Protocol of the Session on June 27, 2018

Zu drittens. Abschiebungshaft ist keine Strafhaft, sondern die verwaltungsrechtliche Vollstreckung der Ausreisepflicht. Andere europäische Staaten praktizieren Abschiebungshaft als Verwaltungshaft ohne gerichtliche Anordnung, zum Beispiel Frankreich.

In Zeiten massenhafter unkontrollierter Zuwanderungen bedarf es deshalb auch der Diskussion der entsprechenden Regelungen zum Richtervorbehalt im Grundgesetz und, falls nötig, eine entsprechende Bundesratsinitiative.

Die Abschiebungshaft kann nur ein ergänzendes Instrument zur Rückführung von Ausreisepflichtigen sein. Die vollständige Rückkehr zu staatlicher Souveränität und Grenzkontrollen sind die Voraussetzungen für eine effektive Politik der Abschiebung. Andernfalls ist der Effekt der geplanten Abschiebungshaft nur wahlkampfkosmetischer Natur.

Da das Gesetz prinzipiell auch die Einrichtung einer Abschiebungshaft mit mehreren Hundert Plätzen ermöglicht, stimmen wir dem Gesetz zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren! Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht jetzt Frau Abg. Zais.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Urban, Sie sagen, der vorliegende Gesetzentwurf sei wahlkampftaktischer Natur. Ihre Fraktion gehörte die ganzen letzten Jahre, wenn ich mich daran erinnere, immer zu den ganz scharfen Hunden, die genau das forderte, was sie heute bekritteln. Insofern ist dann nach Ihrer Rede natürlich die Zustimmung zu diesem Gesetz irgendwo inkonsequent oder vielleicht doch konsequent.

(Jörg Urban, AfD: Wir fordern mehr!)

Vielleicht können Sie sich einmal entscheiden.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach Auffassung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind geflüchtete Menschen, selbst wenn sie einer vollziehbaren Ausreisepflicht unterliegen, keine Menschen zweiter Klasse, in deren Grundrechte der Staat beliebig eingreifen kann.

Bei der Abschiebungshaft handelt es sich weder um eine Straftat, noch werden die inhaftierten Menschen aufgrund ihrer besonderen Gefährlichkeit festgehalten. Abschiebungshaft – Kollege Hartmann hat darauf verwiesen – soll letztlich immer die Ausnahme bleiben. Sie soll Ultima Ratio sein und erst angewendet werden, wenn mildere Mittel zuvor geprüft und angewandt wurden.

Der Gesetzentwurf respektiert bei der Regelung zur Ausgestaltung der Abschiebungshaft jedoch mitnichten den vom Bundesverfassungsgericht für die Sicherungsverwahrung aufgestellten und auf die Gestaltung der Abschiebungshaft zu übertragenden Grundsatz „normales Leben minus Freiheit“, der juristisch als Abstandsgebot bezeichnet wird.

Dieser Grundsatz wurde im vorliegenden Gesetzentwurf in § 2 Abs. 3 zwar im Ansatz aufgegriffen. Folgt man aber den einzelnen Paragrafen, dann stellt man fest, dass er keinesfalls durchdekliniert wurde. Stattdessen bedient die Staatsregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einschließlich der nach der Anhörung eingebrachten Änderungen das Bild des hochgefährlichen Abschiebungshäftlings, in dessen Grundfreiheiten sogar noch in stärkerem Maße als bei Straftäterinnen und Straftätern sowie Sicherungsverwahrten eingegriffen werden kann.

So gibt es zum Beispiel keine Regelung zur Mindestgröße der Räumlichkeiten. Anders sieht die Regelung in der Sicherungsverwahrung aus. Nach § 11 Abs. 1 des Sächsischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes erhalten Untergebrachte in der Sicherungsverwahrung Zimmer zur alleinigen Nutzung. Dort heißt es weiterhin, dass das Zimmer 20 Quadratmeter groß zu sein hat.

Der Besitz von Bargeld und Wertgegenständen ist in der Abschiebungshaft nicht erlaubt; anders im Strafvollzug und beim Vollzug der Sicherungsverwahrung. Der Besitz von Bargeld ist zwar grundsätzlich nicht gestattet, gesetzlich vorgesehen ist jedoch, dass der Anstaltsleiter oder die Anstaltsleiterin Ausnahmen machen kann. Eine entsprechende Ausnahmeregelung fehlt im vorgelegten Gesetzentwurf ebenso wie eine genaue Definition der Zimmergröße, auf die zum Beispiel eine Familie mit Kindern oder ein einzeln Untergebrachter in Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam Anspruch hätte.

