Protocol of the Session on April 26, 2023

Das macht den ÖPNV für alle sehr viel einfacher. Das ist gut und das erkenne ich an. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Vielen Dank an die Bundesregierung dafür, dass sie dahin gehend etwas macht. Auch wenn ich Kritik daran habe – wir haben morgen noch die Aktuelle Debatte –, ist es trotzdem der richtige Weg.

Aber das, was für die Hälfte der Sächsinnen und Sachsen – circa 2 Millionen Menschen – in diesem Land fehlt, ist ein attraktiver ÖPNV für dieses Ticket. Was nützt mir ein günstiges 49-Euro-Ticket, wenn ich keinen Bus oder keine Bahn nutzen kann – weil sie vor meiner Haustür nicht fahren, weil sie nicht attraktiv oder überhaupt nicht vorhanden sind – und somit nicht fahren kann?

Das ist ein wirklich großes Problem, und deshalb haben wir Ihnen vor knapp einem Jahr das ÖPNV-Gesetz – als ÖPNV-für-alle-Gesetz – vorgelegt, welches unser bestehendes ÖPNV-Gesetz ändern soll.

Dass 2 Millionen Menschen nicht an den ÖPNV in Sachsen angeschlossen sind, das sage nicht ich, sondern das sagt die ÖPNV-Strategiekommission, die der Freistaat Sachsen in der letzten Legislatur selbst einberufen hat und durch die genau diese Probleme, aber auch Lösungsvorschläge dargestellt wurden. An einigen wird gearbeitet, aber an vielen eben nicht.

Das Kernproblem ist aus meiner Sicht, dass der ÖPNV in Sachsen weiterhin eine freiwillige Aufgabe ist. Es ist keine Pflichtaufgabe, ÖPNV-Angebote, Bus- und Bahn-Angebote vorzuhalten. Ich finde, das ist ein Fehler; denn immerhin ist Mobilität ein Menschenrecht, ein Grundrecht. Wir als Staat sollten dafür sorgen, dass die Menschen mobil sein können, auch wenn sie nicht mit dem Auto fahren. Deshalb wollen wir hier Mindestbedienstandards einführen, die ich Ihnen im Folgenden erkläre.

Das Vorbild dafür ist die Schweiz. Wir waren als Wirtschafts- und Verkehrsausschuss in der letzten Legislaturperiode vor Ort und haben uns das angeschaut. Dort gibt es

auf jedem Berg, in jedes Dorf im Halbstunden- bis Stundentakt eine ÖPNV-Verbindung; das heißt, es fährt ein Bus oder sogar ein Zug. Das funktioniert dort, weil es über das Mobilitätsgesetz, das Mobilitäts- und Mindestbedienstandards vorschreibt, gesetzlich geregelt ist.

Wir haben in Sachsen auch ein ÖPNV-Gesetz, das aber sage und schreibe das letzte Mal im Jahr 2012 – damals gab es noch eine FDP in der Regierung und einen FDP-Verkehrsminister – geändert wurde. Das ist also mehr als zehn Jahre her, und das allein spricht schon für sich, meine Damen und Herren. Das sagt viel aus.

Wir haben heute fünf Verkehrsverbünde, fünf verschiedene Regelungen bei Mitnahme und Preisen. Wir haben Verkehrsvergaben, angesichts derer man sich fragt, wie so etwas sein kann. Wie kann zum Beispiel noch solch ein Zug auf der Strecke Leipzig – Chemnitz fahren, den ich gern Mittelalterzug nenne: laut, alt, nicht barrierefrei, ständig kaputt, verspätet und mit Frauenabteilen zur Sicherheit? Das sind Dinge, die im 21. Jahrhundert nicht mehr stattfinden dürfen.

Wir haben weitere Probleme, zum Beispiel immer weiter steigende Fahrpreise; denn die steigenden Kosten werden seit Jahren immer nur auf die Fahrgäste übertragen und nicht gleichzeitig vom Freistaat oder vom Bund mit ausfinanziert. Das passiert jetzt in gewissem Maße durch das 49-Euro-Ticket. Aber das Grunddilemma, das die Verkehrsverbünde haben – ihre steigenden Kosten immer nur an die Fahrgäste weitergeben zu müssen –, besteht in Sachsen weiterhin.

