Protocol of the Session on May 4, 2000

Es ist deshalb aus der Sicht der CDU beispielsweise nicht richtig, lagebildabhängige Kontrollen von vornherein nur auf Bundesstraßen zu beschränken und Landstraßen davon gänzlich auszunehmen. Wir befürchten dadurch eine Verdrängung auf andere Verkehrswege.

Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb im Regierungsentwurf Platzverweise für Drogendealer auf maximal 14 Tage beschränkt werden, wenn doch die Rechtsprechung bereits Aufenthaltsverbote bis zu einem halben Jahr für rechtlich zulässig erklärt hat.

Weshalb sollen die Polizeibehörden wesentlich geringere Befugnisse haben als jeder Tankstellenpächter, der sich mittels Videoüberwachung gegen Benzinklau schützen kann?

Meine Damen und Herren! Wir werden darüber im Innenausschuß zu beraten haben. Die CDU hat mit der Unterstützung der SPD eine Anhörung beschlossen, die Ende dieses Monats stattfinden soll. Im Zuge der Anhörung werden beide Gesetzentwürfe noch einmal auf den Prüfstand gestellt.

Ich muß sagen, die Verzögerungen, die bisher eingetreten sind, haben insofern auch einen gewissen Vorteil, als wir bei vielen Bundesländern, die ihr Polizeirecht

schon seit längerem modernisiert haben, nunmehr verstärkt auf die von diesen gemachten Erfahrungen in polizeitaktischer und rechtlicher Hinsicht zurückgreifen können.

Ich komme zum Schluß. Ich vertraue darauf, daß dieses Parlament unabhängig von Koalitionsmätzchen auf dieser oder jener Seite zu guter Letzt die Kraft für eine Lösung aufbringt, die einerseits den polizeilichen Bedürfnissen Rechnung trägt und andererseits rechtlichen Bedenken standhält.

Dem Innenminister danke ich dafür, daß er im Interesse einer verbesserten Kriminalitätsbekämpfung geradlinig an seinem Ziel festgehalten hat. Damit, Herr Innenminister, haben Sie sich um dieses Land verdient gemacht, und Ihr politisches Ansehen ist erneut gewachsen. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Wiechmann, FDVP, und von Herrn Kannegießer, DVU-FL)

Danke sehr. - Für die Fraktion der SPD erteile ich nunmehr dem Abgeordneten Herrn Dr. Fikentscher das Wort. Bitte, Herr Dr. Fikentscher.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während der vergangenen Jahre gab es in Sachsen-Anhalt kein einziges Gesetz, über das so intensiv und breit diskutiert worden ist wie über die Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt. Wenigstens diese Feststellung dürfte in diesem Hause unstrittig sein.

Die Diskussionen wurden in allen Fraktionen und Parteien geführt, bei uns und auch in der Öffentlichkeit sehr ausgiebig. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist demnach in der Bevölkerung unseres Landes unverändert stark ausgeprägt.

Aus verschiedenen Statistiken ergibt sich, daß in alten Bundesländern die tatsächliche Bedrohung durch Kriminalität größer ist als bei uns; jedoch ist das Unsicherheitsgefühl bei uns größer.

Viele Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sind möglicherweise deswegen eher bereit, auf bestimmte Freiheitsrechte zugunsten einer verbesserten Sicherheit zu verzichten. Das jedenfalls kann man aus den zahlreichen Briefen und der Diskussion schließen, die allerdings oft nicht sehr in die Tiefe gegangen ist.

(Zustimmung von Herrn Steckel, SPD)

Dennoch: Bevor die eigentlichen Gesetzestexte im Entwurf bekannt waren, hatten sich viele schon eine grundsätzliche Meinung dazu gebildet. Die Diskussion hat dadurch eine besondere politische Brisanz erhalten, daß sie das mögliche Wohl oder Wehe der Tolerierungs- situation in unserem Landtag einbezog.

Ich glaube nicht, daß sich die PDS einen großen Gefallen dadurch getan hat, von vornherein in rigoroser Weise jegliche Veränderung des SOG abzulehnen.

