Wenn man sich fragt, warum jedes Jahr mehr Hochschulabsolventen Sachsen verlassen als Akademiker neu zuziehen, dann hat das sicherlich auch mit der Attraktivität der Arbeitsbedingungen zu tun. Kurz gesagt: Sachsen hat bundesweit die geringste Tarifbindung, die längsten Arbeitszeiten und die niedrigsten Löhne. Das nenne ich einen Standortvorteil.
Das dachten sich auch lange Zeit die CDU und die FDP. Sie haben das nur leider nicht ironisch gemeint. In der Morlok‘schen Fachkräftestrategie, die beim SMWA noch bis vor Kurzem als offizielle Broschüre heruntergeladen werden konnte, war die Deregulierung und Senkung der verbindlichen Arbeitsstandards noch Teil des Pakets, mit dem man Fachkräfte anlocken wollte. So ganz ist das aus Teilen der CDU noch immer nicht verschwunden. Wenn Ministerpräsident Kretschmer vor einem Jahr über Sonderwirtschaftszonen in der Lausitz philosophierte, dann meinte dies in der praktischen Konsequenz nichts anderes.
Herr Staatsminister Dulig, Sie sind vor viereinhalb Jahren begrüßenswerterweise angetreten, das zu ändern. Das findet sich auch in Ihrer nun vorgelegten Strategie. Ich hatte es eingangs bereits gesagt: Sie wollten zu Beginn Ihrer Amtszeit die Tarifbindung stärken. Gute Arbeit war eines Ihrer Kernvorhaben, an denen Sie gemessen werden wollten. Hierbei sind Sie allerdings – ich denke, das wissen Sie selbst – klar gescheitert. In Ihrer Amtszeit hat die Tarifbindung im Freistaat einen neuen Tiefststand erreicht. Wenn Sie einwenden, das sei Sache der Tarifpar
teien, dann ist das nur ein Teil der Wahrheit. Selbst dort, wo Sie etwas hätten bewegen können, ist nichts geschehen. Komplett ohne Einfluss auf die Tarifbindung ist der Freistaat nicht.
Wieso gibt es in Sachsen nach wie vor Landesunternehmen oder Unternehmen mit Landesbeteiligungen, wie die Leipziger Messe oder die Sächsische Dampfschifffahrt, die ohne Tarifvertrag sind? Wieso nimmt Sachsen im Hinblick auf die Nutzung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen eine absolute Sonderstellung ein? Nach Auskunft Ihres eigenen Hauses, Herr Dulig, ist lediglich der Tarifvertrag des Friseurhandwerks aus dem Jahr 2004 allgemein verbindlich – und das, obwohl Sie gern auf Podien die geringe Tarifbindung beklagen.
Wieso haben Sie, obwohl es im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, hingenommen, dass es kein neues Vergabegesetz gibt? In Sachsen wurden nach dem letzten Vergabebericht in den Jahren 2015 und 2016 allein von den unmittelbaren Landesbehörden öffentliche Aufträge in Höhe von 1,4 Milliarden Euro ausgelöst. Ein neues Vergabegesetz, wonach die Aufträge der öffentlichen Hand stärker an Tarifverträge, die Gleichstellung von Leiharbeitskräften und die Berücksichtigung umweltbezogener Aspekte gebunden sein soll, haben Sie nicht nur nicht auf den Weg gebracht, Sie haben sogar Vorstöße von LINKEN und GRÜNEN abgelehnt. Gleiches gilt für die von Ihnen vorhin genannte Bildungsfreistellung.
Meine Damen und Herren! Sie sehen, dass die Aufgaben noch groß sind. Als abschließendes Fazit bleibt am ehesten der Kommentar aus der „Sächsischen Zeitung“ von gestern zu nennen: Wer Strategiepläne mag, kann sich freuen. Nun muss es pünktlich zum Ende Ihrer Amtszeit, Herr Dulig, nur noch losgehen. Wie die IHK auf ihrer eigenen Pressekonferenz am Mittwoch einräumte, stehen wir mit der Umsetzung noch ganz am Anfang.
