Protocol of the Session on April 26, 2023

An dieser Stelle geht es um das Über-sich-selbst-Nachdenken, auch hier im Hohen Hause; das würde einigen gut zu Gesicht stehen, Herr Voigt. Was war das, diese DDR? Was war das in den letzten 30 Jahren nach der Wiedervereinigung? Was sagt das alles über unsere Demokratie heute aus? Und dann Döpfners Zuschreibung: Die kriegen das im Osten nicht hin, die sind zu blöde zu allem. Wer urteilt hier eigentlich über wen? Ich darf sagen: Ja, wir haben im Osten ein Demokratieproblem.

(Zuruf von der AfD: Mit euch!)

Wer die Demokratiefeindschaft unbeirrt und ausschließlich, Herr Voigt, der DDR zuschreibt, begeht meiner Meinung nach riesengroße Fehler.

(Sören Voigt, CDU: Es gab ja keine Demokratie in der DDR!)

Erstens; er negiert die im Osten lebenden Menschen, indem er die Erfahrungen, die sie seit 1989 sammelten, für irrelevant erklärt; so, als hätte das Sein nicht auch das Bewusstsein bestimmt. Zweitens; die Biografien in der DDR sind für die Leute nicht nur widersprüchlich, nicht nur Ballast, der weg muss. Drittens werden Ungerechtigkeiten und Kränkungen, die mit dem Umbruch einhergingen und zahllose Menschen aus der Bahn warfen, sie zu Bürgern zweiter Klasse stempelten – zumindest im Lebensgefühl –, gerechtfertigt. Ich warne davor, das notorisch auszublenden.

Es sind Wunden, die tief sind. Der Frust der Leute sitzt tief und die Sorge, dass sie den Frust an ihre Kinder weitergeben und diese zu Antidemokratinnen und Antidemokraten werden lassen.

(Sören Voigt, CDU: Wo sehen Sie denn diese Leute?)

Etliche Unternehmen – das stimmt – produzieren neue Ideen mit modernster Technik und sind wettbewerbsfähig, oft spielt Ost und West dabei keine Rolle. In Kunst und Kultur wird ein neues, ein anderes, ein progressives Bild vom Osten gezeichnet. Fast überall sehen wir sanierte Häuser und Städte und eine neue oder neu ertüchtigte Infrastruktur. Trotzdem bleibt eines: Beim Schauen fragen sich die Leute, wem das gehört und wer effektiv darüber verfügt. – Es gehört nicht dem Osten. Daran wird sich absehbar nichts ändern, es ist quasi ein Aufholen ohne einzuholen. Das kann durchaus mit politischem Verdruss einhergehen und dadurch fragen sich immer mehr Menschen: Wie kann es sein, dass wir strukturell aufholen, man uns kulturell aber immer noch nicht als zugehörig betrachtet? An blühende Landschaften zu erinnern und an ihre Dankbarkeit zu appellieren – wieder Herr Voigt – fruchtet ebenso wenig wie der Versuch, die Frauenemanzipation mit dem Verweis auf ihre bisherigen Erfolge abzufrühstücken.

Bitte zum Ende kommen.

Diese Pflichtübung von Festreden zu Jubiläen verfehlt regelmäßig ihren Zweck und kann daher getrost entfallen.

Ein letzter Satz: Nationalstolz und Volkstümelei samt wehender Flaggen sind sicher keine Antwort. Wir brauchen eine neue gemeinsame Klammer und diese kann meiner Meinung nach nur Demokratiebeteiligung und sich einmischen heißen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Und die CDUFraktion; Herr von Breitenbuch, bitte.

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt den Spruch: „Freund, Feind, Parteifreund“, und anscheinend kann man ihn erweitern auf: „Freund, Feind, Chatfreund“; denn das ist der Ausgangspunkt Ihrer Debatte, dieses Durchstechen aus einem vertraulichen Chat. Ich halte das für keine gute Basis, um diese Debatte zu führen,

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

die aber auf jeden Fall geführt werden muss – keine Frage. Die Ursache der unbestritten entgleisenden Äußerung, die wir als Ausgangspunkt haben, war nichts Aktuelles, sondern es war die Thüringen-Wahl im Jahr 2019. Das Ergebnis, diese Zäsur, war ein Tiefschlag für viele, die an der Wiedervereinigung damals beteiligt waren und es deshalb auch heute sind, die emotional beteiligt sind und leiden, wenn es schwierig ist. Dass die AfD und DIE LINKE in der Thüringen-Situation so wichtige und entscheidende Rollen einnehmen konnten, war für uns unfassbar. Daran kann man leiden, das will ich deutlich sagen. So geht es

mir auch, nur bin ich offensichtlich nicht so „chatemotional“ und habe auch solche Chatfreunde nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns in der Zeit nach Ostern. In der Bibel gibt es den heiligen Thomas, der den Finger in die Wunde legt. Solch eine Wunde gibt es, wir spüren sie alle deutlich und darüber können wir auf jeden Fall reden, liebe LINKE. Auch wir als CDU haben dazu immer wieder etwas zu sagen. Mehr als 30 Jahre später schütteln wir immer noch die Köpfe übereinander, machen Witze oder haben Wutausbrüche – wie in Familien, wenn Menschen sich viel bedeuten, sich so gut kennen und es immer wieder schwierig ist.

