Auch auf Bundesebene - Sie wissen das - werden ein Antidiskriminierungsgesetz und eine Vereinheitlichung der gesetzlichen Bestimmungen zur Eingliederung und zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen angestrebt. Die Bundesregierung plant, in einem neuen Behindertengesetz bis Anfang 2001 das im Grundgesetz verankerte Benachteiligungsverbot umzusetzen und die sozialen Angebote von bislang acht verschiedenen Leistungsträgern zu koordinieren und möglichst zusammenzufassen. Als Landesregierung werden wir diese Bestrebungen der Bundesregierung intensiv begleiten.
Die dortigen Entwicklungen sollten in der Diskussion auf Landesebene Berücksichtigung finden, um ein hohes Maß an Einheitlichkeit und ein abgestimmtes Vorgehen zu erreichen. Dazu bieten sich Diskussionen und Anhörungen über beide Gesetzentwürfe, den der SPD-Fraktion und den der PDS-Fraktion, in Abstimmung mit den Entwürfen der Bundesregierung an.
Auch im Bereich der gesetzlichen Regelungen für eine Integration von Menschen mit Behinderung bietet sich nach meiner Einschätzung eine Gesetzesfolgenabschätzung an, und zwar nicht nur hinsichtlich der Kosten, sondern auch bezüglich der Frage, ob die Instrumente die richtigen sind und damit die gewünschte Wirkung für Menschen mit Behinderung erzielt wird. Ich freue mich auf eine konstruktive Diskussion in den Ausschüssen.
Danke sehr. - Meine Damen und Herren! In der Fünfminutendebatte sprechen die Fraktionen in folgender Reihenfolge: Abgeordnete Frau Liebrecht für die CDUFraktion, Abgeordneter Herr Dr. Eckert für die PDSFraktion und Abgeordnete Frau Lindemann für die SPDFraktion. Die Fraktionen der DVU-FL und der FDVP haben auf einen Redebeitrag verzichtet. Bitte, Frau Liebrecht, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach zweijähriger Ankündigung liegt dem Landtag in der nun vorliegenden Drucksache der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD vor, der noch im Dezember des vergangenen Jahres als Referentenentwurf der Landesregierung in das Anhörungsverfahren mit den beteiligten Verbänden und Institutionen gegangen ist.
Im wesentlichen hat die Fraktion der SPD den Referentenentwurf der Landesregierung übernommen. Insbesondere drei Veränderungen sind festzustellen. Zum einen hat die Fraktion der SPD die Aufgaben des oder
der Landesbeauftragten für Behinderte im Vergleich zum Entwurf der Landesregierung reduziert - § 12 - Verstöße, verbindliche Verfahrensweisen - und zum anderen bei der Folgeänderung von Gesetzen die Änderung des Gesetzes zur Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs im Land Sachsen-Anhalt herausgenommen.
Im Gegensatz zum Gesetzentwurf der Fraktion der PDS für Chancengleichheit und gegen Diskriminierung von behinderten Menschen, der am 20. Januar dieses Jahres in erster Lesung im Landtag von Sachsen-Anhalt beraten worden ist, trifft der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD keine Aussage zum Verbandsklagerecht.
Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion stellt das Ziel der Gleichstellung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in den Vordergrund. Das Diskriminierungsverbot spielt im Vergleich zum Gesetzentwurf der PDSFraktion eine untergeordnete Rolle.
Allerdings sollte uns stets bewußt bleiben, daß nicht ausnahmslos alle Folgen einer Behinderung vermeidbar oder aufhebbar sind. So wird es trotz guten Willens und aller denkbaren Anstrengungen unmöglich sein, daß dem selbstbestimmten Leben des behinderten Menschen nichts mehr im Wege steht.
Die CDU-Fraktion ist bereit, mit allen Möglichkeiten behinderten Menschen zu helfen. Aber man muß auch die Grenzen des sogenannten Machbaren respektieren.
Wir wissen sehr wohl, wie verschieden die denkbaren Arten der Funktionsausfälle und deren Schweregrad sein können. Uns ist aber ebenso klar, wie verschieden sich eine Behinderung in den unterschiedlichen Lebenslagen und Lebensbereichen auswirken kann. Der Notwendigkeit zur Differenzierung tragen Gesetze weitgehend Rechnung.
Wir sollten uns vor Augen halten, daß das Verhältnis, in dem Behinderte und Nichtbehinderte im allgemeinen gesellschaftlichen Leben zueinander stehen, sich auf alle für die Integration behinderter Menschen bedeutsamen Bereiche auswirkt.
