Protocol of the Session on December 14, 2018

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Dazu hat zum Beispiel der Deutsche Bundestag das Teilhabechancengesetz auf den Weg gebracht, das am 1. Januar 2019 in Kraft tritt und genau den Fokus hat, jene, die bislang nicht von der guten konjunkturellen Lage profitieren konnten, wieder in Arbeit zu bringen. Denn wir haben ein volkswirtschaftliches und individuelles Interesse daran, dass Menschen in Arbeit kommen. Volkswirtschaftlich deshalb, weil wir in manchen Bereichen schon massiv und in vielen anderen absehbar einen sehr hohen Fachkräftebedarf bekommen werden, und wir können doch nicht den Eindruck vermitteln, dass wir diese Leute nicht brauchen, und sagen, wir gewährleisten soziokulturelle Teilhabe über die Grundsicherung. Das muss im Normalfall funktionieren, keine Frage. Aber es muss doch in unserem Interesse liegen, dass diese Menschen Teilhabe über Arbeit bekommen, da es auch in ihrem individuellen Interesse liegt, weil Arbeitslosigkeit eben kein Lebensschicksal sein soll.

Wenn wir über Kinderarmut sprechen – das sagten Sie eingangs –, dann glaube ich, so drastisch das vielleicht klingt, dass Hartz IV nicht der richtige Ansatzpunkt ist. Ich bin überzeugt davon, dass wir diese Kreisläufe, die

Sie ansprechen, auf die Dauer nur dann durchbrechen können, wenn wir ausreichend in die Bildung dieser Kinder investieren und Hilfsangebote machen, bei denen beispielsweise die Kindertagesstätten ordentlich mit der Jugendhilfe sowie Angeboten der Erwachsenenbildung und der Elternberatung verzahnt werden. Wir haben in Chemnitz beispielsweise Familienzentren. Ich denke, das ist ein richtiger Ansatz, um solche Kreisläufe zu durchbrechen

(Beifall bei der CDU)

und Kindern eine gerechte Teilhabe und die Möglichkeit auf ein selbstbestimmtes Leben zu bieten. Ich bin mir sicher, dass wir nur so diese jammervollen Kreisläufe durchbrechen können.

Das geht weiter in der Schule. Ich glaube, dass die Schulsozialarbeit als niedrigschwelliges Angebot der Jugendhilfe dazu beitragen kann, dass – –

(Zurufe der Abg. Rico Gebhardt und Sarah Buddeberg, DIE LINKE)

Wir geben 30,5 Millionen Euro für Schulsozialarbeit aus, Herr Gebhardt!

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Was haben Sie die letzten 28 Jahre hier gemacht, Herr Gebhardt? – Hier gesessen und herumgepöbelt!

(Zurufe der Abg. Rico Gebhardt und Sarah Buddeberg, DIE LINKE – Zuruf von der AfD: Sehr wahr! Sehr wahr!)

Wer 28 Jahre regiert, macht hin und wieder etwas falsch. Wer 28 Jahre nicht regiert hat, hatte glücklicherweise gar nicht die Gelegenheit, etwas falsch zu machen.

(Beifall bei der CDU – Susanne Schaper, DIE LINKE: So eine Arroganz! – Zurufe der Abg. Rico Gebhardt und Sarah Buddeberg, DIE LINKE)

Summa summarum: Ich glaube, wenn wir über Kinderarmut sprechen, dass es dabei nicht zuerst um Sanktionen im Hartz-IV-Bereich geht, sondern um eine angemessene Investition in Bildung und die Verknüpfung von Bildung und Jugendhilfe.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Sie tun so, als ob ich regiere! – Zuruf von der AfD: Gott sei Dank nicht! – Weitere Zurufe von den LINKEN)

(Interner Wortwechsel zwischen den Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE, und Patrick Schreiber, CDU – Zurufe des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Frau Präsidentin, würden Sie ihm bitte sagen, dass er mich einmal ausreden lässt.

Zwischenrufe sind erlaubt!

Wenn wir über die Sanktionen sprechen, dann muss man schon noch einmal auf den Grundsatz zurückkommen. Ich bin gern bereit, dass wir

(Widerspruch bei den LINKEN – Glocke der Präsidentin)

darüber diskutieren, inwiefern Sanktionen auch heute noch zeitgemäß sind bzw. nach welchen Prinzipien diese Sanktionen erfolgen sollen.

Ich würde aber gern noch einmal darauf hinweisen, dass diese Sanktionen nicht, wie Sie den Eindruck vermitteln, eine Bestrafung darstellen, sondern dass sie letzten Endes Ausdruck dessen sind, dass derjenige, der die Solidarität des Sozialstaates in Anspruch nimmt, auch gewisse Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft und dem Sozialstaat hat.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Marco Böhme und Susanne Schaper, DIE LINKE)

Ich möchte aber auch dem Eindruck entgegenwirken, dass es hier irgendein Bild davon gibt, dass Menschen, die Grundsicherung beziehen, irgendwie per se faul seien. Ich habe auch noch niemanden gesehen, der das behauptet, Frau Schaper.

(Zurufe der Abg. Susanne Schaper, Rico Gebhardt, Luise Neuhaus-Wartenberg, Mirko Schultze, Sarah Buddeberg und Antje Feiks, DIE LINKE)

Wir alle kennen natürlich Beispiele, in denen Menschen unverschuldet in solche Situationen kommen, aus unterschiedlichen familiären oder auch gesundheitlichen Gründen, die keine Möglichkeit haben, den Erwartungen nachzukommen, die an sie gestellt werden. Deshalb halte ich eine ergebnisoffene Diskussion darüber, wie man das System zeitgemäß gestalten kann, durchaus für sinnvoll.

