Der Gesetzentwurf zeigt deutlich, wie viele Konsequenzen die Lösung der anstehenden Probleme haben wird und wie viele bestehende Gesetze novelliert werden müssen. Wenn man den Nachteil aufgrund einer Behinderung durch selektive Bevorzugung ausgleichen will, muß man berücksichtigen, daß dadurch eventuell noch mehr gesetzliche Vorschriften entstehen, noch mehr Bürokratie entsteht. Die Frage ist, wollen wir das.
Bei alledem ist in dem Gesetzentwurf die Finanzierung bzw. die Mitfinanzierung nicht geregelt; denn eine Reihe von Vorschlägen wird erhebliche Kostenausweitungen zur Folge haben.
Ich möchte daran erinnern, daß in den letzten Jahren einiges erreicht worden ist. Wir wissen alle, daß es noch genügend Probleme und Mängel gibt, die aber nur schrittweise abgebaut werden können.
Herr Dr. Eckert, ich hätte mich gefreut, wenn Sie in Ihrem geschichtlichen Abriß die DDR-Zeiten nicht ausgeblendet hätten; denn wenn es diese Zeit nicht gegeben hätte, wären wir heute ein Stück weiter.
Das Anliegen des Gesetzentwurfes verdient unsere Unterstützung. Es wirft jedoch eine Reihe von Fragen auf, die in den Fachgremien gemeinsam mit den Betroffenen ausführlich diskutiert werden müssen. Dabei muß auch die Finanzierung immer im Blick bleiben.
Für die DVU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Wiechmann. - Entschuldigung. Frau Liebrecht, Sie hatten gesagt, daß Sie im Anschluß an Ihren Beitrag die Frage der Abgeordneten Frau Krause beantworten wollen. Würden Sie sie jetzt beantworten? - Frau Krause, bitte stellen Sie Ihre Frage.
Frau Abgeordnete, ich frage Sie erstens, ob Ihnen die Forderung aller Behindertenverbände - es gibt eine Vielzahl dieser Verbände in der Bundesrepublik Deutschland - bekannt ist, wonach gerade aufgrund der Tatsache, daß die Ergänzung des Artikels 3 des Grundgesetzes in der Umsetzung kaum zu Fortschrit-ten für Menschen mit Behinderungen geführt hat, Gesetzesänderungen und Gesetzesvorhaben notwendig sind.
Zweitens. Sie haben recht, daß die vorhandene Bauordnung bereits Möglichkeiten offeriert. Könnten Sie vielleicht aus Ihrer Sicht einige Ursachen dafür nennen, daß Architekten und Bauunternehmen auch bei dem Bezug von nicht geringen Fördermitteln des Landes SachsenAnhalt nicht behindertengerecht bauen?
Zur ersten Frage. Natürlich ist mir bekannt, daß der Anspruch und die Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Das ist mir sehr wohl bekannt. Ich hatte auch darauf hingewiesen.
Zur zweiten Frage. Ich weiß nicht, warum Architekten die Bauordnung nicht einhalten. Aber es gibt bereits Möglichkeiten. Allerdings müßte die Kontrolle verbessert werden. Wenn die Landesregierung Fördermittel zur Verfügung stellt, dann muß sie die Einhaltung der entsprechenden Kriterien auch kontrollieren.
Wenn Unternehmen die Regelungen der Bauordnung nicht einhalten, müssen die Fördermittel zurückgezahlt werden. Es müssen Sanktionen erfolgen.
Verehrte Kollegin, ich hatte in meinem Manuskript die DDR berücksichtigt. Könnten Sie mir darin zustimmen, daß die Situation in der DDR doch sehr differenziert war und daher differenziert zu bewerten ist? Zum Beispiel nenne ich die Bereiche Arbeit und Bildung für Menschen mit Behinderung.
Im Bereich der Bildung war die Aussonderung sehr weit fortgeschritten. Die Sonderschule war fast vorgeschrieben. In bezug auf die Arbeit gab es doch ein international anerkanntes System, das in vielen Bereichen von der UNO als vorbildhaft dargestellt wurde.
Wenn Sie sagen, daß wir auf bestimmten Gebieten weiter sein könnten, dann muß ich darauf hinweisen, daß in bezug auf die Arbeit, die Beschäftigung und die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in die Betriebe die DDR etwas weiter war.
