Nach meiner Meinung und nach Meinung unserer Fraktion sind all diese Punkte als Voraussetzung für ein solches Gesetzeswerk zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben.
Ich will es gleich am Anfang sagen, damit ich das loswerde. Mich hat doch etwas betroffen gemacht, daß uns bei der Diskussion um Einzelstandorte, beispielsweise Genthin und Staßfurt - ich will besonders auf Genthin eingehen -, auch von den Fraktionen der Regierungsparteien, sage ich einmal, PDS und SPD, signalisiert worden ist: Eigentlich habt ihr recht; aber wir können Frau Schubert nicht auch noch das antun.
Meine Damen und Herren! Man muß sich darüber im klaren sein, daß die Rücksichtnahme auf das Gesicht der Ministerin so wichtig ist, daß deswegen Genthin sein Amtsgericht verlieren wird.
(Beifall bei der CDU - Herr Bullerjahn, SPD: Herr Remmers! - Herr Dr. Rehhahn, SPD: Das sind Legenden, Herr Remmers!)
Nun weiß ich, wie sehr auch in der Politik persönliche Rücksichtnahmen eine Rolle spielen und daß ein großer Teil unserer Fehler daher rührt, daß wir den Leuten nicht unbedingt ins Angesicht widerstehen mögen. Aber ich finde schon, wir sollten niemandem in diesem Hause Amtsgerichte opfern.
Wir haben auch gesagt: Wenn wir denn schon die für uns zur Unzeit stattfindende Regelung nicht verhindern können, wollen wir im Interesse der Erhaltung möglichst vieler funktionierender Standorte sogar kompromißbereit sein. Das hätte natürlich - so schlau waren wir auch - bedeutet, daß wir von etwa sechs Amtsgerichten hätten sagen müssen, daß sie wirklich sehr klein sind und daß uns da das Argumentieren schwer fällt. Wir haben uns sehr darauf konzentriert, nur ganz intensiv für die Standorte zu argumentieren, die wir wirklich für vertretbar halten.
Ein solches Angebot - die Ausschußmehrheit ist ja spannend, sechs Jastimmen, fünf Neinstimmen und zwei Enthaltungen - hätte möglicherweise auf einer gegenüber dem, wie ich finde, brutalen Abschneiden an manchen geschichtlichen Standorten der Gerichte in diesem Lande sehr viel breiteren Basis gestanden, und wir hätten das dann gemeinsam tragen können. Aber - ich sage das in Richtung Genthin - das konnte man der Ministerin nicht antun.
Richtig ist, daß seit langem - ich glaube, der erste Ansatz war etwa 1976 in den alten Bundesländern unter Jochen Vogel - ein Vorschlag vorhanden war, die Dreistufigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit einzuführen. Da gab es den Begriff der Eingangsgerichte, Mindestzahl der Gerichtseingesessenen: 100 000. Der Gesetzentwurf lag vor. Das war ein Referentenentwurf, der voll ausformuliert war: mindestens 100 000 Gerichtseingesessene und nur in extremen Ausnahmefällen - das betraf etwa Lüchow-Dannenberg und den Zonenrand im Westen - 75 000, aber darunter unter gar keinen Umständen.
Sie sprechen immer von Eingangsgerichten. Die jetzt im Stadium des Entwurfs vorhandenen Überlegungen auf Bundesebene sehen ein Eingangsgericht in dieser Form gar nicht vor; da geht es nur um die Rechtsmittelreform. Sie haben vorhin sehr schön dargelegt, wieviel Mehrarbeit im Zivilgerichtsbereich auf die Amtsgerichte zukommt.
Es geht also nicht nur, was Sie zitiert haben, um die Argumentation der Kommunen, sondern auch der Richterbund hat argumentiert und hat gesagt: Wenn es diese Reform auf Bundesebene gibt, dann wird das zu einer Mehrbelastung der Amtsgerichte führen mit der Notwendigkeit, dort mehr Richter einzusetzen.
Sie machen es immer an der Richterzahl fest. Wenn ich jetzt schon weiß, daß die Reform mehr Richter an die Amtsgerichte transportiert, kann ich nicht sagen: Ich mache dich jetzt schon zu, obwohl du das Gebäude hast, obwohl du funktionierst, weil ich genau weiß, demnächst bis du ein Sechs-Richter-Gericht. Dann ist doch das Argument, daß man das beseitigen muß, nicht mehr vorhanden.
Wir kommen zur falschen Zeit mit diesem Gesetzentwurf. Wir kommen auch aus einem anderen Grund zur falschen Zeit, wenn ich an die im Lande anstehenden Gebietsveränderungen, Verwaltungsreformen auf kommunaler Ebene und anderes denke. So bekommen wir möglicherweise ganz andere Zuschnitte und werden gezwungen sein, in eine zweite Runde zu gehen.
Ich prophezeie Ihnen - ich habe es schon im Ausschuß gesagt; ich werde wahrscheinlich nicht mehr dabeisein -: Sie werden in absehbarer Zeit über diese Reform neu nachdenken müssen, oder Sie werden auf diese Reform an anderer Stelle Rücksicht nehmen müssen. Beides wäre falsch. Deswegen ist der Zeitpunkt falsch.
Das zweite betrifft die Funktionsfähigkeit. Der Richterbund hat uns im einzelnen dargelegt, daß bei der überwiegenden Mehrzahl der Gerichte, insbesondere bei denen, deren Schließung wir bis heute zu verhindern versuchen, völlige Funktionsfähigkeit gegeben ist. Ich weise insbesondere auf Wanzleben, Genthin und Staßfurt hin. Wir wissen, daß diese Gerichte gut arbeiten.
Auch das Argument, die Arbeit werde besser, zieht ja nicht. Denn wir haben unsere Statistiken gelesen und wissen, daß die kurze Verfahrensdauer, von der so viel geredet wurde, und mithin die bürgerfreundlichen Entscheidungen - wir alle kennen den Spruch: Nur schnelles Recht ist gutes Recht - eher bei den kleinen als bei
den großen Amtsgerichten gegeben sind. Je größer das Amtsgericht, desto länger die Dauer. Das alles haben wir schon dargelegt.
Auch die kleinen Amtsgerichte sind funktions- und leistungsfähige Einheiten. Sie brauchen sich bei den Verfahren nicht zu verstecken.
Ich will auch eines sagen: Die ehemaligen Kreissitze werden hierbei wieder das Nachsehen haben. Was ich persönlich sehr bedauere, ist, daß auch geschichtliche Traditionen abgeschnitten werden, auf deren Basis man weiterarbeiten könnte.
Ich möchte an dieser Stelle noch eines sagen, damit es nicht untergeht. Auch zum Kostensaldo muß man etwas sagen. Man muß auch immer etwas zum Nachnutzungskonzept sagen. Dabei haben Sie ein echtes Problem mit Staßfurt. Das Gericht in Staßfurt in dieser Situation aufzulösen ist ein Fehler.
Das wird uns sehr viel Geld kosten, aber es muß ja so durchgezogen werden. Genthin jetzt aufzulösen, und das in Verbindung mit dem Entschließungsantrag der PDS, über den noch gesprochen werden muß, dem, wie ich gehört habe, eine Mehrheit sicher ist, dazu kann ich nur sagen: Wenn ich ein Gericht auflöse, es zur Zweigstelle eines anderen mache, kein Nachnutzungskonzept habe und mich dann auf eine Entschließung einlasse - -
- Natürlich weiß ich das, Frau Schubert; nun erwähnen Sie bitte nicht wieder die Polizei, das ist doch aus- gestanden.
Dann stimmen Sie einem Entschließungsantrag zu, in dem steht: Auf den anderen Standort, der jetzt schon auf drei Stellen im Ort verteilt ist, nämlich Burg, übertrage ich das als Nebenstelle, aber dort darf erst gebaut werden, wenn die Nachnutzung am Auflösungsstandort sichergestellt ist. Gerade dort sind die vollmundigen Versprechungen „Da geht die Polizei hinein“ gerade geplatzt, so daß ich nur sagen kann: Wer eine solche Entschließung mitbeschließt, tut dem ohnehin schon schlechten Gesetz noch richtig was in den Kaffee, wenn ich das mal so salopp sagen darf.