Erfahrungsgemäß hängen gerade die Ermessensentscheidungen zugunsten Behinderter wesentlich davon ab, ob und inwieweit dem Arbeitgeber, dem Bauplaner, dem Verwaltungsbeamten etc. die Lebensbedingungen behinderter Menschen bewußt sind oder ob diese gar nicht wahrgenommen bzw. verdrängt werden. Zu beobachten ist immer wieder, daß sich die persönlichen Einstellungen mit dem Eintritt des eigenen Betroffenseins, das jedem jeden Tag passieren kann, beispielsweise durch einen Unfall oder eine schwere Erkrankung, oftmals schlagartig ändern.
Es ist davon auszugehen, daß die an der Behindertenhilfe beteiligten Verbände das vorliegende Gesetz zweifellos als Qualitätsverbesserung bezeichnen werden. Es muß aber auch die Frage gestellt werden, zu welchem Preis diese Qualitätsverbesserung erreicht werden soll. Daß dies nicht ausschließlich bzw. einseitig zu Lasten der Kommunen erfolgen darf, dürfte mit Blick auf die zurückliegende Diskussion im Landtag bezüglich der Kommunalfinanzen im Rahmen der Haushaltsberatungen allen Fraktionen einleuchten.
Dies ist besonders mit Blick auf § 5 und § 9 des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD anzumerken. Hier fehlen klare Aussagen zur Kostenverteilung. Leider muß ich darauf aufmerksam machen, daß gerade im Hinblick auf die finanziellen Engpässe im Bund, im Land
oder in den Gemeinden sowie hinsichtlich der ausgabenintensiven Maßnahmen zur Herstellung angemessener Lebensbedingungen für Behinderte planvolles Handeln dringender denn je notwendig ist.
Ich denke, keine Fraktion wird das im Gesetzentwurf der Fraktion der SPD formulierte Ziel in Frage stellen. Der Gesetzentwurf soll in Verbindung mit dem Gesetzentwurf der Fraktion der PDS ausgiebig in den Ausschüssen diskutiert und beraten werden. - Vielen Dank.
Danke sehr. - Für die Fraktion der PDS spricht der Abgeordnete Herr Dr. Eckert. Bitte, Herr Dr. Eckert, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, heute zu Ihnen zum Gesetzentwurf der SPD zur Gleichstellung behinderter Menschen sprechen zu dürfen. Ich glaube auch sagen zu können, daß wir Ihren Entwurf mit großer Spannung erwartet haben. Diese Spannung ist mittlerweile, obwohl wir aufgrund von Informationen vorbereitet waren - man gibt aber die Hoffnung nicht auf -, der Ernüchterung gewichen.
Ich möchte einen Vergleich anführen. Ihr Entwurf ist pflegebedürftig, Stufe III mit Tendenz zum Härtefall.
Aber, um beim Thema zu bleiben, wir sind auch zur rehabilitativen und zur aktivierenden Pflege verpflichtet. Dieser Verpflichtung wollen wir uns als Fraktion auch stellen. Ihre Ausführungen, Frau Lindemann, insbesondere mit Bezug auf den gesellschaftlichen Hintergrund von Behinderung, veranlassen mich, die Hoffnung auszusprechen, daß das in bestimmtem Umfang gelingen möge.
Aber auch wenn die Barrieren im Kopf verschwinden müssen - dem stimme ich sofort zu -, wird die Barriere im Materiellen bleiben. Um sie zu beseitigen oder, was noch viel besser wäre, überhaupt nicht erst zuzulassen, benötigt man bestimmte Aufwendungen.
Was halten wir in dem Entwurf für beachtenswert? Volle Unterstützung findet der § 1, der das Ziel des Gesetzes beschreibt. Auch der § 3, überschrieben mit den Worten „Gemeinsame Verantwortung“, entspricht unseren Intentionen. Leider erweist sich diese Intention, da sie in den folgenden Paragraphen nicht weiter untersetzt wird, vor allen Dingen als eine Absichtserklärung.
Einen positiven Ansatz sehen wir in § 11 - Wohnungsbauförderung -, in dem die Vergabe von Fördermitteln an die DIN 18 025 als Zuweisungsvoraussetzung geknüpft wird. Hier muß, soll das im § 1 formulierte Ziel erreicht werden, weitergegangen werden. Warum, so fragen wir, wird das Wohnumfeld ausgeschlossen? Warum wird nicht grundsätzlich auf einen barrierefreien Lebensraum und damit auf die Erschließung von Synergieeffekten orientiert?