Barrierefreiheit ist ebenso ein Thema, weil wir streckenweise ganze Linien haben, die nicht barrierefrei sind. Wir haben fehlende Taktverbindungen. Wie wir durch die Streiks gesehen haben, haben wir nicht nur fehlendes, sondern auch schlecht bezahltes Personal. Das alles ist Realität. Dort wollen wir mit entsprechenden Gesetzesänderungen ran.

Als Erstes wollen wir Mindestbedienstandards. Wir wollen gesetzlich festlegen, dass in jedem Dorf, in jeder Kommune ab 500 Einwohnern ein Zwei-Stunden-ÖPNV-Takt angeboten wird, zum Beispiel zur nächsten S-Bahn-Station oder zur nächsten größeren Kommune. Ab 5 000 Einwohner soll der ÖPNV im Ein-Stunden-Takt und ab 10 000 Einwohner im Halbstunden-Takt angeboten werden.

Das sind Vorgaben, die man gesetzlich regeln kann, wie es zum Beispiel die Schweiz macht. ÖPNV wird damit zur Pflichtaufgabe für die Kommunen. Ja, das kostet Geld. Wir

haben die Sächsische Verfassung, die besagt: Wenn Pflichtaufgabe a), muss der Freistaat – b) – dann dafür zahlen. Das ist aus meiner Sicht auch gesichert. Das sind wir den 2 Millionen Menschen in Sachsen schuldig, die keine eigenen Verkehrsanbieter haben und nicht regelmäßig den ÖPNV nutzen können; denn außer einem Schulbus fährt dort nichts. Das ist das Problem.

Das Zweite ist das Thema Preise. Wir wollen den ÖPNV noch günstiger machen, auch wenn es das 49-Euro-Ticket nun geben wird. Das bedeutet leider – und das werden wir morgen ausdiskutieren –, dass es nicht für alle Menschen günstiger wird. Ich kann Ihnen Beispiele von Familien erzählen, die eine Abo-Monatskarte ihrer örtlichen Verkehrsbetriebe für 60 bis 70 Euro haben. Diese ist zwar teurer als das 49-Euro-Ticket, aber sie können Ehepartner bzw. Partner und Kinder kostenlos mitnehmen. Das wird mit dem 49-Euro-Ticket nicht überall in der jeweiligen Stadt mit Zusatzangeboten – offeriert. Das heißt, wenn man regelmäßig einen Familienausflug machen möchte oder regelmäßig zu zweit zur Arbeit fahren will, weil es vielleicht derselbe Arbeitsweg ist, geht es nicht. Man braucht dann zwei Tickets, die 100 Euro kosten. Letztendlich ist das 49-EuroTicket für einige Personengruppen teurer als die jetzigen Angebote.

(Staatsminister Martin Dulig: Das stimmt doch gar nicht! Die Abos werden nicht abgeschafft!)

Die kann man weiter benutzen, genau. Aber es ist kein Fortschritt. –

(Staatsminister Martin Dulig: Dann stellen Sie das jetzt nicht so dar!)

Man kann trotzdem weitergehen als das, was der Bund gerade macht. Man kann als Freistaat sagen: Kinder, Jugendliche, die noch kein Auto fahren können, also keine Alternative haben, sollten kostenlos fahren dürfen, genauso wie Seniorinnen und Senioren, die vielleicht nicht mehr Auto fahren sollten.

Wir haben außerdem im Gesetzentwurf stehen, dass wir bedürftigen Menschen eine Kostenfreiheit, also Sozialtickets bzw. Sozialtarife, anbieten möchten. Auch das kann man als Freistaat regeln, und das wird höchste Zeit.

Drittens. Wir wollen die Fahrgastrechte ausbauen. Die gibt es nämlich in Sachsen nicht. Wenn eine S-Bahn oder ein Bus zu spät kommt – das kann auch über eine Stunde sein –, bekomme ich keinen Fahrpreis wieder. Im Fernverkehr ist das geregelt. Wir wollen das auch im Nahverkehr.

