Protocol of the Session on May 4, 2000

(Lachen und Unruhe bei der CDU - Herr Dr. Daehre, CDU: Oh!)

Wer Ängste von Menschen ernst nehmen will, darf nicht zugleich ihre Rechte beschneiden. Unter Tagesordnungspunkt 2 wird Frau Tiedge die alternativen Ansätze der PDS-Fraktion im einzelnen erläutern.

(Zuruf von Herrn Becker, CDU)

In meiner Zusammenfassung ziehe ich das Memorandum des renommierten interdisziplinären Arbeitskreises „Innere Sicherheit“ aus dem Jahre 1998 heran, der folgendes schreibt - ich zitiere -:

„Ein Verständnis von innerer Sicherheit dagegen, welches vor allem eine Aufrüstung des Staates und die Beauftragung seiner Sicherheitsinstitutionen mit immer rigideren Zwangsmitteln und Befugnissen betreibt, ist weder geeignet, die gesellschaftlichen Gefühle der subjektiven Verunsicherung zu beruhigen, noch die objektiven Gefährdungspotentiale aufzulösen.

Die Bekämpfung der allgemeinen und organisierten Kriminalität, des Drogenhandels und des

politischen Extremismus rechtfertigt nicht aus der Natur der Sache jede Form der Beschränkung von Grundrechten oder andere Eingriffe in die bürgerlichen Freiheitsrechte. Der zu beobachtende beständige Rückgriff auf das Uralt-Argument der Staatsraison, der brave Bürger habe nichts zu befürchten, ist in seiner geistigen Flachheit wie eh und je nicht zu überbieten, doch scheinbar zeitlos wirkungsvoll.

Ein inhaltlicher Wechsel in der Politik der inneren Sicherheit muß vor allem diese selbstgefällige Reminiszenz des Obrigkeitsstaats überwinden. Innere Sicherheit läßt sich nicht durch staatlich exekutierte Sicherheit allein herstellen. Ein Zustand innerer Sicherheit wird sich nur dort einstellen, wo die wesentlichen gesellschaftlichen Konflikte wenn schon nicht sämtlich gelöst, doch zumindest als Aufgabe des politischen Gemeinwesens verstanden und behandelt werden.“

(Zustimmung von Frau Bull, PDS, und von Herrn Gallert, PDS)

Insgesamt sind die Versuche zur Verschärfung des Polizeirechts in die Strategie der Vorverlagerung polizeilicher Ermittlungs- und Eingriffsbefugnisse in den sozialen Raum einzuordnen, also in die Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten. Der große Lauschangriff war offensichtlich nicht der letzte Angriff auf diese Schutzrechte des einzelnen.

Die PDS-Fraktion lehnt aus den genannten Gründen diesen Gesetzentwurf grundsätzlich ab. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Wir begrüßen Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Jessen.

(Beifall im ganzen Hause)

Für die Fraktion der FDVP erteile ich der Abgeordneten Frau Wiechmann das Wort. Bitte, Frau Wiechmann.

(Oh! bei der PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren der PDS-Fraktion, Herr Gärtner, es ist für mich nicht nur erstaunlich, sondern auch sehr bedenklich, daß gerade die PDS-Fraktion sich als Hüter der Demokratie und der Freiheitsrechte der Bürger aufspielt.

(Zustimmung bei der FDVP - Unruhe bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Als Quasi-Koalitionspartner der SPD macht die PDS-Fraktion Verrenkungen und Verdrehungen, wenn es darum geht, der Exekutive die Instrumentarien an die Hand zu geben, mit denen sie aus präventiven Gründen den Auftrag wahrnehmen kann, der ihr vom Gesetzgeber aufgetragen wurde.