In der DDR haben fast alle Menschen gearbeitet bis auf wenige Ausnahmen. Die möchte ich jetzt nicht differenziert darstellen. Es haben auch diejenigen gearbeitet, die mehr gebummelt als gearbeitet haben. Das ist kein Vergleich, Herr Dr. Eckert; das möchte ich an dieser Stelle auch nicht weiter ausführen.
Ich war im Gesundheitswesen beschäftigt. Ich weiß, wie Behinderte untergebracht wurden. Vom Säuglingsalter bis fast zum Erwachsenenalter lagen sie in kleinen Gitterbetten, an die ein Überbau angebracht wurde, wenn sie 14 oder 15 Jahre alt waren. Die konnten sich nicht einmal richtig bewegen.
Diese Situation war alles andere als menschenwürdig. Darüber möchte ich jetzt nicht diskutieren. Das möchte ich auch nicht mit der heutigen Situation vergleichen. Das tut mir leid.
(Zustimmung bei der CDU und bei der DVU - Herr Dr. Daehre, CDU: Untergebracht waren sie, mehr nicht!)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich den Worten der Frau Ministerin und den einführenden Worten des Abgeordneten Herrn Dr. Eckert insofern anschließen, als behinderte Menschen in unserer Gesellschaft nicht auf Barmherzigkeit angewiesen sein sollen. Sie haben in diesem Staat vielmehr einklagbare Rechte.
Kommen wir zum Gesetzentwurf der Fraktion der PDS. Auch bei einem vorsichtigen Umgang mit diesem Entwurf fällt auf, daß die gewählte Überschrift eine unzulässige Bewertung unterstellt. Will die PDS nur diskriminierten behinderten Menschen oder behinderten Menschen in ihrer Gesamtheit einen Platz in der Gesellschaft einräumen, der diesen gesundheitlich doch so geschundenen Mitbürgern gebührt?
Diskriminierung, meine Damen und Herren - das muß ich Ihnen bestimmt nicht erklären -, bedeutet Unter
scheidung, Benachteiligung, herabsetzende Verhaltensweisen gegenüber anderen Menschen und ungleiche Behandlung. Sie knüpft denklogisch an den Vorsatz an. Das ist aber nicht immer der Fall.
Unter diesen Gesichtspunkten von einer Diskriminierung der behinderten Menschen in Deutschland zu sprechen, erscheint so nicht hinnehmbar. Mit diesen Feststellungen aber, meine Damen und Herren, soll keineswegs den fahrlässigen Benachteiligungen der betroffenen Mitbürger das Wort gesprochen werden.
Die fahrlässige Benachteiligung eines Mitbürgers ist jedoch keine Diskriminierung, sondern eine herabsetzende Verhaltensweise, die auf der Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt beruht. Der Entwurf sollte daher folgende Überschrift tragen: „Entwurf eines Gesetzes zur Chancengleichheit behinderter Menschen in Sachsen-Anhalt“.
Damit ist aber nicht gesagt, daß unsere Fraktion mit dem Entwurf unter der geänderten Überschrift konform gehen kann oder sollte. Denn der von der PDS angemeldete Regelungsbedarf ist bis auf Ausnahmen darüber hinaus bundesrechtlich normiert. Das klang in einigen Dingen schon an.
Unzutreffend ist die verfassungsrechtliche Kompetenzanknüpfung. Artikel 32 des Grundgesetzes enthält die Grundvoraussetzungen für die konkurrierende Gesetzgebung. Artikel 72 ist nur im Zusammenhang mit Artikel 74 des Grundgesetzes zu lesen und zu bewerten. Artikel 73 des Grundgesetzes als Gegenstand der ausschließenden Gesetzgebung des Bundes hat mit den Artikeln 72 und 74 nichts zu tun. Aus Artikel 73 des Grundgesetzes würde sich aber zu Lasten des Gesetzentwurfs der PDS ergeben, daß jede landesrechtliche Initiative wegen Verstoßes gegen ausschließliche Bundeskompetenz verfassungswidrig sein würde.