Viertens. Schienenstrecken zu reaktivieren ist, denke ich, ein Thema, das wir hier im Landtag schon oft hatten. Hunderte Streckenkilometer wurden in den letzten 30 Jahren in Sachsen abgebaut. Wir wollen, dass es zügiger geht, diese wieder aufzubauen.

Fünftens. Die Verkehrsverbünde, die wir noch haben, wollen wir perspektivisch überwinden. Wir wollen also das nicht mehr zeitgemäße Modell von fünf verschiedenen Fürstentümern abschaffen. Wir wollen einen Landesnah

verkehrsplan mit einem Landesnahverkehrsplanbeauftragten, der regelmäßig dem Landtag berichtet, damit der Verkehrsminister wieder für Verkehr zuständig sein kann und nicht nur rein die Kommunen. Wir wollen also einen landesweiten Verkehrsverband, in dem das Land, der Landtag, der Gesetzgeber, mit regeln kann, und perspektivisch wollen wir sogar einen mitteldeutschen Verkehrsverbund mit Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Wir wollen gleichzeitig, dass die Kommunen verpflichtend zusammenarbeiten. Es kann nicht sein, dass im Jahr 2023 ein Bus nur bis zur Landkreisgrenze fährt und wieder umkehrt, obwohl die Stadt oder das mögliche Ziel noch zehn Kilometer entfernt ist. So etwas darf es nicht mehr geben. Wir wollen also, dass Kommunen und Kreise zusammenarbeiten müssen.

Sechstens. Es darf nicht mehr sein, dass bei der Vergabe von ÖPNV-Leistungen – das sind staatliche Leistungen, die von den kommunalen Verkehrsverbünden und Zweckverbänden angeboten werden – immer nur der günstigste Anbieter gewinnt. Wir wollen Qualitätskriterien: Barrierefreiheit, WLAN, Emissionsfreiheit, Klimafreundlichkeit. Wir wollen leise Fahrzeuge. Solche Anbieter müssen gewinnen und nicht immer nur der kostengünstigste, wie wir das bei Leipzig – Chemnitz sehen.

Siebtens. Wir wollen auch, dass Kommunen alternative Finanzierungsmodelle ausprobieren. Wenn ein großes Werk – beispielsweise in Leipzig BMW oder Porsche – an eine S-Bahn-Station angeschlossen ist, dann profitieren sie davon, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Zug transportiert werden. Sie zahlen aber derzeit nichts dafür, und wir finden, dass die Kommunen eine entsprechende Abgabe von solchen großen Nutznießern – so nennt man das, das können auch Kaufhäuser oder andere belebte Orte sein – einführen können, damit sie die ÖPNV-Dienstleistung finanziert bekommen.

Als Letztes, meine Damen und Herren: Wir wollen das ÖPNV-Gesetz anfassen. Es wurde vor mehr als zehn Jahren das letzte Mal berührt. Wir brauchen hier, denke ich, eine Veränderung, gerade weil bundesweit sehr viel Bewegung drin ist. Insofern ist unser Gesetzesvorschlag – wir würden uns freuen, wenn Sie ihn annehmen – ein Angebot für künftige Debatten und Gesetzesänderungen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die Fraktion DIE LINKE sprach Kollege Böhme. Nun spricht Kollege Hippold für die CDU-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wieder einmal stellt die Fraktion DIE LINKE heute einen undifferenzierten Gesetzentwurf zum ÖPNV vor, ohne jedoch tatsächliche finanzielle Gegebenheiten und bestehende rechtliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.

Herr Böhme, Sie haben gerade ausgeführt, dass die Finanzierung aus Ihrer Sicht gesichert sei. Das fand ich eine interessante Aussage in dem Zusammenhang. Wir haben uns den Gesetzentwurf angeschaut und kommen zu einem anderen Schluss.

Schaut man sich also den vorliegenden Gesetzentwurf genau an, wird deutlich, dass er einen massiven Bürokratieaufbau sowie kaum zu stemmende finanzielle Auswirkungen für Sachsen zur Folge hätte. Auch das haben Sie nach unserer Einschätzung ausgeblendet. Zudem werden grundlegende Zuständigkeiten und aktuelle bundespolitische Entscheidungen ignoriert. In Zeiten, in denen es angezeigt ist, Fachkräfte in den produktiven Bereichen unserer Wirtschaft zu generieren und nicht in der Verwaltung, ist das nicht tragbar.