In dieser ersten Rederunde sprach Herr Kollege Brünler für die Fraktion DIE LINKE. Nun schließt sich Herr Kollege Heidan an. Er spricht für die CDU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielen Dank, Herr Staatsminister Dulig, für die Fachregierungserklärung, in der viele Dinge richtig bewertet wurden und die notwendige Veränderungen für die nächsten Jahre deutlich beschreibt. Ich hätte mir allerdings von meiner Fraktion gewünscht, von keinem breiten und bunten Blumenstrauß zu hören, der über viele Ministerien hinweggeht. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sagen, was speziell in Ihrem Ministerium verändert werden muss, beispielsweise die Ausweisung von Gewerbegebieten. Ich erinnere daran, dass
gerade im südwestsächsischen Bereich von Chemnitz bis Plauen im Vogtland keine Gewerbegebiete über 20 Hektar zur Verfügung stehen. Es muss ausgewiesen werden, wenn große Investoren kommen. Wir haben gesehen, dass selbst bei Rothenburg am Flughafen chinesische Investoren wieder gegangen sind, weil die notwendige Infrastruktur fehlte, oder, oder.
Der internationale Standortwettbewerb erfordert von uns immer wieder Reformen. Das betrifft die günstigen Bedingungen für private Investitionen, ob im Genehmigungsverfahren oder mit Blick auf Steuererleichterungen. Wir reden vom Strukturwandel oder auch von Sonderwirtschaftszonen. Ja, es ist richtig, das muss sein. Die Entwicklung, die Herstellung und den Absatz von hochwertigen Produkten schafft man nur, wenn man für dementsprechende Voraussetzungen sorgt. Das ist zugleich eine Voraussetzung für eine weiterhin positive Beschäftigungsentwicklung und – das sage ich besonders hier an dieser Stelle – für die Sicherung unserer Sozialsysteme.
Ich stelle fest: Im internationalen Vergleich belasten uns in Deutschland zunehmend unsere Steuerpolitik oder die Arbeitsmarktordnungen – darauf komme ich noch einmal – sowie die Sozialordnung der Wirtschaft, die auch die Arbeitnehmer mit hohen Kosten belastet. Es entsteht auch zunehmend bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern großer Unmut, wenn man zum Beispiel an die kalte Progression denkt.
Es muss daher weiterhin unsere politische Zielsetzung sein, nach Steuerreformen nicht nur zu rufen, sondern sie auch durchzusetzen. Ich weiß, dass da vieles von Berlin entschieden wird, aber wir sollten uns auch hier in diesem Hohen Hause, im Sächsischen Landtag, dafür einsetzen, dass das verändert wird.
Ich will auch noch einmal deutlich sagen – an dieser Stelle passt das vielleicht sehr gut –: Die Bildungsfreistellung generell für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer halten wir für nicht zielfördernd. Sie erhöht nur die Lohnstückkosten in den Unternehmen, gerade in kleinen Unternehmen, weil darauf nämlich ein Anspruch besteht. Wir sind für Weiterbildung, wir wollen das auch, und das machen auch unsere sächsischen Firmen. Unsere sächsischen Unternehmen bilden ihre Mitarbeiter weiter, auch wenn es zum Beispiel ein kleiner Heizungs- und Sanitärfachbetrieb ist, der sich ständig neuen Umweltauflagen oder neuen technischen Ausrüstungen widmen muss. Das machen diese Betriebe schon. Wir wollen damit die Freiheit geben, dass das unternehmensspezifisch durchaus möglich ist. In dieser Weise ist das sicher von der Wirtschaft gewünscht.
Erstens. Wir sehen die Verbesserung der Attraktivität in der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die ich für dringend geboten halte. Zentrale Regelungen für Tarifver
träge sind auf wenige Punkte zu begrenzen. Dann, Herr Staatsminister Dulig, hätten gerade die kleinen Firmen, die hier in Sachsen eine hohe Prozentzahl ausmachen, vielleicht die Möglichkeit, sich an die von Ihnen gewünschte Tarifbindung gebunden zu fühlen. Es hat Ursachen, dass immer mehr Firmen aus der Tarifbindung herausgehen.
Zweitens. Es geht um die Flexibilisierung der Arbeitszeit und die Differenzierung der Löhne, bei denen die Unternehmen und ihre Betriebsräte gesicherte Spielräume für firmenbezogene Vereinbarungen erhalten müssen. Das ist gerade im Zuge der Digitalisierung sehr wichtig.