Materiellrechtlich darf nach Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Damit hat der Verfassungsgeber den grundgesetzlichen Auftrag ausgefüllt, Behinderte vor einer Benachteiligung zu schützen. Der grundgesetzliche Auftrag geht dabei weiter als der erste Abschnitt des Entwurfs des Gesetzes für Chancengleichheit und gegen Diskriminierung behinderter Menschen in SachsenAnhalt.
Auch einfachgesetzlich geht das Schwerbehindertengesetz darüber hinaus, was der Gesetzentwurf fordert. Beim Schwerbehindertengesetz kommt hinzu, daß den Bußgeld- und Strafverfolgungsbehörden ein erheblicher Repressionsrahmen nach den §§ 68 ff. des Schwerbehindertengesetzes eröffnet ist. Daraus folgt, daß der Gesetzentwurf der PDS den Behinderten nicht mehr, sondern gegebenenfalls weniger von dem geben will, was der Bundesgesetzgeber den Schwerbehinderten ohnehin zwischenzeitlich eingeräumt hat.
Unsere Fraktion hätte sich dem Vorhaben der Fraktion der PDS annähern können, wenn sich durch die Veranlassung einer Bundesratsinitiative über das Gesetz zur Weiterentwicklung des Schwerbehindertengesetzes hinaus Anhaltspunkte für einen weitergehenden Regelungsbedarf ergeben hätten. Das ist nach meinem Dafürhalten nicht der Fall. Somit entfällt die Zustimmung zu dem Begehren.
Wir werden uns aber als Fraktion niemals berechtigten Verlangen von behinderten Bürgern unseres Landes
verschließen. Ich plädiere, wie von Frau Kuppe gesagt, für eine Überweisung in den Ausschuß. - Danke.
Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Abgeordnete Frau Lindemann das Wort. - Ich nehme meine Ankündigung noch einmal zurück. Ich möchte gern eine angenehme Pflicht erfüllen und Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer an der Kreisvolkshochschule Schönebeck und ausländische Studierende an der Otto-von-GuerickeUniversität Magdeburg herzlich begrüßen. Herzlich Willkommen!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Aufnahme des Satzes „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ in den Artikel 3 des Grundgesetzes im Jahre 1994 wurde der Schutz Behinderter vor Benachteiligungen erstmals als Verfassungsrecht verankert. Der Grundsatz der Gleichberechtigung von Menschen mit und ohne Behinderung beinhaltet nicht nur den Aspekt, Behinderte nicht zu benachteiligen; er ist gleichzeitig als Aufgabe zu verstehen, Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft zu integrieren und sie bei der Ausübung ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu unterstützen.
Jede und jeder von uns weiß um die Notwendigkeit weiterer Anstrengungen zur Umsetzung des Grundrechtes der Nichtbenachteiligung. Rechtliche Regelungen auf Landesebene werden gebraucht, um die im alltäglichen Leben nach wie vor bestehenden Hindernisse für Menschen mit Behinderungen zu beseitigen. Noch immer ist der Blick in die verschiedensten Lebensbereiche nicht so geschärft, daß die Gesellschaft von sich aus Hürden beseitigt oder gar nicht erst entstehen läßt. Schon diese Art von Barrieren erschwert eine wirkliche Integration von Behinderten ungemein. Auch die ideellen Barrieren sind meiner Meinung nach noch längst nicht überwunden.
Behindertenpolitik muß die Möglichkeiten zu Eigenständigkeit und Selbstbestimmung schaffen. Die Anfänge sind gemacht. Das soll nicht in Abrede gestellt werden. Doch für eine wirkliche und vor allem aktive Integration von behinderten Menschen in die verschiedenen Lebensbereiche ist es erforderlich, mittels einer Landesgesetzgebung dem Grundgedanken der Gleichberechtigung mehr Nachdruck zu verleihen.
Der von der PDS eingebrachte Gesetzentwurf findet von seiner Intention her unsere Unterstützung. Über die rechtliche Ausgestaltung im einzelnen wird im Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales diskutiert werden. Die Forderung nach Integration und Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, das heißt der grundgesetzliche Gleichstellungsauftrag soll konkretisiert und festgeschrieben werden. Wie und in welcher Form dieser Forderung Rechnung getragen werden kann, wird aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten sein.