Protocol of the Session on September 14, 2000

Aber zur Sache, zur Analyse der Ursachen und zum Hauptziel der Proteste haben Sie gar nichts gesagt. Das ist wahrscheinlich nicht Ihre starke Seite.

(Beifall bei der PDS - Zuruf von Herrn Dr. Daeh- re, CDU)

Herr Minister Heyer, ausnahmsweise bin ich in der Sache mit Ihnen mal einig. Ausnahmsweise werde ich heute einmal die Dinge, die Sie qualitativ angesprochen haben, quantifizieren - auch das ist eine Wiederholung meiner Rede.

Die gegenwärtigen Mineralölpreise, meine Damen und Herren, sind in der Tat eine nicht hinnehmbare Belastung für große Teile der Bevölkerung, insbesondere für jene mit geringem Einkommen und großen Entfernungen zum Arbeitsort. Das wissen wir. Hervorzuheben ist die Belastung für den ÖPNV, für die Landwirtschaft, für Fuhrunternehmen und andere. Der rasche Anstieg

der Mineralölpreise erweist sich als Inflationsindikator und konkursinduzierender Kostenfaktor insbesondere für kapitalschwache mittelständische Unternehmen im Osten.

Aufgrund dieser Situation wird die Aussetzung bzw. die Rücknahme der Mineralölsteuer - wir haben das heute zehnmal hier gehört - gefordert.

Jedoch ist die Bundesregierung und ihre so genannte Ökosteuer der falsche Adressat der Proteste. Die Abschaffung der Ökosteuer als Ganzes wäre keine Lösung der gegenwärtigen Probleme. Eine Ökosteuer, die diesen Namen auch verdient und für die die PDS ein- tritt, hätte dann in Deutschland auf Jahre hinaus keine Chance mehr. Das muss uns klar sein.

Meine Damen und Herren! Wie setzt sich der Preisanstieg für Treibstoffe zusammen? Ich beziehe mich hier teilweise auf meine Rede in der 40. Landtagssitzung am 22. Juni 2000, wobei ich die Schätzungen aktualisiert und quantifiziert habe.

Zwischen dem ersten Quartal 1999 und dem laufenden Monat sind die Mineralölpreise um ca. 70 Pfennige je Liter gestiegen. Lediglich 14 Pfennig davon sind der ersten und zweiten Stufe der Ökosteuer inklusive Mehrwertsteuer anzulasten. Vier bis fünf Pfennige, meine Damen und Herren, verursachte tatsächlich der gegenüber der D-Mark bzw. dem Euro gestiegene Dollarkurs. Und etwa 20 Pfennige streichen die Opec-Länder, das Ölkartell, durch Absprachen bei der Begrenzung der Fördermenge ein.

Der Rest bis zu 70 Pfennig, also mindestens 30 Pfennige je Liter, das Doppelte der Ökosteuerbelastung, fließt in die Taschen der Mineralölkonzerne - darin stimme ich Ihnen voll zu, Herr Minister Heyer -, die als Trittbrettfahrer der Ökosteuer, als Trittbrettfahrer des steigenden Dollarkurses und als Trittbrettfahrer des Preisdiktats der Opec-Länder Milliardengewinne einfahren.

Ein Pfennig Zusatzgewinn je Liter Kraftstoff bringt bei der derzeitigen Umsatzlage 700 Millionen DM in die Kassen. Bei ca. 30 Pfennig sind das 21 Milliarden DM. Das ist mehr als der Landeshaushalt von SachsenAnhalt ausweist. Als Zusatzprofit, nicht als Gewinn.

Der Adressat der Proteste ist also meiner Meinung nach falsch gewählt. Das Preiskartell der Mineralölkonzerne muss gebrochen werden.

(Zustimmung bei der PDS - Herr Kühn, SPD: Richtig!)

Gegen die Ölmultis können wir nichts machen.

Das Bundeskartellamt sah bisher trotz Aufforderung keinen Anlass, aktiv zu werden. Warum auch, das Mineralölpreiskartell funktioniert doch seit 50 Jahren. Aber ich finde, jetzt nimmt es kriminelle Züge an. Jetzt muss Druck auf das Bundeskartellamt oder über die Bundesregierung auf dieses gemacht werden, um den Wettbewerb auf dem Mineralölmarkt tatsächlich einzuführen und dauerhaft zu sichern.

