Protocol of the Session on September 14, 2000

In ihrem Antrag unterbreitet die PDS eine Reihe von Vorschlägen, zu denen ich hier ganz kurz Stellung nehmen will. In der Erziehungsarbeit an den Schulen Sachsen-Anhalts sind viele der Punkte, die Sie ansprechen, nicht neu. In den Rahmenlehrplänen, in der staatlichen Lehrerfortbildung, in den schulpolitischen Förderprogrammen werden Voraussetzungen dafür geschaffen, dass in der Schule die Grundlagen für Toleranz, für einen respektvollen und gewaltfreien Umgang miteinander gelegt werden.

Sie sprechen zunächst die fachgerechte Unterrichtsversorgung an. Sie haben wahrgenommen, dass ich in diesem Jahr flächendeckend die Unterrichtsversorgung erheben und auch nachfragen will, an welchen Stellen und aus welchen Gründen die Unterrichtsversorgung nicht gewährleistet ist. Wir haben mit der Einstellung von 250 jungen Lehrerinnen und Lehrern zum Schuljahresbeginn hierzu einen wesentlichen Beitrag geleistet. Ich glaube aber dennoch, dass die hinter Ihrem Antrag stehenden Fragen bearbeitet werden müssen.

Die Hochschulrektoren - dies will ich von dieser Stelle außerordentlich begrüßen - sind mit einem sehr positiven Beispiel vorangegangen. Sie haben sich nachdrücklich für die Internationalität und Weltoffenheit SachsenAnhalts und der Hochschulen positioniert, auch um einen Beitrag für die Entwicklung der Wissenschaft zu leisten. Sie haben aber auch ganz deutlich allen rechtsextremen, gewalttätigen Tendenzen eine Absage erteilt. Ich glaube, dass die Hochschulen dies auch nach innen realisieren, in der Ausbildung von Studierenden, in der Ausbildung insbesondere auch in den Lehramtsstudiengängen.

Die im Antrag erwähnte Aktion „Noteingang“ ist ein Beispiel für ein bemerkenswertes Zeichen von zivilgesellschaftlichem Engagement. Inzwischen gibt es solche Initiativen in Halle, es gibt solche Initiativen in Dessau. Wir werden und können die Schulen darauf aufmerksam machen. Aber dies ist, wie Sie zu Recht sagten, genau ein Beispiel für zivilgesellschaftliches Engagement, das wir nicht verordnen können und bei dem wir nicht staatlicherseits einen entsprechenden Aufkleber an der Tür anbringen können. Denn es geht darum, dass Menschen bereit sind, anderen Menschen zu helfen, sich mit dieser

Frage auseinander zu setzen. Deshalb kann von uns dazu ein Aufruf ergehen.

Einen gleichen Schwerpunkt legen wir auf die Forschungsförderung. Ich meine, dass in diesem Zusammenhang zu Recht eine Priorität auf die Förderung von Projekten zur Erforschung der Grundlagen von Rechtsradikalismus, von Rechtsextremismus und Gewaltbereitschaft gesetzt werden kann. Das ist Thema schulinterner Fortbildung, beispielsweise zu den Themenbereichen „Umgang mit rechtsextremen Schülerinnen und Schülern“ oder „Erziehung zu Akzeptanz und Toleranz“.

Seitens des Landesinstituts Lisa, seitens der Landeszentrale für politische Bildung, aber auch durch freie Träger wird ein breites Angebot im Lande vorgehalten. Ich stelle mit Freuden fest, dass dieses Angebot auch angenommen wird, dass also über 1 400 Lehrerinnen und Lehrer im letzten Jahr Angebote zu diesen Themenbereichen genutzt haben. Es gibt die Angebote der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, die zur Frage „Aufarbeitung der Vergangenheit und Leben in Diktaturen“ Angebote macht. Der Verein „Miteinander“ wird für schulinterne Lehrerfortbildung regelmäßig angefragt.

Zu der Frage der Schulbücher meine ich: Wenn Sie sich die im Land Sachsen-Anhalt zugelassenen Schulbücher intensiv anschauen, stellen Sie fest, dass an vielen Stellen Beiträge gerade zum Thema Toleranz, gewaltfreie Erziehung, interkulturelles Lernen und Verständnis füreinander in den Schulbüchern vorhanden sind. Es geht eher darum, Lehrerinnen und Lehrer zu befähigen, in diesen Fragen selbstbewusst den Klassen, den Schülerinnen und Schülern gegenüberzutreten.

