Protocol of the Session on June 23, 2000

Darüber hinaus ist zu bemerken, daß formal eine Rückübertragung von Zuständigkeiten auf die Länder ohnehin nicht vorgenommen werden würde; denn - man kann annehmen, daß das der PDS bekannt ist oder bekannt sein sollte - die begehrte landesrechtliche Zuständigkeit würde sich dann nicht aus den Artikeln 71 ff. des Grundgesetzes ergeben, sondern aus den Artikeln 30, 70 Abs. 1 und 70 Abs. 2 des Grundgesetzes.

Die Abgrenzung hätte unter der Maßgabe der Artikel 72 und 74 des Grundgesetzes zu erfolgen. Denn die Länder haben nach Artikel 70 Abs. 1 des Grundgesetzes das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.

Hieraus folgt, daß der Antrag der PDS gesetzgebungstechnisch unzureichend, inhaltlich unvollständig und laienhaft formuliert wurde. Es kommt hinzu, daß die in dem Antrag enthaltenen vordergründigen Absichten der PDS auch nach geltender Rechtslage realisiert werden können.

Es geht nicht darum, ob die genannten gesetzlichen Regelungsmaterien Belange der Struktur- und Wirtschaftsentwicklung tangieren können, sondern darum, ob diese Bereiche tangiert sind. Die Darlegung zur Beweislast obliegt also der Fraktion der PDS. Nahegelegt hat die Fraktion der PDS das Begehren im Konjunktiv; bewiesen hat sie dagegen gar nichts.

Selbst wenn man dem Antrag eine gewisse Ernsthaftigkeit unterstellt, würde die Fraktion der PDS die vermeintlichen Probleme der Kreise und Gemeinden mit dem geltenden Recht regeln können. Denn nach Artikel 83 des Grundgesetzes führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt. Letzteres ist aber im Zusammenhang mit der konkurrierenden Gesetzgebung nicht anzunehmen. Diese Fälle betreffen den Regelungsgegenstand der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes und der ausschließlichen Bundesverwaltung.

Da die Länder den Regelungsgegenstand von Artikel 74 Abs. 1 Nr. 18 des Grundgesetzes gemäß Artikel 83 des Grundgesetzes als eigene Angelegenheit ausführen, können mithin die Belange der Kreise und Gemeinden sachgerecht entschieden werden. Für die Überprüfung der behördlichen Entscheidungen sind aber nicht die Länderparlamente oder gar der Bundestag verantwortlich, sondern die Gerichte.

Der mit einer gewissen Ignoranz verpackte Antrag der PDS ist somit als sachwidrig abzulehnen. Dabei hat es die PDS auch übersehen, daß EU-Richtlinien betroffen sind.

Der PDS sei folgender Spruch der Juristen angeraten: „Ein intensiver Blick in die Normen erleichtert die Rechtsfindung.“

Herr Krause verzichtet ebenfalls.

Meine Damen und Herren! Wir sind damit am Ende der Debatte und kommen zur Abstimmung. Wir stimmen über den Antrag der PDS in der Drs. 3/3251 ab. Wer stimmt zu? - Gegenstimmen? - Gegenstimmen der FDVP-Fraktion. Enthaltungen? - Enthaltungen bei der

CDU-Fraktion und bei der DVU-FL-Fraktion. Damit ist der Antrag beschlossen.

Wir stimmen über die Drs. 3/3284 ab. Wer stimmt zu? Gegenstimmen? - Das sehe ich nicht. Enthaltungen? Bei Enthaltungen der FDVP-Fraktion ist der Antrag beschlossen worden. Wir haben damit die Tagesordnungspunkte 25 und 26 absolviert.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 und 28 auf, die ebenfalls verbunden wurden:

Beratung

Hilfen für Zwangsausgesiedelte

Antrag der Fraktion der FDVP - Drs. 3/3255

Erste Beratung

Einzelentschädigung für Zwangsausgesiedelte

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/3291

Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/3324

Der Antrag der FDVP-Fraktion wird von Frau Wiechmann eingebracht.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einen besonders eklatanten Fall politischer Verfolgung durch den SED-Staat bilden die Zwangsaussiedlungen aus dem ehemaligen Grenzgebiet. In den Jahren 1952 und 1961 kam es im Grenzgebiet der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland zu zwei groß angelegten Zwangsaussiedlungsaktionen, in deren Verlauf dem DDR-Regime politisch mißliebige Bürger regelmäßig unter Verlust ihres Grund und Bodens in das Landesinnere umgesiedelt wurden. Betroffen waren Alte, Mütter und Väter, Kinder und anderweitig politisch Verdächtige. Nach bisherigen Erkenntnissen wurden in SachsenAnhalt erhebliche Personenkreise zwangsausgesiedelt.

