Protocol of the Session on February 10, 2000

Dabei haben wir vor Augen, daß die Unterhaltskosten für Kinder, die sich am Existenzminimum orientieren, von der Geburt bis zum 18. Lebensjahr bereits vor einigen Jahren auf durchschnittlich 300 000 DM pro Kind geschätzt wurden und sich auch bei weiteren Kindern nur geringfügig ändern. Deshalb ist eine kategorische Umleitung von Ressourcen für junge Familien dringend notwendig. Dies haben wir bereits in der Debatte über die Volksinitiative „Für die Zukunft unserer Kinder“ deutlich gemacht.

Wenn die Schaffung der Wahlfreiheit zwischen Familien- und Erwerbsarbeit, die sowieso nur gering vorhanden ist, das Ziel ist, dann ist die Absicherung des Generationenvertrages der Zweck. Nach wie vor gehören Familien und alleinerziehende Mütter und Väter zu den traditionellen Risikogruppen, die in besonderem Maße vom Abgleiten in die Armut betroffen sind. Da Mütter mit zunehmender Kinderzahl auf eine Erwerbstätigkeit verzichten wollen oder müssen, war das Armutsrisiko schon früher hoch. Es hat sich in den 80er Jahren noch weiter erhöht. Daran hat sich bis heute leider nichts geändert.

Um hauptsächlich der sozialen Verarmung zu entgehen, werden immer weniger Kinder geboren. Die Ursachen sind vielseitig und komplex. Um nur einige wichtige Punkte zu nennen: die sich ständig verschärfenden Arbeitsmarktprobleme und der Umstand, daß im krassen Unterschied zu anderen Kulturkreisen Kinderlosigkeit hierzulande zunehmend akzeptiert wird, ohne die Folgen zu bedenken.

Unsere Forderung nach stufenweiser Erhöhung des Kindererziehungsgeldes resultiert auch aus der Tatsache, daß durchschnittlich noch immer 30 % der Frauen teilzeitbeschäftigt sind und Frauen 70 % aller sozialversicherungsfrei Beschäftigten ausmachen. Diejenigen, die sich für Kinder entscheiden und somit jedem Mitglied der Gesellschaft dienen, müssen künftig finanziell deutlich mehr entlastet, stimuliert und motiviert werden. Dann und erst dann wird sich auch die ideelle Akzeptanz der Kinder in unserer Gesellschaft wieder einstellen. Wir sind nun einmal eine konsum-geprägte, materialistische Gesellschaft.

Unser aller Ziel sollte also eine Verbesserung der familienwirtschaftlichen Voraussetzungen und eine ausgewogenen Balance zwischen Erziehung und Erwerbsarbeit sein, um dadurch einen Anreiz in Richtung Geburtensteigerung zu erreichen.

Anders ausgedrückt, meine Damen und Herren: Bei anhaltendem demographischen Trend und fehlender Entwicklungskultur würde sich die Bevölkerung SachsenAnhalts rein rechnerisch in nur 45 Jahren, also in drei Generationen, auf die Hälfte reduzieren. Ein Blick in das Statistische Jahrbuch reicht aus. Deshalb lautet unsere Forderung: Endlich höheres Kindererziehungsgeld.

Ich bedanke mich und bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der DVU)

Danke sehr. - Für die Landesregierung spricht Ministerin Frau Dr. Kuppe. Bitte sehr, Frau Dr. Kuppe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Ich mache eine Vorbemerkung. Familien zu stärken ist eine zentrale politische Aufgabe. Dafür hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr bereits viel getan und neben der steuerlichen Entlastung auch das Kindergeld erhöht. Diese Reform wird fortgeschrieben.

(Beifall bei der SPD)

Ergänzend dazu steht derzeit die Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes auf der Tagesordnung.

Der Antrag der DVU-Fraktion befaßt sich mit einer ungewöhnlichen begrifflichen Qualifizierung des Kindererziehungsgeldes. Im Fremdwörterlexikon des DudenVerlages, 6. Auflage von 1997, Seite 781, wird der Begriff „substituierend“ mit - ich zitiere - „austauschen, ersetzen, einen Begriff an die Stelle eines anderen setzen“ definiert. Ich gehe davon aus, daß sich die Fraktion der DVU mit ihrem Antrag dafür einsetzt, daß das Erziehungsgeld erhöht und die Laufzeit verlängert wird.

Die jährlichen Ausgaben für Erziehungsgeld im Lande Sachsen-Anhalt belaufen sich derzeit auf ca. 180 Millionen DM. Der vorliegende Vorschlag würde zusätzliche Ausgaben in Höhe von insgesamt rund 4,83 Milliarden DM in den nächsten sieben Jahren alleine in Sachsen-Anhalt erforderlich machen. Es wäre hilfreich, wenn die DVU Hinweise zur Aufbringung der Mittel geben könnte.

