Protocol of the Session on June 23, 2000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Budde, Sie sagten: Wir müssen über dieses Thema reden. - Wir reden über dieses Thema ununterbrochen. Wir reden über dieses Thema auch auf der Grundlage eines Beschlusses, der noch keine vier Monate alt ist. Da drängt sich einem der Gedanke auf: Sind Ihnen die Ideen für eine gute Wirtschaftspolitik ausgegangen? Oder haben Sie das Vertrauen in Ihre eigenen Zahlen verloren? Wie anders kann man einen solchen Wiederholungsantrag verstehen?

(Zustimmung bei der CDU)

Ich habe aufmerksam zugehört, auch Ihnen, Herr Minister, und ich habe von dieser Einbringungsrede Aufklärung erhofft - aber weit gefehlt.

Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, fordern Ihr Wirtschaftsministerium zu Selbstverständlichkeiten auf, nämlich zur Erbringung von Zahlen und

Informationen, die alle Fraktionen regelmäßig erhalten. Lassen Sie mich das auch durch eine kurze Chronologie erhärten. Diese Themen werden übrigens auch jeweils im Ausschuß behandelt.

Einem Antrag der PDS-Fraktion vom 28. September 1999 - dazu kam ein Änderungsantrag der SPDFraktion ähnlichen Inhalts vom Oktober 1999 - folgte ein Beschluß des Landtages vom 8. Oktober 1999, in dem die Landesregierung aufgefordert wurde, dem Ausschuß für Wirtschaft, Technologie und Europaangelegenheiten federführend die Anmeldung Sachsen-Anhalts zum 29. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zur Beratung vorzulegen. Ferner sollten Möglichkeiten einer größeren Beschäftigungswirksamkeit der Wirtschaftsförderung nach der GA geprüft und konkrete Maßnahmen durch die Landesregierung vorgeschlagen werden.

Nach ausführlicher Diskussion in zwei Ausschußsitzungen, der 30. und der 31. Sitzung, haben wir dann eine Beschlußempfehlung erarbeitet, die in der Sitzung des Landtages am 10. Februar 2000 verabschiedet wurde, leider - das muß man hier kritisch feststellen; wir haben das auch im Ausschuß bemängelt - ohne nennbaren Einfluß auf die Gestaltung des 29. Rahmenplans. Aber darauf richtete sich ja auch unsere Kritik, daß wir viel eher einbezogen werden wollten. Auch die Vorlage der Anmeldung zum 29. Rahmenplan erfolgte zu kurzfristig.

Diese Beschlußempfehlung enthält klare Forderungen an die Landesregierung hinsichtlich der Anmeldung zum 29. Rahmenplan sowie Handlungsspielräume für den erweiterten Einsatz der GA-Mittel und legt darüber hinaus die rechtzeitige Einbeziehung der Ausschüsse bei künftigen Anmeldungen Sachsen-Anhalts zum jährlich fortgeschriebenen Rahmenplan der GA fest. In der Vergangenheit waren die Parlamentarier hierbei weitgehend ausgeschlossen, und so verstehen wir auch die Punkte I und IV in der Beschlußempfehlung, in denen wir das noch einmal eingefordert haben.

Die Punkte 6 und 7 Ihres Antrages finden teilweise ihren Niederschlag in dem bereits beschlossenen 29. Rahmenplan der GA für den Zeitraum 2000 bis 2003. Darüber hinaus gehen wir davon aus, Herr Minister, daß ergänzende Förderinstrumentarien unter anderem auch Gegenstand der zu erwartenden Mittelstandsinitiative sein werden.

Zu den von Ihnen angeführten Schwerpunkten 1 bis 4 erhalten wir und Sie vierteljährlich die Daten zur wirtschaftlichen Lage im Land Sachsen-Anhalt. Ich muß zugeben, die Daten für das erste Quartal 2000 fehlen noch, aber ich habe mir auch die Mühe gemacht, einmal nachzufragen, einfach um die Kontinuität zu haben. Die Auskunft auf meine Frage war, daß sich die Datenlage im ersten Quartal 2000 nicht verändert hat. Es wurden keine weiteren Mittel ausgereicht, keine neuen Projekte bewilligt und bisher auch keine weiteren neuen Arbeitsplätze geschaffen. Vielleicht haben wir eine Chance, an der Stelle einmal diese vierteljährliche Stagnation im Wirtschaftsausschuß zu hinterfragen.

Letztlich kann ich Ihnen eine schon in der Presse veröffentlichte Tabelle zur Verfügung stellen, sollten Sie sie nicht selbst haben, aus der wir den Vergleich zwischen den neuen Ländern ablesen können. Diese Zahlen aber, meine Damen und Herren, finden Sie auch in dem für die neuen Länder herausgegebenen aktuellen Wirtschaftsdatenspiegel des Bundeswirtschaftsministeriums.

Wir sind eigentlich, wobei man uns oft nachsagt, daß wir berichtsgeil sind - ich sage das einmal so -, der Ansicht -

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU - Heiterkeit bei der SPD - Zuruf: Das ist eine Sprache!)

