Protocol of the Session on January 20, 2000

„Der Trend zur größeren Gemeinde hat sich in Deutschland fast überall durchgesetzt. Die Länder haben erkannt: Damit lassen sich nicht nur Kosten sparen, damit bekommen die Bürger auch besseren Service. Die Kommunen brauchen gute Fachleute, anderenfalls produziert Verwaltung viel Ärger, siehe Straßenausbau oder Abwasser.

Erkannt haben das viele Bürgermeister, auch wenn sie aus parteipolitischen Gründen Püchel heftig kritisieren, wie Naumburgs Oberbürgermeister und CDU-Innenexperte Curt Becker.“

(Beifall bei der SPD)

„Er hat in den letzten Jahren etliche Dörfer in seine Stadt eingemeindet,“

(Herr Dr. Bergner, CDU: Auf freiwilliger Basis!)

„und sein Kreis, der Burgenlandkreis, steht mit fast 150 000 Einwohnern ganz vorbildlich da.“

(Herr Dr. Rehhahn, SPD: Hört, hört! - Zurufe von der CDU)

In der „Mitteldeutschen Zeitung“ kommentiert am selben Tag Hans-Jürgen Greye:

„Die Kritiker haben ein weites Betätigungsfeld. Gerade erst gewinnen die vor gut fünf Jahren geänderten Strukturen an Festigkeit, da soll erneut alles anders werden. In der entstehenden Unruhe könnte vieles von dem, was mühsam errichtet wurde, wieder kaputtgemacht werden. Befürchtungen, die berechtigt sind. Doch sie führen nicht zum Ziel, zu einem zukunftsfähigen SachsenAnhalt. Das Land und seine Kommunen sind davon weit entfernt.“

(Herr Schomburg, CDU: Vor allem das Land!)

„Eine zweite Reform tut not, auch weil die erste von 1993/94 zu kurz gegriffen hat. Es wird zuviel verwaltet in Sachsen-Anhalt.“

(Zustimmung bei der SPD)

„Das treibt die Kosten in die Höhe, führt zu zeitund nervenaufreibender Doppelarbeit und raubt Kraft. Mit 1 300 Gemeinden in 21 Landkreisen, drei Regierungspräsidien und etlichen Ämtern leistet sich das Land für gerade einmal 2,6 Millionen Einwohner einen Luxus, der nicht bezahlbar ist.“

Beide Journalisten sind parteipolitisch weder in die eine noch in die andere Richtung festgelegt. Vielmehr haben sie die Landespolitik in den vergangenen Jahren stets kritisch begleitet.

(Zuruf von Frau Weiß, CDU)

Mit den zitierten Kommentaren reagierten sie auf die Vorstellung des Leitbildes zur Verwaltungs- und Kommunalreform in Sachsen-Anhalt. Bei der Vorstellung des Leitbildes habe ich betont, daß es Grundlage für eine Diskussion über die Strukturen in unserem Land sein soll. Sofort nach der Vorstellung begann, wie erwartet und gewünscht, die Diskussion darüber.

Die Reaktionen auf das Leitbild waren und sind teilweise heftig. Ich habe das auch nicht anders erwartet; denn es geht bei der Verwaltungs- und Kommunalreform um die Veränderung von Strukturen, in denen wir in den kommenden Jahren und Jahrzehnten das politische Leben in unserem Lande gestalten wollen. Die meisten Reaktionen erfolgten und erfolgen aus einer Betroffenheit heraus, was auch verständlich ist; denn viele haben sich auf die jetzige Situation eingestellt, haben sich darin eingerichtet.

Die erste Landesregierung hatte mit ihrer halbherzigen Kreisgebietsreform und der Bildung kleiner Verwaltungsgemeinschaften niemandem weh tun wollen und hat den Weg des geringsten Widerstandes gewählt.

(Beifall bei der SPD - Herr Schulze, CDU, lacht)

- Daß es Widerstände gab, ist völlig klar, aber es waren die geringsten, die man erwarten konnte. - Die nicht betroffenen Kreise verhielten sich still, um ungeschoren davonzukommen.

Ich erinnere mich noch an die Aussage des damaligen Ministerpräsidenten Professor Münch. In Quedlinburg sagte er sinngemäß: Euer Kreis kann bestehen bleiben, strengt euch bloß beim Kinderkriegen an. - Sie haben sich nicht angestrengt - ganz im Gegenteil.

(Heiterkeit bei der SPD und bei der CDU - Herr Dr. Daehre, CDU: Das lag an euch! - Zuruf von Herrn Dr. Bergner, CDU)

- Sehen Sie sich die Zahlen an, Herr Bergner. - Insbesondere die Kreissitzfrage wurde damals fast zu einer Frage des Seins oder Nichtseins hochstilisiert.

(Herr Schomburg, CDU: Warten Sie ab!)

Die Abgeordneten der ersten Wahlperiode werden sich noch gut an den Auftritt des Abgeordneten Schellbach aus Zeitz im Landtag erinnern, der angesichts einer schmählichen Niederlage noch einmal seinen lieben Curt anflehte; doch der liebe Curt blieb hart, Naumburg wurde Kreisstadt.

(Heiterkeit bei der SPD)

Mit dem Leitbild stehen wir vor einer ähnlichen Diskussion wie in den Jahren 1992/93. Aber damals hat die Opposition von Anfang an konstruktiv mitgearbeitet. Heute geht es nach dem Ritual: Alles, was von der Regierung kommt, ist schon im Ansatz schlecht.