Meines Erachtens werden im Gesetzentwurf der LINKEN alle Vorstellungen des bekannten Stratkomm-Gutachtens aus dem Jahr 2017 praxisfern und lieblos aufgewärmt, ohne eine Differenzierung nach der finanziellen und praktischen Umsetzbarkeit einfließen zu lassen. Dabei hatten gerade die Sachverständigen in der Anhörung darauf hingewiesen, dass nur eine schrittweise Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs in Sachsen machbar und anzuraten ist. Mit Träumereien kommt man als politischer Verantwortungsträger nicht sonderlich weit.

(Zuruf des Abg. Marco Böhme, DIE LINKE)

Wir müssen uns doch letztlich die Frage stellen: Wie verteile ich zukünftige Steuereinnahmen auf die einzelnen Ressorts und somit zielgerichtet auf politische Schwerpunkte und dann im Einzelplan 07 speziell im Verkehrsbereich?

Da komme ich zu folgendem Schluss: Erstens. Unser ÖPNV verteuert sich progressiv. Hier sind insbesondere Personal- und Energiekosten als Preistreiber zu nennen. Diese Verteuerungen müssen haushalterisch abgedeckt werden, was auch bei staatlichen Mehreinnahmen keine Selbstverständlichkeit ist.

(Unruhe)

Hierzu sind in der Anhörung zu dem Gesetzentwurf von Fachleuten entsprechende Hinweise erfolgt und Bedenken an der finanziellen Umsetzbarkeit des vorliegenden Gesetzentwurfs geäußert worden.

Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. Es wird etwas laut. – Bitte schön, Herr Kollege.

Die geforderte angebotsorientierte Taktverdichtung, die Verbesserung der Erreichbarkeit sowie die technische Ausstattung der Fahrzeuge erfordern eine finanzielle Untersetzung im Doppelhaushalt, die von den Einbringern des Gesetzentwurfs vollständig ausgeblendet wird. Hierdurch wird erneut dokumentiert, dass wir scheinbar den Sozialismus noch nicht hinter uns gelassen haben.

Derzeit werden im sächsischen Nahverkehr nur 30 % der Ausgaben durch die Fahrkarteneinnahmen gedeckt. Die Lücke wird durch staatliche Regionalisierungsmittel und Landesmittel geschlossen. Diese Lücke – darauf weise ich schon jetzt hin – wird durch die Einführung des Deutschlandtickets größer werden.

Zweitens bleibt die technische Entwicklung des ÖPNV im Gesetzentwurf der LINKEN völlig außen vor. Hier wird nur aus dem sechs Jahre alten Stratkomm-Gutachten abgeschrieben, ohne über den Tellerrand zu schauen, was KI, autonomes Fahren sowie technischer Fortschritt perspektivisch im ÖPNV bedeuten.

Kurzum: Der vorliegende Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE greift im Sinne eines zukunftsorientierten Mobilitätsgesetzes zu kurz. Das kann an den Aussagen der Experten in der Anhörung festgemacht werden. Der Finanzierungsbedarf findet im Gesetzentwurf keine Berücksichtigung. Wie immer ist das bei Ihnen nach dem Motto „Wünsch dir was“.

(Zurufe der Abg. Marco Böhme und Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE)

Weitere Kritikpunkt am Gesetzentwurf – – Es ist schon spannend, wie manche reagieren, die die ganze Zeit nicht zugehört haben, dann aber einen Satz aufnehmen und gleich darauf reagieren.

(Zurufe der Abg. Marco Böhme und Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE)

Nein, Marco Böhme war jetzt nicht gemeint. Ich denke, die Person weiß, wer gemeint war.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Ich kann aber beides!)

Weitere Kritikpunkte am Gesetzentwurf sind Details, die in einem Gesetz wie diesem vielleicht keinen Platz finden sollten, zum Beispiel das Thema Beschwerdemanagement oder das Thema Sanktionen für Verkehrsverträge. Das ist nach unserer Einschätzung zu komplex, um es in einem Gesetz wie diesem lösen zu können, weil auf alle Eventualitäten eingegangen werden müsste. Das sollte den Verkehrsverträgen vorbehalten bleiben.