Es ist so: Wir in Sachsen haben andere Prägungen, andere Sicherheiten und Unsicherheiten, andere Blicke auf aktuelles Geschehen – was nicht falsch ist –, oft klarer und sensibler. Zwischen den Buchstaben lesen, das wurde in der Diktatur geübt und erfahren. Und natürlich ist da die Erfahrung der Aufbauzeit, der letzten gut 30 Jahre. Daraus ist eine besondere Mündigkeit erwachsen, die keine westdeutsche Verachtung verdient.

Verachtung erleben wir bis heute: Wenn meine Kinder in Westdeutschland gefragt werden, ob es hier wirklich Nazis und Kommunisten in Überzahl gibt, wenn meine Frau und ich in Westdeutschland gefragt werden, ob man hier überhaupt leben kann, dann sticht das immer wieder tief ins Herz. Auch diese Wunde schließt sich, das habe ich bei der Feuerwehrhilfe nach der Flut im Ahrtal im Rheinland und in Nordrhein-Westfalen erfahren. Sachsen helfen dort bzw. haben geholfen, kompetent und tatkräftig. Ein besseres Zeichen aus Sachsen, aus Ostdeutschland, konnte es nicht geben. Augenhöhe, Miteinander, wiedervereinigt. Dafür herzlichen Dank allen Helfern bei dieser westdeutschen Flut.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Henning Homann, SPD)

Noch ein Wort zu Axel Springer: Axel Springer ist immer für die Wiedervereinigung und für Israel eingetreten; das gilt bis heute. Bildhaft dafür ist das Springer-Konzernhochhaus gebaut worden, im damaligen Westberlin, nah an der Mauer, ein Neubau in den Sechzigerjahren, den Finger weiter in die Wunde der geteilten Stadt und Deutschlands legend. „Zeit“, „Spiegel“ und „Stern“ blieben im Westen, in Hamburg, weit weg und politisch näher an der SED. Sie dachten gar nicht an so ein Projekt. Dieser Streit scheint weiterhin Wirkung zu haben. Wir als CDU werden Mathias Döpfner nach Sachsen einladen und miteinander, nicht übereinander sprechen. Er wohnt in Potsdam, insofern ist sein Weg nicht weit zu uns.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Für die AfDFraktion Herr Abg. Barth.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es sind nicht nur Springer-Verlag und Döpfner. Sigmar Gabriel: „Bei uns zu Hause würde man sagen, das ist Pack, was sich hier herumgetrieben hat.“ Armin Laschet: „Ganze Landstriche haben nicht gelernt, vor anderen Menschen Respekt zu haben.“ „Titanic“: „Rezessionsangst in Deutschland: nackt, arm, rechts. Sind wir bald alle Ossis?“ „Spiegel“: „So isser, der Ossi. Wie der Osten tickt – und warum er anders wählt.“ Ticken tun auch Bomben, also Bomben und der Ossi „ticken“. „Hessischer Rundfunk“: „Frustriert und rechts? Wie ticken die Ossis?“

Meine Damen und Herren, ausnahmslos stammen diese Zitate von Politikern und Medien, die sich in den Altbundesländern verorten, dem Westen Deutschlands. Damit ist klar: Es geht nicht wirklich um das Problemfeld Osten, sondern einzig und allein um die Art, wie der Westen den Osten sieht. Was wir hier erleben, sind Zustandsbeschreibungsmechanismen, Vorurteile, Stereotype, Ressentiments, Schematisierungen – all das erfolgt.

Sie in diesem Hause als versammelte Sittenwächter sind doch sonst immer total kleinlich, wenn es um vermeintliche Vorurteile und Pauschalisierungen geht. Doch ausgerechnet bei Döpfner treten Sie, Herr Gebhardt, auf den Plan. Opfer dieser soeben zitierten Vorverurteilungen sind nämlich, Herr Gebhardt, keine Migranten, es sind für Sie also „nur“ Ostdeutsche. Wenn man Ihr Antragsgeschehen sieht – wie häufig Frau Nagel über Flucht und Vertreibung redet –, könnte man den Eindruck gewinnen, der Ostdeutsche sei ein Mensch zweiter Klasse; denn Aufschrei und Distanzierung findet bei den anderen Parteien eigentlich überhaupt nicht statt.

Aber zurück zum Thema: Worum geht es hier eigentlich? Es geht um eine private Unterhaltung, um Indiskretion. Das ist kein Zufall, sondern Teil einer Langfriststrategie. Es geht darum, dass Döpfner dabei in die Affäre des Ex„Bild“-Chefs Julian Reichelt hineingezogen wird; dies ist erklärte Absicht von Medien wie „MDR“ oder „Bayrischer Rundfunk“, aber auch „Spiegel“ und „Stern“.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Richter?

Ja.