Aber, ich glaube, dass die Absolutheit, mit der Sie das darstellen und – – Sie sagen nicht einmal, dass Sie dieses Bürgergeld haben wollen, das die Bundespartei fordert, sondern Sie kommen so ein bisschen durch die Hintertür mit den Sanktionen; fordern letzten Endes so eine Art Bürgergeld im Schafspelz.

(Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

Ich glaube, dass das tatsächlich fehlgeht. Wir müssen immer wieder deutlich machen, dass es letzten Endes darum geht, Menschen durch Arbeit in Teilhabe zu bringen und dort die Barrieren und Probleme aufzubrechen. Deswegen werden wir diesen Antrag ablehnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Herr Abg. Homann für die SPD-Fraktion, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über Sozialpolitik diskutieren, werbe

ich für Fairness und Differenzierung. Deutschland ist ohne Frage einer der stärksten und leistungsfähigsten Sozialstaaten dieser Welt. Das ist nicht selbstverständlich. Es gibt marktradikale Kräfte, die ihn infrage stellen und wie die AfD die Privatisierung der Arbeitslosenversicherung fordern. Das werden und müssen wir mit aller Macht verhindern.

Den Sozialstaat zu verteidigen bedeutet aber nicht, dass man nicht auch jene Dinge beim Namen nennt, die wirklich verbesserungswürdig sind. Diese gibt es. Wir diskutieren in Deutschland aktuell zu Recht über die Frage, wie es mit den deutschen Hartz-IV-Gesetzen weitergeht. Hartz IV hat besonders bei den Menschen im Osten tiefe Wunden hinterlassen. Ich erinnere an die Massenarbeitslosigkeit Ende der Neunzigerjahre, Anfang der Nullerjahre. Viele Menschen wurden zu Sozialstaatsempfängern, besonders im Osten, obwohl es schlichtweg keine Arbeit gab oder die Leute nur zu Niedriglöhnen arbeiten konnten.

Die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, sind aber andere als damals. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie noch nie. Das ist gut. Fachkräfte werden dringend gesucht – und im Übrigen nicht nur Fachkräfte, sondern generell Arbeitskräfte. Aufgrund der Digitalisierung stehen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor vielfältigen Herausforderungen und verlangen nach einer Perspektive mit Sicherheit.

Es ist also Zeit für eine Sozialstaatsreform, eine Reform weg vom reinen Blick auf die Höhe von Leistungen und Sanktionen. Ich finde, eine solche Debatte ist verkürzt. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind bereit und laden ein zu diskutieren, ohne gleich auf alles eine Antwort zu haben.

Ich möchte einmal folgende Grundideen in dieser Debatte äußern, um einen Bogen zu schlagen. Erstens. Das erste und wichtigste Ziel muss immer sein zu verhindern, dass Menschen überhaupt von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Das muss immer das erste Ziel einer guten Politik sein.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Deshalb brauchen wir ein neues Fördern, gerade im Angesicht der Digitalisierung und Automatisierung vieler Berufe. Die Digitalisierung ist definitiv eine Chance. Wir brauchen davor keine Angst zu haben. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass die alten Berufe nicht entwertet werden. Deshalb brauchen wir einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung für Menschen, die arbeiten, aber auch für Menschen, die gerade ihre Arbeit verloren haben. Mit dem Arbeitslosengeld „Q“ – „Q“ für Qualifizierung – hat die SPD-Fraktion einen gut umsetzbaren Vorschlag gemacht.

Zweitens. Wenn jemand in Arbeitslosigkeit fällt, muss seine Lebensleistung stärker anerkannt werden. Menschen, die lange gearbeitet haben, sollten mehr Geld erhalten als die Menschen, die nur kurz oder nie gearbeitet haben.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Wer zum Beispiel 30 Jahre lang in die Arbeitslosenversicherung und in die Sozialsysteme eingezahlt hat, weil er gearbeitet hat, sollte nicht mehr in Hartz IV bzw. in die Grundsicherung fallen. Für solche Menschen benötigen wir einen Anerkennungsfaktor, dass sie oder er 30 Jahre lang gearbeitet hat. Solche Menschen muss man besser behandeln.

Wer lange gearbeitet hat, der darf auch nicht gezwungen werden, seine Ersparnisse zu verbrauchen. Erspartes muss großzügiger geschützt werden, und die Menschen sollten grundsätzlich keine Angst haben, ihre angestammten Wohnungen und ihr Wohneigentum verlassen zu müssen.

Zur Lebensleistung gehört auch, dass derjenige, der jahrelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, keine Sanktionen – jetzt komme ich zu Ihrem Thema, denn an dieser Stelle stimme ich Ihnen zu – befürchten muss, wenn er einen deutlich schlechteren Job ablehnt. Die Alternative zur Arbeitslosigkeit darf nicht prekäre Beschäftigung sein, sondern gute Arbeit.

(Beifall bei der SPD)

An dieser Stelle muss man Lebensleistungen höher würdigen.

Mein dritter Grundgedanke ist: Wir wollen, dass alle Menschen aus der Grundsicherung herauskommen, in die sie schlichtweg nicht hineingehören. Als Allererstes: Kinder gehören nicht in Hartz IV! Punkt.