Protocol of the Session on November 16, 2017

(Zuruf von der AfD: Das steht auch nicht in unserem Antrag!)

Es gibt auch bundesweit diverse Hochschulen und Institute, die zu den entsprechenden Phänomenen forschen.

Dazu haben wir schon einiges gehört; das muss ich nicht vertiefen.

Eine differenzierte Untersuchung ist notwendig, da es extrem unterschiedliche Gründe dafür gibt, dass Straftaten nicht erkannt oder nicht angezeigt werden. Drei Beispiele:

Es gibt die Trennung in Anzeige- und Kontrolldelikte. Anzeigedelikte sind die Delikte, bei denen die Geschädigten ein Interesse daran haben, dass die Polizei ermittelt; die Geschädigten gehen also selbst zur Polizei. Dann gibt es Kontrolldelikte. Diese „Holkriminalität“ wird nur aufgedeckt, wenn die Polizei selbst aktiv wird. Betäubungsmitteldelikte sind dafür das klassische Beispiel: Weniger Kontrollen bedeuten weniger festgestellte Straftaten. Mehr Kontrollen bedeuten mehr festgestellte Straftaten und damit ein größeres Hellfeld.

An dieser Stelle noch eine Anmerkung zu der CrystalStudie: Diese ist auch deshalb sinnvoll, damit wir mehr über Beschaffung, Verbreitung, Motivation und soziale Ursachen erfahren, um in der Folge diesem Phänomen entgegenwirken zu können. In diesem Sinne würde eine rein quantitative Untersuchung nicht weiterhelfen.

Ein weiterer Grund für ein großes Dunkelfeld kann die Situation von Gewaltopfern sein. Ein Beispiel ist das Feld der sexualisierten Gewalt. Wir haben es häufig mit traumatisierten Opfern zu tun. Es kommt die Schwierigkeit hinzu, dass die Täter häufig im sozialen Umfeld des Opfers zu suchen sind.

(Enrico Stange, DIE LINKE: Vor allem!)

All das macht auch die Schwierigkeit aus, vor der die Geschädigten stehen. Sie müssen sich sozusagen davor schützen, wieder mit dem konfrontiert zu werden, was geschehen ist. Es besteht die Gefahr der Retraumatisierung.

Das ist ein Feld, das bereits relativ gut erforscht ist. Man weiß, dass hier das Dunkelfeld groß ist. Es gibt durchaus Lösungsmöglichkeiten, um die Situation der Opfer zu erleichtern. Zuallererst ist die Stärkung der Opferberatungsstellen zu nennen. Wir brauchen noch mehr Möglichkeiten, die Opfer zu stabilisieren und zur Anzeige zu bewegen. Benötigt wird ferner sensibilisiertes, spezialisiertes Personal bei der Polizei und den Staatsanwaltschaften. Es bedarf auch räumlicher Gegebenheiten, die einen Schutz der Geschädigten ermöglichen. Das reicht bis hin zu dem Thema der verfahrensunabhängigen Beweissicherung, um nicht zu viel Zeit verstreichen zu lassen, damit die notwendigen Beweise gesichert werden können.

Dritter Bereich. Es werden zunehmend Straftaten der Massenkriminalität, insbesondere Diebstahlsdelikte, nicht angezeigt. Das haben Sie angeführt. Auch hier liegen nach meinem Dafürhalten die Ursachen auf der Hand. Wir haben zunehmend lange Wartezeiten bei angezeigten Kellereinbrüchen. Wir haben schlechtere Erfolgsaussichten bei Anzeige einer solchen Straftat, und das ist natürlich auch eine Folge des Personalabbaus der letzten Jahre im Bereich der Polizei in allen Bereichen gewesen. Das

reicht von der ersten Aufnahme am Tatort bis hin zur Ermittlungsarbeit durch die Kriminalpolizei oder die Kriminaldienste.

Sie sehen, meine Damen und Herren, an der Vergrößerung des Hellfeldes bei der Kriminalität wird bereits durch ganz unterschiedliche Institutionen gearbeitet, darunter auch die Hochschule der Sächsischen Polizei, die die Koalition für den Bereich mit mehr Geld ausgestattet hat. In einigen Phänomenen sind die Ursachen ein wenig erforscht und es wird bereits an Lösungen gearbeitet. Eine rein auf Opferbefragung ausgerichtete Strategie hilft nicht wirklich weiter.

Ihr Antrag greift diesbezüglich zu kurz. Er ist auch unnötig, weil das Geforderte bereits umgesetzt wird. Die SPDFraktion unterstützt ausdrücklich unterschiedlichste

Formen der Dunkelfeldforschung. Unsere Fraktion spricht sich aber gegen diesen Antrag aus.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Fraktion GRÜNE, Herr Lippmann, bitte.

Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon viel Richtiges gesagt worden. Klar ist, Kriminalität findet im Verborgenen statt und wir wissen anhand der offiziellen Zahlen in seltenen Fällen, wie die Kriminalität sich wirklich darstellt in unserem Land. Dunkelfeldstudien sind ein wichtiges und bewährtes Mittel, um Licht ins Dunkel zu bringen. Auch unsere Fraktion unterstützt regelmäßig Dunkelfeldstudien dort, wo sie sinnvoll und vor allem spezifisch sind. Beispielsweise gibt es zusammen mit der CDU und der SPD im Koalitionsvertrag in Sachsen-Anhalt eine explizite Dunkelfeldstudie zu dem hochproblematischen Feld sexualisierte Gewalt, insbesondere im häuslichen Umfeld.

Der vorliegende Antrag ist, obwohl wir als GRÜNE Dunkelfeldstudien generell befürworten, aus unserer Sicht so weder sinnvoll noch geboten, denn – Sie haben es selbst angesprochen, Herr Wippel – wir haben das Problem, dass das Dunkelfeld sich bei verschiedenen Straftaten vollkommen anders darstellt. Ich kann da weitgehend auf die Äußerungen des Kollegen Pallas verweisen, möchte aber noch einmal deutlich machen: Das Dunkelfeld bei häuslicher Gewalt oder sexualisierter Gewalt ist ein vollkommen anderes als beim Diebstahl eines Fahrrades und ist ein vollkommen anderes als im Bereich der politisch motivierten Kriminalität. Das heißt, wenn wir es erforschen wollen, gibt es vollkommen unterschiedliche Gründe für dieses Dunkelfeld beim Anzeigeverhalten, weil möglicherweise das Fahrrad nicht wertvoll war bis hin zu der schon mehrfach angesprochenen Angst vor den Folgen, wenn man sich offenbart.

Das heißt, Sie müssen methodisch vollkommen anders an die verschiedenen Deliktbereiche herangehen und Ihnen nützt das Scheren über einen Kamm überhaupt nichts.

Wenn Sie versuchen, das hochsensible Thema sexualisierte Gewalt mit einem Fragebogen zu lösen, werden Sie kaum Antworten bekommen, weil nicht davon auszugehen ist, dass die Opfer Ihnen dort groß antworten werden. Da müssen Sie mit anderen Methoden herangehen. Was Sie jetzt machen wollen, ist quasi einmal mit dem Saugrüssel durch die polizeiliche Kriminalstatistik gehen

(Demonstratives Stöhnen des Abg. Carsten Hütter, AfD)

und dann das Ganze irgendwie verwerten und erzählen, dass wir daraus bessere Schlussfolgerungen ziehen können. Das sieht meine Fraktion nicht so. Da gibt es bessere und wissenschaftlich probatere Methoden. Sie scheinen das selbst verstanden zu haben; denn Ihren Antragspunkt 2, der ein spezifisches Deliktfeld herausstellt, bräuchte man nicht, wenn man das schon vorher mit der Dunkelfeldstudie erläutert hat.

Herr Wippel, Sie erzählen gern von Ihren Erfahrungen als Polizist. Jetzt erzähle ich Ihnen etwas aus meiner Profession, der empirischen Sozialforschung. Befragungen, die Sie machen wollen, haben ein riesengroßes Problem: Wenn die Menschen vorher wissen, dass sich, wenn sie im Fragebogen nur angeben, von Kriminalität häufig betroffen zu sein, möglicherweise etwas an der Polizeidichte ändert, dann implizieren Sie das, was man sozial erwünschtes Verhalten in einem Fragebogen nennt. Die Leute kreuzen Ihnen das gegebenenfalls sogar an, ohne betroffen gewesen zu sein. Die Folge ist, dass Sie Daten haben, mit denen Sie faktisch nichts anfangen können.

Oder Sie haben es mit Straftaten zu tun, bei denen man aus guten Gründen nicht antworten will. Da nützt Ihnen auch der beste Fragebogen nichts. Der wird in den Mülleimer geworfen oder was auch immer. Deswegen kommen Sie nur weiter, wenn Sie sich qualitativen Elementen der empirischen Sozialforschung widmen und über die rein quantitativen hinausgehen. Das habe ich aber bei Ihnen bisher nicht gehört. Die Hochschule der Polizei ist ein kompetenter Ansprechpartner und hat das in der Vergangenheit auch gemacht.

Wir werden den Antrag nicht nur deswegen ablehnen, weil er uns zu unspezifisch ist, sondern weil wir als GRÜNE, obwohl die FH keine Wissenschaftsfreiheit hat und eher eine nachgelagerte Behörde des Innenministers ist, immer sehr vorsichtig sind, der FH vorschreiben zu wollen, was sie forschungstechnisch tun soll. Ich glaube, wir haben es dort mit gebündeltem kompetenten Sachverstand zu tun und man kann es diesen Leuten selbst überlassen, dass sie das, wenn sie es für nötig halten, auch umsetzen.

Kurzum: Der Antrag ist aus unserer Sicht, obwohl wir Dunkelfeldstudien generell, wenn sie deliktspezifisch sind, unterstützen, nicht sonderlich zielführend, und deswegen werden wir ihn ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die AfDFraktion Herr Wippel, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Ich freue mich über die lebhafte Debatte. Hier ist sehr viel sehr Richtiges gesagt worden. Es sind genau die richtigen Sachen problematisiert worden, von allen, das freut mich. Nur haben leider einige von Ihnen den Antrag nicht gelesen – weder Herr Pallas noch Herr Lippmann noch Herr Stange – oder nicht verstanden.

Ich helfe Ihnen dabei, das zu verstehen, und zitiere noch einmal aus dem Antrag: „Die Studie soll so angelegt sein, dass sie die Kriminalität in den Landkreisen und kreisfreien Städten jeweils repräsentativ darstellt“. – So viel zum Thema Quantität. Weiter geht es „und Täter- und Opferbefragungen einbezieht.“ Sie sollen stattfinden, aber sie beschränkt sich nicht darauf. Das heißt, wenn man andere Deliktbereiche bearbeiten möchte, braucht man andere Methoden. Das ist richtig. Uns kam es aber darauf an, nicht nur eine Opferbefragung oder nur eine Täterbefragung zu machen.

Sehen Sie diese Punkte als Beispiele, und ich denke, dann kann man damit auch ganz vernünftig arbeiten. Der Zeitraum, den wir uns vorgestellt haben, das Ganze aller drei Jahre zu wiederholen, ist gar nicht so weit weg von den Studien zur subjektiven Sicherheit in Görlitz und Hoyerswerda. Das sind Zeiträume, in denen man neue Polizisten ausbildet und neues Personal in den Polizeikörper hineinbekommt, und dann kann man sehen, ob die Steuerung richtig vorgenommen wurde.

(Albrecht Pallas, SPD: Das gibt es doch!)

Dann haben wir den Bereich der subjektiven Sicherheit angesprochen. Ich habe Ihnen in der ersten Rederunde ziemlich deutlich dargestellt, warum allein das Abstellen auf die subjektive Sicherheit zu kurz greift. Deshalb ist es wichtig, objektive Fakten zu bekommen. Ein tatsächliches Problem ist die organisierte Kriminalität. Das ist richtig. Das ist die Herausforderung, der sich die Wissenschaft annehmen soll.

Wir können das Ergebnis nicht vorgeben, das ist klar, weil wir eine Frage stellen und das Ergebnis noch nicht kennen. Man möge sich bitte bemühen, auch im Bereich der organisierten Kriminalität Erkenntnisse zu gewinnen. Vielleicht kann man sich dazu spezifische Deliktfelder heraussuchen und anonymisierte Täterbefragungen in den Justizvollzugsanstalten durchführen, also dort, wo die Leute anzutreffen sind. Dann muss man eben zu der relevanten Klientel hingehen oder schauen, wer denn die Opfer sein könnten, wenn wir über Schutzgelderpressung oder Ähnliches sprechen. Welche Erkenntnisse haben wir aus dem Hellfeld, die man weiter vertiefen kann?

Vielen Dank. Dann hören wir uns beim Schlusswort.

(Beifall bei der AfD – Enrico Stange, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Ich sehe eine Kurzintervention. Herr Stange, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Es ist das Letzte, das mir bleibt, bei so wenig Redezeit. Herr Wippel hat eindeutig und sehr profund bewiesen, dass er im Grunde nichts von dem, was er vorgetragen hat, verstanden hat. Fakt ist, wenn man solche viktimologischen Befragungen machen will, Dunkelfeldstudien, und das runterbrechen will, versuchen Sie das mal bei solchen Deliktbereichen, wo Sie unwahrscheinlich viele Befragungen durchführen müssen, zum Beispiel Raub. Dazu sagt eine Studie von Rüdiger Weis, herausgegeben von Dörmann, Zahlen sprechen nicht für sich. Da braucht man 400 000 Befragungen, heruntergerechnet auf Sachsen 20 000. Jetzt wollen Sie das auf Kreise herunterrechnen, um valide Daten zu haben. Das ist Unfug. Das ist einfach Quatsch. Deshalb ist Ihr Antrag auch Blödsinn. Es ist überhaupt nicht hilfreich gewesen, dass Sie in der zweiten Runde überhaupt aufgetreten sind.

(Beifall bei den LINKEN)

Herr Wippel.

Sehr geehrter Kollege Stange, dass Sie das Problem nicht lösen können, wundert mich nicht. Aber die LINKEN sind es ja letzten Endes nicht, die die Studie durchführen sollen,

(Enrico Stange, DIE LINKE: Sie verstehen es nicht einmal!)

sondern Wissenschaftler sollen sie durchführen.

Natürlich hat man bei Landkreisen oder bei kreisfreien Städten mit 500 000 oder 250 000 Einwohnern schon ein relativ großes Einzugsgebiet, auch an Personen, die man befragen kann, in dem man tätig werden kann. In der Vergangenheit hat schließlich die Quantität nicht ausgereicht.

Auch das Geld, das die Fachhochschule zur Verfügung hatte, mit 5 000 Euro, die sie damals hatte, hat nicht ausgereicht. Es braucht einfach mehr. Dann kann man sich an diese Dinge heranarbeiten. Dafür braucht es aber auch den parlamentarischen Auftrag.

(Beifall bei der AfD)

Gibt es noch Redebedarf vonseiten der Fraktionen zum Thema?

(Enrico Stange, DIE LINKE: Das bringt nichts!)