Herr Gärtner, nachdem Sie sich am 27. April 2000 in der „Volksstimme“ zur Novellierung des Polizeirechts geäußert haben, machen Sie in Ihren heutigen Äußerungen ein erneutes Mal den Bock zum Gärtner; denn offenkundig sind Ihnen alle Rechtsgebiete unbekannt. Dennoch geben Sie sich „sachverständig“,

(Zuruf von Frau Dr. Weiher, PDS)

und Sie beziehen auch rechtliche Positionen. Ich sage Ihnen an dieser Stelle zu Ihrer Kenntnis: Das Polizeirecht kennt weder Inhalte noch die Begriffe „schuldig“ und „unschuldig“. Herr Gärtner, das sind Termini des Repressionsrechts. Ebenso unsinnig ist Ihre Behauptung, daß das Versammlungsrecht über dem Polizeirecht stehe.

Herr Gärtner, beschäftigen Sie sich mit der Normenhierarchie und ziehen Sie daraus dann die rechtlichen Schlüsse.

(Zustimmung bei der FDVP)

Meine Damen und Herren! Die Fraktion der FDVP begrüßt dem Grunde nach das Vorhaben der Landesregierung, das Polizeirecht funktionsfähig und effektiv zu gestalten. Gleichwohl erachten wir es als notwendig, über den Entwurf im Ausschuß zu beraten, damit die im Vergleich zum Ausgangsentwurf vorgenommenen Entschärfungen nochmals diskutiert und wieder in die Beratungen eingebracht werden können. Genau darauf zielt unser Änderungsantrag ab.

Vier Rechtspositionen sollen von mir beleuchtet werden, und zwar die verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen, die Regelung zum erweiterten Platzverweis, die Aufzeichnung von Notrufen sowie die sogenannte Videoüberwachung.

Die verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen sind als ein erster Schritt zu einer umfassenden Regelung gemäß § 14 Abs. 3 SOG nur begrenzt geeignet, das gesetzliche Ziel zu erreichen. Die Beschränkungen der Kontrollen auf Bundesfernstraßen ist lebensfremd. Der Entwurf hätte unserer Meinung nach die Bundesautobahnen, Europastraßen und andere Straßen von erheblicher Bedeutung ausweisen müssen; denn die von dieser Vorschrift zu erfassenden Straftäter und Verdachtspersonen erachten letztlich jede Straße als geeignet und gefahrlos, wenn auf dieser aus rechtlicher Gründen keine verdachtsunabhängigen Kontrollen durch- geführt werden dürfen.

Zu bemängeln ist darüber hinaus, daß die öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs nicht als Kontrollobjekte in die Vorschrift aufgenommen wurden. Diesbezüglich besteht Beratungs- und Regelungsbedarf, ebenso im Hinblick auf die Eingrenzung der Straftaten von erheblicher Bedeutung.

Auch die beabsichtigte Ergänzungsvorschrift des § 16 Abs. 2 SOG erweist sich als ein Raubtier, dem alle Zähne gezogen wurden; denn welchen Sinn hat die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen, wenn diese zwar übertragen, aber nicht aufgezeichnet werden dürfen? Die beabsichtigte Novellierung des § 16 Abs. 2 SOG erinnert fatal an die Situation, daß der Kapitän eines Luxusliners das Schiff mit Rettungsbooten ausstattet, um unterzugehen. Das Gegenteil sollte der Fall sein.

Auch die örtliche Eingrenzung von Bild- und Tonaufnahmen im Rahmen des § 20 Abs. 2 Nr. 1 SOG wirft mehr Fragen auf, als sie eigentlich klärt. Ihre inhaltliche Ausgestaltung sollte sich an Artikel 13 Abs. 1 Nr. 3 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes orientieren. Damit wäre zweierlei erreicht. Zum einen wäre der gefährdete Überwachungsraum umfassend abgedeckt, zum anderen wären auch unbeteiligte Dritte in den Schutzbereich des § 20 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 16 Abs. 2 einbezogen. Um den berechtigten Interessen der unbeteiligten Dritten entsprechen zu können, würde es sich

anbieten, aufgezeichnete Bild- und Tonaufnahmen und daraus gefertigte Unterlagen spätestens zwei Monate nach der Datenerhebung zu löschen oder zu vernichten, soweit diese nicht zur Verfolgung von Straftaten benötigt werden.