(Frau Stolfa, PDS: Das stimmt doch gar nicht!)

Außerdem wird gleich viel mehr hineininterpretiert, als wirklich angedacht ist, nach dem Motto: Was hat der Püchel mit diesem Leitbild wirklich vor? - Die bekannten Unterstellungen.

Die CDU ist sowieso dagegen; ihre Reaktion kannte man schon vorher. Wenige Wochen vor der Veröffent-lichung des Leitbildes lud sie zu einer Pressekonferenz ein. Herr Professor Böhmer erkannte in seinem Eingangsstatement grundsätzlichen Reformbedarf im Lande.

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Das ist auch so!)

Hierin stimmen wir, glaube ich, alle in diesem Hause überein.

Seine Koreferenten beschränkten sich bei ihren Forderungen jedoch auf die Landesverwaltung. Sie kritisierten die Vielzahl der Landesämter. Die kommunale Ebene blieb im Grunde genommen außen vor.

Nachdem ich das Leitbild vorgestellt hatte, kam von der CDU - wie nicht anders erwartet - als konstruktiver Beitrag, daß wir eine Verwaltungs- und Funktionalreform benötigten, jedoch keine Kommunal- und Gebietsreform.

(Herr Schomburg, CDU: So ist es!)

Aber, meine Damen und Herren, wir brauchen beides, und wir haben beides aufgegriffen. Wir setzen uns sowohl mit der Landesebene, der Landesverwaltung, als auch mit der kommunalen Ebene auseinander. Wenn man die eine Ebene verändern will, hat dies auch Auswirkungen auf die andere. - Ich hörte eben den Zuruf „Falsch!“. Darauf werde ich gleich noch eingehen.

Wenn die Verwaltung unseres Landes verändert werden soll, muß dies in einem Guß geschehen. Das heißt, die Reform muß ganzheitlich erfolgen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von der Regie- rungsbank)

Die PDS warnte die SPD-Landesregierung auf einer Pressekonferenz davor, eine kommunale Gebietsreform in Sachsen-Anhalt ohne breite Diskussion im Schnellverfahren durchzusetzen. Sie erklärte, daß hierbei ein überparteilicher Konsens anzustreben sei. - Das sehe ich ganz genauso. Im Jahr zuvor lobte sie die gründliche Vorbereitung der Gebietsreform im Jahre 1993. Das heißt, daß ich mir die CDU zum Vorbild nehmen soll. Das riecht schon ein bißchen nach CDU-tolerier-tem Innenminister.

Doch wie sah es in der so gelobten Zeit aus? Am 31. März 1992 stellte die damalige Arbeitsgruppe ihr Leitbild fertig. Anfang Juli, also nur drei Monate später, wurden bereits konkrete Karten zu den neuen Kreisstrukturen auf den Tisch gelegt. Nur ein Jahr später wurde das Gesetz zur Kreisgebietsreform verabschiedet.

Angesichts dieses zeitlichen Ablaufs hätte die Kritik der PDS anders lauten müssen, nämlich daß wir uns mit unseren Vorstellungen viel zuviel Zeit lassen; denn wir haben unser Leitbild im Dezember 1999 vorgestellt und wollen das Gesetz erst in vier Jahren verabschieden.

(Zuruf von Herrn Dr. Daehre, CDU)

- Eine gründliche Vorbereitung und Diskussion sind entscheidend, Herr Dr. Daehre.

Zum besseren Verständnis möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren, einige Eckpunkte des damaligen Leitbildes ins Gedächtnis rufen. Ich empfehle den Interessierten, dieses Leitbild der CDU einmal in Gänze zu lesen. Dies dürfte nicht schwerfallen; denn es umfaßt nur 16 ¼ Seiten abzüglich drei Seiten Formalien und abzüglich einer halben nicht beschriebenen Seite; zudem ist alles eineinhalbzeilig geschrieben.

Sehr geehrter Herr Dr. Bergner, Sie bezeichnen mein Leitbild heute in der Zeitung als nebulös. Ich frage Sie: Was haben Sie damals zu diesem Pamphlet gesagt?

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von der Regie- rungsbank)

Darin heißt es unter anderem:

„Öffentliche Verwaltung ist in zunehmendem Maße öffentliche Dienstleistung und Daseinsvorsorge. Sie ist Teil und zugleich Motor öffentlicher Infrastruktur. Sie unterliegt einer immer stärkeren Verrechtlichung. Sie verlangt die Kenntnis von Vorschriften und Aufgaben, die durch die Verlagerung von Kompetenzen auf die Europäische Gemeinschaft und auf zunehmend stärker einwirkendes EG-Recht, aber auch durch Fortentwicklung von Landes- und Bundesrecht zu erwarten sind.“

Einige Absätze weiter heißt es:

„Selbst bei Einhaltung strengster Wirtschaftlichkeit und Effizienz ist deshalb eine solche notwendige Stärkung der Verwaltungskraft auf Dauer nur zu erreichen und zu sichern über genügend große Einheiten. Dies bedeutet vor allem mehr Einwohner, wird aber auch mehr Fläche und größere Entfernungen zur Folge haben.“

Im Ergebnis heißt es dann: