Protocol of the Session on October 12, 2000

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 44. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der dritten Wahlperiode und begrüße Sie, verehrte Anwesende, auf das Herzlichste.

Meine Damen und Herren! Wir schreiben heute den 12. Oktober 2000. Dieses Datum erinnert uns alle daran, dass am 14. Oktober 1990 in allen neuen Bundesländern, auch in Sachsen-Anhalt, erstmals seit Jahrzehnten wieder Landesparlamente gewählt worden sind.

Zehn Jahre ist es nun schon wieder her, dass wir uns in einer beispiellosen Aufbruchstimmung um die Gunst der Wählerinnen und Wähler bemühten. Man kann, so glaube ich, mit Fug und Recht sagen, dass diese Wahl die eigentliche Geburtsstunde Sachsen-Anhalts war, agierten in ihr doch erstmals die Bürgerinnen und Bürger des Landes als Subjekt der neuen landesverfassungsrechtlichen Ordnung.

Blickt man, zumal als Abgeordneter, der dabei sein durfte, auf den 28. Oktober 1990 zurück, an dem sich der Landtag in der Dessauer Johann-Philipp-BeckerKaserne konstituierte, so erinnert man sich wohl nicht zuallererst an die an diesem Tag gefällten ersten Entscheidungen des Landtages, sondern man spürt vor allem wieder die Stimmung, wie sie in den auch heute noch zur Lektüre zu empfehlenden Reden des Herrn Alterspräsidenten Hildebrandt und des ersten Präsidenten des Landtages, Herrn Kollegen Dr. Keitel, vermittelt wird.

Vieles ist seither geschaffen worden. Ich beziehe diese Aussage ausdrücklich auf den gesamten seitdem zurückgelegten Zeitraum. Allen, die daran insbesondere in diesem Hause mitwirkten - 39 Abgeordnete des Auftaktes vom 28. Oktober 1990 sind unter uns -, danke ich ganz herzlich.

Wir sollten die Erinnerung insbesondere an das in der ersten Wahlperiode Geleistete - ich möchte nur an den Status des ersten Landtages als verfassunggebende Landesversammlung und an den so anspruchsvollen Aufbau staatlicher Grundstrukturen im Land erinnern - wachhalten, ohne das Heute an dieser Aufgaben- und Problemfülle messen zu wollen. Es ist meine Überzeugung, dass jede Zeit für das Parlament Herausforderungen bereithält. Diese gemeinsam zu meistern, ist der Auftrag der Wiedererrichtung des Landes und der ersten Landtagswahl vor nunmehr zehn Jahren.

Meine Damen und Herren! Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung liegen nicht vor.

Zur Tagesordnung. Die Tagesordnung für die 24. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor.

Am 10. Oktober 2000 wurde von der Fraktion der CDU fristgemäß ein weiteres Thema zur Aktuellen Debatte eingereicht. Der Antrag mit dem Titel „Rentenpläne der Bundesregierung - willkürliche Kürzungen statt Generationengerechtigkeit für die Bürger Sachsen-Anhalts“ liegt Ihnen in der Drs. 3/3703 vor. Ich schlage vor, dieses Thema als Tagesordnungspunkt 1 b in die Tagesordnung aufzunehmen.

Zur Tagesordnung möchte ich des Weiteren bekannt geben, dass an mich der Wunsch herangetragen wor

den ist, morgen die Tagesordnungspunkte 16 und 17 zu tauschen, das heißt, den Antrag zum Thema „Geiseltalsee für Tourismus und Erholung“ als ersten dieser beiden Punkte aufzurufen. Ich denke, dagegen gibt es keine Argumente. Das sollte so gemacht werden. - Widerspruch erhebt sich nicht.

Gibt es weitere Bemerkungen zur Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren.

Noch eine Bemerkung zum zeitlichen Ablauf der 24. Sitzungsperiode. Die Fraktionen haben sich im Ältestenrat darauf verständigt, die heutige Sitzung wegen der um 20 Uhr beginnenden parlamentarischen Begegnung zum Thema „Zehn Jahre Bundeswehr in Sachsen-Anhalt“ gegen 19.45 Uhr zu beenden. Die morgige Sitzung beginnt um 9 Uhr.