Nach dem verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz vom 23. Juni 1994 in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Juli 1997 erfolgt eine Rehabilitierung von Zwangsausgesiedelten und die Gewährung von Ausgleichsleistungen nur dann, wenn gleichzeitig ein Eingriff in Vermögenswerte, eine gesundheitliche Schädigung oder ein beruflicher Eingriff vorliegt. Diese gesetzliche Regelung ist unzureichend und schließt einen großen Teil der Zwangsausgesiedelten von jeglichen Entschädigungsleistungen aus.

Die Anträge auf Rehabilitierung von Zwangsausgesiedelten werden nach dem Bekunden von Betroffenen im Land Sachsen-Anhalt nur unzureichend bearbeitet. Etwa 580 Personen warten auf die Bescheidung. Es ist zu hoffen, daß sich die Anliegen der Betroffenen nicht durch die sogenannte biologische Lösung erledigen werden.

Meine Damen und Herren! Zum Teil erwogen wurde in anderen Bundesländern zugunsten der Zwangsausgesiedelten die landesgesetzliche Einräumung eines Wahlrechts zwischen der Restituierung von Vermögenswerten und einer durch das Land vorzunehmenden Einmalzahlung von 4 000 DM. Diese Überlegungen sind verfassungsrechtlich bedenklich.

Denkbar wäre aber auch eine Regelung, wonach der überwiegenden Anzahl der Zwangsausgesiedelten auf Antrag eine Einmalzahlung als Entschädigung gezahlt

wird. Auch gegen dieses Modell bestehen erhebliche Bedenken.

Seitens des Bundesjustizministeriums und der mitbetroffenen anderen Länder wurden gegen eine derartige landesgesetzliche Regelung ebenfalls verfassungsrechtliche Bedenken vorgetragen. In diesen Stellungnahmen wird die Auffassung vertreten, der Bund habe durch das verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz vom 23. Juni 1994 in der Fassung vom 1. Juli 1997 die Wiedergutmachung des durch die Zwangsaussiedlung geschehenen Unrechts abschließend geregelt. Eine Gesetzgebungskompetenz des Landes bestehe hierzu daher nicht mehr.

Dennoch ist zu der Rechtsauffassung des Bundes zu bemerken, daß die bundesgesetzlichen Regelungen insoweit keine abschließende Bestimmung beinhalten und somit eine Einmalzahlung als Entschädigung an alle Zwangsausgesiedelten in Sachsen-Anhalt gezahlt werden kann. Im Falle der Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes besteht ein verfassungsrechtliches Restrisiko für eine derartige Regelung dennoch.

Meine Damen und Herren! Das Anliegen der Fraktion der FDVP, eine Beschleunigung des Entschädigungsverfahrens für Zwangsausgesiedelte durch eine Einmalzahlung zu bewirken, ist durch den Wegfall des Wahlrechts zwischen Restitution und Einmalzahlung aufgrund der verfassungsrechtlichen Bedenken nicht zu erreichen. Nach § 2 Abs. 4 des verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes sind erbrachte andere Ausgleichsleistungen bei den Leistungen nach dem Vermögensgesetz und Entschädigungsgesetz anzurechnen. In der Folge würde der Bund durch eine diesbezügliche landesgesetzliche Regelung finanziell erheblich entlastet werden.

Es ist deshalb indiziert, das Anliegen der Fraktion der FDVP, den Zwangsausgesiedelten eine zusätzliche Entschädigung zu gewähren und sie bei entstehenden finanziellen Schwierigkeiten zu unterstützen, auf einem anderen Weg, so zum Beispiel durch eine Stiftung des bürgerlichen Rechts, zu ermöglichen; denn eine Stiftung könnte bei der Vergabe von Zuwendungen an Zwangsausgesiedelte flexibel und vor allem auch schnell den Betroffenen helfen und auf ihre individuelle Situation bzw. Notlage eingehen. Durch diese Verfahrensweise könnte auch dem Anliegen entsprochen werden, bei entstehenden finanziellen Schwierigkeiten aus notwendigen Wiederherstellungs- und Aufbauinvestitionen restituierter Vermögenswerte Unterstützung zu leisten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das entscheidende Organ der Stiftung sollte ein mehrköpfiger Stiftungsrat sein. Es wird in diesem Zusammenhang auch angeregt, ein oder zwei Vertreter des Landtages in diesen Stiftungsrat zu berufen. Darüber hinaus sollten unter anderem mehrere Mitglieder auf Vorschlag des Verbandes der Zwangsausgesiedelten benannt werden, damit die Interessen- und Problemlagen der Betroffenen unmittelbar berücksichtigt werden können.