(Zustimmung von Herrn Rahmig, SPD)

Andererseits glaube ich aber auch nicht, daß es hilfreich und sachgerecht war und ist, die PDS in dieser Frage lediglich mit dem Hinweis auf ihre Vergangenheit an

zugreifen. Es ist längst nicht mehr ausreichend, sie unverändert auf das Attribut „Nachfolgepartei der SED“ zu reduzieren. Nur darauf aufbauend müßte man natürlich auf einen völlig unbegreiflichen Kontrast stoßen. Das geht dann nach der Tonart: Gerade diejenigen, die früher usw. usf., gebärden sich jetzt als die Hüter der Freiheit.

In diesem Teil der Diskussion ging es offensichtlich gar nicht mehr um das SOG, sondern um viel weiter reichende politische Konstellationen. Auch das hat der sachlich-fachlichen Diskussion keinen guten Dienst erwiesen.

Bei zahlreichen Gesprächen, die ich im Laufe des vergangenen Jahres mit Vertretern der Polizei geführt habe, ging es dagegen außerordentlich nüchtern und sachlich zu. Ich habe sie bei unterschiedlichen Gelegenheiten in verschiedenen Regionen unseres Landes direkt gefragt, was sie von den drei umstrittenen Änderungen in diesem Gesetz halten: Wofür brauchen Sie die erweiterten Befugnisse? Was versprechen Sie sich davon? In welchen Bereichen können Sie sie erfolgreich einsetzen? - Aufgrund dieser Diskussion relativierte sich für mich vieles.

In meiner Partei und auch in meiner Fraktion sind im Laufe der vergangenen Monate eine Reihe von Beschlüssen zum SOG gefaßt worden. Wir gaben sie jeweils der Öffentlichkeit bekannt. Zunächst handelte es sich um Tendenzbeschlüsse, dann um Zustimmung zu ersten Entwürfen und nun um Zustimmung zu dem jetzigen Text, der sich von dem ursprünglichen nennenswert unterscheidet; Herr Kollege Becker hat schon darauf hingewiesen.

Der Diskussionsprozeß war für uns außerordentlich wichtig, und zwar sowohl politisch als auch fachlich. Schließlich müssen die Fachleute uns sagen, was sie brauchen, und sie müssen begründen, warum und wozu sie es brauchen. Dabei reicht uns nicht die allgemeine Aussage, daß sich die Straftäter stets neuer Methoden bedienten und die Polizei nicht zurückbleiben dürfe. Dieser einfache Satz reicht uns nicht aus. Wenn zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes vor Straftätern tatsächlich eine Gesetzesänderung notwendig ist, dann muß das auch begründet werden.

Aber letztlich entscheidet die Allgemeinheit, vertreten durch die Mitglieder des Landtages, was die Fachleute tatsächlich bekommen. Das hat auch seinen guten Grund, denn jedes Instrument ist nur so gut, wie man es benutzt. Das gilt auch für das SOG. Es kommt folglich darauf an, was die Polizei daraus machen wird. Das wollen wir nicht erst hinterher erfahren, sondern schon vorher erklärt bekommen.

Meine Damen und Herren! Natürlich wäre es besser, wir brauchten eine solche Gesetzesänderung nicht, aber nach Lage der Dinge erscheint sie nicht nur der Polizei, sondern auch den meisten von uns und der Öffentlichkeit als offenbar notwendig und erfolgversprechend.

Um zu einem solchen Schluß zu kommen, betrachteten wir vorher auch die Kriminalitätsentwicklung in SachsenAnhalt. Es wurde heute schon wiederholt festgestellt: Die Kriminalität ist gesunken, die Aufklärungsrate ist gestiegen.

Daraus kann man zwei verschiedene Schlußfolgerungen ziehen. Die einen sagen: Ihr seht, es geht auch ohne Änderung des Polizeigesetzes voran. Die anderen sagen: Wenn wir eine so gute und erfolgreiche Polizei

haben, dann müssen wir sie auch weiterhin so gut wie möglich und immer besser ausstatten, damit ihre Arbeit noch besser, noch erfolgreicher werden kann, woran uns allen gelegen ist.