Der Zugang zum Internet wird ebenso unverhältnismäßig stark eingeschränkt – eingeschränkt im Gegensatz übrigens auch zu den Regelungen für Strafgefangene und Sicherungsverwahrte.

Dem massiven Grundrechtseingriff werden keinerlei empirische Daten gegenübergestellt. Die Antwort auf die Frage, warum derart ausufernd in die Freiheitsrechte eingegriffen werden soll, bleibt die Staatsregierung und bleiben die Beiträge der Kollegen Hartmann und Pallas weiterhin schuldig.

Die Regelung zu Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge in § 13 entsprechen mitnichten den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen zur zwangsweisen Gabe von Medikamenten. Damit

provoziert die Staatsregierung eine neuerliche Schelte durch das Bundesverfassungsgericht.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die grundsätzliche Haltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist: Ein Mensch, der keine Straftaten begangen hat, darf nicht in Haft genommen werden. Stattdessen müssen die Alternativen zur Abschiebungshaft gestärkt werden. Das, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, können wir in Sachsen bisher nicht erkennen.

In der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Abschiebung hat auch die Staatsregierung genau bei dieser Frage – nämlich, welche Alternativen geprüft wurden – mit erstaunlicher Unkenntnis reagiert. Über die schwierige Rechtslage beim Thema Abschiebungshaft und die trotz des Richtervorbehalts vielen fälschlicherweise in Haft genommenen Menschen wurde hier schon gesprochen.

Ich habe einen Bericht aus Hessen gefunden, der sich auf die Abschiebehaftanstalt in Ingelheim bezieht. Kollegin Nagel hat recht – und das haben Sie vielleicht auch schon in unserer Begründung zum Entschließungsantrag gelesen –: Immer dann, wenn wir solche Einrichtungen schaffen, steigen die Zahlen der in Ausreisegewahrsam oder Abschiebungshaft genommenen Menschen. Weil das eben auch in Ingelheim so war, haben Caritas und Diakonie in dieser Einrichtung Rechtsberatungen durchgeführt. Dabei stellte sich heraus, dass 50 % der von ihnen beratenen Abschiebehafthäftlinge tatsächlich zu Unrecht inhaftiert waren.

Eine solche Entwicklung, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, befürchten wir auch in Sachsen. Deshalb lehnt meine Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf ab. Auch die nach der Anhörung vorgenommenen Änderungen entsprechen nicht dem, was wir uns als Ultima Ratio vorstellen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren, das war die erste Runde. Gibt es aus den Reihen der Fraktionen weiteren Redebedarf? – Das kann ich nicht feststellen. Ich frage die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Das ist offenbar nicht der Fall. Herr Staatsminister, Sie sind noch am Plaudern.

(Zuruf von der Staatsregierung: Wichtige Gespräche!)

Herr Präsident! Daran können Sie sehen, wie gut die Koalition zusammenarbeitet.

Na ja, wie präsent Sie bei der Sitzung sind, kann ich daran auch sehen.

(Vereinzelt Heiterkeit bei der CDU, den LINKEN, der AfD und den GRÜNEN)

Sie haben natürlich recht.

Bitte, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Alles unterwirft sich der Sitzungsleitung des Präsidenten, natürlich auch ich.

Zuallererst gilt mein Dank allen, die an diesem Gesetzentwurf mitgearbeitet haben. Ich weiß, dass die Standpunkte bei diesem Thema auseinandergehen, aber wir haben zielgerichtet und konstruktiv zusammengearbeitet und letztendlich ein gutes Ergebnis erreicht.

Jetzt geht es an die Umsetzung. Aktuell laufen die letzten baulichen Vorbereitungen. In den kommenden Wochen werden die Innenanlagen und abschließend die Außenanlagen übergeben.

Die baulichen Voraussetzungen sind das eine, qualifiziertes Personal das andere. Insgesamt 56 Vollzugsbedienstete werden unter der Leitung der Landesdirektion Sachsen die Abläufe in der Hamburger Straße sicherstellen. Sie setzen sich aus 17 erfahrenen Justizvollzugsbeamten und 39 Neueingestellten zusammen, die bereits ausgebildet wurden. Hinzu kommen noch fünf Bedienstete, die allgemeine Verwaltungstätigkeiten erledigen. Die externe Objektsicherung übernimmt ein beauftragter Wachdienst.

