Protocol of the Session on May 4, 2022

Von dieser Überzeugung sollten wir alle getragen sein. Mit dieser Überzeugung sollten wir in Zeiten schwieriger Haushaltslage weiter vorangehen. Mit dem letzten Doppelhaushalt haben wir durch die Erhöhung des Landesblindengeldes und der Nachteilsausgleiche gezeigt, –

Die Redezeit ist abgelaufen.

– dass uns auch in Zeiten knapper Kassen die Belange von Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen wichtig sind. Ich denke, in diesem Geist sollten wir alle gemeinsam weiterarbeiten.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, den BÜNDNISGRÜNEN, der SPD und vereinzelt bei den LINKEN)

Kollege Dierks sprach für die CDU-Fraktion. Nun übergebe ich an die Fraktion der AfD, Frau Kollegin Schwietzer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Barrierefreiheit betrifft alle Bereiche des öffentlichen Lebens und des privaten Lebens.

Dieses Thema hatten wir bereits im Februar letzten Jahres behandelt. Damals hatten die regierungsbildenden Parteien einen Antrag auf Evaluierung gestellt.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE)

Wir haben uns dazu geäußert, dass der Landesaktionsplan sofort umgesetzt wird. Heute stehen wir wieder hier.

(Lachen des Abg. Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE)

Barrierefreiheit ist die Grundvoraussetzung für die Teilhabe behinderter Menschen am öffentlichen, am sozialen und am kulturellen Leben. Aber man darf nicht vergessen, dass das auch den Bereich Bildung betrifft oder ein bedarfsgerechtes Wohnumfeld geschaffen werden muss.

Um zumindest den öffentlichen Raum barrierefrei zu machen, gibt es das Förderprogramm „Sachsen barrierefrei 2030“. Bis dahin ist nicht mehr viel Zeit. Ich nenne einige Zahlen: Hierfür stehen 3,25 Millionen Euro jährlich bereit. Hinzu kommen 4 Millionen Euro aus dem Programm „Lieblingsplätze für alle“. Das klingt nach viel, ist es aber leider nicht.

Ich nehme das Beispiel ÖPNV: Zurzeit sind in den Städten nur 30 bis 40 % der Haltestellen barrierefrei. Im ländlichen Raum sind es 5 %. Bis zum Jahr 2030 soll man zu immerhin 70 % Anteil in den Städten und nur zu 50 % in den ländlichen Regionen kommen. Auch der Weg zur Haltestelle muss selbstverständlich barrierefrei sein. Was nützt sonst eine barrierefreie Haltestelle, wenn der Weg dorthin nicht gegeben ist?

Das sind ambitionierte Ziele, die aber einen enormen Geldbedarf haben. Wie Sie Ihre Ziele erreichen möchten, ist fraglich. Nutzen Sie die vorhandenen Mittel also möglichst effizient und dort, wo viele Menschen davon profitieren. Das sind nicht nur Menschen mit Behinderungen – es wurde schon von Herrn Dierks gesagt –, es sind auch Eltern mit Kinderwagen.

Wo ebenfalls noch erheblicher Bedarf besteht: bei der Erhöhung des Anteils barrierefreien Wohnraums. Hierbei geht es nicht nur um Menschen mit Behinderungen, sondern auch um ältere Menschen, zum Beispiel Pflegebedürftige, die dann auch im eigenen Wohnraum wohnen möchten. Gerade durch den sich zuspitzenden demokratischen Wandel,

(Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Demografischen Wandel!)

also die älter werdende Bevölkerung, steigt der Bedarf an barrierefreiem Wohnraum enorm. Bis 2030 werden 77 000 Wohnungen benötigt, die barrierefrei sind. Sofern man dort nicht rechtzeitig gegensteuert, ist das ein enormes Problem. Auch hierfür braucht es vor allem Geld. Wir haben 2019 auch schon darauf aufmerksam gemacht, dass den Förderhemmnissen entgegengewirkt werden müsse. Nach oben besteht hier natürlich noch Luft.

Was das Thema Arbeitswelt betrifft, so gilt es auch dort, einiges aufzuholen. Arbeitgeber mit mehr als 20 Mitarbeitern müssen wenigstens auf 5 % der Arbeitsplätze Schwerbehinderte beschäftigen. Sachsen hat mit 4,1 % die

zweitschlechteste Beschäftigungsquote Schwerbehinderter bundesweit. Zusammen mit den Betrieben müssen Maßnahmen entwickelt werden, um die Beschäftigungsquote zielgenau zu steigern. Im Bundestag haben wir dazu 2019 einen Antrag eingebracht. Es geht um ein Bonussystem bei Übererfüllung der Beschäftigungsquote in Ergänzung zur Pflichtabgabe. Liebe Mitstreiter, Ihre Mitstreiter im Bundestag haben den Antrag leider abgelehnt – so viel zur Ehrlichkeit Ihrer Ziele.

(Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Hä?)

Ja, wir haben einen Antrag gestellt, und dieser wurde von Ihnen abgelehnt.

(Zuruf des Abg. Sören Voigt, CDU – Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Dem kann ich nicht folgen!)

Einige letzte Aspekte möchte ich noch zum Bildungsbereich nennen. Sie fordern ja auch immer wieder eine schnelle, bedingungslose Inklusion in Schulen. Unsere Bedenken dagegen kennen Sie: Wo sind die Lehrkräfte? Steuern Sie endlich gegen! Und: Derzeit sind die Schulen nicht barrierefrei.

Frau Schwietzer, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Beseitigen Sie den Lehrermangel, aber bis dahin sollten Sie vielleicht erst einmal ehrlich zu sich selbst sein und sich eingestehen, –

Ihre Redezeit ist abgelaufen, Frau Schwietzer!

– dass ohne entsprechende Rahmenbedingungen eine Inklusion nicht möglich ist. Setzen Sie den –

Ihre Redezeit ist immer noch abgelaufen, Frau Schwietzer!

– Landesaktionsplan um! – Danke.

(Beifall bei der AfD)

Danke schön. Das war Frau Schwietzer für die AfD-Fraktion. Ich bitte jetzt für die Fraktion DIE LINKE Sarah Buddeberg ans Rednerpult.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleg(inn)en! Ich habe mich sehr auf die heutige Debatte gefreut und freue mich natürlich auch, dass wir heute die Dolmetschung hierzu haben, die wir natürlich immer gern hätten. Wir können gar nicht genug über Inklusion sprechen. Deshalb ist es toll, dass wir diese Debatte heute haben, insbesondere, weil morgen, wie bereits gesagt wurde, der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen ist. Er hat in diesem Jahr das Motto „Tempo machen für Inklusion“, und ich denke, das

ist genau das, was wir uns in Sachsen auf die Fahnen schreiben sollten: „Tempo machen für Inklusion“.

Aber wie temporeich erscheint das den Menschen mit Behinderungen, die hier in Sachsen leben? Ich habe dazu ein Zitat mitgebracht, das ich kurz verlesen möchte. Es lautet: „Ich gehe durch das Leben ständig mit angezogener Handbremse. Es ist regelrecht ermüdend, immer und immer wieder auf meine Behinderung hinweisen zu müssen.“ Dieses Zitat ist nicht an mich direkt herangetragen worden, sondern es ist nachzulesen im Beteiligungsportal des Freistaates Sachsen. Dort steht nämlich der 7. Bericht zur Lage der Menschen mit Behinderungen zur Diskussion. Der erste Teil, die Handlungsempfehlungen, kommen dann im nächsten Jahr. Die Beteiligungsmöglichkeit wird ganz rege genutzt. Ich habe gestern hineingeschaut; da waren es, glaube ich, etwa 170 Beiträge. Ich möchte alle dazu einladen, diese Möglichkeit zum Mitdiskutieren zu nutzen – bis zum 31. Mai ist das noch möglich –, und ich möchte an uns als Landtag appellieren, die Wortmeldungen und Diskussionsbeiträge, die dort eingespeist werden, sehr ernst zu nehmen, denn sie zeigen einen sehr konkreten Handlungsbedarf.

Der Titel der heutigen ersten Aktuellen Debatte, „Sachsen barrierefrei 2030 – […]“, bezieht sich auf den Antrag der Koalition, den wir schon im vergangenen Jahr diskutiert haben, und das dazugehörige Programm. Dennoch muss ich wiederholen, was ich auch in meiner Rede zum Antrag schon gesagt habe: Die Vorstellung, dass Sachsen 2030 barrierefrei ist, ist natürlich eine schöne Illusion. Wir müssen realistisch sein: Das wird nicht gelingen, denn von einer inklusiven Gesellschaft sind wir auch in Sachsen noch Lichtjahre entfernt. In diesem Zusammenhang ist es mir sehr wichtig, noch einmal auf die verschiedenen Kategorien von Barrieren einzugehen, weil häufig im Alltagsgebrauch immer so die Rampe damit verbunden wird; aber es gibt eben verschiedene Kategorien: Es gibt mobile Barrieren, kommunikative und kognitive Barrieren, und diese betreffen alle Lebensbereiche. Wenn man das anlegt, kommt man sehr schnell zu dem Schluss, dass hierbei noch sehr, sehr viel zu tun ist. Es ist eben mehr als die bauliche Veränderung.

Aber wir können auch einmal bei den baulichen Veränderungen bleiben. Artikel 9 der Behindertenrechtskonvention legt die Zugänglichkeit fest. Das bedeutet auch: Beseitigung von Barrieren im Bestandsbau. Dazu braucht es neben den Fördermöglichkeiten, die heute genannt worden sind und die natürlich sehr, sehr gut sind – sowohl das Programm „Sachsen barrierefrei 2030“ als auch die „Lieblingsplätze für alle“ –, eine rechtliche Verbindlichkeit. Diese erreichen wir nur, wenn wir diese Regelungen zur Barrierefreiheit auch gesetzlich festschreiben.