In diesem Zusammenhang sehe ich das gegenwärtige EuGH-Urteil als nicht hilfreich an. Ich glaube nicht, dass wir wieder zu den Zeiten von Stechuhren, der sekundengenauen Arbeitsbeginne und Feierabendzeiten zurückkommen sollten, weil wir damit nicht die richtigen Antworten auf unsere heutige Zeit geben.
Die Bedingungen für die Flexibilisierung von Arbeitszeiten und für Teilarbeitszeiten müssen sich wesentlich verbessern. Dabei sollte weiterhin dem Vertrauen in die Zeiterfassung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Beachtung geschenkt werden.
Drittens. Die Lohnnebenkosten sind in Deutschland unverhältnismäßig hoch. Eine Senkung als zentrale Aufgabe der künftigen Sozialgesetzgebung ist meines Erachtens unbedingt erforderlich. Nur so kann der Zielkonflikt zwischen Beschäftigungs- und Sozialpolitik überwunden werden.
Den moralischen Wert der Arbeit und der zumutbaren Eigenverantwortung haben immer wieder die Wirtschaftspolitiker gefordert. Diesen Forderungen werden wir uns als CDU-Fraktion anschließen. Es ist deshalb das Abstandsgebot zwischen den Beziehern von Erwerbseinkommen und den Empfängern öffentlicher Sozialleistungen in vergleichbaren Lebenssituationen in Deutschland deutlich auszugestalten.
Die Erfahrung zeigt, dass wir dem freien Wettbewerb, also konsequenter Wettbewerbspolitik der offenen Märkte, Innovationen zu verdanken haben, die wir mit staatlicher Planung und geschützten Wirtschaftssektoren nicht hätten. In einer sozialen Marktwirtschaft, wie wir von der CDU sie verstehen, hat sich der Staat in diesem Zusammenhang insbesondere darauf zu konzentrieren, die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Betriebe durch geeignete Rahmenbedingungen insbesondere durch die Förderung von Schlüsselbereichen – Sie hatten es erwähnt – in Bildung, Ausbildung und Grundlagenforschung zu verbessern.
Mit dem Haushaltsplan 2019/2020 haben wir gute Ansätze beschrieben. Mir fällt da die Förderung außeruniversitärer Forschungseinrichtungen ein. Mir fällt die Richtlinie für das regionale Wachstum ein. Wir haben noch ein ordentliches Finanzpolster für die GRW-Förderung etc.
Ich denke, nur so bleiben wir als Sachsen im internationalen Wettbewerb für die Fachkräfte attraktiv.
Ich darf ergänzend hervorheben: Wettbewerbsordnung und Sozialordnung gehören in der sozialen Marktwirtschaft zusammen. Wettbewerb ist nie unsozial.
Weil wir gerade beim Wettbewerb sind, Herr Staatsminister Dulig, Ihre Kritik am Sächsischen Vergabegesetz ist nicht gerechtfertigt. Gerade wir haben mit diesem Gesetz für unsere kleinteilige Wirtschaft und für die kleinen Unternehmen Möglichkeiten geschaffen, am Wettbewerb teilzunehmen, weil wir mit diesem Gesetz keine Forderungen erheben, die den Firmen einen unnötigen Bürokratieaufwand abverlangen. Wir wissen doch aus anderen Bundesländern, was da alles gefordert wird. Da soll die Herkunft der Materialien nachgewiesen werden. Das kann sicher ein kleiner Betrieb gar nicht leisten.
Die Tarifbindung ist Aufgabe der Tarifpartner und nicht eines Vergabegesetzes. Die Tarifautonomie ist seit 70 Jahren in dieser Republik ein bewährtes Instrument und muss nicht vom Staat teilweise konterkariert werden.
Auch die Mindestlohnvergütung für Lehrlinge fällt unter diese Rubrik. Die staatliche Festlegung von Lohnhöhen ist in einer sozialen Marktwirtschaft noch nie die Lösung gewesen, meine Damen und Herren. Wer Lohnhöhen festlegt, muss dann auch Preise festlegen. Dann sind wir nicht mehr weit von der Staatlichen Plankommission entfernt.
Lieber Herr Staatsminister Dulig, Ihre Jugend aus der SPD fordert heute bereits, dass alles wieder verstaatlicht wird. Ich glaube nicht, dass es damit besser wird.