Es ist nun einmal die Aufgabe der Polizei, Gefahren abzuwehren und Straftaten zu verhüten. Dieser Erfolg läßt sich theoretisch bis zu einem Höchstmaß steigern. Mehr Polizisten mit besserer Ausbildung, mehr und bessere Technik, mehr Befugnisse für die Polizei würden dazu führen, daß immer weniger Verbrechen verübt werden und immer mehr aufgeklärt wird.

Aber jedermann weiß, daß es immer und überall Verbrechen und Vergehen geben wird, und niemand von uns will - so hoffe ich jedenfalls - lustvoll die Freiheitsrechte einschränken und mehr und mehr Geld dafür ausgeben, sondern stets nur bis zu einem jeweils zu entscheidenden verantwortbaren Maß. Es wird sich immer nur um Abwägungsentscheidungen handeln, und genau darum dreht sich auch unsere gesamte Diskussion.

Bei dem, was hier in Rede steht, handelt es sich um organisierte Kriminalität, um Menschenhandel, Drogenhandel und Radikalismus. Es ist naheliegend, bei solchen Straftaten der Polizei weitreichende Befugnisse einräumen zu wollen, weil diese Delikte allgemein geächtet sind. Hierbei spricht niemand von Kavaliersdelikten, und niemand handelt selbst so. Niemand möchte auch nur im entferntesten in den Verdacht kommen, ein gewisses Verständnis dafür zu haben, wie es bei anderen Delikten leider oft der Fall ist.

Aber, meine Damen und Herren, es hat bei der Diskussion bis auf den heutigen Tag eine ganze Reihe von Fehleinschätzungen und Mißverständnissen gegeben, auf die ich auf jeden Fall noch kurz eingehen muß.

Gelegentlich hört man folgendes: In der DDR hatten einige von uns Platzverweise, beispielsweise für Berlin. In der DDR wurde auf beliebigen Straßen zu beliebigen Zeiten ohne Begründung angehalten und kontrolliert. In der DDR wurde man - was offenbar erst später allgemein bekannt wurde - an vielen Stellen beobachtet, fotografiert, und es wurden Videoaufzeichnungen gemacht. Dies alles möchten wir grundsätzlich nicht mehr haben.

Diese Haltung ist zwar verständlich, kann aber nicht mehr gelten. Wir leben heute in einem Rechtsstaat. In diesem Rechtsstaat ist die Polizei an Recht und Gesetz gebunden. Jeder einzelne Bürger hat nicht nur das Recht, sondern auch die tatsächliche Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen und vor Gericht klären zu lassen, ob das, was ihm durch polizeiliche Maßnahmen zugefügt oder zugemutet wurde, auch zu Recht geschehen ist. Man kann die damalige Situation mit der heutigen zwar vergleichen, man muß aber zu dem Schluß kommen, daß sie völlig unterschiedlich sind.

Ein weiteres Mißverständnis besteht darin, daß manche offenbar glauben, es handele sich bei dem SOG um ein Ja-Nein- oder ein Entweder-oder-Gesetz, das man in einer unveränderlich gedachten Fassung entweder haben kann oder nicht haben kann. Dies führte dazu, daß in der öffentlichen Diskussion mitunter der Eindruck entstand, daß mit einem veränderten SOG die Kriminalität auf einen Stand nahe Null zurückgedrängt werden könnte und daß auf der anderen Seite ohne ein SOG die Kriminalität geradezu aufblühen würde.