- Ich fand im Moment keinen anderen Ausdruck; ich bitte um Entschuldigung.

Wir sind der Ansicht, daß die Informationen zur Analyse tatsächlich ausreichen sollten. Ich muß ganz einfach noch einmal fragen, warum dann ein solcher Wiederholungsantrag gestellt wird. Außer der Selbstdarstellung, die dann auch wahrgenommen wurde, fällt mir kein anderer Grund dafür ein.

Wenn Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPDFraktion, an echten Informationen für die konstruktive Arbeit im Wirtschaftsausschuß gelegen ist, dann sollten Sie die Landesregierung irgendwann einmal fragen, warum die Ausschußmitglieder zu ganz bestimmten Themen gar keine oder verspätete Informationen erhalten oder diese nur aus der Presse bekommen können. Ich glaube, das sind schwerwiegendere Gründe, die unsere Arbeit mehr behindern.

Wir werden uns bei der Abstimmung über diesen Antrag der Stimme enthalten.

(Beifall bei der CDU)

Die Fraktion der DVU-FL hat signalisiert, daß sie auf einen Beitrag verzichtet. Für die FDVP-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Weich.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie oft schon wurde etwas zu dem Dauerbrennerthema Wirtschaft von der Landesregierung gesagt, und nichts außer einem verstärkten Arbeitsplatzabbau geschah.

Seit 1998 geht es mit Sachsen-Anhalt wirtschaftlich bergab. Gesellschaftlich relevante Fragen lassen sich hiervon ableiten, so die höchste Arbeitslosigkeit aller Bundesländer mit 19,8 %, die höchste Auswanderungsquote unter den neuen Bundesländern, im Jahr 1999 per Saldo 14 617 Bürger, die höchste Kriminalitätsrate unter den neuen Bundesländern, der höchste Wohnungsleerstand, die geringste Zahl an Eheschließungen und die höchste Zahl an Ehescheidungen usw.

Alle neuen Bundesländer zusammen erzeugen 6 % des Bruttoinlandsproduktes der Bundesrepublik. SachsenAnhalt ist auch hierbei mit Mecklenburg-Vorpommern das Schlußlicht.

In der Exportwirtschaft sieht es genauso aus. Ein kleines Beispiel dazu: Sachsen-Anhalt exportierte 1999 Waren im Wert von 5,3 Milliarden DM, Sachsen exportierte im gleichen Jahr Waren im Wert von 15 Milliarden DM, und 1999 produzierten die Bayern Waren im Wert von 147 Milliarden DM.

(Herr Siegert, SPD: Sie vergleichen Äpfel mit Bir- nen!)

Die Wirtschaft stagniert auf dem deutlich geringeren Konjunkturniveau von 1998. Die Zahl der Insolvenzanträge beläuft sich auf die Rekordzahl von 1 640. Zum erstenmal in der Geschichte von Sachsen-Anhalt

ist die Zahl der Gewerbeabmeldungen größer als die der -anmeldungen. Dies ist auf die konstante Hilflosigkeit von Herrn Höppner und seinen Mannen zurückzuführen. Herr Gabriel wundert sich nur.

Belastungen durch die sogenannte Öko-Steuer, Neuregelungen zu den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und zur sogenannten Scheinselbständigkeit ergeben schlechte Rahmenbedingungen für den Unternehmer und beeinflussen die Konjunktur im Lande erheblich. Die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen wird unter diesen Voraussetzungen erst einmal auf Eis gelegt.

Die Landesregierung eröffnet im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zusätzlich Mittelstandsoffensiven, Existenzgründeroffensiven, das regionale Aktionsprogramm Altmark usw. Dazu kommen diverse Förderprogramme wie Regio, Urban 21 usw. Nachhaltige Auswirkungen auf die Verbesserung der Infrastruktur und damit Impulse für die Wirtschaft sind in SachsenAnhalt nicht zu bemerken.

Wir vermissen bei diesen groß angelegten Gemeinschaftsaufgaben die Komplexität. Dazu gehören die Einbindung diverser Wirtschaftsförderungsgesellschaften, die Schaffung von Netzwerken, die exakte Weichenstellung zum nachhaltigen Aufbau einer mittelständischen Industrie und die Beendigung der Förderung nach dem Gießkannenprinzip wie bei Aluhett.

Die Landesregierung sollte sich umgehend darüber Gedanken machen, warum die Mehrzahl der Investoren um Sachsen-Anhalt einen Bogen macht, warum sie lieber in Brandenburg, Thüringen oder Sachsen investieren und Zehntausende von echten Arbeitsplätzen schaffen, zum Beispiel Infineon 2 800 Arbeitsplätze in Sachsen, AMD 1 800 Arbeitsplätze in Sachsen, Cargolifter 480 Arbeitsplätze in Brandenburg, Porsche usw. Sie schaffen Arbeitsplätze in Sachsen und Thüringen; da läuft das etwas besser als hier. In Sachsen-Anhalt sind von 1994 bis 1999 trotz der 52,7 Milliarden DM, die seit 1991 in die Wirtschaft und in die Infrastruktur investiert wurden, 170 000 Arbeitsplätze abgebaut worden.

