Das Internationale Auschwitz Komitee warnte angesichts der Entwicklungen in vielen europäischen Ländern vor einer zunehmenden Ritualisierung und Trivialisierung des Gedenkens. Die Gesellschaft werde in neuer, massiver Weise von weit rechts herausgefordert. Hass und Intole
Mit unserem Antrag, in dem DIE LINKE die Landesregierung zur Förderung von Klassenfahrten zu KZGedenkstätten auffordert, möchten wir den vielen Worten zum Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee Taten folgen lassen.
Wie groß und dringlich der Handlungsbedarf ist, zeigt der Sachsenmonitor. Demnach stimmen 13 % der Befragten überwiegend oder voll der Aussage zu, dass Jüdinnen und Juden einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich hätten und nicht so recht zu uns passen würden. Bundesweit stimmen dem nur rund 5 % zu. Ein Viertel der Befragten in Sachsen meint zudem, Jüdinnen und Juden würden versuchen, Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der Nazizeit die Opfer gewesen sind. Alarmierend ist, dass insbesondere junge Menschen solchen Aussagen überdurchschnittlich häufig zustimmen.
110 antisemitische Straftaten zählte die Polizei im vergangenen Jahr im Freistaat Sachsen. Das geht aus Antworten des Innenministeriums auf Kleine Anfragen meiner Kollegin Kerstin Köditz hervor. In den letzten fünf Jahren – so die Einschätzung meiner Fraktionskollegin –
Die Zuwanderung von muslimischen Flüchtlingen in den letzten Jahren – das sage ich ausdrücklich in Richtung der AfD – hat dabei nicht mehr zu antisemitischen Straftaten geführt. Das zeigt die Statistik. Die Täter sind nach Angaben der Polizei fast immer Neonazis. Die AfD sollte, bevor sie sich über den Antisemitismus unter Flüchtlingen äußert, ihr eigenes Verhältnis zum Antisemitismus klären.
Charlotte Knobloch, die ehemalige Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, hatte Ihnen vor zwei Jahren hier im Sächsischen Landtag ins Stammbuch geschrieben – ich zitiere: „Sie singen im Chor mit Pegida und Co., die offen, rechtsradikal und antisemitisch sind, vielfach unterwandert und gesteuert von Neonazis. Diese Bewegungen fordern ungeniert den Systemumsturz. Ihr nationalvölkischer Ansatz ist sehr gefährlich. Ihr Treiben und die Verrohung im Internet sind Katalysatoren für tägliche Gewalttaten und Übergriffe auf Flüchtlingseinrichtungen und Drohungen gegen Politiker, Journalisten und andere sogenannte politische Gegner.“
An die berüchtigten Äußerungen des Gymnasiallehrers und Thüringer AfD-Landtagsabgeordneten Björn Höcke vor einem Jahr hier in Dresden unweit des Sächsischen Landtags muss ich wohl nicht eigens erinnern.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, unser Antrag ist zwar vom Juni 2016 datiert, ist also älteren Datums, doch er hat eine traurige Aktualität erlangt. Mit der Aufforderung an die Landesregierung, Klassenfahrten zu KZGedenkstätten, insbesondere in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, zu fördern, hat DIE LINKE die öffentliche Diskussion der vergangenen Tage über Sinn und Zweck von Besuchen in KZ-Gedenkstätten und deren verpflichtenden Charakter vorweggenommen. Dass der Zentralrat der Juden wiederholt gefordert hat, Besuche in KZ-Gedenkstätten sollten für Schüler ab der 9. Klasse verpflichtend sein, um die Verbrechen der NS-Diktatur verstehen zu können, darauf verweisen wir in der Antragsbegründung.
Als ein Lernort ist die KZ-Gedenkstätte Auschwitz von besonderer Bedeutung. Auschwitz ist der Ort, an dem die Nazis unvorstellbar grausame Verbrechen verübt haben und der deshalb zum Symbol des größten von Deutschen begangenen Verbrechens der Menschheit ist.