Anfügen will ich noch, meine Damen und Herren: Wir haben das Ende der Fahnenstange in dieser Sache noch nicht erreicht. Nachvollziehbare Prognosen gehen von einem weiteren Anstieg des Rohölpreises auf bis zu 50 Dollar bis zum Frühjahr 2001 gegenüber 34 Dollar je Barrel Rohöl heute aus.

Das ist ein Vorgeschmack auf Preisexplosionen bei erschöpfbaren Ressourcen - das ist ja auch schon ange

sprochen worden -, die uns in den folgenden Jahrzehnten bevorstehen.

Nach dem vorübergehenden Maximum der Rohölpreise im Frühjahr werden sich diese nach wahrscheinlich sieben bis acht Monaten bei 20 Dollar einpendeln. Der Druck auf die Mineralölkonzerne, wie der seinerzeit auf Shell, muss sichern, dass diese die Absenkung der Rohölpreise auch tatsächlich an die Verbraucher weitergeben. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Minister Herrn Dr. Heyer)

Herr Professor Trepte, ich bitte nochmals um Entschuldigung. Es war ein Versehen. Ich war geistig schon beim nächsten Tagesordnungspunkt angelangt.

Beschlüsse zur Sache werden gemäß § 46 der Geschäftsordnung auch in dieser Angelegenheit nicht gefasst. Damit ist das zweite Thema im Rahmen der Aktuellen Debatte beendet und der Tagesordnungs-punkt 2 abgeschlossen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3:

Beratung

a) Bekämpfung von Gewalt, Extremismus und Fremdenfeindlichkeit

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/3573 neu

Änderungsantrag der Fraktion der FDVP - Drs. 3/3610

b) Gegen Rechtsextremismus und rechte Gewalt - für ein weltoffenes und tolerantes Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktionen der SPD und der PDS - Drs. 3/3584 neu

Änderungsantrag der Fraktion der FDVP - Drs. 3/3611

Einbringer zum Antrag der Fraktion der CDU ist Herr Professor Dr. Böhmer. Einbringer zum Antrag der Fraktionen der SPD und der PDS ist Herr Dr. Fikentscher. Die Debatte zu den Anträgen insgesamt dauert 60 Minuten. Herr Professor Dr. Böhmer, bitte eröffnen Sie die Debatte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gewaltanwendung gegen Wehrlose, gegen alte oder behinderte Mitmenschen, gegen ausländische Mitbürger ohne jeden Grund, als Mutprobe in einer Clique zur Selbstbestätigung oder mit dem Ziel eines gewissen Lustgewinns untereinander haben sich in der letzten Zeit in einer so erschreckenden Weise gehäuft, dass wir dazu nicht mehr schweigen können.

Ich sage ganz bewusst und gleich zu Beginn: Dies ist für uns kein Problem, bei dem wir nach parteipolitischer Profilierung suchen sollten.

(Beifall bei der CDU)

Dies ist für uns ein Problem der Zivilisation und des Umgangs miteinander sowie der Grund dafür, weshalb wir nach der größtmöglichen Gemeinsamkeit in der Endaussage suchen sollten.

Es ist wahr - ich habe mich dem ausgesetzt -, dass man, wenn man versucht, mit diesen Jugendlichen, die wir nicht von vornherein ausschließen und verloren geben können, ins Gespräch zu kommen, erkennen muss, dass dies kaum möglich ist. Man bekommt tatsächlich als Begründung für Rüpeleien und für Gewalttätigkeiten das Wort „Fremdenhass“ zu hören. Aber diese Jugend- lichen wissen nicht, was das eigentlich ist.

