Protocol of the Session on January 20, 2000

(Zustimmung von Frau Krause, PDS)

Nicht Überlegungen zu härteren und mehr Strafen beseitigen Kriminalität, sondern solche aktiven Maßnahmen wie Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit, Partizipationsmöglichkeiten für Heranwachsende, Integration von Spätaussiedlern und Immigranten, ausreichende materielle, finanzielle und personelle Rahmenbedingungen in der Kinder- und Jugendhilfe, Vernetzung kriminalpräventiver Gremien vor Ort, um nur einige zu nennen.

Natürlich müssen unter den sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen auch die vorhandenen Instrumente zur vorbeugenden Jugendhilfe kritisch überdacht und hinterfragt werden, damit durch sie jungen Menschen sinnvoll Hilfe in schwierigen Situationen gegeben werden kann. Zivilisatorisch aber wäre es ein Rückschritt und eine Katastrophe, wenn die Gesellschaft der Faszination der einfachen Lösungen, wie Strafverschärfung oder harte Erziehungskonzepte, erliegen würde.

(Zustimmung bei der PDS und von Herrn Dr. Fikentscher, SPD)

Frau Kollegin, würden Sie eine Frage von Herrn Schulze beantworten? - Nein.

Das Wort hat für die DVU-Fraktion noch einmal die Abgeordnete Frau Wiechmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schulze, es ist natürlich kein Zufall - darin stimme ich Ihnen zu -, wenn ausgerechnet CDU- und CSU-regierte Länder für die Einrichtung der geschlossenen Heime sind.

(Zuruf von der PDS: Wahrlich nicht!)

Daran, daß bei den bisher in diesem Hause geführten Debatten ein Konsens - nach Ihrer Aussage - bestanden hat, möchte ich ein wenig zweifeln. Denn erstens hat sich bisher diesbezüglich in Sachsen-Anhalt nichts getan. Zweitens habe ich eben die Ausführungen von Frau Dr. Weiher gehört, und da kann ich mir ungefähr ein Bild machen.

Meine Damen und Herren! Der Antrag auf Einrichtung geschlossener Heime stößt verständlicherweise auf unterschiedliche Meinungen oder gar keine Meinung - siehe SPD-Fraktion. Aber ein bescheidener, doch notwendiger Schritt ist, denke ich, hiermit eingeleitet oder zumindest noch einmal angeregt worden. Es wird darüber gesprochen, wenn auch kontrovers. Aber am Thema kann nicht mehr vorbeigesehen werden, und es kann auch nicht mehr überhört werden.

Ich sprach bereits darüber, daß die Mehrzahl der Bundesländer - auch SPD-regierter Länder - geschockt und teils auch hilflos dem Phänomen sehr junger Straftäter gegenübersteht. Natürlich kann man einwenden, die Rechtslage halte fest, daß nach § 19 des Strafgesetzbuches Kinder bis zu 14 Jahren strafunmündig sind und daß Jugendliche von 14 bis 16 Jahren nur bei konkreten Anhaltspunkten für Fluchtgefahr oder ohne festen Wohnsitz in Untersuchungshaft genommen werden können. Dort steht aber auch, daß Jugendliche von 14 bis 18 Jahren auf richterliche Anordnung eine einstweilige Unterbringung in einem geeigneten Heim der Jugendhilfe erhalten bzw. Jugendliche dieser Altersgruppe nach Prüfung der Verhältnismäßigkeit in U-Haft genommen werden können.

Ziel der einstweiligen Unterbringung nach § 71 Abs. 2 ist die Bewahrung des Jugendlichen vor einer weiteren Gefährdung - auch das sollte in der Diskussion beachtet werden - seiner Entwicklung, insbesondere vor der Begehung weiterer Straftaten.

Meine Damen und Herren! Natürlich ist es ernüchternd und läßt am Sinn polizeilicher Maßnahmen und der Verfolgung von Straftätern zweifeln, wenn ein geflügeltes Wort von strafunmündigen Tätern nach der Ergreifung durch die Polizei lautet: Dann läßt man sich bequem mit dem Bullentaxi heimkutschieren. Auf denn, zum „nächsten Mal“.

Die geschlossenen Heime, meine Damen und Herren, sind nicht nur speziell für straffällige Kinder und Jugendliche konzipiert, sie sind ebenso auf bindungsgeschädigte, aus unterschiedlichen Gründen schwierig und schwerst zu betreuende Kinder und Jugendliche ausgerichtet. Erfahrungen besagen, daß in der Regel Zwölf- bis 14jährige mit massiven Auffälligkeiten bis in den Grenzbereich psychiatrischer Erkrankungen und mit einer schwierigen biographischen Entwicklung in diese geschlossenen Heime aufgenommen werden, zum Teil auch - das halte ich auch für wichtig -, um die U-Haft nach §§ 71 und 72 des Jugendgerichtsgesetzes zu vermeiden.

