Protocol of the Session on April 7, 2000

(Zuruf von Herrn Remmers, CDU)

Nun, Herr Remmers, man muß eine Entwicklung zunächst einige Jahre laufen lassen, bevor man sie evaluiert.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Das hätten Sie früher beim zwölfjährigen Abitur machen sollen!)

Gleich am Anfang mit der Evaluierung zu beginnen ist doch Unsinn.

Das heißt, wir müssen die quantitative Seite, bei der im Jahr 1992 Punkte in bezug auf demographische Entwicklungsstudien, das Wahlverhalten hinsichtlich der Studienfächer und die Wanderungsbewegungen nicht bekannt waren bzw. anders gewichtet wurden, untersuchen und zu neuen Überlegungen für unsere Planungen kommen. Wir müssen aber auch in einer Feinsteuerung gemeinsam mit den Hochschulen bestehende oder entstandene Verwerfungen abbauen und gleichzeitig den Hochschulbereich durch Stärkung der innovativen und zukunftsfähigen Arbeitsgebiete attraktiv machen.

Dabei will ich auch sagen, weil ein Teil der Großen Anfrage sich mit Betreuungsrelationen beschäftigt, wir dürfen nicht nur den Studentenentwicklungen hinterherlaufen. Diese Diskussion muß qualitative und quantita- tive Aspekte berücksichtigen.

Wir haben Traditionsstandorte, wir haben kleine Fächer, die allerdings eine Querschnittsfunktion für die Hochschulentwicklung beinhalten. Deshalb dürfen wir nicht nur die Relationen betrachten. Aber wir müssen uns diese Relationen zu Recht vorhalten lassen.

Die Fragen, die im Prozeß der weiteren Ausgestaltung der Wissenschaftslandschaft geklärt und beantwortet werden müssen, müssen, glaube ich, schonungslos auf den Tisch. Deshalb will ich sagen, weil Sie es angesprochen haben, wir haben die Defizite gemeinsam zu verantworten, und es wird höchste Zeit, sie anzusprechen.

Ich nehme für mich in Anspruch, ich habe dieses Thema angesprochen und ich habe mich, auch abweichend von Entwicklungen in den letzten Jahren und in dem ganzen Jahrzehnt davor, durchaus einem Prozeß gestellt, bei dem man nicht so viele Blumentöpfe gewinnen kann und bei dem man sehr leicht angreifbar wird, sobald man

eine Frage stellt, gerade weil die ganze Sippe dann mit ihren jeweiligen Interessen über einen herfällt.

Deswegen sage ich, an Mut gebricht es mir nicht. Es geht um ein anderes Vorgehen, nämlich um die Frage, soll der Staat entscheiden, welche Studiengänge mit welchen Kapazitäten an welcher Stelle errichtet werden sollen, oder wollen wir dieses in einem diskursiven Prozeß gemeinsam mit den Hochschulen entwickeln. Ich setze abweichend von Ihrer Meinung auf den anderen Weg. Ich komme auf die Budgetierungsfrage, die dann als Antwort naheliegt, gleich noch zu sprechen.

Wir müssen allerdings in diesem diskursiven Prozeß die Frage der Einrichtung von Studiengängen und der weiteren inhaltlichen Profilierung stärken. Lassen Sie mich dabei noch einmal deutlich betonen - ich habe diesen Satz hier schon einmal gesagt -: Die Hochschulen sind keine nachgeordneten Einrichtungen des Staates. Sie sind für ihre eigene Entwicklung verantwortlich. Sie sind aber dem Land gegenüber, das ich in diesem Geschäftsbereich vertrete, rechenschaftspflichtig.

Deshalb - das ist zwangsläufig - ergibt sich daraus, daß es keine eigenständige Planungshoheit des MK in diesem Bereich gibt, sondern ein Miteinander, in dem wir um die beste Lösung ringen, einen kritischen Dialog.

Natürlich hat die Landesregierung in diesem Gespräch Vorstellungen und Positionen, genauso wie die Hochschulen. Natürlich fallen diese Vorstellungen in Teilen auseinander. Deshalb wird es schwierige Gespräche miteinander geben.

An einigen Stellen - das ist immer das Problem einer solchen Großen Anfrage - sind wir weiter als zum Zeitpunkt der Fragestellung. Ich nenne beispielhaft die Festlegung von 33 000 Studienplätzen als Zwischenausbauziel für das Jahr 2010. Da haben wir einen Punkt gesetzt und gesagt, das werden wir abarbeiten müssen. Andere Ziele sind in diesem Zusammenhang in den letzten Tagen öffentlich diskutiert worden.

Mir ist vorgeworfen worden, daß wir mit der Reduzierung auf diese Zwischenzielzahl von 33 000 Studienplätzen insgesamt lediglich die Entwicklung der Demographie nachzeichnen. Von Visionslosigkeit war die Rede.

Lassen Sie mich in aller Klarheit sagen, die Festlegung von 33 000 Studienplätzen als Zwischenausbauziel für das Jahr 2010 ist ein Bestandteil einer ziemlich mutigen und vorwärts gewandten Prognose. Das Nachzeichnen der Demographie - das geht aus den vorliegenden Zahlen hervor - hätte eine Studienplatzzahl von etwa 18 000 zur Folge gehabt. Hier liegt ein gewaltiges Stück Arbeit vor den Hochschulen, vor der Poli- tik und der Administration.

Wenn wir bis zum Jahr 2010 und in den Folgejahren 33 000 oder sogar mehr Studenten und Studentinnen im Lande haben wollen, dann müssen wir die Studierquote der Hochschulzugangsberechtigten erhöhen, also den Übergang derjenigen, die eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben. Wir müssen den negativen Wanderungssaldo umdrehen und junge Erwachsene ins Land holen, und wir müssen mehr ausländische Studierende für Sachsen-Anhalt gewinnen.

Dazu gibt es gute Ansätze in den Hochschulen: ein dauerhaft gutes Betreuungsverhältnis, teilweise, wie die Zahlen zeigen, ein sehr gutes Betreuungsverhältnis, das ein zügiges und qualitativ hochwertiges Studium ermöglicht; praxisorientierte kompakte Studiengänge mit

internationaler Ausrichtung, um nur einige Faktoren zu nennen.

Wir brauchen auch im Hinblick auf die finanziellen Möglichkeiten des Landes Strategien, um diese Vorzüge besser auszuprägen, Profilbildung und Konzentration zu ermöglichen. Dies bedeutet auch Strukturveränderungen.

Ich möchte einige Beispiele nennen. Ich glaube, es kann dauerhaft nicht angehen, daß die Betreuungsverhältnisse zwischen Hochschullehrern und Studierenden von 1 : 11 in der Verfahrenstechnik in Magdeburg bis 1 : 86 in den Wirtschaftswissenschaften auseinanderfallen oder von 1 : 10 in der Chemie bis zu 1 : 94 bei den Juristen.

Bei allen strukturellen Unterschieden zwischen den Studiengängen, die auch unterschiedliche Betreuungsverhältnisse bedeuten können, ist dieses Auseinanderklaffen dauerhaft sicherlich nicht der richtige Weg. Wenn wir das wissenschaftliche Personal einbeziehen, kommen wir zu anderen Punkten.

Ich glaube, der Weg geht dahin, wir müssen die Flexibilität erhöhen. Deshalb, Herr Remmers, brauchen wir in etwa einen Korridor von 65 % befristet besetzten Qualifikationsstellen. Dabei geht es nicht um 1 % mehr oder weniger. Aber die derzeitige Situation stellt eine Blockade von Entwicklungsmöglichkeiten und Nachwuchsqualifizierung dar.

Wir müssen den Bund unterstützen bei der Schaffung der rechtlichen Grundlagen für Assistenzprofessuren. Wir müssen junge Leute früher in die Lehre bringen. Ich glaube, darüber gibt es Konsens.

Das ausgewogene Verhältnis zwischen den Hauptgruppen 4 und 5 bis 8 haben Sie angesprochen. Ich sage ganz klar: Ein ausgewogenes Verhältnis bedeutet, wir müssen unter 80 % Personalkosten kommen, damit die Hochschulen selber - das ist ein Teil des Budgetverständnisses - überhaupt den Spielraum haben, um die entsprechenden innovativen Anstöße beispielsweise im Bereich der Gerätebeschaffung, der apparativen Ausstattung, aber auch der Forschungsaktivitäten zu leisten.

Dies ist, wie so vieles, ein Durchschnitt, bei dem man sich auch an anderen orientiert. Ich meine, daß der derzeit bestehende Anteil der Personalkosten von 86 bis 87 % einfach die innovativen Spielräume erdrückt. Das ist ein Umbauauftrag, den wir unterstützen müssen.

Ich sage ganz offen, an dieser Stelle übernimmt das Land die Verantwortung. Wir richten Projektgruppen mit den Hochschulen ein, an denen das MK beteiligt ist. Unser gesamter Geschäftsbereich wird diesen Prozeß unterstützen, um den Hochschulen zu helfen. Ich nehme ihnen aber auch nicht vollständig die Verantwortung ab und sage: Jetzt löst Vater Staat euer Problem, das ihr in den letzten Jahren teilweise mitverantwortet habt. - Eine beiderseitige Verantwortung ist notwendig.

Die Budgetierung haben Sie angesprochen. Die Universitäten brauchen wie die Fachhochschulen verläßliche Eckwerte für die nächsten Jahre für eine Planung. Aber wir müssen die strukturellen Verwerfungen durch besondere Instrumente lösen, beispielsweise - dazu werden wir Vorschläge in den Haushaltsberatungen für das Jahr 2001 unterbreiten - durch die Herausnahme eines Teils der Personalfinanzierung, die nur zur Bewirtschaftung übertragen wird, dort, wo wir Verwerfungen erken

nen. Darüber werden wir im Herbst bei der Aufstellung des Haushaltes diskutieren.

Für Studiengebühren werden Sie mich nicht erwärmen können. Ich glaube, daß gerade im Osten die prohibitiven Folgen solcher Studiengebühren verheerend wären und wir einen gegenteiligen Effekt bekämen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Dr. Sitte, PDS, und von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner)

Wir würden damit auf Dauer weniger Studierende haben.

Wir haben für diesen Prozeß nicht endlos Zeit. Deshalb werden in den nächsten Wochen gemeinsam mit den Hochschulen Projektgruppen eingerichtet zu Themen wie der Stellenentwicklung, der Personalwirtschaft, zu Multimedia/Telematik, aber auch zu den Aufgabenprofilen und der Effizienz der Hochschulverwaltung. Auch ihre Ausstattung werden wir untersuchen. Wir werden uns der Frage der Lehrerbildung und der Fächerstruktur an den Fachhochschulen und den Universitäten zuwenden.

In diesen Projektgruppen werden alle Hochschulen oder die Betroffenen vertreten sein. Das heißt, die Sippen werden auch wechselseitig ihre Interessen auf den Tisch legen müssen, um bei Ihrem Bild zu bleiben. Sie wissen sicherlich, wie produktiv so mancher Streit über den Gartenzaun hinweg dann sein kann, wenn ein Dritter dabei ist, der beiden Seiten einmal den Spiegel vorhält. Diese Rolle werden wir einnehmen.

Wir werden Vorschläge für die weitere Entwicklung unterbreiten. Wir werden aber auch eine extern besetzte Arbeitsgruppe bei mir im Ministerium einsetzen, die diese Außensicht auf die Situation im Land widerspiegelt, damit wir auch Grundlagen haben, die nicht nur sippenintern sind.

Vor diesem Hintergrund begrüße ich den Antrag der SPD-Fraktion, weil ich glaube, daß die regelmäßige Diskussion dieser Fragen auch im Bildungsausschuß uns insgesamt weiterbringt; denn wir haben in der Tat ein gemeinsames Problem vor uns. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von der Regie- rungsbank)

Herr Minister, würden Sie noch eine Frage beantworten, die Herr Dr. Bergner stellt?

