Protocol of the Session on January 20, 2000

Herr Dr. Bergner, Herr Gallert hätte eine Frage.

Ich beantworte sie zum Schluß.

Wir haben das Ganze ja schon einmal thematisiert, Herr Minister. Ich darf aus dem, was Sie damals in der Debatte über das Verwaltungsorganisationsgesetz - das war 1996 - gesagt haben, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren:

„Eine grundsätzliche gesetzliche Neuregelung wird allerdings spätestens dann erforderlich sein, wenn Landesbehörden aufgelöst oder neu geschaffen werden oder der territoriale Zuschnitt der Regierungspräsidien insgesamt geändert wird. Dies steht in Übereinstimmung mit der Ansicht der Landesregierung,“

- das war 1996

„ein Landesorganisationsgesetz dann zu erlassen, wenn im Rahmen der laufenden Verwaltungsreform die Aufgabenverteilung neu beschlossen und in diesem Zuge auch die Frage der Bündelungsbehörden- oder Sonderbehördenstruktur langfristig zu entscheiden ist.“

(Ministerpräsident Herr Dr. Höppner: Sehr kor- rekt!)

Eine solche Entscheidung der Landesregierung steht offensichtlich noch aus, da ansonsten dem Landtag bereits der Entwurf eines Landesorganisationsgesetzes zugegangen wäre.

Herr Kollege Brachmann, Sie waren einmal Leiter einer Projektgruppe für die Verwaltungsorganisation. Herausgekommen und zustande gekommen ist nichts. Empfinden Sie es denn nicht als einigermaßen grotesk,

(Herr Dr. Brachmann, SPD: Als erfreulich!)

wenn ausgerechnet Sie, der Sie in der anderen Frage so erfolglos waren, durch die Lande ziehen und den Kahlschlag bei der kommunalen Selbstverwaltung programmieren und Großkreise propagieren wollen? Das ist doch ein merkwürdiger Widerspruch.

(Beifall bei der CDU)

Ohne eine gesetzliche Neuordnung der Aufgabenverteilung - deshalb fordern wir ja das Gesetz - wird aber eine Kommunalgebietsreform überhaupt nicht sinnvoll planbar. Wir spielen doch nicht auf Zeit oder auf Verzögerung, Herr Minister, sondern eines gehört zum anderen, wenn die Rede von einem Guß wirklich Sinn haben soll.

Durch das Papier über das kommunale Leitbild, das Sie vorgelegt haben, zieht sich die Kernthese, die Gemeinden und Landkreise seien zu klein. Die Richtigkeit dieser These kann doch gar nicht geprüft werden, wenn nicht klar ist, wofür sie zu klein sind und welche Aufgaben ihnen aufgrund der reformierten Struktur der Landesverwaltung zugemutet werden müssen.

(Beifall bei der CDU und bei der PDS)

Hierin besteht doch der innere Zusammenhang. Deshalb setzen Sie falsche Prioritäten. Erst muß die Verwaltungs- und Funktionalreform verbindlich stehen, um gegebenenfalls dann über das sehr viel sensiblere Thema einer Kommunalreform reden zu können, nicht umgekehrt. Kommunale Gebietsneugliederungen sind der schwerste denkbare Eingriff in die kommunalen Selbstverwaltungsrechte.

(Beifall bei der CDU)

Es verbietet sich schon aus rechtlichen Gründen, hierbei aus der Hüfte zu schießen.

Wir haben dies - Sie haben ja an die schmerzvollen Debatten erinnert - vor gerade erst einmal sechs Jahren mit der Kreisgebietsreform und der Bildung der Verwaltungsgemeinschaften sowie mit der Gemeindegebietsreform durchgestanden. Wer jetzt erneut Eingriffe in die Gebietsgliederungen plant, muß ihre Notwendigkeit besser und überzeugender begründen, als dies in dem vorliegenden Papier geschieht.