Die intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte dieses Jahrtausendereignisses bietet die Chance, Sensibilität für das Schicksal unserer Mitmenschen zu entwickeln und die Verantwortung für die Gesellschaft, in der wir leben, mitzutragen.
Die jüngste Diskussion darüber ist durch die Berliner Staatssekretärin Frau Chebli ausgelöst worden. Sie hatte sich angesichts aktueller antisemitischer Vorfälle für Pflichtbesuche in Konzentrationslagern ausgesprochen und gesagt, das müsse auch für Zuwanderer gelten. Begrüßt wurde dieser Vorschlag unter anderem vom Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster.
Gegen einen verpflichtenden Besuch von KZ-Gedenkstätten hat sich eine überwiegende Mehrheit aus Politik und Gedenkstättenpädagogik ausgesprochen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wird in den Medien mit den Worten zitiert, dass er die Forderung nach Besuchen älterer Schüler in KZ-Gedenkstätten unterstütze, den Zwang zum Besuch einer Gedenkstätte aber ablehne.
Dasselbe muss jedoch auch für Zuwanderer gelten. Günter Morsch, der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, kritisiert gerade den Vorstoß in Richtung Zuwanderer. Ich zitiere: „Damit treibt man einen Spaltpilz in diese Gruppen.“ – So der Gedenkstättenexperte. – „Das sollte man nicht tun. Wir haben auch viele Deutsche, die tatsächlich eher nationalistisch eingestellt sind und die einen Besuch aus anderen Gründen ablehnen. Auch da üben wir keinen Zwang aus.“
Kurz und gut, eine Mehrheit der Bundesländer setzt in der Debatte um verpflichtende Besuche von KZ-Gedenkstätten auf Freiwilligkeit und überlässt die Entscheidung den Schulen und Lehrern. Das ergab eine Umfrage bei den Bildungs- und Kultusministern der Länder. Das sehen wir genauso.
Der Besuch von KZ-Gedenkstätten ist Teil der historischpolitischen Bildung, die über die nationalsozialistische Vergangenheit aufklären und antidemokratischen Einstellungen entgegenwirken soll. Bei der Behandlung von Nationalsozialismus und Holocaust wird auf außerschulische Lernorte ausdrücklich Wert gelegt, um eine hohe Wirksamkeit bei der Vermittlung der Lehrplaninhalte zu erzielen. Mit entsprechenden Klassenfahrten wird die pädagogisch inhaltliche Bearbeitung des Lehrstoffs im Unterricht unterstützt. Dafür ist eine gründliche Vorbereitung und Auswertung der Klassenfahrten notwendig.
In den Geschichtslehrplänen der Klassenstufen 9 und 10 wird der Besuch von Gedenkstätten als Wahlpflichtbereich festgelegt. Mit unserem Antrag wollen wir jedoch erreichen, dass alle Schülerinnen und Schüler der 9. oder 10. Klassen einmal im Rahmen des Unterrichts eine KZGedenkstätte besuchen können. Die Jugendlichen sollen sich laut Geschichtslehrplan – ich zitiere: „… mit der eigenen Geschichte sich aktiv auseinandersetzen. Sie sollen die Fähigkeit entwickeln, begründete Urteile über Vergangenes und über Geschichtsdarstellung zu fällen.“
„Wenn wir im Geschichtsunterricht den Zweiten Weltkrieg kennenlernen, dann glauben wir stets, uns etwas unter Konzentrationslagern vorstellen zu können. Erst jetzt, nachdem wir alles näher betrachtet haben, stellen wir fest, wie schwer es ist, diese unvorstellbaren Verbrechen nachzuvollziehen; denn egal, wie viele Zahlen, Fakten und Infos uns nahegelegt werden, es scheint aufgrund der unzähligen tragischen Schicksale dennoch unmöglich zu sein, sich ein Gesamtbild zu machen.
Wir Schüler sind dankbar für diese Erfahrung und der Meinung, dass jeder Mensch einmal in seinem Leben ein derartiges Konzentrations- und Vernichtungslager gesehen haben sollte, damit in Zukunft diese Katastrophen des
menschlichen Miteinanders verhindert werden können.“ – So die Äußerung der Schülerinnen und Schüler vom Friedrich-Schleiermacher-Gymnasium Niesky nach dem Besuch der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau.
Mit unserem Antrag wollen wir genau diese Bildungsfahrten zu KZ-Gedenkstätten für alle Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klassen ermöglichen und freuen uns auf eine breite, fraktionsübergreifende Unterstützung.
Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion ist aufgerufen. Für die Fraktion spricht Frau Abg. Firmenich; bitte, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch nach mehr als 70 Jahren sind die Wunden, die der Nationalsozialismus Millionen von Menschen in zahlreichen Ländern der Welt zugefügt hat, noch nicht gänzlich verheilt. Mehr als 55 Millionen Menschen haben den Zweiten Weltkrieg mit ihrem Leben bezahlt und mehr als sechs Millionen Menschen starben unter unbeschreiblichen Leiden in den Konzentrationslagern der Nazis – vor allem Juden, aber auch Sinti und Roma, politisch Andersdenkende, Zeugen Jehovas und viele andere.
An diesen abscheulichen Verbrechen tragen wir, die wir heute hier sitzen, keine Schuld. Sehr wohl aber tragen wir die Verantwortung dafür, die Erinnerung an das Geschehene zu bewahren und alles dafür zu tun, dass sich so etwas nie wiederholt.
(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Beifall bei der Staatsregierung)
Was können wir dafür tun? – Wir können und wir müssen das weiterführen, was die Väter und Mütter des Grundgesetzes unter dem Eindruck der Folgen des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1949 als rechtliches Fundament für den Aufbau einer Demokratie auf deutschem Boden beschlossen haben. Ich meine die Grundrechte, die es zu wahren gilt, allen voran Artikel 1 Abs. 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
In Anbetracht der geschichtlichen Last, die wir tragen, ist es unsere Pflicht, die Demokratie zu schützen, den Bürgern die Werte und Regeln unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu vermitteln und sie zu staatsbürgerlichem, demokratischem Handeln zu befähigen.
Mit Sorge sehen wir, dass es in unserem Land Menschen gibt, die sich nicht mehr an die Regeln des friedlichen Zusammenlebens halten, die sich gegen den Staat und dessen Repräsentanten wenden, Polizei und Rettungskräfte attackieren und gegen Fremde und Juden hetzen oder sie gar tätlich angreifen. Wer so etwas tut, der verletzt die Würde der Menschen und greift unseren Staat und unsere Demokratie an.
Dagegen müssen wir einerseits konsequent mit den Mitteln des Rechtsstaats vorgehen. Andererseits müssen und werden wir die politische Bildung verstärken. Ministerpräsident Kretschmer hat sich gestern in seiner Regierungserklärung deutlich dazu bekannt.
Eine bedeutende Rolle nehmen dabei die Schulen ein. Im Bildungsauftrag der Schulen finden sich die Vermittlung von Werten, Demokratieerziehung und politische Bildung sowie explizit die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und Holocaust. Außerschulische Lernorte sollen einbezogen werden wie zum Beispiel eine Exkursion an einen Gedenkort für die Opfer des Nationalsozialismus.
Nur Bayern und Sachsen haben das klar im Lehrplan der Oberschule für Geschichte in Klassenstufe 8 und beim Gymnasium in Klassenstufe 9 verankert. Doch es obliegt den Schulen, selbst zu entscheiden, auf welche Weise sie sich mit dem Thema auseinandersetzen und ob sie dazu eine Exkursion in eine Gedenkstätte unternehmen.
Immerhin haben im vergangenen Schuljahr 1 200 Schulklassen einen Gedenkort im Inland und weitere 223 einen Gedenkort im Ausland besucht. Dass es in den vergangenen Jahren einen leichten, aber stetigen Anstieg gibt, begrüßen wir sehr.
Die Forderung des Zentralrats der Juden, den Besuch einer KZ-Gedenkstätte für Schüler ab der 9. Klasse verpflichtend zu machen, sehen wir hingegen eher kritisch. Verordneter Antifaschismus funktioniert nicht – wenn er nicht den Kopf und das Herz des Menschen erreicht. Das zeigen uns die Erfahrungen aus der DDR.
Darin sind sich im Übrigen die Kultusminister fast aller Bundesländer einig, einschließlich Thüringen. Auch die Gedenkstätten selbst sehen es kritisch, gerade auch dann, wenn es sich um Menschen aus anderen Kulturkreisen handelt.
Für die jungen Menschen ist es wichtig, dass sie sich mit dem Thema umfassend beschäftigen. Deshalb sind Projekte auf der Grundlage pädagogischer Konzepte sehr wertvoll und notwendig.
Es gibt in unserem Land ganz gute Beispiele dafür, dass sich junge Menschen in unterschiedlichster Weise mit dem Thema Nationalsozialismus und Holocaust auseinandergesetzt haben, zum Beispiel wenn die Geschichten jüdischer Familien und deren Schicksale erforscht und Zeitzeugen zum Gespräch eingeladen werden oder wenn sich Schüler in Sommercamps darum kümmern, dass Gedenkorte gepflegt werden, und sich mit deren Geschichte auseinandergesetzt wird.
Sind Schulklassen gut vorbereitet, dann ist auch eine Exkursion in eine KZ-Gedenkstätte sinnvoll und prägt die Einstellung der jungen Menschen nachhaltig.
Zur inhaltlichen und finanziellen Unterstützung sollen sich die Schulen Partner suchen, zum Beispiel den Schul
träger, die Stiftung Sächsische Gedenkstätten, die Landes- und auch die Bundeszentrale für politische Bildung oder einen Verein, der sich um Erinnerungskultur und Gedenken kümmert.
Wir haben das Programm „Weltoffenes Sachsen“, und selbst im Rahmen von Ganztagsangeboten lassen sich schon heute Projekte einschließlich einer Fahrt zu einem Gedenkort finanzieren. Für Lehrer werden die Kosten im Rahmen der Verwaltungsvorschrift Schulfahrten übernommen.
Wir wollen jedoch noch mehr Schulklassen den Besuch eines Gedenkortes ermöglichen. Darüber werden wir uns bei den Beratungen über den kommenden Doppelhaushalt verständigen.
Die Fortbildung und Beratung von Lehrern für die Gedenkstättenpädagogik ist im Rahmen der Lehrerfortbildung fest verankert. Auch die sächsische Landeszentrale für politische Bildung und die Stiftung Sächsische Gedenkstätten bieten Fortbildungen und Material an. Das muss nur noch mehr bekannt gemacht werden.
Liebe Kollegen der LINKEN! Die Thematik ist also sehr vielfältig und greift nach unserer Überzeugung sehr viel weiter. Sie ist sehr viel komplexer, als Sie in Ihrem Antrag ausführen. Uns ist dieses Thema wichtig. Wir werden uns mit großer Ernsthaftigkeit darum kümmern.
Ihr Antrag – Sie sagten es selbst – stammt vom 15. Juni 2016. Ich bin schon ein wenig traurig darüber, dass Sie sich nicht einmal die Mühe gemacht haben, den Antrag zu aktualisieren.
Ich glaube, Ihr Antrag wird der Breite und Tiefe des Themas nicht gerecht. Der Antrag ist für uns daher nicht zustimmungsfähig.
Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion ist an der Reihe. Frau Abg. Friedel wird sprechen. Bitte sehr, Frau Friedel.