Meine Damen und Herren! Ich bin illusionslos. Wir werden die Menschen nicht ändern können. Dass die Menschen das hassen, was ihnen Schaden zugefügt hat und worunter sie gelitten haben, das hat es immer gegeben und wird es immer geben. Dass die Menschen das hassen, was sie gar nicht kennen, nur weil es ihnen fremd ist, ist ein so anarchischer Wesenszug, eine so niedrige Stufe der Zivilisation, dass wir dies auch als Aufgabe begreifen müssen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Quien, SPD)

Die Ursachen, meine Damen und Herren, mögen vielschichtig sein, und viel ist darüber diskutiert und gesprochen worden: soziale Ursachen, wirtschaftliche Ursachen und andere. An dieser Stelle suche ich nicht nach einer gemeinsamen Antwort. Aber keine der möglichen Ursachen ist eine ausreichende Erklärung und schon gar keine Rechtfertigung für diese Handlungen. Darüber müssen wir uns auch untereinander im Klaren sein.

Jedes Verfolgen einer eigenen überwertigen Idee mit radikalen Mitteln unter einer fanatischen Einengung des eigenen Gesichtsfeldes ist Extremismus im menschlichen Verhalten. Jede Anwendung von Gewalt gegen Sachen, Institutionen und Personen, auch die vorsätzliche Verletzung der Würde eines anderen Menschen ohne erkennbaren Grund, ist eine verabscheuenswürdige Tat und muss auch als eine solche bezeichnet werden.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Mokry, FDVP)

Im politischen Raum unterscheiden wir nach der Handlungsmotivation den Rechts- vom Linksextremismus. Das ist nicht das Gleiche. Aber das Verhalten, das Verhaltensmuster ist in jedem Fall gleich. Es ist nicht hinzunehmen, dass das eine als eine Erklärung des anderen dient, wiewohl wir immer wieder erleben, dass das eine als Motivation für das andere angegeben wird. Diese Verhaltensformen sind dazu geeignet, sich gegenseitig hochzuschaukeln.

Deshalb gibt es für uns keinen Grund, dieses Problem mit politischer Einseitigkeit zu betrachten. Das Problem, über das wir jetzt reden, ist der Rechtsradikalismus. Das muss auch als solches benannt und bezeichnet werden. Aber es ist durch das Gegenteil weder zu begründen noch zu erklären und es ist nicht besser und nicht schlechter als das Gegenteil.

Das allgemeine Muster, sich extremistisch zu verhalten, radikal und rücksichtslos zu sein, ist in jedem Fall das Grundmuster. Deswegen ist es uns wichtig, diese Dinge auch auf das Grundmuster menschlichen Verhaltens zurückzuführen. Dies darf auch im politischen Bereich nicht einäugig und nur aus einer einzigen Perspektive heraus diskutiert werden.

Wir erleben es doch fast täglich: Selbst einfache Fernsehfilme leben vom Unterhaltungswert der Gewaltanwendung, von Mord und Totschlag oder anderen Formen von zwischenmenschlicher Gewalt. Ich bitte Sie,

einfach einmal darauf zu achten, wie viele Filme im täglichen Fernsehen gezeigt werden, in denen menschliche Barmherzigkeit, zwischenmenschliche Solidarität oder Mitmenschlichkeit Gegenstand der Darstellung sind. Das ist doch fast uninteressant geworden. Aber das Gegenteil hat Unterhaltungswert.

Ich frage Sie: Wenn sich die Eltern an gewalttätigen Filmen ergötzen, warum sollten die Kinder diese Filme dann als etwas so furchtbar Schlimmes empfinden? Damit sind die Wertvorstellungen verloren gegangen.

(Zustimmung bei der CDU, von Herrn Oleikiewitz, SPD, von Herrn Mokry, FDVP, und von Herrn Wolf, FDVP)

Schon seit Jahrzehnten müssen wir ein Defizit erkennen. Damit müssen wir uns beschäftigen.

Ich habe öffentlich bedauert - Herr Kultusminister, jetzt spreche ich Sie an -, dass nur etwa ein Drittel der Kinder in Sachsen-Anhalt Religionsunterricht in Anspruch nehmen können. Ich bin nicht einmal sicher, ob der Religionsunterricht helfen könnte; denn auch die Kirche ist in ihrer Geschichte nicht frei von radikalen Handlungen.

(Frau Fischer, Leuna, SPD: Das denke ich aber auch!)