(Zustimmung von Herrn Jeziorsky, CDU, und von Herrn Schomburg, CDU)

Dabei ist insbesondere auch ein landespezifischer Gesichtspunkt nicht außer acht zu lassen, für dessen Erläuterung ich mir ein wenig Zeit nehmen möchte.

Sachsen-Anhalt ist ein Bundesland mit einer nur kurzen gemeinsamen Regionalgeschichte. Deshalb ist auch die Landesidentität nur schwach ausgeprägt. Das heißt nichts anderes, als daß in unserem Land identitätsstiftende Wirkungen von den Regionen, den Städten und Gemeinden ausgehen. Wir haben in dieser Hinsicht andere Verhältnisse als der Freistaat Sachsen. Gerade mit Blick auf die identitätsstiftenden Wirkungen sagt die CDU ganz klar: Soweit wie möglich Hände weg von zwangsweisen Gemeindeneugliederungen.

Mit Herrn Becker haben Sie über freiwillige Entscheidungen gesprochen, die immer offen und immer möglich sind. Es ist jedoch die Frage zu stellen: Besteht denn überhaupt eine Notwendigkeit? Denn im ganzen Land besteht eine Konzentration der gemeindlichen Verwaltungstätigkeiten entweder in Einheitsgemeinden oder in Verwaltungsgemeinschaften.

Herr Dr. Bergner, Herr Dr. Fikentscher möchte eine Frage stellen. Ich nehme an, auch diese möchten Sie zum Schluß beantworten.

Dies gilt für alle Zwischenfragen. Sie können zum Schluß gestellt werden. - Wir sind gern bereit, die Verwaltungseffizienz dadurch zu erhöhen, daß wir das System der Verwaltungsgemeinschaften weiter ausbauen.

(Beifall bei der CDU)

Diese Bereitschaft haben wir im Zusammenhang mit zwei Großen Anfragen zur Entwicklung und zur Zukunft der Verwaltungsgemeinschaften unterstrichen.

So sieht es die CDU durchaus als problematisch an, daß 32 der 190 Verwaltungsgemeinschaften auf eine Bevölkerungszahl von unter 5 000 Einwohnern geschrumpft sind. Sofern dort nicht besondere Umstände vorliegen, sind diese Verwaltungsgemeinschaften auch nach Auffassung der CDU zu klein, um die nötige Verwaltungskraft aufzubringen, so daß größere Lösungen anzustreben sind.

Die CDU ist selbstverständlich auch bereit, über andere Nachbesserungen nachzudenken. Dies beginnt bei höheren Qualifikationsanforderungen an den Leiter des gemeinsamen Verwaltungsamtes und reicht bis zur Verlängerung der Amtszeit und anderem mehr.

Durch eine mögliche Reform sollte jedoch die Möglichkeit, bei der Form der kommunalen Zusammenarbeit zwischen der Verwaltungsgemeinschaft oder der Einheitsgemeinde zu wählen, nicht in Frage gestellt werden.

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als daß wir zwischen den Effizienzgesichtspunkten und den Integrationsgesichtspunkten ein entsprechendes Mittelmaß finden. Dafür ist die Verwaltungsgemeinschaft ein gutes Modell.

(Zustimmung bei der CDU)

Nun lassen Sie mich einige Bemerkungen zur Kreisgröße machen. Nach den Angaben des Leitbildes haben

45 % der bundesdeutschen Landkreise mehr als 150 000 Einwohner. Die Mehrzahl der Landkreise, Herr Minister, nämlich 55 %, sind demnach mit weniger als 150 000 Einwohnern kleiner. Die in Sachsen-Anhalt bestehenden Landkreise entsprechen damit hinsichtlich der Einwohnergröße der Mehrzahl der Landkreise in Deutschland.