Die Rechtsgrundlagen auf diesem Gebiet sind eindeutig. Schulbücher dürfen nur an den Schulen des Landes verwendet werden, wenn sie im Sinne des Artikels 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland in Text und Bild insbesondere der Gleichachtung und Gleichstellung der Geschlechter gerecht werden, frei sind von Stereotypen, Vorurteilen und Diskriminierung in Bezug auf einzelne Bevölkerungsgruppen sowie auf andere Länder, Kulturen und Religionen. Ich meine, das ist genau das, was Schulbücher erreichen müssen, und dazu gibt es eindeutige Grundlagen.

Das Kultusministerium lobt seit Jahren einen Schülerfriedenspreis aus. Ich konnte gerade im Sommer 15 Schulen mit diesem Preis ehren, die eindrucksvolle Beispiele dafür lieferten, wie Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sich mit dem Thema „Demokratie, toleranter Umgang mit Fremden und Gewaltfreiheit“ auseinander setzen. Wir unterstützen Programme wie beispielsweise das Förderprogramm „Demokratisch handeln“, den Schülerwettbewerb der Bundeszentrale für politische Bildung usw.

Ich glaube - das wäre eine Anregung seitens der Landesregierung -, dass eine Ehrung solcher herausragender Projekte auch im Rahmen des Landtages stattfinden könnte, weil dieses Haus ein Ort ist, in dem man solche Projekte in gebührender Art und Weise der Öffentlichkeit vorstellen kann. Aber darüber sollten wir dann miteinander und auch mit dem Landtagspräsidenten sprechen, der ja gerade in diesen Fragen der europäischen Erziehung und der Toleranzerziehung als Person sehr engagiert ist.

Zu dem Programm Schulsozialarbeit haben wir uns kürzlich mit den Ausschüssen verständigt, dass wir das

Thema Schulsozialarbeit in den Berufsschulen besonders in den Mittelpunkt stellen wollen.

Soweit einige Anmerkungen dazu. Sie sehen, dass die Politik der Landesregierung mit den dem Antrag zugrunde liegenden Tendenzen durchaus in weiten Teilen übereinstimmt. Ich habe in dem Antrag allerdings eine sehr starke Tendenz erkannt, sich im Sinne einer Belehrungspädagogik mit Faschismus und Rechtsextremismus zu beschäftigen.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Richtig!)

Ich habe mit Freuden Ihre Rede gehört, Frau Stolfa, die genau in die andere Richtung ging oder eine notwendige Ergänzung zu dem Antrag darstellt.

Das möchte ich von meiner Seite aus betonen: Es geht darum, Lehrerinnen und Lehrer zu befähigen, als Personen authentisch mit den jungen Menschen über diese Fragen zu arbeiten und zu sprechen. Das heißt, es geht um die Vermittlung demokratischer Haltungen, um die Entwicklung eines Schulklimas, in dem Toleranz und ein weltoffener Umgang zur Selbstverständlichkeit werden.

Ich bin mir sicher, dass wir die in Rede stehenden Fragen nicht mit einer Belehrungspädagogik in den Griff bekommen

(Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU)

und dass wir es auch nicht nur mit der Frage zu tun haben, wie wir uns mit organisiertem Rechtsextremismus auseinander setzen, sondern damit, dass Gewaltbereitschaft und Fremdenfeindlichkeit bis hin zu Fremdenhass Einstellungen sind, die nur durch einen anderen Umgang miteinander, durch die Erfahrung des Fremden angegangen werden können.

In diesem Zusammenhang komme ich auf das zurück, was Herr Professor Böhmer vorhin sagte: Für die Wertevermittlung sind Religion und Ethik notwendig. Wir müssen hier dringend weiterkommen, aber wir dürfen diese Fragen nicht auf diese Fächer abschieben. Die gesamte Schule ist gefordert, alle Fächer, alle Lehrerinnen und Lehrer sind gefordert. Die Schule muss sich auch Außenstehenden öffnen.