Selbstverständlich.

Bitte schön.

Herr Minister, die Zielzahl 33 000 flächenbezogene Studienplätze spielt ja nun offenkundig für die Planung eine erhebliche Rolle. Sie taucht in der Antwort auf die Große Anfrage noch nicht auf, aber inzwischen kennen wir sie alle.

Was aber in der Antwort auf die Große Anfrage steht, ist die Vorausschätzung der Zahl der Studienberechtigten in den nächsten Jahren. Wenn ich mir die anschaue und

einmal das Jahr 2001, das mit der unglücklichen Einführung des 13. Schuljahres verbunden ist,

(Unruhe bei der SPD)

als irrelevant betrachte, wird der Rückgang der Zahl der Studienberechtigten erst nach 2010 relevant. Meine Frage ist: Welche Planungsrelevanz, auch Haushaltsplanungsrelevanz, hat denn die veränderte Zielgröße in der Zeit vor 2010?

Herr Dr. Bergner, ich habe das auch mit den Hochschulrektoren so besprochen: Diese Zahl soll einen Rahmen darstellen für die weitere Entwicklung des Baugeschehens und der Berufungen. Diese Zahl ist insoweit - ich habe versucht, das darzulegen - keine Planzahl, von der wir sagen können, diese Zahl von Studierenden werden wir exakt zu diesem Zeitpunkt erreichen.

Sie haben recht: Nach 2010 wird es in der Tat einen weiteren Rückgang der Zahl der Hochschulzugangsberechtigten geben. Allerdings sehen wir auch, daß wir bei den Geburtenzahlen, die in Sachsen-Anhalt einen Tiefpunkt mit knapp unter 14 000 hatten, inzwischen wieder bei 17 000 bis 18 000 Geburten angekommen sind. Wir haben also ein zeitlich begrenztes Phänomen, allerdings in einer solchen zeitlichen Ausdehnung, daß es außerordentlich relevant ist.

Deswegen hat die Landesregierung gesagt: Wir verabschieden uns auch vor dem Hintergrund der Berufswahlfreiheit von der definitiven Festlegung. Wir sagen vielmehr: Eine Zwischenzielzahl für das Jahr 2010 bedeutet jetzt, daß sich die Hochschulen in ihren weiteren Entwicklungen an einem engeren Korsett orientieren müssen, um Prioritätenentscheidungen auch für zukunftsrelevante Bereiche zu treffen. Die Zwischenzielzahl bedeutet aber auch, daß man dies selbstverständlich in den Jahren 2007, 2008 und 2009 vor dem Hintergrund der weiteren Entwicklung erneut wird überprüfen müssen.

Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sich beispielsweise der Anteil der Studierenden entwickeln wird, wenn sich die konsekutiven Studiengänge durchsetzen, das heißt, wenn in stärkerem Maße Studiengänge von drei Jahren, also in derselben Zeit, in der ich auch eine duale Ausbildung absolviere, an Hochschulen, an Fachhochschulen, auch an Universitäten als eine akademische Grundausbildung angeboten werden. Es könnte sein, daß wir dann zu Übergangszahlen kommen, wie sie beispielsweise im US-amerikanischen Raum oder auch in Dänemark und anderswo üblich sind.

Deswegen, glaube ich, hat es keinen Sinn, abschließende Festlegungen zu treffen, sondern wir müssen erkennen, daß wir uns hierbei in einem Prozeß befinden. Aber es hat auch keinen Sinn, zu sagen, jetzt orientieren sich alle an den 44 000, weil dies zwangsläufig Verwerfungen produziert. Ich habe Ihnen in der letzten Debatte über den Gesetzentwurf einige Beispiele genannt, die sich zwangsläufig ergeben. Die starken Fachbereiche setzen sich durch und saugen sich voll auf der Basis dieses zu weiten Rahmens. Deshalb verlangen wir von den Hochschulen jetzt Prioritätenentscheidungen auf einer Basis, von der wir glauben, daß sie mindestens für die nächste Dekade planungsrelevant sein wird.