Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zwei Gewissheiten am Anfang: Erstens. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Zweitens. Integration braucht verbindliche und belastbare Strukturen.
Ja, auch in Sachsen, bisher ein Entwicklungsland in Sachen Migration, nähern wir uns jetzt in Minitrippelschritten der westdeutschen Realität an. Im Jahr 2017 lebten mehr als 190 000 Menschen mit nicht deutscher Nationalität in Sachsen. Hinzu kommen die, die eingebürgert sind oder bereits in zweiter oder dritter Generation hier leben. Deren Zahl ist schwer zu erfassen. Insgesamt leben in Sachsen circa 267 000 Menschen mit Migrationshintergrund.
Wir können uns noch gut an das Jahr 2015 erinnern, als die Zahl der Geflüchteten auch in Sachsen stieg. Wir können uns noch gut daran erinnern, wie staatliche Strukturen damit überfordert waren, für die grundlegendsten Bedürfnisse dieser Menschen zu sorgen. Wir wissen genau, dass es in Sachsen Tausende, ja Zehntausende Menschen waren, die ehrenamtlich für die Aufnahme, Versorgung und Integration der Geflüchteten sorgten. Dies tun sie auch weiterhin.
Sicher ist seitdem einiges passiert. Vor allem das Integrationsministerium hat zahlreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht, die Leerstellen füllen, zum Beispiel die Förderrichtlinie Soziale Betreuung oder die Förderrichtlinie Integrative Maßnahmen mit zahlreichen Förderschwerpunkten und -unterpunkten, die sich vor allem an die kommunale Ebene richten. Darunter fallen auch die kommunalen Integrationskoordinatoren und -koordinatorinnen.
Wir wollen keine Doppelstrukturen, wir wollen Verbindlichkeit. Wir wollen belastbare Strukturen etablieren, die nicht unter permanentem Haushaltsvorbehalt stehen und deren Inanspruchnahme nicht vom guten Willen kommunaler Gebietskörperschaften abhängt.
Auch wenn die Zahl der Geflüchteten sinkt, müssen wir die Realität eines anhaltenden Zuzugs, ob durch Zuweisung von Asylsuchenden, durch Studien- und Arbeitsauf
enthalte von EU-Bürgern oder Drittstaatlern oder die Niederlassung von Migrantinnen und Migranten aus anderen Gründen, zur Kenntnis nehmen. Wir müssen diese auch gestalten.
Ein Schritt von vielen wäre – das schlagen wir Ihnen vor –, die Stellen zu stärken, die die Belange von Migrantinnen und Migranten wahren, die aber auch in diesem Sinne in die kommunalen, in die staatlichen Verwaltungen und auch in die Mehrheitsgesellschaft hineinwirken: die kommunalen Ausländer-, Integrations- oder – wie wir es vorschlagen – Migrationsbeauftragten.
Kommunale Migrationsbeauftragte können die Lücke füllen, die die Ausländerbehörden aufgrund ihrer ordnungsrechtlichen Ausrichtung nicht zu leisten vermögen. Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir genau dies tun; denn an den Orten, wo es Ausländer- oder Integrationsbeauftragte überhaupt gibt, arbeiten sie oft immer noch ehrenamtlich, oder sie haben neben den Belangen von Migrantinnen und Migranten auch die von Frauen oder die Themen Gleichstellung bzw. Menschen mit Behinderungen auf dem Tisch.
Wir meinen, dass in der Gemeinde- und in der Landkreisordnung die Pflicht zur Bestellung von Migrationsbeauftragten verankert werden soll. In Großen Kreisstädten, kreisfreien Städten und in den Landkreisen sollen die Beauftragten zudem hauptamtlich arbeiten; denn dies ist notwendig. Die Palette der Arbeit ist breit. Sie reicht vom Einsatz für Bildung, Erziehung, Spracherwerb, Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung, dem Zugang zu Angeboten im Sozial- und Gesundheitswesen und der interkulturellen Öffnung dieser Bereiche sowie der gesamten öffentlichen Verwaltung bis hin zur Organisation von interreligiösen, interkulturellen Dialogen sowie Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus.
Angeregt durch die Sachverständigen, die bereits jetzt als Integrations- und Migrationsbeauftragte in Sachsen arbeiten, haben wir einen Änderungsantrag auf den Weg gebracht, nach dem klargestellt werden soll, dass die Beauftragten auch unabhängig und weisungsfrei arbeiten sollen, so wie es bereits heute bei den Beauftragten ist.
Erstens. Der Gesetzentwurf würde in die kommunale Selbstverwaltung eingreifen. Meine Güte! Wir sind der Gesetzgeber und können, wenn Empfehlungen nicht greifen – das lässt sich bei dem Thema Ausländerbeauftragte beobachten –, durchaus lenkend eingreifen und die Rahmenbedingungen der kommunalen Politik gestalten. Integration ist eine öffentliche Aufgabe, die in den Kommunen geschieht.
Mit der von uns vorgeschlagenen Neuregelung in der Gemeinde- und der Landkreisordnung sorgen wir doch für eine rechtliche Sicherheit und Klarstellung. Zudem würden die dadurch entstehenden finanziellen Mehraufwendungen den kommunalen Gebietskörperschaften nach unserer Vorstellung im Rahmen des Finanzausgleichsgesetzes erstattet werden.
Zweiter Einwurf: Die unlängst vorgelegte Novelle zur Gemeinde- und Landkreisordnung durch die Staatsregierung würde die Thematik ausreichend behandeln. Das ist schlicht und einfach falsch; denn im Gesetzentwurf der Staatsregierung wird lediglich bekräftigt, dass die Bestellung von Beauftragten für Migration und Integration in den kreisfreien Städten wünschenswert wäre. Dies ist eine weitestgehende Bestätigung des Status quo. Unser Gesetzentwurf geht viel weiter.
Ein drittes Argument: Es gab Einwürfe, dass die Installation von Migrationsbeauftragten quasi die „Überfremdung“ stimulieren und unnötige Spielwiesen schaffen würde. Dazu nur so viel: Das zu bestellende Feld ist mit der Existenz, mit dem Leben von Migrantinnen und Migranten in den Kommunen bereits gegeben. Wer das Feld unbestellt lässt, handelt fahrlässig und bedroht den sozialen Frieden. Zudem wird kein Migrant und kein Geflüchteter nach Deutschland kommen, weil es kommunale, gestärkte Migrationsbeauftragte gibt.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Integration ist kein Sprint, sondern ein Dauerlauf. Das ist eine Binsenwahrheit. Die Schaffung von Teilhabe und Partizipationsmöglichkeiten für neue Mitbürgerinnen und Mitmenschen mit Migrationshintergrund wird uns sicherlich noch eine lange Zeit beschäftigen, und sie wird sicher niemals vollständig abgeschlossen sein. Insbesondere in Sachsen haben wir noch viel zu tun; denn viel zu lange wurde dieses Thema bzw. die Existenz von Geflüchteten und Migranten als irrelevante Nebensache abgetan. Wir dürfen diese Aufgabe nicht zurückweisen, in der Hoffnung, dass die Menschen dem Freistaat Sachsen irgendwann wieder den Rücken kehren.
Wir denken: Nur wer Teil einer Gesellschaft werden kann, wird diese Gesellschaft auch als seine verstehen. Integration ist dabei nicht nur Aufgabe der neu Hinzukommenden, sondern auch der Mehrheitsgesellschaft, insbesondere der Verwaltung, der Behörden.
Genau diese immense öffentliche Querschnittsaufgabe mit verschiedenen Zielgruppen ist aus unserer Sicht Aufgabe der kommunalen Migrationsbeauftragten, die
dort wirken, wo Integration ganz praktisch passiert, nämlich in den Städten und Gemeinden dieses Freistaates. Um eine solch umfassende Querschnittsaufgabe zu erfüllen, braucht es starke Koordinierungsstellen, die auch auf die Nerven gehen, Dinge vorantreiben, in die Hand nehmen.
Es ist müßig, darüber zu streiten – das ist ein letzter Aspekt –, wem die gesetzliche Aufgabe der Integration obliegt. Der Landkreistag macht es sich an dieser Stelle mit seiner Stellungnahme zu einfach, indem er die Aufgabe für die Landkreise faktisch zurückweist. Hinter den juristischen Finessen in der Stellungnahme vermag man darin eher auch eine ideelle Zurückweisung der Aufgabe an sich erkennen. Man mag mutmaßen, dass es auch in Sachsen Gemeinden gibt, die Migrantinnen, Migranten und Geflüchtete schnell wieder loswerden wollen. Aus meiner Sicht atmet leider die Stellungnahme des Landkreistages genau diesen Geist einer nur vorübergehenden Last, die man wieder loswerden kann. Aber so geht es eben nicht. Es geht längst nicht mehr um die Migrantinnen und Migranten, sondern um eine funktionierende Gesamtgesellschaft – so Etelka Kobuß, die Migrationsbeauftragte der Stadt Chemnitz, in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf.
Ein kleines Stück dieser Aufgabe nehmen wir mit unserem Gesetzentwurf an. Wir bitten Sie um Ihre Zustimmung.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die sächsischen Landkreise, Städte und Gemeinden haben bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise Hervorragendes geleistet. Sie haben sich dabei nicht auf das zurückgezogen, wozu sie im engeren Sinne gesetzlich verpflichtet sind, sondern sie haben pragmatisch die Maßnahmen ergriffen, die notwendig waren. Dafür gebührt ihnen unser aller Dank und unsere Anerkennung.
Zentral war dabei für die Landkreise und kreisfreien Städte die Erfüllung ihrer Aufgaben als untere Unterbringungs- und Ausländerbehörden. Daneben bemühte man sich aber, mit starker Unterstützung der Zivilgesellschaft, von Anfang an auch um das Thema Integration. So haben längst alle kreisfreien Städte und Landkreise im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung einen Ausländerbeauftragten bestellt.
Nun haben sich seither die Schwerpunkte der Arbeit der Ausländerbeauftragten noch stärker in Richtung des Themas Integration verschoben. Insoweit ist es folgerichtig, wenn die Staatsregierung in ihrem Gesetzentwurf zur
Fortentwicklung des Kommunalrechts vorsieht, dass die Landkreise und kreisfreien Städte einen Beauftragten für Migration und Integration bestellen sollen. Damit zeichnet der Gesetzentwurf die Entwicklungen in der Praxis nach, die Ergebnis eines entsprechenden Bedarfs sind.
Frau Nagel, es ist immerhin eine Sollvorschrift. Das heißt, man müsste schon dezidiert begründen, warum man einen solchen Beauftragten nicht bestellt.
Daneben fördert der Freistaat die Beschäftigung kommunaler Integrationskoordinatoren, und die kommunale Ebene macht von diesem Angebot auch regen Gebrauch. Ab 2018 werden nach der Richtlinie Integrative Maßnahmen des Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz schließlich je Landkreis bzw. kreisfreier Stadt immerhin zehn Integrationskoordinatoren gefördert
werden können. Das halten wir für den richtigen Weg, um die kommunale Ebene zu unterstützen. Das haben Sie in Ihrem Redebeitrag durchaus auch gewürdigt.
Aber das ist eben kommunale Selbstverwaltung. Wir machen Angebote zur Unterstützung, und die kommunale Ebene nutzt sie. Ich denke, das ist der richtige Weg.
Wir sind uns doch einig, dass im gesamtgesellschaftlichen Interesse die hier lebenden Ausländer die deutsche Sprache erlernen sollen, dass ihnen die Regeln unseres Zusammenlebens vermittelt werden, damit eine Integration in den Arbeitsmarkt möglichst schnell gelingt.
Wie viel Personal eingesetzt wird, um dies zu organisieren, muss sich am Bedarf orientieren; woran auch sonst. Hier schießt der Gesetzentwurf deutlich über das Ziel hinaus, meine Damen und Herren von den LINKEN. Sie wollen, dass alle Gemeinden mit eigener Verwaltung Migrationsbeauftragte bestellen sollen – in den Landkreisen, kreisfreien und, jetzt kommt es, Großen Kreisstädten zwingend hauptamtlich bestellen sollen. Das ist mit Blick auf die sehr unterschiedliche Verteilung der Ausländer auf die sächsischen Kommunen aus meiner Sicht schlichtweg nicht sachgerecht.
Es gibt Gemeinden mit eigener Verwaltung, in denen die Zahl der Migranten kaum zweistellig ist. Sie wissen offensichtlich nicht, wie klein Große Kreisstädte in Sachsen sein können. Es gibt Große Kreisstädte, die weniger als 10 000 Einwohner und keine 100 Migranten haben, und denen wollen Sie einen hauptamtlichen Integrationsbeauftragen verordnen. Das ist völlig unverhältnismäßig, um nicht zu sagen: absurd.
Meine Damen und Herren, nun klingt die Bezeichnung – darauf komme ich jetzt zu sprechen – Beauftragter für Migration und Integration im Gesetzentwurf der Staatsregierung so ähnlich wie die Bezeichnung Migrationsbeauftragter im Gesetzentwurf der LINKEN. Aber dann ist es mit den Gemeinsamkeiten in der Tat auch schon vorbei. Während sich der Beauftragte für Migration und Integration, so wie wir als Koalition und die Staatsregierung ihn wollen – das bestreiten wir gar nicht –, eng an die Aufgaben der bisherigen Ausländerbeauftragten und an die Aufgaben der kommunalen Ebene anlehnt, setzt DIE LINKE ganz andere Schwerpunkte. Nicht umsonst sehen die kommunalen Spitzenverbände – Sie haben es angesprochen – den Gesetzentwurf, auch mit Blick auf den Aufgabenzuschnitt des Migrationsbeauftragten, äußerst kritisch.
Ich zitiere aus dem Vorblatt zum Gesetzentwurf der LINKEN: „… Tätigkeitsschwerpunkte: Die Wahrung der Belange der Migrantinnen und Migranten, das Wirken in die kommunale Verwaltung hinein, im Sinne einer interkulturellen Öffnung der Arbeitsweisen und Praxen derselben, und das Wirken in die Mehrheitsgesellschaft“ … – Zitatende.
Ich lese nichts von praktischer Unterstützung von Migranten bei der Integration in die deutsche Gesellschaft. Das, was der Gesetzentwurf der LINKEN vorsieht, ist eher eine Art Erziehungsbeauftragter für die Verwaltung und die Mehrheitsgesellschaft. Sie haben offensichtlich nichts aus der Vergangenheit gelernt, meine Damen und Herren. Im Jahr 1989 haben Ihnen die Menschen schon einmal gezeigt, dass sie sich nicht erziehen lassen. Werte Kolleginnen und Kollegen, auch wenn, ohne Frage, immer guter Wille aller Beteiligten erforderlich ist, damit Integration gelingen kann, so gilt doch der Grundsatz: Wer in dieses Land kommt, der hat sich in die deutsche Mehrheitsgesellschaft zu integrieren und sich anzupassen, und nicht umgekehrt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der LINKEN zur Einführung eines Beauftragten für Fragen der Migrationsgesellschaft und die damit verbundene notwendige Änderung der Gemeinde- und Landkreisordnung werden von einem Grundgedanken getragen, den wir als SPD-Fraktion durchaus unterstützen. Klar ist für uns auch: Städte und Landkreise in Sachsen sind die Orte, an denen das Ankommen, das Fördern, das Leben von Menschen mit Migrationshintergrund nicht nur geplant und finanziert, sondern tatsächlich auch organisiert und mit Leben gefüllt werden.