Meine Damen und Herren! Nicht nur aufgrund eines brutalen Mordes an einem Polizisten durch einen 21fach vorbestraften 16jährigen Täter in Mannheim - nachzulesen in der „Welt“ vom 18. Dezember vorigen Jahres forderte der Sprecher der Polizeigewerkschaft eine Reform des Jugendstrafrechts. Es sei nicht nur fraglich, ob der Mörder in der Jugendstrafanstalt resozialisiert werden könne, sondern es müsse auch geprüft werden, ob in diesem Fall eine Sicherungsverwahrung für jugendliche Straftäter einzuführen sei, aus der diese erst nach erkennbarem Heilerfolg in die Gesellschaft entlassen werden würden.

Das sind Wertungen und Denkanstöße, meine Damen und Herren, und zwar von betroffenen Polizisten, die tagtäglich unter Einsatz ihres Lebens unsere Rechtsordnung schützen. Wir sollten diese Äußerungen der Polizei bedenken und darüber beraten, damit wir deren Erfahrungen nicht mißachten.

Wir bitten nochmals um Zustimmung zu unserem Antrag. Allerdings - wir haben auch den Änderungsantrag der CDU-Fraktion erhalten - gehe ich nicht ganz mit Ihnen, Herr Kollege Schulze, darin konform, daß dieser Antrag das ganze präzisieren würde. Das sehe ich nicht so. Ich denke, daß es fast derselbe Antrag ist, für den nur ein paar andere Worte gefunden wurden. Demzufolge sind wir natürlich auch bereit, Ihrem Änderungs

antrag in dieser Fassung zuzustimmen; denn letztlich sollte das Ziel wichtig sein. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der DVU - Zustimmung von Herrn Kolde, fraktionslos)

Meine Damen und Herren! Wir sind damit am Ende der Debatte und kommen zur Abstimmung über den Antrag und den Änderungsantrag.

Von der CDU-Fraktion ist vorgeschlagen worden, beide Anträge in die Ausschüsse für Arbeit, Gesundheit und Soziales, für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport sowie für Recht und Verfassung zu überweisen. Die Federführung soll dem Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales übertragen werden. Wer stimmt diesem Vorschlag zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Zustimmungen ist der Antrag auf Überweisung mehrheitlich abgelehnt worden.

Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge selbst. Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der CDU-Fraktion in der Drs. 3/2610 ab. Wer folgt diesem Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei gleichem Abstimmungsverhalten ist der Änderungsantrag abgelehnt worden.

Ich lasse jetzt über den ursprünglichen Antrag in der Drs. 3/2541 abstimmen. Wer stimmt diesem zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist der Antrag mit deutlicher Mehrheit abgelehnt worden. Wir haben damit den Tagesordnungspunkt 18 erledigt.

Meine Damen und Herren! Wir setzen in der Tagesordnung fort. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Erste Beratung

Landesaktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 3/2554

Der Einbringer für die PDS ist Frau Ferchland. Dann folgt eine Fünfminutendebatte. Bitte, Frau Ferchland.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor knapp 25 Jahren begann die internationale Frauenbewegung, sich öffentlich über die Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu empören. Fast 25 Jahre hat es gedauert, bis diese Empörung, bis dieser Protest im Parlament angekommen ist.

Auch wenn mir meine Schwestern immer wieder erklären, daß das alles seine Zeit brauche und Frau nichts übers Knie brechen sollte, ist das für mich einfach eine unbegreiflich lange Zeit.

Seit fast 25 Jahren wird dieses Thema von vielen Seiten immer und immer wieder an die Öffentlichkeit geholt. Frauenorganisationen haben gerade in den westlichen Bundesländern jede Gelegenheit genutzt, um auf Demonstrationen, Kundgebungen und Veranstaltungen in einer phantasievollen Art und Weise darauf aufmerksam zu machen.

Untersuchungen zeigen, daß es körperliche Gewalt gegen Frauen in der DDR genauso oft gab wie im Westen.

Sie wurde in der DDR entweder kollektiv oder gar nicht behandelt. Gewalt gegen Frauen wurde in beiden Teilen Deutschlands tabuisiert. Frauen hatten nur sehr wenige Möglichkeiten, sich von ihrem Mißhandler zu befreien.

Für Frauen in der DDR war die schnelle Scheidung oft die einzige Lösung. Problematisch war, daß sie oft noch jahrelang mit dem Mißhandler in einer Wohnung zusammenleben mußten und sich die Konflikte so vergrößerten. Im Westen war das Hauptproblem die ökonomische Abhängigkeit, wegen der die Frauen immer wieder zu ihren Mißhandlern zurückkehren mußten. So begann ein Kreislauf aus Flucht und Gewalt.

Nur durch den massiven Druck der Frauenbewegungen entstanden Frauenschutzhäuser, Notruftelefone und Therapiezentren. Den Schritt ins Frauenhaus machen Frauen nicht freiwillig; er ist durch die Gewalt erzwungen, um der akuten Gewaltsituation zu entfliehen.