Die Geschäftsstelle der Stiftung, die auch die Funktion des Stiftungsvorstandes wahrnehmen könnte, sollte bei der Gewährung einer einmaligen Zuwendung an die zwangsausgesiedelten Personen mit dem zuständigen Landesamt kooperativ zusammenarbeiten. Bei der Bearbeitung der Anträge wären die vorhandenen Unterlagen zu den Zwangsaussiedlungsmaßnahmen in Sachsen-Anhalt in Zusammenarbeit mit dem zuständigen

Landesamt zu nutzen, damit eine schnelle und unbürokratische Hilfe gewährt werden kann.

Die Geschäftsstelle der Stiftung sollte wegen der Bedeutung - so unser Vorschlag - in der Landeshauptstadt Magdeburg angesiedelt werden, um auch das operative Geschäft der Stiftung so effizient wie möglich zu gestalten.

Entsprechend den der Stiftung jährlich zur Verfügung stehenden Mitteln sollte der Stiftungsrat endgültig die notwendigen Vergabeprinzipien für die Zuwendungen festlegen. Bei der Auszahlung von Entschädigungen an die zwangsausgesiedelten Personen sollten unseres Erachtens folgende Grundsätze Beachtung finden:

Alle Personen, die das Unrecht der Zwangsaussiedlung persönlich erfahren haben, also die Erlebnisgeneration, erhalten diese Hilfe. Die Auszahlung der Zuwendung erfolgt gestaffelt nach Altersgruppen in den Jahren 2000 bis spätestens 2001. Vorrangig sind hierbei die aus Sachsen-Anhalt zwangsausgesiedelten Personen zu berücksichtigen, die ihren Wohnsitz am 3. Oktober 1990 im Land Sachsen-Anhalt tatsächlich innegehabt haben. Personen, denen es gelang, unmittelbar nach der Zwangsaussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland zu flüchten, und denen hierfür Lastenausgleich gewährt wurde, sollten keine weitere Entschädigung erhalten. Dies gilt ebenso für Personen, die ihren Wohnsitz seit Jahrzehnten in einem anderen Land innehaben.

Die rechtlichen Voraussetzungen der Stiftungsgründung sollten unter Berücksichtigung der Bedeutung der Angelegenheit einer sofortigen Prüfung unterzogen werden. Ich denke, das alles sind wir der betroffenen Generation schuldig.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt Ereignisse und Erlebnisse im Leben eines Menschen, die aufgrund einer tiefgreifenden Veränderung seiner Lebensverhältnisse und einer eklatanten Verletzung seiner Würde zu einem lebenslangen Trauma führen können. Zu diesen Ereignissen und auch zu diesen Erlebnissen gehören zweifelsohne die in der DDR praktizierten Zwangsaussiedlungen in zahlreichen Städten und Dörfern, vor allem im Bereich der ehemaligen Zonengrenze. Die Zwangsaussiedlungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der untergegangenen DDR. Sie waren letztendlich ein erprobtes Mittel, um die innere Stabilität eines Regimes um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Das, denke ich, sollten Sie nicht vergessen, und das sollte nie wieder zugelassen werden.

Unsere Fraktion will mit dem vorliegenden Antrag erreichen, daß die Stiftung schnellstmöglich errichtet wird, damit die mitunter hochbetagten Zwangsausgesiedelten eine - wenn auch geringe - Wiedergutmachung erfahren. Ich bitte Sie daher an dieser Stelle: Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit den von Unrechtsmaßnahmen betroffenen zwangsausgesiedelten Menschen schnell, unbürokratisch und flexibel geholfen werden kann.

Erlauben Sie mir noch ein Wort an Sie, meine Damen und Herren von der CDU. Sie bräuchten, um auf Ihren Antrag zu sprechen zu kommen, nicht mehr und nicht weniger zu tun, als die Überschrift Ihres Antrages von „Entschädigungen“ in „Hilfen“ zu verändern. Dann könnten wir Ihrem und Sie unserem Antrag zustimmen; denn beide Anträge würden sich dann eigentlich durch nichts voneinander abheben. - Danke schön.