Die Veränderungen des Gesetzentwurfs im Laufe der vergangenen Monate sind das Ergebnis intensiver Dis

kussionen, vor allen Dingen unter uns. Nachdem es in meiner Fraktion zunächst lediglich eine starke Tendenz dafür gegeben hat, stehen wir jetzt nahezu einmütig zu diesem Gesetz. Daraus folgt auch der von der CDUFraktion bereits öffentlich kritisierte Umstand - Herr Kollege Becker hat es heute noch einmal angedeutet -, daß wir, abgesehen von möglichen redaktionellen Änderungen, an den entscheidenden Punkten keinem Änderungsantrag unsere Zustimmung geben wollen.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist hervorragend! - Zuruf von Herrn Scharf, CDU)

Trotz aller zwischen den Fraktionen strittigen Fragen sind wir überzeugt davon, daß dieses Gesetz im Landtag eine Mehrheit finden wird.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Da brauchen wir kein Parlament, da brauchen wir nicht mehr zu bera- ten! - Herr Scharf, CDU: Sparen Sie sich doch Ihre Sonntagsreden!)

Insbesondere die öffentlichen Äußerungen des Kollegen Böhmer sprechen dafür, daß das so sein wird.

Zu den Fehleinschätzungen, die mit der Gesetzesänderung gedanklich verbunden werden, gehören auch die vielfach geäußerten, offensichtlich zu hohen Erwartungen. Es wird nicht dazu kommen, daß die Fußgängerzonen jeder Kleinstadt und schon gar nicht jeder Schulhof mit Videokameras ausgestattet werden, um mögliche Drogendealer zu erfassen. Dies ist weder finanziell noch personell durchführbar.

(Herr Wolf, FDVP: Natürlich!)

Bei meinen Gesprächen mit der Polizei hörte ich übereinstimmend, daß es in Sachsen-Anhalt nur ganz wenige, überwiegend in Großstädten liegende Orte gibt, an denen man tatsächlich auch mit angemessenem Aufwand die Videografie erfolgreich einsetzen könnte. Was sich so mancher Hobbykriminalist vorstellt, geht an der Wirklichkeit und an den Möglichkeiten völlig vorbei.

Auf ein weiteres Mißverständnis bzw. eine Fehldeutung gehe ich noch ein. Es wurde behauptet, daß bei diesem Gesetz ein grundsätzlicher Wechsel von der Unschuldsvermutung gegenüber dem einzelnen Bürger zur Schuldvermutung vorgenommen werde. Bisher - so heißt es; Kollege Gärtner hat das heute auch noch einmal angesprochen - würde bei jedem Bürger unseres Landes angenommen, er sei unschuldig und man müsse und dürfe erst dann gegen ihn in Form von Kontrollen etwas unternehmen, wenn man ihm die Schuld oder den Verdacht einer Schuld nachweisen könne. Nun sei das umgekehrt; man würde bei jedem zunächst vermuten, er sei schuldig an irgend etwas.

Aber, meine Damen und Herren, so grundsätzlich sind die angestrebten Veränderungen ja nun wirklich nicht, und neu sind sie schon gar nicht, wie der Vergleich mit anderen Bundesländern zeigt. Außerdem akzeptieren wir vergleichbare Kontrollen an sehr vielen Stellen. Ich spreche jetzt nicht vom Warenhaus oder von der Bank, wohin man ja unter Umständen nicht gehen muß, sondern beispielsweise von den Kontrollen an jedem Flughafen, denen man sich unterziehen muß, wenn man fliegen möchte. Dies empfindet niemand als angenehm, aber offensichtlich als gerechtfertigt und eben unvermeidlich.

Genau in die entgegengesetzte Richtung geht eine andere Meinung, die man allenthalben hört oder auch liest. Sie lautet: Ich habe nichts zu verbergen; folglich habe

ich keine Scheu oder gar Angst vor den verschiedensten Kontrollen. Die Polizei darf ruhig zuschauen, wohin ich gehe, und prüfen, was ich tue und mit wem ich im Auto durch die Gegend fahre.

Diese Haltung, meine Damen und Herren, halte ich für gefährlich. Schon zu ganz anderen Zeiten wurde in Deutschland so argumentiert.

Meine Damen und Herren! Unser Innenminister ist sachlich und fachlich sehr konzentriert auf die einzelnen Punkte der geplanten Gesetzesänderung eingegangen. Es genügt deswegen, wenn ich zu den drei hauptsächlich in Frage stehenden Punkten nur noch ein paar kurze Anmerkungen mache.