Das haben wir aktuell in der Diskussion um die Sächsische Bauordnung. Bei dem, was die Staatsregierung vorgelegt hat, ist die Barrierefreiheit nicht in den Blick genommen worden. Wir haben daher als Fraktion den Landesgeschäftsführer des Sozialverbands VdK, Ralph Beckert, zur Sachverständigenanhörung eingeladen, und er hat sehr

viele gute Impulse eingespeist. Wir haben heute bereits aus den Redebeiträgen der Koalition gehört, dass eine große Offenheit besteht. Wir werden diese Vorschläge in Änderungsanträge gießen und hoffen dabei sehr auf die Unterstützung der Koalition bei der Umsetzung; denn es braucht Gesetze und nicht nur Aktionspläne und Absichtserklärungen – so wichtig diese auch sind.

Morgen ist also der Europäische Tag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. Das ist kein feierlicher Tag, sondern ein Protesttag; und Protest ist bitter notwendig, denn die UN-Behindertenrechtskonvention, die ich eben schon erwähnt habe, ist bereits geltendes Recht, aber sie ist an vielen Stellen längst noch nicht umgesetzt – und das müssen wir tun: die UN-Behindertenrechtskonvention schleunigst umsetzen. Das bedeutet: Tempo machen für Inklusion; und ich möchte noch einmal ganz klar sagen, dass mit Tempo nicht Schneckentempo gemeint sein darf.

(Beifall bei den LINKEN)

Lassen Sie uns deshalb gemeinsam mit Hochdruck für eine inklusive Gesellschaft arbeiten, und lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass der Protesttag zu einem Feiertag für Inklusion werden kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war Sarah Buddeberg für die Fraktion DIE LINKE. Nun für die SPD-Fraktion Hanka Kliese, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Politik für eine barrierefreie Gesellschaft besteht nicht aus der einen Maßnahme; sie setzt sich aus ganz vielen großen und kleinen Puzzleteilen zusammen, die am Ende ein barrierefreies Ganzes ergeben sollen – oder ich würde besser sagen: ein barrierearmes Ganzes; denn eine vollständige Inklusion, eine vollständige Barrierefreiheit werden wir wahrscheinlich in dem Sinne nie erreichen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird der Protesttag wahrscheinlich immer auch ein Protesttag bleiben müssen. Nichtsdestotrotz sollten wir mehr Tempo machen; darin gebe ich Ihnen recht.

Erbracht werden müssen, um diese Teilchen zusammenzusetzen, Teilchen, die durch politische Maßnahmen gewährleistet werden, beispielsweise durch Investitionen, durch Gesetze, aber auch durch das Mitdenken und Mitmachen der gesamten Gesellschaft. Ohne das wird es nicht funktionieren.

Ich bin sehr glücklich, dass es uns in der Koalition gelungen ist, in einem durch Corona schwer belasteten Haushalt sogar noch weitere Investitionen für Barrierefreiheit zu tätigen. Das war und ist nicht selbstverständlich. So haben wir das Programm „Lieblingsplätze für alle“ sogar noch aufgestockt. Das ist ein Programm, das genauso eine Mischung aus persönlichen Impulsen von Menschen, von Ehrenamtlichen und Vereinen ist, die sagen: „Wir haben Lust, unseren Verein barrierefreier zu machen, beispielsweise,

was die Räumlichkeiten betrifft“, und den politischen Voraussetzungen, dass das staatlich finanziert wird.

Ähnlich verhält es sich mit dem Projekt „Sachsen barrierefrei 2030“. Hier können sich die Kommunen und Landkreise um Mittel bewerben, um Barrieren in ihren Regionen abzubauen; und ich hoffe, sie tun das weiterhin reichlich. Zusätzlich gibt der Freistaat noch 3,5 Millionen Euro zur Umsetzung des Aktionsplanes zur UN-Behindertenrechtskonvention heraus. Das ist schön, aber ich sehe dabei noch Luft nach oben.

Als in der vergangenen Legislaturperiode die einzelnen Ministerien zu einer Interministeriellen Arbeitsgruppe zusammengerufen wurden, um den Aktionsplan und dessen Umsetzung zu besprechen, war die Beteiligung – ich formuliere es einmal vorsichtig – sehr unterschiedlich. Ich erinnere mich sehr gern an die Anmeldung des SMWK für den Haushalt: eine ganze Million, die das SMWK nur zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beantragt, bekommen und genutzt hat. Die Dinge, die daraus entstanden sind, sind bis heute sichtbar und machen Menschen mit Handicap bis heute ihr Leben leichter. Beispielsweise ist das smac, das Sächsische Archäologiemuseum – ein Landesmuseum mit Sitz in Chemnitz –, dadurch barrierefreier geworden, hat eine Homepage, die in Leichte Sprache übersetzt, und lässt Führungen in Gebärdensprache stattfinden.