Gewalttaten im Kreis der Familie werden immer wieder unterschätzt; die Betroffenen werden nur selten gewarnt. Betroffen sind hiervon auch Polizistinnen und Polizisten, die nicht gewarnt werden. Ratschläge, zum Beispiel von Ärzten und Behörden, den Mißhandler zu verlassen, tragen oft nicht zur Sicherheit der Frauen bei - im Gegenteil; denn in Zeiten von Trennung und Scheidung steigt das Risiko von Gewalt gegen Frauen.

Frauen benötigen gezielt Informationen und fachliche Hilfe. Dies passiert in Frauenhäusern hier im Land und bundesweit.

Gewalt gegen Frauen wird gesellschaftlich toleriert und nur in extremen Fällen geächtet. Das zeigt sich an der Ignoranz gegenüber Mißhandlungen in der Nachbarschaft und im Bekanntenkreis, daran, daß weggesehen wird, wenn Frauen in der Öffentlichkeit angegriffen werden, und an der Bagatellisierung von sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz.

Das Öffentlichmachen vorher tabuisierter Männergewalt durch die Medien war und ist geprägt von Skandalisierungen, die von den Medien aufgegriffen und hochgepuscht werden. Einerseits helfen solche Schilderungen von Schauergeschichten über menschliche Abgründe, Gewalt gegen Frauen und Mädchen publik zu machen und für die Opfer Schutz und Mittel bereitzustellen. Letztlich schaden sie aber eher, da sie nur kurzfristig Empörung wecken, der keine ernsthafte Auseinandersetzung folgt.

Spektakuläre Fälle von Gewalt gegen Frauen erregen zwar kurzfristig Aufmerksamkeit, verhindern aber eine klare Sicht auf die alltäglichen Formen von Gewalt, bei denen die Taten nicht offensichtlich grausam,

(Der Präsident spricht mit einem der Schriftführer)

- das stört ein bißchen, Herr Präsident - die Täter weniger schreckenerregend, sondern eher durchschnittlich oder armselig sind.

Oft verleugnen und verschweigen Frauen erlittene Gewalt, weil sie sich schämen oder weil sie nicht öffentlich gebrandmarkt werden wollen, weil sie keine Solidarität erwarten, aber auch weil sie Angst haben, erneut Opfer zu werden. Als Folge erscheint Gewalt gegen Frauen statistisch gesehen selten oder wird statistisch überhaupt nicht erwähnt.

In der Justiz- sowie in der Kriminalstatistik des Landes Sachsen-Anhalt wird Gewalt gegen Frauen nicht gesondert erfaßt. Dies ergab eine Kleine Anfrage an die

Landesregierung. Es hat mich sehr verwundert, daß dies im Land Sachsen-Anhalt nicht möglich ist. Im Bundesland Berlin, zum Beispiel, wird jede Gewalttat im sozialen Nahraum auch als solche erfaßt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Die Bundesregierung hat einen Aktionsplan vorgelegt, der lange erwartet wurde. Viele Jahre lang haben Frauenrechtlerinnen und Frauenbewegungen dies angemahnt. Jetzt werden endlich bestehende Projekte vernetzt. Der Status der Opfer soll verbessert werden; es geht darum, daß die Täter und nicht die Opfer die Folgen tragen. Täter müssen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden - daran besteht kein Zweifel.

Therapien und Beratungsangebote für gewalttätige Männer sind dringend notwendig. Ich lehne jedoch eine Zwangsberatung für gewalttätige Männer ab. Diese wird nämlich mit einem Blick auf Strafminderung oder Einstellung des Verfahrens angemahnt. Zwangstherapien das wird Ihnen jeder Sozialpädagoge und jede Sozialpädagogin sagen - bringen überhaupt keinen Erfolg. Täter beteiligen sich nur, um eine geringere Strafe zu erwirken. Letztlich suggeriert es der Frau, daß der gewalttätige Mann geheilt ist.

Darüber wird bundesweit gestritten. Im Land werden wir diesen Streit auch haben. Ich halte ihn aus.

(Lachen bei der CDU - Zustimmung von Herrn Wolf, DVU)

Sinnvoller erscheint es mir, den gewalttätigen Mann der Wohnung zu verweisen, wie das angedacht ist und auch geprüft wird. Durch das Wegweisen des gewalt-tätigen Mannes aus der gemeinsamen Wohnung wird dem Täter die Hausmacht entzogen, und er wird sozial isoliert. Daß das greift, haben Untersuchungen gezeigt; denn in Österreich wird dieses Gesetz seit zwei Jahren angewandt.

Der Aktionsplan zeigt eine Vernetzung von Maßnahmen auf. Er zeigt aber auch, daß Diskussionen notwendig sind. Eine konkrete Umsetzung fehlt dem Aktionsplan leider noch; aber er ist ein Schritt in die richtige Richtung. - Danke.