Bemerkenswert ist schließlich, daß die Landesregierung bei § 23 a des Entwurfes die Aufzeichnung von Anrufen über Notrufeinrichtungen als zulässig erachtet, während sie das bei § 16 Abs. 2 nicht will. Inhaltlich bestehen hier nur graduelle Unterschiede.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 des Entwurfes unterliegen von unserer Seite keiner Kritik. Allerdings erscheint die Befristung der Platzverweise nach Satz 1 auf nicht mehr als vier Tage, während sie bei Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz nicht mehr als 14 Tage betragen soll, nicht sachgerecht. Hier ist eine Vereinheitlichung der Befristung geboten. Sie sollte im Interesse der Rechtsgleichheit nicht mehr als 14 Tage betragen. Dafür spricht auch, daß sich die Vorbereitung von Straftaten, die noch nicht strafbarer Versuch sind, in der kriminellen Intensität von den Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz deutlich nach oben hin abheben kann.

Kommen Sie bitte zum Ende. Sie haben Ihre Zeit bereits überzogen.

Danke, Herr Präsident. - Letzter Satz: Meine Damen und Herren! Ein Blick auf die Chaostage in Hannover reicht aus. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDVP)

Danke sehr. - Für die Fraktion der CDU spricht nunmehr der Abgeordnete Herr Becker zu Ihnen. Bitte sehr, Herr Becker.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sage: Endlich! Deshalb begrüßt es die CDU-Fraktion, daß die Landesregierung, wenn auch unter gewissen Geburtswehen und erheblich verzögert, den Gesetzentwurf zur Änderung des Polizeigesetzes eingebracht hat und sich parlamentarisch auf die Position der CDU und anderer Bundesländer, die auch SPD-geführt sind, zubewegt.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Büchner, DVU-FL, und von Herrn Montag, DVU- FL)

Lassen Sie sich daran erinnern, daß die CDU-Fraktion bereits im Juli 1998 eine Anhörung zur Novellierung des Polizeigesetzes durchgeführt hat. Fachleute aus BadenWürttemberg und Sachsen, Vertreter der Berufsverbände und der Polizei waren zugegen. Wenig später haben wir dann den Gesetzentwurf zur Stärkung der inneren Sicherheit in den Landtag eingebracht. Dort schmort er seitdem.

Nach fast zwei Jahren hat sich die Landesregierung nunmehr dieses Problems intensiv angenommen. Die verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen der CDU finden sich im Regierungsentwurf als lagebildabhängige Kontrollen wieder. Die von der CDU vorge

schlagenen Aufenthaltsverbote werden von der Regierung als erweiterte Platzverweise aufgegriffen, und schließlich findet im Regierungsentwurf auch die CDUForderung nach einer Videoüberwachung ihren Niederschlag.

Wir haben immer unsere grundsätzliche Zustimmung für den Fall betont, daß sich die Regierung erkennbar auf unsere Position zubewegt, und dabei bleiben wir. Der CDU geht es um die Sache. Diese Sache heißt schlicht und ergreifend: mehr Sicherheit für unsere Bürger.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDVP und von Herrn Büchner, DVU-FL)

Das, meine Damen und Herren, ist der gemeinsame Nenner, der uns insoweit auch mit der Landesregierung und insbesondere mit dem Innenminister verbindet.

Ich würde den Skeptikern in der SPD und den Kritikern des Polizeigesetzes in der PDS einmal wünschen, sich nur eine Woche als Bürgermeister oder Landrat die Sorgen und Nöte der Bürger auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung anhören zu müssen.

(Zuruf von Frau Dirlich, PDS)

- Als Landtagsabgeordneter ist das noch etwas anderes. Da hängt man quasi zwischen Baum und Borke. Aber als Bürgermeister stehen Sie vorn an der Front.

(Zustimmung bei der CDU und bei der DVU-FL)

Da würden Sie schnell eines Besseren belehrt werden und würden erkennen, daß die jetzt vom Innenminister vorgeschlagenen Regelungen notwendig sind.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Wir haben auch Bürger- meister; die kommen nicht zu den gleichen Schlußfolgerungen!)