(Beifall bei der FDVP)

Danke für die Einbringung. - Den Antrag der CDUFraktion bringt der Abgeordnete Herr Schomburg ein.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein besonderes Schicksal mußten in der DDR zahlreiche Menschen nur deshalb erleiden, weil sie in unmittelbarer Nähe zur innerdeutschen Grenze wohnten. In Nacht-und-Nebel-Aktionen wurden in den 50er und 60er Jahren angestammte Bürger der Grenzorte durch Zwangsmaßnahmen der DDR-Staatsorgane in andere Ortschaften aus- bzw. umgesiedelt.

Häufig blieben den Betroffenen nur wenige Stunden, um wenigstens die wichtigsten Teile ihres Hab und Gutes zusammenzuraffen und der zwangsweisen Umsiedlung aus dem Grenzgebiet Folge zu leisten. Auf dem jetzigen Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt sind rund 600 Personen von derartigen Zwangsmaßnahmen betroffen gewesen.

Ende vergangenen Jahres hatte auf Initiative der CDUFraktion der Ausschuß für Recht und Verfassung eine Anhörung des Sprecherrates Sachsen-Anhalt der Föderativen Vereinigung Zwangsausgesiedelter e. V. durchgeführt. Wie schon bei früheren Anhörungen hat sich dort deutlich gezeigt, daß gerade diese Gruppe von Opfern willkürlicher DDR-Staatsakte nach wie vor auf besondere Schwierigkeiten in Rehabilitierungs- und Rückabwicklungsverfahren trifft. Dieses liegt vor allem darin begründet, daß die zwangsenteigneten Grundstükke und Gebäude in den vergangenen Jahrzehnten in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zahlreichen Veränderungen unterworfen waren.

Die bundesgesetzlichen Vorschriften zur Rehabilitierung der SED-Unrechtsopfer führen gerade bei der Gruppe der Zwangsausgesiedelten nicht immer zu befriedigenden Ergebnissen. Die bereits in der ersten Wahlperiode von der CDU-geführten Landesregierung ergriffenen Gesetzesinitiativen haben leider auf Bundesebene keine Mehrheit gefunden. Hinzu kommt, daß die komplizierte Rechtsmaterie zum Teil sehr langwierige Verfahren nach sich zieht und die meisten Betroffenen betagt sind.

Da wegen der langen Zeitabläufe kaum eine Einzelfallgerechtigkeit zu erzielen ist, hat sich die CDU-Fraktion bereits nach der Anhörung im Rechtsausschuß für die Gewährung einer pauschalierten Zuwendung ausgesprochen, wie sie auch im Freistaat Thüringen praktiziert wird. Dort wird Zwangsausgesiedelten eine Einmalentschädigung in Höhe von 4 000 DM gewährt. Zu diesem Zweck wurde eine Stiftung „Zwangsausgesiedeltenhilfe Thüringen“ gegründet. Die Auszahlung der Zuwendungen erfolgt gestaffelt nach Altersgruppen, wobei die älteren Geburtsjahrgänge vor den jüngeren berücksichtigt werden.

Auch das Land Sachsen-Anhalt sollte sich zu einem vergleichbaren Akt der symbolischen Wiedergutmachung bekennen. Selbst wenn das durch die Zwangsaussiedlung verursachte Leid damit nicht aufgehoben werden kann, wäre dies ein spürbares Signal, um materielle und immaterielle Schäden der Opfer aufzufangen.

Da uns im Vorfeld der Debatte von der SPD signalisiert wurde, daß ihr eine Zustimmung zu den Anträgen deshalb schwerfällt, weil die finanziellen Konsequenzen in wenigen Tagen nicht zu klären waren, gehen wir auf Ihr Anliegen ein und plädieren für eine Überweisung der

Anträge in die Ausschüsse für Recht und Verfassung, für Finanzen und für Inneres, wobei die Federführung bei dem Ausschuß für Recht und Verfassung liegen soll, knüpfen daran aber die Erwartung, daß die Überweisung in die Ausschüsse nicht zu einer spürbaren und längeren Verzögerung führt, sondern konstruktiv mit unserem Antrag umgegangen wird, um den Opfern nicht nur symbolisch, sondern tatsächlich helfen zu können. - Vielen Dank.