Ich möchte noch etwas zur Situation der Amtsgerichte vor Ort sagen. Wir sollten uns gemeinsam bemühen, die Amtsgerichte soweit wie möglich zu erhalten. Ich appelliere noch einmal an Sie, unserem Antrag, den wir schon eingegrenzt haben, zuzustimmen. Wir sind zwar der Meinung, daß man in Wanzleben und Oschersleben die falsche Entscheidung trifft, aber wir haben das im Antrag gar nicht mehr erwähnt, um Ihnen die Hand entgegenzustrecken und zu sagen: Leute, wollen wir uns nicht einmal Genthin und Staßfurt insbesondere wegen der Nachfolgeregelung genau angucken und dann sagen: Wir behandeln Genthin und Staßfurt so, wie wir Hettstedt und Osterburg behandeln.
Dann haben wir nämlich etwas gekonnt. Sie würden uns übrigens in ziemliche Verlegenheit bringen, wenn Sie es tun würden, weil wir dann nicht genau wüßten, wie wir uns verhalten sollten. Aber ich hoffe immer noch, daß Sie uns in diese Verlegenheit bringen. Ich denke, wir würden damit fertig werden.
Ich möchte die eineinhalb Minuten, die mir noch zur Verfügung stehen, dazu verwenden, zwei grundsätzliche Bemerkungen zu machen.
Erstens. Ich habe immer wieder gesagt, daß die Amtsgerichte die ausgestreckte Hand des Rechtsstaates zum Bürger hin sind. Wir sollten sie nicht an Stellen abschlagen, wo sie funktionieren und wo sie dem Bürger helfen können. In all den Anhörungen ist uns von den örtlichen Anwälten und Bürgern, Kommunalvertretern und Richtern gesagt worden, daß es funktioniert. Deswegen, meine ich, ist dies ein Fehler, insbesondere deshalb ein Fehler, weil es zur Unzeit kommt und weil es nicht eigentlich zukunftsgerichtet ist.
Es bleiben noch zwei Gesichtspunkte. Artikel 11 der Beschlußempfehlung ist bedenklich. Ich weiß nicht, ob es zulässig ist - deswegen werden wir auch dagegen stimmen -, Gerichte unter Auflösungsvorbehalt arbeiten zu lassen. Wenn ich in ein Gesetz oder in dessen Begründung schreibe, daß das Bestehen des Gerichts davon abhängen wird, ob das Gericht in den nächsten vier Jahren effektiv arbeitet, dann halte ich das für einen unzulässigen Eingriff in die Unabhängigkeit der dort arbeitenden Justiz.
Das zweite will ich zum Schluß wiederholen: Wir meinen, daß man bei dieser Gerichtsreform auch den Gleichheitsgrundsatz verletzt. In den Fällen, in denen man besondere Interessen vor Ort hat, wird etwas hin argumentiert, zum Beispiel in Osterburg, und in den anderen Fällen, in denen die Interessenlage oder die Durchsetzungsfähigkeit der Abgeordneten in den Fraktionen nicht so stark ist, geschieht das nicht.
Dies ist kein Gesetz, welches für die Struktur des Landes durchgängig gleiche Maßstäbe anlegt. Deswegen werden wir es mit der Einschränkung, daß wir warten, was aus unseren Anträgen wird, ablehnen.
Lassen Sie mich abschließend sagen, daß wir dem Gesetz nicht zustimmen werden. Wir werden insbesondere abwarten, was aus unseren Änderungsanträgen wird. Prinzipiell kann ich sagen, Frau Ministerin Schubert: Dieses Gesetz ist kein Fortschritt für unser Land.
Meine Damen und Herren! Bevor ich die nächsten Diskussionsbeiträge aufrufe, darf ich Damen mit Herren der Jungen Union Sachsen-Anhalts begrüßen.