Wenn wir darüber reden, dass diese Einstellungen aus der Mitte der Gesellschaft kommen, also auch zu Hause, an Stammtischen, in Organisationen eine Rolle spielen, dann muss Schule, wenn sie ihren Beitrag ernst nimmt, auch diejenigen, die dagegen auftreten - darüber ist heute in der vorangegangenen Debatte viel gesagt worden -, in Vereinen, Verbänden, Initiativen, Kirchen, Unternehmen, in die Schule hineinholen, damit ein lebendiges Gespräch mit den Jugendlichen in der Schule stattfinden kann.

Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass der Antrag grundsätzlich in die richtige Richtung geht, aber der weiteren Diskussion bedarf. Ich bin mir nach der vorangegangenen Debatte dessen sicher, dass wir die Diskussion gemeinsam führen können. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung bei der CDU und von der Regierungsbank)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Auf der Tribüne haben Schülerinnen und Schüler des Altmärkischen Gymnasiums Tangerhütte Platz genommen. Wir begrüßen Sie.

(Beifall im ganzen Hause)

Für die SPD-Fraktion spricht nunmehr die Abgeordnete Frau Kauerauf. - Ich hatte ausgeführt, dass die DVU-FL verzichtet hat.

(Herr Weich, FDVP: Ach!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wo immer man - nicht erst seit dem Mord von Dessau - auf Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt trifft, stellt sich die Frage, was zu tun ist. Der Handlungsbedarf ist groß.

Wer herausfinden will, was zu tun ist, muss Klarheit über die Ursachen gewinnen. Ist Rechtsextremismus die Antwort auf eine Statuskrise? Drückt sich darin die Angst vor sozialer Deklassierung aus? Oder zeigt sich darin ein Versagen der Erziehungsinstitutionen? - Wer Antworten auf diese Fragen erlangen möchte, muss sich der Kriterien vergewissern, an denen sich das notwen- dige Handeln orientieren kann.

Gerade im Hinblick auf die Gefahr des Rechtsextremismus ist es eine gesellschaftliche Schlüsselaufgabe, Isolierungen zu vermeiden. Menschen jeden Alters, aber insbesondere junge Menschen müssen die Erfahrung machen, gebraucht zu werden. Nötig ist auch eine Erziehung, die auf Integration und Befähigung zielt. Ebenso sind Jugendliche auf klare Grenzsetzungssignale aller gesellschaftlichen Institutionen angewiesen.

In diesem Zusammenhang wird in der öffentlichen Diskussion regelmäßig auf die besondere Verantwortung der Bildungseinrichtungen verwiesen. Dies findet unter anderem seine Berechtigung in der Tatsache, dass die Schule zum Beispiel die einzige Institution ist, die alle Mitglieder der Gesellschaft für einen Teil ihrer Lebenszeit erfasst. Dabei darf man jedoch nicht der Illusion erliegen, dass die Bildungseinrichtungen Probleme im gesellschaftlichen Umfeld oder in den Familien vollständig ausgleichen könnten.

Welchen Beitrag kann, ja muss der Bereich der Bildung leisten? In dem Antrag der Fraktion der PDS ist eine Reihe von Punkten aufgezählt, die diesem Anliegen gerecht werden und eine intensive, sowohl präventive als auch repressive Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus befördern.

Der Kultusminister verwies darauf, dass es sich dabei keineswegs nur um neue Forderungen handelt, sondern dass viele Vorschläge bereits Eingang in die Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schulen und Hochschulen gefunden haben. Ich will das nicht wiederholen. Verschiedene weitere Maßnahmen finden sich auch in unserem Antrag „Für Toleranz und Zivilcourage“ wieder. Ich verweise an dieser Stelle auf die stärkere Berücksichtigung der politischen Bildung bei den Lehrinhalten in der Lehramtsausbildung, die systematische Fort- und Weiterbildung oder die gezielte Förderung von Forschungsprojekten zur Umsetzung und Begleitung interkultureller Projekte an den Hochschulen.

Dieser Prozess ist fortzusetzen und durch gezielte Projekte zu ergänzen und zu verstärken. Insbesondere sollte angestrebt werden, der Infiltrierung durch rechtsextremes Gedankengut über das Internet auch in der Form entgegenzuwirken, dass - entsprechend Punkt 8 des Antrages - ein über den Landesbildungsserver zugängliches Netzwerk geschaffen wird, in dem Informa-tionen, Erfahrungen und Forschungsergebnisse zu diesem Thema bereitgestellt werden.