Derzeit befindet sich ein Gesetzentwurf des zuständigen Bundesministeriums zu einer Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes in der Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung. Die Landesregierung wird sich über den Bundesrat in dieses Gesetzgebungsverfahren einbringen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! In der Fünfminutendebatte ist die Reihenfolge PDS, CDU und DVU vorgesehen. Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Bull.

Meine Damen und Herren! Sie wissen genau wie ich: Wir haben bereits vor fast einem Jahr gemeinsam über die Reform des Bundeserziehungsgeldgesetzes an dieser Stelle beraten. Im Dezember 1999 hat sich der federführende Ausschuß mit dieser Frage befaßt, und wir haben uns vorgenommen, im zweiten Quartal dieses Jahres, wenn die Reform des Bundeserziehungsgeldgesetzes aktuell auf der Tagesordnung steht, diese Debatte fortzusetzen. So gesehen, taugt der uns vorliegende Antrag aus unserer Sicht bestenfalls zum Änderungsantrag innerhalb der Arbeit des Gleichstellungsausschusses.

Ich denke, wir sind uns mehrheitlich darüber einig, daß notwendige Reformen des Bundeserziehungsgeldgesetzes weitaus komplexer sein müssen, als es die bloße Forderung nach einer Erhöhung des Erziehungsgeldes ist. Im übrigen finde ich den jetzt angedachten Vorschlag der Bundesregierung, die Inanspruchnahme auch in der Höhe flexibel zu gestalten, weitaus spannender als den hier vorliegenden Antrag. Der vorliegende Antrag greift also auch inhaltlich erheblich zu kurz.

Im übrigen vermag ich nicht einzuschätzen, inwieweit die DVU-Fraktion in der Lage ist, der jeweils vorliegenden Tagesordnung in Gänze zu folgen. Ich denke, wir sollten bei der bewährten Verfahrensweise bleiben, mit eigenen politischen Vorhaben entweder rechtzeitig selbst initiativ zu werden oder aber dann zu reagieren, wenn andere die Initiative ergreifen. Für ein Nachkarten sollte es, meine Damen und Herren, gute Gründe geben. Diese liegen aus unserer Sicht hierbei nicht vor. Wir werden den Antrag ablehnen.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Herrn Dr. Nehler, SPD)

Danke sehr. - Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Herrn Schulze das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurde schon gesagt, daß sich der Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 14. April in eigener Regie mit dieser Sache befassen wird. Deswegen ist dieser Antrag jetzt nicht unbedingt hilfreich.

(Zuruf von Frau Wiechmann, DVU)

- Am 14. April, Frau Kollegin. - Deswegen denke ich, daß wir uns dort weiter über diese Angelegenheit unterhalten sollten. Der Antrag ist zur Zeit nicht hilfreich. Wir lehnen ihn ab. Den Rest meiner Rede gebe ich zu Protokoll.

(Zu Protokoll:)

Die CDU-geführte Bundesregierung hat seit 1982 die Familienförderung materiell weiterentwickelt und konzeptionell den Erfordernissen der modernen Gesellschaft angepaßt. Die Gesamtheit der finanziellen Leistungen des Bundes zugunsten der Familien ist von 27,6 Milliarden DM im Jahr 1982 auf 76,6 Milliarden DM im Jahr 1997 gestiegen.

Die CDU-geführte Bundesregierung hatte sich für die gegenwärtige Wahlperiode vorgenommen, Familienpolitik wieder stärker in den Vordergrund zu stellen. So wurde geplant, das vom Bund gezahlte eigenständige Bundeserziehungsgeld, das auf zwei Jahre nach der Geburt des Kindes ausgeweitet wurde und das verschiedene Bundesländer, die alle unter CDU- bzw. CSU-Regierung stehen, mit einem eigenen Landeserziehungsgeld im dritten Jahr ergänzen, weiter auszubauen.

Berechtigterweise wurde von Fachverbänden kritisiert, daß das Erziehungsgeld von monatlich 600 DM seit 1986 nicht mehr an die Preissteigerung angepaßt worden ist. Um den in diesem Zeitraum entstandenen Kaufkraftverlust aufzufangen, forderte zum Beispiel der Deutsche Familienverband eine Erhöhung des Erziehungsgeldes auf 1 000 DM monatlich und eine regelmäßige Anpassung an die Preissteigerung.

Nach Vorstellung der CDU sollten das Erziehungsgeld erhöht, die Einkommensgrenzen angehoben und das Antrags- und Bewilligungsverfahren vereinfacht werden. Dadurch sollte vor allem erreicht werden, daß wieder mehr Familien mit mittleren Einkommen über den sechsten Lebensmonat des Kindes hinaus das Erziehungsgeld in voller Höhe erhalten.

Die CDU strebt eine neue Gesamtkonzeption der deutschen Familienpolitik an. Wegen der besonderen Belastungssituation liegt ein besonderer Schwerpunkt bei jungen Familien. Dazu erwägt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Einführung eines sogenannten „Familiengeldes“, durch das die finanziellen Maßnahmen zugunsten von Familien mit Kindern im Vorschulalter stärker gebündelt und ausgebaut werden sollen.

Das Familiengeld soll eine finanzielle Komponente enthalten, die zum einen an das bisherige Bundeserziehungsgeld, das durch die geplante Reform abgelöst werden soll, anknüpft. Zweiter Anknüpfungspunkt ist das Kindergeld, soweit es für Kinder unter sechs Jahren

mit in ein Familiengeld einbezogen werden soll. Vorgesehen ist außerdem eine rentenrechtliche Komponente, die wegen ihrer Einbindung in das System der gesetzlichen Rentenversicherung separat zu regeln ist und sich an die bestehenden Vorschriften zur Anrechnung von Kindererziehungszeiten anlehnt.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 macht eine Neuregelung der bisherigen Familienförderung in mehreren Stufen bis zum Jahr 2002 erforderlich, die zumindest die einkommensteuerliche Behandlung von Familien betrifft. Handlungsbedarf ist gegeben.

Die gegenwärtig von verschiedenen Parteien auf Bundes- und Landesebene diskutierten Pläne machen im Interesse der Familien und Kinder eine grundlegende Diskussion erforderlich. Der Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales befaßt sich deshalb bereits auf der Grundlage der Selbstbefassung am 14. April 2000 in einer Expertenanhörung mit dem Thema Erziehungsgeld. Diese Anhörung bietet bereits die Gelegenheit, auch die im Antrag formulierte Forderung zu diskutieren. Mit Blick auf diese Expertenanhörung ist es verfrüht, zum jetzigen Zeitpunkt dem Antrag der Fraktion der DVU zuzustimmen. Deshalb lehnen wir ihn jetzt ab.

Danke sehr. - Für die DVU-Fraktion spricht nochmals die Abgeordnete Frau Helmecke. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, mir ist natürlich schon klar, was „substituierbar“ heißt. Das können Sie sich denken.

(Frau Bull, PDS: Na!)

Frau Bull, ich weiß, daß mehrere Schritte nötig sind. Unser Antrag sollte ein Anreiz in Richtung Geburtensteigerung sein, damit sich die Gesellschaft erst einmal darauf einstellen kann, daß wieder mehr Kinder geboren werden. Ich habe Ihnen ja gesagt: Ein Blick in das Statistische Jahrbuch reicht aus.

Wir wissen auch, daß dies nicht der einzige Schritt bleiben kann. Vielmehr ist auch zu fragen, wie man die direkten und indirekten Steuern senken könnte. Dazu gehört auch die ökologische Steuerreform, die natürlich die Familien trifft, je mehr Familienmitglieder, desto härter. Eine Familie mit fünf Kindern ist davon natürlich härter betroffen als ein Ehepaar ohne Kinder. Da schlägt dies immer doppelt zu. Und auch der Freibetrag war in letzter Zeit sowieso, wenn er nicht schon vor Jahren ganz ausgesetzt wurde, viel zu niedrig dotiert, so daß Familien davon eigentlich gar nichts hatten.

Trotzdem bin ich der Meinung, daß unser Antrag gut ist, daß wir ihn brauchen, und zwar wirklich zur Anregung der Geburtensteigerung, Herr Schulze. Ich würde gerne einmal mit Ihnen eine Tasse Kaffee trinken und Ihnen das erklären.

(Heiterkeit - Herr Schulze, CDU: Oh! - Zustim- mung von Herrn Wolf, DVU)

Wenn Sie auch dazu andere Ideen haben und wenn Sie das jetzt auch anders sehen, würde ich gerne mit Ihnen darüber im Ausschuß diskutieren. Jedenfalls möchte ich Sie bitten, noch einmal darüber nachzudenken. Denken Sie doch daran: Wie sähe eine Gesellschaft ohne Kinder aus? Wir wären steril. Was sind Kinder? Kinder

sind eine Herausforderung, und sie veranlassen uns zu kämpfen. Wenn man kämpfen muß, hat man ein Ziel. Ich bedanke mich bei Ihnen, beantrage aber trotzdem die Überweisung in den Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales.

(Beifall bei der DVU - Frau Wiechmann, DVU: Und Gleichstellung!)

- Ja. Und in den Ausschuß für Gleichstellung.

Danke sehr. - Meine Damen und Herren, Sie haben es vernommen: Es ist eine Überweisung in den Sozial- und in den Gleichstellungsausschuß beantragt worden. Wer diesem Antrag der DVU-Fraktion seine Zustimmung erteilt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt worden.

(Frau Wiechmann, DVU: Das war die Überwei- sung!)

- Die Überweisung ist abgelehnt worden.

Wir stimmen über den Antrag in der Drs. 3/2540 ab. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei einer Stimmenthaltung ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt worden. Damit ist Tagesordnungspunkt 5 erledigt.

Meine Damen und Herren! Wir liegen gut im Zeitplan, so daß ich den nächsten Tagesordnungspunkt noch vor der Mittagspause aufrufen kann.