Die weltwirtschaftlichen Prozesse bei einer zunehmenden Verflechtung und Globalisierung bedeuten keine Gefährdung für die Zukunft Deutschlands und für Sachsen. Wir müssen vielmehr die neuen Herausforderungen konsequent annehmen, die erforderlichen Reformen verwirklichen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit in Sachsen stärken. Dann eröffnet uns die Globalisierung für Deutschland und für Sachsen neue Chancen bei der Fachkräftegewinnung. Unter Beachtung der Aspekte der sozialen Marktwirtschaft werden wir die bestehenden Probleme bei der Fachkräftegewinnung im nationalen und internationalen Wettbewerb lösen können.
Für die CDU-Fraktion sprach gerade Herr Kollege Heidan. Jetzt kommt die SPD-Fraktion zum Zuge. Ich erteile das Wort dem Kollegen Homann. Er spricht für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sachsen hat eine gute Zukunft. Dafür haben wir in den letzten Jahren hart gearbeitet. Wenn wir heute die richtigen Entscheidungen treffen, dann steht
Sachsen weiterhin vor einer positiven Entwicklung, von der alle Menschen in Sachsen profitieren können.
Ich glaube, Sachsen hat eine gute Zukunft, wenn wir heute die richtigen Entscheidungen treffen. Sachsen hat eine gute Zukunft, weil wir die Chance haben, Wohlstand zu sichern, neuen Wohlstand hinzuzugewinnen und Wohlstand gerechter zu verteilen. Dafür müssen wir jetzt weiter die richtigen Entscheidungen treffen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die Voraussetzungen sind gut: Die Arbeitslosigkeit liegt bei 5,5 %; 2014 lag sie bei 8,8 %. Wir grenzen de facto an Vollbeschäftigung. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs ist seit 2015 um 2,4 % gestiegen. Dies zeigt, welche wichtige Wirkung die Einführung des Mindestlohns hatte: Nicht nur dieser wurde eingeführt, auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Freistaat ist generell gestiegen.
Das alles sind positive Entwicklungen für Sachsen, die wir gemeinsam erarbeitet haben und auf denen wir für die Zukunft aufbauen können.
Das bedeutet nicht, dass alles toll ist. Ich finde, man kann die guten Dinge klar beim Namen nennen und trotzdem auch die Probleme ansprechen. Beides gehört dazu. Bei der Frage der Fachkräfte, liebe Kolleginnen und Kollegen, stehen wir aus meiner Sicht vor einer der zentralen Zukunftsherausforderungen. Es wurde bereits mehrfach gesagt: Bis zum Jahr 2030 fehlen in Sachsen über 300 000 Arbeitskräfte. Das Fachkräftemonitoring der IHK Chemnitz zeigt, dass bereits heute 58 % der Unternehmen, die langfristig auf der Suche nach Beschäftigten sind, Aufträge ablehnen müssen. Das ist ein volkswirtschaftlicher Schaden. Dies zeigt, dass der Fachkräfte- bzw. Arbeitskräftemangel eine der entscheidendsten Bedrohungen unseres Wohlstands in den nächsten Jahrzehnten sein wird. Deshalb ist es richtig, dass Herr Staatsminister Martin Dulig und die Sächsische Staatsregierung genau diese Frage in den Mittelpunkt ihrer Politik und auch der heutigen Regierungserklärung stellen.
Es ist schlichtweg nicht wahr, dass die Staatsregierung erst jetzt damit beginnt, denn die Fachkräfteallianzen arbeiten seit Langem. Sie arbeiten in allen Landkreisen und kreisfreien Städten; sie arbeiten auf der Landesebene. Diese Behauptung ist wohlfeil, aber schlicht falsch. Ich möchte mich mit dieser Form von Argumentation auch nicht länger aufhalten, sondern ich finde es wichtig, dass wir noch einmal klar umreißen, worin die Zukunftsherausforderungen bestehen.
Ich denke, der erste und wichtigste Punkt ist die Verankerung des Prinzips „Gute Arbeit im Freistaat Sachsen“. Als Niedriglohnland werden wir den Wettbewerb um die Fachkräfte der Zukunft nicht gewinnen. Sie werden an Sachsen vorbeigehen, aus Sachsen wegziehen oder nicht