Die Abgeordnete Frau Wiechmann hat nun um das Wort gebeten. Sie möchte eine Bemerkung außerhalb der Tagesordnung machen. Bitte sehr, Frau Wiechmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den tödlichen Schüssen auf einen Polizeibeamten in Bubenreuth bei Erlangen in der vergangenen Nacht sind wir, die Abgeordneten der FDVP-Fraktion, betroffen und erschüttert. Der tragische Fall beweist einmal mehr, dass die Täter zunehmend skrupellos sind und auch rücksichtslos von der Waffe Gebrauch machen. Unser Beileid und unser Mitgefühl gilt den Familien der Beamten.

Meine Damen und Herren! Ich möchte den Landtag hiermit davon in Kenntnis setzen, dass die FDVP-Fraktion beim Landtagspräsidenten schriftlich die Abhaltung einer Gedenkminute in diesem Landtag und die Anordnung von Trauerflor durch den Dienstherren beantragen wird. - Danke.

(Beifall bei der FDVP)

Danke sehr.

Meine Damen und Herren! Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Debatte

Hierzu liegen zwei Beratungsgegenstände vor. In der Aktuellen Debatte beträgt die Redezeit je Fraktion und Thema fünf Minuten. Die Landesregierung hat eine Redezeit von zehn Minuten.

Wir kommen zum ersten Thema:

Gegenwärtige Entwicklung und Probleme der Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 3/3692

Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: PDS, FDVP, CDU, SPD, DVU-FL. Zunächst hat für den Antragsteller, die PDS, die Abgeordnete Frau Krause das Wort. Danach wird die Ministerin für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales Frau Dr. Kuppe sprechen. Bitte sehr, Frau Krause.

Herr Präsident! Werte Damen und Herren! „Wettbewerb um Leistung und Wirtschaftlichkeit“ war in den letzten

Jahren eine viel und oft zitierte Losung, eine viel beschworene Methode, um das Gesundheitssystem und insbesondere die finanzielle Situation der gesetzlichen Krankenversicherung gesunden zu lassen.

Von dem im Jahr 1996 eingeführten Recht der freien Kassenwahl versprachen sich die Entscheidungsträger die Forcierung des Wettbewerbs um Leistungen - in der Annahme, dass Kranke und Gesunde, Alte und Junge, gut und weniger gut Verdienende gleichermaßen vom Wahlrecht Gebrauch machen würden und es so zu einer gesunden Verteilung von Risiken kommen würde.

Nun geraten jedoch viele Ortskrankenkassen und Ersatzkassen zunehmend in Schwierigkeiten. Dies resultiert vor allen Dingen daraus, dass Betriebskrankenkassen, insbesondere neu gegründete, infolge der Öffnungsklausel für alle Versicherten durch äußerst niedrige Beiträge zwischen 11,9 und 12,5 % vor allem junge, gesunde, mobile und gut verdienende Mitglieder abwerben. Ältere, Geringverdienende, chronisch Kranke verbleiben in den Primär- und Ersatzkassen.

Dazu stellte Dr. Martin Pfaff, SPD-Bundestagsabgeordneter, in der Plenarsitzung am 12. September Folgendes fest:

„Es ist ganz offensichtlich, dass hier ein erhebliches Problem auf uns zukommt. Schon im Jahre 1999 haben rund eine Million Menschen die Krankenkassen gewechselt; wahrscheinlich werden es in diesem Jahr noch mehr sein. Das Problem besteht darin, dass es überwiegend 25- bis 40-Jährige sind. Das heißt, die Wechsler sind jung, allein stehend, gut verdienend und vor allen Dingen gesund. Den großen Kassen, AOK und Ersatzkassen, werden somit Ressourcen entzogen, die dem System fehlen. Diejenigen, die breitere Schultern haben, entziehen sich der Solidarpflicht.“

Der Grund dafür - dies zur Erläuterung - ist die Überweisung der mitgliederbezogenen Kopfpauschalen an die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung am Sitz der versichernden Krankenkasse, der sich zumeist - das betrifft vor allem die virtuellen Betriebskrankenkassen - in den alten Bundesländern befindet.

Über den Fremdkassenausgleich fließen zwar auch Mittel an die Kassenärztlichen Vereinigungen am Wohnsitz der Versicherten, aber nur dann, wenn dort auch medizinische Leistungen in Anspruch genommen werden. Da es sich aber bei den Wechslern überwiegend um gesunde Versicherte handelt, fließt nur ein geringer Teil der Kopfpauschalen zurück. Das ist, so meinen wir, ein weiterer Schlag gegen das Solidarprinzip.