Herr Richter, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Barth, waren Sie in den letzten Minuten bei der Debatte dabei? Haben Sie feststellen können, zuhören können, dass es durchaus Distanzierungen von verschiedenen Seiten unserer Fraktionen im Blick auf diese Äußerungen gab?

Das habe ich gehört. Ich sage aber: Haben Sie sich jemals distanziert, Herr Richter, als zum Beispiel der „Spiegel“ diese unsägliche Überschrift „Wie tickt der Osten?“ – ticken tun Bomben, ich sage es immer wieder –,

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Eine Eieruhr tickt auch! veröffentlichte? Da hätte einmal ein Aufschrei erfolgen können, dazu hätten wir einmal eine Debatte hören können. (Sören Voigt, CDU: Ein Wecker tickt auch!)

Ein Wecker? Da haben Sie recht, der tickt auch – aber eben auch Bomben und Ossis, aus Sicht des „Spiegels“.

(Zuruf von der CDU: Das ist ja Unsinn!)

Was ich Ihnen sagen wollte: Man hätte bereits bei diesen Zitaten darüber debattieren können. Wir tun es aber heute, weil es jemand aus der wertkonservativen Seite getan hat.

(Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: „Wertkonservativ“ nennen Sie das?)

Deshalb geht es um die Debatte – ich beantworte immer noch die Frage, Frau Vorsitzende –:

(Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Frau Präsidentin, immer noch!)

linke Medien gegen rechte Medien. Und die rechten Medien sind keine Freunde der AfD, das können Sie hören. Er hat sich entschuldigt: Ich meinte nicht den Osten, sondern eigentlich die AfD. – Es geht darum: Was darf gesagt werden, wo ist der Korridor des Sagbaren und wer bestimmt diesen Diskurs? Das ist das Grundproblem, worum es in dieser Debatte eigentlich geht.

Jetzt ist die Beantwortung sicherlich beendet.

Ja, die Beantwortung ist beendet. Bei aller Aufregung und Empörung über das von Herrn Döpfner Gesagte dürfen wir jedoch nicht den Fehler machen, den eigentlichen Konflikt aus dem Auge zu verlieren. Ich hatte es bereits gesagt: Es gab einen Aufschrei im linken Lager bezüglich Meinungsfreiheit, Meinungsherrschaft und Deutungshoheit in der medialen Öffentlichkeit. Worum geht es eigentlich? Es sollen bestimmte Menschen aus der medialen Öffentlichkeit herausgedrängt werden. Offensichtlich soll nun auch der Name von Herrn Döpfner auf einer vermeintlichen imaginären Liste stehen.

Es wäre aus meiner Sicht aber verfehlt, mit Springer und Döpfner Mitleid zu üben. Döpfner selbst hat über seine Medien „Welt“ und „Bild“ versucht, beispielsweise die FDP stark zu schreiben und so Einfluss auf die Politik zu nehmen. Im letzten Wahlkampf wollte er beispielsweise die FDP auf 16 % hochschreiben. Dazu sage ich nur: Unabhängigkeit der Presse, die nur sagt, was ist. Das ist, wenn wir solche Beispiele sehen, ein lang vergessener Zustand. Unsere Presse – das müssen wir feststellen – ist teilweise selbst zum politischen Akteur verkommen. Die jüngste Ausrede, die Herr Döpfner getroffen hat – er habe mit der Schmähkritik an Ostdeutschland ausgerechnet unsere Partei gemeint –, ist letztendlich wieder ein aktuelles Beispiel dafür.

Meine Damen und Herren, ich habe noch 5 Minuten und würde gern eine dritte Rederunde mit Ihnen darüber führen, wie wir das alles besser machen können. Wir wollen ja nicht nur meckern, sondern auch etwas erreichen. Herr Gebhardt, vielleicht beteiligen auch Sie sich an dieser Debatte.

(Beifall bei der AfD)

Wird von den BÜNDNISGRÜNEN noch einmal das Wort gewünscht? – Das ist der Fall; Herr Löser, bitte. Es sind noch knapp 2 Minuten, zur Orientierung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich möchte gern konkret auf die Frage zurückkommen: Wenn wir sagen, es gibt strukturelle Benachteiligungen des Ostens, was machen wir dann damit? Wir haben vorhin Themen benannt, zum Beispiel Lohnunterschiede und Vermögen. Wir als GRÜNE sagen klar: Wir wollen die Stärkung der Arbeitnehmer(innen) in Sachsen sowie der Tarifbindung – Sachsen darf nicht Billiglohnland sein –, dann kann Vermögen aufgebaut werden. Das ist, scheint mir, bei dem Thema bisher noch nicht benannt worden. Konkret haben wir uns als GRÜNE beispielsweise für den DDR-Rentenhärtefallfonds eingesetzt und ihn unterstützt – leider gab es dafür keine Mehrheit. Wir wollen die Ansiedlung von mehr Bundeseinrichtungen in Ostdeutschland; denn gute Löhne in öffentlicher Hand haben Vorbildwirkung auf die freie Wirtschaft.

Zum Thema Wohneigentum: Wir wollen die Stärkung der Eigentumsquote, wir unterstützen das Thema Wohneigentumsbildung und die Koalition tut dies auch bereits.