat seinerzeit festgestellt, dass überlegt werden könnte, polizeiliche Aufgaben aus dem staatlichen Gewaltmonopol herauszuführen. Warum muss denn die Polizei für die Versicherungen ständig all diese Bagatellunfälle aufnehmen? Im Grunde genommen kostet das die Polizei nur viel Kraft.

Insgesamt wird es aber auch in der Zukunft für die Befriedigung der Sicherheitsbedürfnisse darauf ankommen, dass Motivation und Schlagkraft der Polizei deutlich gestärkt werden. Denn obwohl die Kriminalitätsentwicklung nach einem Rekordhoch inzwischen leicht rückläufig ist, gibt es keinerlei Grund zur Entwarnung. Während Diebstahlsdelikte rückläufig sind, besteht gerade bei schweren Delikten, wie etwa organisiertes Verbrechen, Drogenkriminalität, Wirtschaftskriminalität und extremistische Straftaten, erheblicher Handlungsbedarf.

Wenn die Landesregierung tatsächlich eine vergleichsweise gute Verkehrsanbindung als Hauptursache dafür benennt, dass Halle und Magdeburg seit Jahren zu den am meisten von Kriminalität bedrohten Großstädten Deutschlands gehören, so dürfen wir uns doch nicht

wundern, wenn sich daran in Zukunft nichts ändert, weil wir zum Beispiel eine Autobahn bauen.

Zudem müsste der Grundsatz „Wehret den Anfängen“ gerade auch im Bereich der Jugendkriminalität gelten.

(Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU - Zuruf von Minister Herrn Dr. Püchel)

Seit der Übernahme der Regierungsverantwortung durch das Höppner-Kabinett ist doch die Zahl der jungen Tatverdächtigen bei Diebstählen um 16 % und in allen anderen Deliktbereichen sogar um mehr als die Hälfte angestiegen. Selbst bei Kindern hat die Gewaltbereitschaft in erschreckendem Umfang zugenommen. Dennoch bleiben die weitaus meisten Verstöße jugendlicher Straftäter folgenlos.

Während im Jahre 1994 unter der CDU-Verantwortung die Drogenkriminalität, gemessen an der Einwohnerzahl, so niedrig wie in keinem anderen Bundesland war, hält Sachsen-Anhalt inzwischen mit deutlichem Abstand auch hier den Negativrekord unter den neuen Bundesländern: 217 Drogendelikte je 100 000 Einwohner. Die anderen Länder liegen zwischen 142 und 184 Drogendelikten je 100 000 Einwohner. Das muss uns nachdenklich stimmen. Falls sich der explosionsartige Anstieg der Rauschgiftdelikte in diesem Jahr fortsetzt, wird der illegale Drogenmissbrauch in Sachsen-Anhalt erstmals über dem Bundesdurchschnitt von 276 Drogendelikten je 100 000 Einwohner liegen.

Ebenso traurig ist der Schlusslichtplatz bei den rechtsextremistischen Straftaten sowie - unter den neuen Ländern - bei linksextremistischer Gewalt. Ob das Handlungskonzept der Landesregierung gegen Rechtsextremismus der richtige Weg ist, muss bezweifelt werden. Von den im vorigen Jahr zu diesem Zweck eingestellten 1,2 Millionen DM wurde lediglich eine einzige Maßnahme gefördert. Die restlichen Gelder wurden für Personal-, Sach- und Verwaltungskosten verwendet.