Die Betriebskrankenkassen, die in der Regel keine Servicenetze unterhalten und in den neuen Bundesländern nicht direkt präsent sind, können aufgrund dessen ihre Beitragssätze natürlich relativ niedrig halten.

Das Ergebnis eines solchen Wettbewerbs um Versicherte und Beitragssätze, aber nicht um Leistung und Qualität ist die Risikoselektion, ist der Entzug von finanziellen Ressourcen und tendenziell die Entwicklung zweier Kassenarten: einer Kasse mit geringen Beitragssätzen für Jüngere, Gesunde und Gutverdienende, einer anderen Kasse für Ältere, Menschen mit besonderen gesundheitlichen Risiken, Geringverdienende und Familien mit mehreren Kindern.

Auf Sachsen-Anhalt bezogen betrug der Mitgliederverlust im ersten Halbjahr 2000 bei den Ersatzkassen be

reits 16 000 Mitglieder und bei der AOK über 17 000 Mitglieder.

Durch den Wechsel der Krankenkasse, der zum 30. September noch einmal zugenommen haben könnte, werden nach Hochrechnungen der Kassen finanzielle Mittel in Höhe von 40 bis 50 Millionen DM aus Sachsen-Anhalt abfließen.

Damit stehen weitere Auswirkungen auf die Finanzierung der Versorgungsstruktur durch Einkommensverluste der Ärzte ins Haus, die auch für die qualitative medizinische Versorgung nicht folgenlos sein werden. Auch arbeitsmarktpolitische Folgen durch den Abbau der Anzahl der Beschäftigten in den Praxen - dabei handelt es sich vor allen Dingen wieder um Frauen -, Folgen für die Entwicklung der Kaufkraft, aber auch Folgen in solchen konsumtiven Bereichen wie Kultur und Bildung und bei der medizinischen Infrastruktur sind nicht auszuschließen.

Für die PDS-Fraktion möchte ich betonen, dass es uns letztlich nicht um die Existenz einer Einzelkasse geht, nicht um das Wahlrecht an sich. Es geht uns um den Erhalt und die Leistungsfähigkeit des Systems der solidarischen Krankenversicherung. Die Betonung - das möchte ich deutlich machen - liegt hierbei auf dem Wort „solidarisch“.

Die solidarische Krankenversicherung jedoch wird, wenn dieser Risikoselektion im Kassenwettbewerb nicht umgehend politische Entscheidungen zu Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb um Leistungsinhalte und Qualität der medizinischen Versorgung entgegengesetzt werden, ein nicht mehr aufzuhaltendes Ausmaß an Entsolidarisierung erreichen.

Deshalb fordern wir Sie, Frau Ministerin, auf, in Absprache insbesondere mit den anderen Gesundheitsministern der neuen Länder die Bundesgesundheitsministerin aufzufordern, die Diskussion mit allen Beteiligten und Akteuren jetzt umgehend zu führen und Regelungen für Rahmenbedingungen oder Übergangslösungen zeitnah vorzulegen. Jetzt und nicht erst - wie nach der Vorstellung der Bundesgesundheitsministerin - nach Vorlage des zum Frühjahr 2001 zu erwartenden Gutachtens

Frau Krause, kommen Sie bitte zum Schluss.

zur Wirkungsweise des Risikostrukturausgleichs müssen konkrete Schritte zur Organisationsstruktur, zur Veränderung des Organisationsrechtes der Krankenkassen und des Risikostrukturausgleichs erfolgen.

Ich bitte Sie, dafür Sorge zu tragen, dass dieses Thema unverzüglich auf die Tagesordnung der Gesundheitsministerinnenkonferenz gesetzt wird.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Frau Lin- demann, SPD, und von Herrn Dr. Nehler, SPD)

Ich bitte um etwas mehr Disziplin. Sie haben die Redezeit um etwa anderthalb Minuten überzogen.

Meine Damen und Herren! Ich habe noch eine weitere Bemerkung zu machen. Ich habe während des Vortrags von Frau Krause etwa 15 Dialoge im Plenarsaal gezählt. Das heißt, dass etwa 30 Abgeordnete an dem Thema

offensichtlich überhaupt nicht interessiert sind. Das ist beschämend.

Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Dr. Kuppe.