(Herr Dr. Püchel, SPD, lacht)

Das Leitbild empfiehlt dennoch eine Mindestgröße von 150 000 Einwohnern. Es ist auf der Grundlage der bisher gegebenen Begründungen nicht nachvollziehbar, weshalb die Landkreise in Sachsen-Anhalt zwingend größer sein sollen, als es im Bundesdurchschnitt üblich ist. Dies wäre allenfalls dann sinnvoll, wenn der bishe-rige dreigliedrige Verwaltungsaufbau auf zwei Stufen reduziert würde und die Regierungspräsidien gänzlich abgeschafft würden. Dies sieht Ihr Leitbild jedoch nicht vor.

(Ministerpräsident Herr Dr. Höppner: Doch!)

Davon reden nur naßforsche SPD-Abgeordnete.

Im übrigen sagt eine Durchschnittsgröße nichts über die Leistungsfähigkeit aus. So haben beispielsweise die Landkreise in Niedersachsen durchschnittlich etwa 160 000 Einwohner. Der größte Landkreis hat über 600 000 Einwohner, drei Landkreise haben jeweils nur etwa 50 000 Einwohner, also deutlich weniger als die kleinsten Kreise in Sachsen-Anhalt.

Statt Durchschnittsbetrachtungen anzustellen, hätte das Leitbild vielmehr Aussagen dazu treffen müssen, ob aufgrund bestimmter Parameter eine bestimmte optimale Größe für die Leistungsfähigkeit feststellbar ist, wobei die Einwohnerzahl nur ein Faktor von vielen sein kann. Im übrigen weist das Leitbild darauf hin, daß auch die größeren Kreiszuschnitte regelmäßig nicht zur Übertragung neuer Aufgaben führen.

Ebenso wird zutreffend darauf hingewiesen, daß selbst bei der Bildung größerer Kreise bestimmte überörtliche Aufgaben, wie die Wirtschaftsförderung, der ÖPNV, der Umweltschutz und die Abfallbeseitigung, auch künftig über Kreisgrenzen hinweg abgestimmt werden müssen. Frau Kollegin Budde hat noch die Regionalkreise in die Diskussion gebracht.

(Herr Bullerjahn, SPD: Das stimmt ja gar nicht! - Frau Budde, SPD: Das habe ich nicht, Herr Dr. Bergner!)

Es bedürfte auch an dieser Stelle zusätzlicher und schlüssiger Begründungen, um die Notwendigkeit einer Kreisneugliederung sechs Jahre nach der letzten Kreisgebietsreform darzustellen. In Ihrem Papier steht, daß eine Kreisgebietsreform normalerweise alle 20 Jahre stattfindet.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Wir wollen einmal eine richtige!)

- Das ist nicht aus dem Zusammenhang zu lösen.

Abschließend möchte ich einige Sätze zu dem Sonderproblem der Stadt-Umland-Beziehungen anmerken. Die Umweltministerin, die sich im Moment im Wahlkampf um das Amt des Oberbürgermeisters von Halle engagiert, hat dort - Frau Kollegin Sitte war anwesend - ein Modell befürwortet, das die Eingemeindung von 22 Saalkreisgemeinden vorsieht.

(Ministerin Frau Häußler: Das ist falsch!)

- Sie haben dem Bussmann-Modell zugestimmt und Frau Sitte und mir den Vorwurf gemacht, daß wir dieses Modell nicht vehement unterstützen. Darüber können wir gern im einzelnen diskutieren.

(Ministerin Frau Häußler: Das Wort „eingemein- den“ ist nicht gefallen! Darüber können wir gern noch einmal reden!)

Vor dem Hintergrund solcher rigorosen Forderungen wundert es mich schon, daß das verabschiedete Leitbild in bezug auf das Problem der Stadt-Umland-Beziehungen in dem Kabinett, dem auch Sie als Ministerin angehören, ohne nennenswerte Lösungsvorschläge bleibt. Für die Stadt Halle - das sollten Sie im Rahmen Ihrer Kandidatur im Auge behalten - hätte die Umsetzung der Vorstellungen des Innenministers eine erhebliche Verschärfung der Stadt-Umland-Probleme zur Folge.