Die Förder- und Wirtschaftspolitik sollte überarbeitet werden, um einen ökonomischen Mitteleinsatz zu ermöglichen. Der Schwerpunkt der Förderung muß der Mittelstand sein.

Der einzige Lichtblick ist trotz aller Korruptionsvorbehalte die Leuna-Region.

Die Offensive der Landesregierung startet durch diese Ideenlosigkeit in diametrale Richtung. Regierungsarbeit sollte nicht in Gaststätten erledigt werden. Wie wichtig die Landesregierung genommen wird, sieht jeder am Haltepunkt des ICE in Magdeburg.

Aber woran liegt es, daß es in Sachsen und Thüringen aufwärts geht, und zwar in Größenordnungen? Es liegt doch nicht an den Bürgern. Wir wissen, daß es an einer unfähigen rot-roten Landesregierung liegt, die für jeden potentiellen Investor nicht kompetent erscheint.

Wir stimmen dem Antrag zu.

Für die SPD-Fraktion spricht noch einmal die Abgeordnete Frau Budde.

Herr Weich, ich finde es schon interessant, daß Sie feststellen, daß die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt seit 1998 bergab geht. Das ist exakt der Zeitpunkt des Eintritts ihrer ehemaligen Fraktion in den Landtag. In der Tat hat Wirtschaftspolitik mit etwas Außenwirkung zu tun. Dann sollten Sie sich vielleicht mal überlegen, wenn Sie das so feststellen, woraus das resultiert.

(Frau Wiechmann, FDVP: Sie müssen sich ab- stimmen mit Herrn Gabriel!)

Daß Eheschließungen und Ehescheidungen ein entscheidender Wirtschaftsfaktor sind, das kann ich auch nur begrenzt nachvollziehen. Im Bereich der Gastronomie kann ich das verstehen,

(Zuruf von Frau Wiechmann, FDVP)

der eine feiert die Eheschließung, der andere die Ehescheidung.

Aber das hat nun auch wieder nicht sehr viel mit Wirtschaftsförderung zu tun. Es wäre mir auch neu, daß wir in Sachsen-Anhalt falsche Arbeitsplatze schaffen und woanders echte Arbeitsplätze geschaffen worden sind.

(Frau Wiechmann, FDVP: Sie schaffen gar keine Arbeitsplätze, das ist Ihr Problem, Frau Budde!)

Aber jetzt möchte ich zu den konkreteren Dingen kommen.

(Zuruf von Frau Fischer, Merseburg, CDU)

- Frau Fischer, in gewissem Sinne haben sie recht, wir thematisieren die Gemeinschaftsaufgabe und die Wirtschaftsförderung sehr oft. Aber es hat schon eine neue Qualität, die - wenn auch nur ganz vorsichtig - vom Wirtschaftsminister angedeutet worden ist.

Um zu vermeiden, daß wir im Ausschuß erst wieder darüber reden, wenn die Entscheidungen schon gefallen sind, würde ich doch sagen, wir sollten den Satz, den er gesagt hat, ziemlich ernst nehmen. Es geht um die Differenzierung der Förderung, und es geht eher um die Frage, was können wir nicht mehr fördern und was können wir noch fördern. Das ist, denke ich, schon ein ganz entscheidender Richtungswechsel, wenn es um Wirtschaftsförderung geht. Daran sollte der Wirtschaftsausschuß durchaus beteiligt sein.

Der Antrag ist ein wenig eine Krücke, das ist richtig. Aber wieviel Anträge haben wir denn, die eine Krücke dafür sind, ein Problem in den entsprechenden Ausschüssen zu thematisieren? Man muß ja nicht alles nur im Rahmen der Selbstbefassung machen.

Aber die Beschäftigung mit den Rahmenplänen hat nun wieder nur beschränkt etwas damit zu tun. Das ist eine jährlich wiederkehrende Beschäftigung mit der Ausdifferenzierung der Förderung und eine Konkretisierung, was die Landesrichtlinien angeht und was die großen Linien angeht, die wir in die Rahmenpläne der Gemeinschaftsaufgabe mit aufzunehmen empfehlen. Da trifft das zu das korrespondiert natürlich ein wenig mit dem Antrag -, was Herr Dr. Süß gesagt hat, daß wir diesmal darauf achten müssen, rechtzeitig mit einbezogen zu werden.

Aber ich denke, daß wir auch dies erst vernünftig tun können, wenn wir uns grundsätzlich mit der Struktur der Förderung beschäftigt haben. Da die Gemeinschaftsaufgabe nun einmal der größte Block ist, auch nachdem wir inzwischen die Forschungsförderung und andere Dinge unter der uns allen bekannten finanziellen Situa

tion dort mit hineingepackt haben, wäre es doch vernünftig, über die Neuausrichtung der Förderung zu sprechen. Diese kann existentiell sein, weil es wirklich ich will es wiederholen - nicht mehr darum geht, was wir fördern, sondern darum, was wir nicht mehr fördern können und worauf wir uns konzentrieren.