Im Hinblick auf die unter Punkt 7 gewünschte Ausweitung der Projekte zur Schulsozialarbeit sind wir uns im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft darüber im Klaren, dass zwischen dem angemeldeten Bedarf an den Schulen in Sachsen-Anhalt und den für die Projektförderung zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln eine nicht unerhebliche Diskrepanz besteht. Welche anderweitigen Finanzierungsmöglichkeiten bestehen, war unter anderem Gegenstand eines gestern geführten Gesprächs.

Zumindest zweifelhaft ist jedoch die dem Antrag zugrunde liegende Ursachendarstellung, bei der die Probleme lediglich auf fehlende Kenntnisse über Erscheinungsformen des Faschismus und Neofaschismus reduziert werden. Das würde bedeuten, dass grundsätzliche Defizite ignoriert würden.

Die SPD-Landtagsfraktion hat im Januar dieses Jahres eine Fachtagung zum Thema Rechtsextremismus durchgeführt. Herr Dr. Fikentscher ging vorhin darauf ein. In einer Arbeitsgruppe beschäftigten sich die Teilnehmer mit der politischen Bildung in Schule und Ausbildung sowie den zu erfüllenden Aufgaben. Dabei wurde der Schule ein Defizit im Hinblick auf die Umsetzung ihrer Sozialisations- und Erziehungsfunktion zugeschrieben.

Vordringliche Aufgabe für die Zukunft muss es sein, die Schule in ihrer Erziehungsfunktion zu stärken. Dabei sollte neben der zentralen Vermittlung fachlicher Kompetenzen die Entwicklung der moralischen Urteils- und Handlungsfähigkeit stärker gefördert werden. Dabei spielen die frühzeitige Erziehung zur Übernahme sozialer Verantwortung durch Jugendliche, die Verinnerlichung von Prinzipien sozialer Gerechtigkeit und Demokratie sowie die Öffnung von Schule hin zum sozialen Umfeld eine wesentliche Rolle.

Abschließend möchte ich betonen, dass die genannten Aufgaben nicht nur die Umsetzungskompetenz der Landesregierung erfordern, sondern eine Herausforderung für uns alle darstellen.

Die SPD-Fraktion unterstützt den Antrag der PDS und befürwortet die Überweisung in den Ausschuss für Bildung und Wissenschaft. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Danke sehr. - Für die Fraktion der CDU spricht jetzt die Abgeordnete Frau Ludewig zu Ihnen. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Stolfa, wenn Sie Ihren Antrag so moderat formuliert hätten, wie Sie hier gesprochen haben, wäre es uns sehr viel leichter gefallen, darauf zu reagieren. Wenn wir uns über Gewalt, Extremismus und Fremdenfeindlichkeit unter jungen Menschen unterhalten, dann kommt unweigerlich die Frage nach der Bildung und danach, was Schule, Hochschule, Lehrer und Professoren leisten können, um diese Vorkommnisse abzubauen.

Der vorliegende Antrag der PDS-Fraktion ist nicht nur auf dem linken Auge blind, er fragt auch nicht genau danach, welches die Ursachen für diese Aggressionen sind. Der PDS-Antrag stellt einen Handlungskatalog dar. Einige dieser Handlungsweisen können wir vorbehaltlos unterstützen, andere wiederum nicht.

Es muss schon die Frage erlaubt sein, welche Fächer gemeint sind, wenn von „für die humanistische Bildung Schlüsselfunktion tragenden Fächern“ gesprochen wird. Die Rahmenrichtlinien sollen auch daraufhin untersucht werden - ich zitiere -, „ob sie noch zielstrebiger zur Aufklärung über Faschismus, Neofaschismus und zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt anregen können“.

Der Aufwand einer solchen Untersuchung hat nur den einen Sinn: dass unterstellt wird, dass die Rahmenrichtlinien entweder fremdenfeindliche Passagen enthielten oder zumindest nicht hinreichend zur Auseinandersetzung mit Extremismus oder Fremdenfeindlichkeit anregten.

Ich glaube weder das eine noch das andere,

(Zuruf von Frau Krause, PDS)

schon gar nicht bei den Unterrichtsfächern Religion und Ethik. Ich kann mir allerdings auch nicht vorstellen, dass eine Lehrkraft nicht wüsste, wie die Rahmenrichtlinien umzusetzen sind.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Frau Krau- se, PDS)