Als einen richtigen Ansatz betrachten wir es, daß mit dem Gesetzentwurf das Problem der Mobilität behinderter Menschen als wesentliche Voraussetzung für eine selbstbestimmte Lebensführung und zur Integration in
Arbeit, Beruf und Gesellschaft aufgegriffen wird. Indem aber im Absatz 2 vor allem auf das BSHG verwiesen wird, wird ein nicht zukunftsfähiger Ansatz zur Anwendung gebracht, da er mit dem Nachrangsprinzip belastet ist.
Hier und in anderen Paragraphen des vorliegenden Gesetzentwurfes kann ich mich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, daß es sich hierbei um ein Ausführungsgesetz zum BSHG, nicht um ein Gleichstellungsgesetz handelt. Ich bitte Sie deshalb, zu beachten, daß das BSHG eigentlich für Notlagen und außergewöhn-liche Ereignisse konzipiert wurde und daß es spätestens seit 1974 einen Diskurs darüber gibt, ob die Eingliederungshilfe im BSHG ordnungspolitisch richtig plaziert wurde.
Wir würden in diesem Zusammenhang aber gern im Grundsatz über die Finanzierung der Behindertenhilfe sowie über die Splittung von Zuständigkeiten in örtliche und überörtliche Träger, die auch inhaltlich untersetzt ist, diskutieren. Nach unserer Auffassung verhindert die Splittung die Herausbildung einer effektiven, kostengünstigen und gleichzeitig leistungsfähigen dezentralen Struktur der Behindertenhilfe.
Etwas eigenartig berührt uns das Ansinnen des § 8. Hier wird per Gesetz den kommunalen Körperschaften angeraten, bereits jetzt bestehende Möglichkeiten anzuwenden. Während durch andere Ministerien rigoros in die Struktur der Kommunen eingegriffen wird, agiert die SPD-Fraktion in der wichtigen Frage der demokratischen Mitwirkung betroffener Bürgerinnen und Bürger mehr als nur vorsichtig.
Erstens. Seitens der einbringenden Fraktion werden Diskussionen und Entwicklungen in anderen Bundesländern sowie im Bund nicht oder kaum berücksichtigt. Das ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar.
In Berlin wurde unter der Regie der großen Koalition von SPD und CDU ein Gleichstellungsgesetz verabschiedet, das seitens der Verbände scharf kritisiert und abgelehnt wurde. Um so unverständlicher ist es, daß in dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf wesentliche Punkte des Berliner Gesetzes nicht enthalten sind. Sie fehlen. Ich nenne unter anderem Regelungen zur Gebärdensprache und zur lautsprachbegleitenden Gebärde. Das Verbandsklagerecht ist zwar im Berliner Gesetz eingeschränkt, aber es existiert. Weiterhin geht es um Bestimmungen zur Beseitigung von Barrieren im Schulund Hochschulbereich.
Auch die Diskussionen in Niedersachsen - dort wurde im Dezember ein entsprechender Entwurf des Behindertenbeauftragten, Herrn Karl Finke, SPD, diskutiert - finden keine Berücksichtigung.
Zweitens. Sie bringen einen leicht geänderten Referentenentwurf der Landesregierung als Fraktion ins Parlament ein. Zu diesem Entwurf fanden verschiedene Diskussionen und Fachgespräche statt. In Ihrem Entwurf wird die Kritik der Verbände, der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, nicht aufgegriffen, in keinem einzigen Punkt.
Ich frage mich, wie das passieren kann. Warum greift man nicht wenigstens im Ansatz bestimmte Fragen auf?
Ich wollte noch darauf hinweisen, daß ich mich auf die Diskussion und auf die Gesetzesfolgenabschätzung freue; denn man sollte tatsächlich vieles einer genaueren Prüfung unterziehen. Es wird viel Geld ausgegeben. Wir sind der Auffassung, es müßte genauer geprüft werden, damit dieses Geld auch effektiv im Sinne von Gleichstellung und Förderung ausgegeben wird.
Nur noch einige Erwiderungen auf die Redebeiträge. Frau Liebrecht, wir haben uns fast an die Order von Herrn Dr. Bergner gehalten, keine Leistungsgesetze einzubringen, die viel Geld kosten. Darum haben wir sicherlich bei dem Thema ÖPNV etwas nachgedacht und haben das erst einmal herausgelassen. Aber wir können es natürlich im Ausschuß, wenn Sie sagen, woher wir das Geld nehmen sollen, mit hineinnehmen. Also, Sie sehen, wir sind da schon am Nachdenken.
Zu der Kritik, daß wir zur Zeit nicht sagen können, ob Kosten entstehen oder nicht: § 14 besagt, daß die Landesregierung aufgefordert wird, nach drei Jahren vor allem über die Folgen und Auswirkungen zu berichten.