Meine Damen und Herren! Gerade wurde lang und breit über das Für und Wider von Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam diskutiert. Für mich steht erst einmal fest: Das Asylrecht ist ein hohes und wichtiges Gut. Es ist eine Errungenschaft unserer christlich-humanistischen Tradition.

Wenn bei uns jemand aus den verschiedensten Gründen um Asyl bittet, dann prüft das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, ob diesem Antrag stattgegeben werden kann oder nicht. Wenn nach dieser Prüfung eine Ablehnung des Asylantrags steht, dann ist diese Entscheidung aber zu akzeptieren – ja, sie ist nicht nur zu akzeptieren, sie ist auch zu vollziehen. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, der Ausreisepflicht nachzukommen.

Natürlich weiß auch ich: Für viele Betroffene ist das eine schwierige Situation. Die meisten haben sich Hoffnungen gemacht und vielleicht auch etwas anderes erwartet. Wenn die Behörden und notfalls die Gerichte aber so entscheiden, dann ist das in einem Rechtsstaat, meine Damen und Herren, die relevante Größe, nach der wir alle uns richten müssen. Recht ist durchzusetzen. Eine Abschiebung ist dann nun einmal die notwendige Konsequenz. Alles andere, das sage ich deutlich, ist klarer Rechtsbruch.

Meine Damen und Herren! 2017 haben wir in Sachsen insgesamt 2 267 Abschiebungen durchgeführt, davon 922 zwangsweise. Teilweise kam es im Vorfeld zu großen Schwierigkeiten. Warum das so ist, ist bekannt. Personen

tauchen unter, werden nicht angetroffen, Familienmitglieder werden versteckt, Meldeauflagen werden nicht eingehalten. Kurz, es gibt eine ganze Reihe von Gründen, die es als Ultima Ratio notwendig machen, die betreffenden Personen – wir sprechen ausdrücklich von Leuten, die sich rechtswidrig verhalten – bis zu ihrer Abschiebung festzuhalten.

Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Die Betroffenen können dem Ausreisegewahrsam oder gar der Abschiebungshaft ganz einfach dadurch entgehen, dass sie ihrer Ausreisepflicht freiwillig nachkommen, was im Übrigen auch während des Vollzugs noch möglich ist.

Der heute vorliegende Gesetzentwurf enthält den Entwurf eines Abschiebungshaftvollzugsgesetzes sowie sonstige organisatorische und dienstrechtliche Vorschriften. Drei Punkte sind dabei von Belang:

Erstens. Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam

können nur auf Anordnung eines Richters erfolgen, und zwar auch nur dann, wenn der Ausreisepflichtige versucht, sich der Abschiebung zu entziehen. Der Ausreisegewahrsam ist in rechtsstaatlicher Hinsicht also selbstverständlich abgesichert.

Zweitens. Die Unterbringung muss sicher sein. Dazu gehört insbesondere auch, dass Übergriffe von Untergebrachten verhindert werden können. Die Regelungen, die der Gesetzentwurf hierzu enthält, sind sowohl zum Schutz der Untergebrachten untereinander als auch zum Schutz des Personals der Einrichtung erforderlich. Wie wichtig das ist, zeigen die Erfahrungen anderer Bundesländer mit ihren Abschiebungshafteinrichtungen. Das Konfliktpotenzial dort ist nämlich beträchtlich, unter anderem deshalb, weil nicht wenige Untergebrachte eine kriminelle Vorgeschichte aufweisen.

Drittens dürfen Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam bei alledem keinen Strafcharakter haben. Auch das heißt, rechtsstaatlich zu handeln. Es gibt deshalb großzügige Besuchsmöglichkeiten, die Freiheiten in der Einrichtung sind größer als im Strafvollzug.

Meine Damen und Herren! Sie wissen, der Landtag hat auf breiter Grundlage eine Anhörung zu dem Gesetzentwurf durchgeführt. Auf der Basis dieser Anhörung empfiehlt der Innenausschuss, an dem Gesetzentwurf einige Änderungen vorzunehmen. Ich befürworte diese Änderungen und möchte zwei Punkte hervorheben:

Zum einen sieht der Änderungsantrag eine sinnvolle Bestimmung vor, wonach das Personal nicht nur eingreifen darf, um die Sicherheit und Ordnung in der Einrichtung aufrechtzuerhalten, sondern auch, um Straftaten zu verhindern. Zum anderen ist die im Änderungsantrag enthaltene Vorschrift zur grundsätzlichen Einzelunterbringung unter dem Aspekt der Menschenwürde angezeigt.

Meine Damen und Herren! Ich bitte um Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzestext.