Protocol of the Session on August 30, 2017

Wenn Sie populistische Botschaften ins Land senden wollen, irgendeine Erklärung abgeben, wie man es regeln kann, würde diese noch nicht einmal im Ansatz auch nur einen Tag die Billigung vom Verfassungsgericht erhalten. Gesetzt den Fall, wir würden hier alle einen Wandertag machen, außer Ihre eigenen Abgeordneten, und Sie kämen damit durch: Das hält vor dem Verfassungsgericht keinen Tag.

Zu Recht wurden Sie in der Anhörung und jetzt konkret von meinem Kollegen Anton eher mit der Nachfrage verhöhnt, wie das angesichts dieser abschließenden Aufzählung – Sie haben vor allem auch noch eine abschließende Aufzählung vorgenommen, in der die Ausnahmen enthalten sind – beim Motorradfahren mit Brille und Helm gehen soll. Wie wollen Sie das machen, wenn irgendein Straßenbauarbeiter zum Aufstemmen der Straße den Staub mit einem Tuch abfängt? Wie wollen Sie das machen, wenn zum Beispiel ein Mensch mit großem Hut oder großer Sonnenbrille sein Face verhüllt?

Wir haben zum Beispiel auch bei Sorbinnen die Tradition, dass zu Weihnachten ein Schleier getragen wird – ein voller Schleier. Wie machen sie das? Wie regeln sie das denn?

(Zurufe von der AfD)

Jedem von uns fällt es leicht, wenn er sich der Übung unterziehen will, 40 bis 50 weitere Beispiele hinzuzufügen, wo Ihr Gesetz die brave Bürgerin oder den braven Bürger mit oder ohne Migrationshintergrund völlig im Unklaren lässt, was er gerade riskiert. So kann man kein Gesetz im Maßstab des Bestimmtheitsgebotes machen. Wenn Sie also schon Ihre islamophobe Ideologie in Gesetzesform gießen müssen, dann geben Sie sich doch wenigstens etwas mehr Mühe, legen Sie ein wenig mehr Sorgfalt an den Tag!

Ihr vorliegender Gesetzentwurf transportiert nichts anderes als neurechtes Kulturkampfgefasel. Das muss man einfach einmal so sagen. Mit der deutschen Religionsverfassung, die sich – wie die eingangs zitierte Frau Prof. Lemke in der Anhörung hervorhob – durch Pluralismus, Gleichheit, Neutralität, Förderung und Öffentlichkeit auszeichnet, ist dieser Gesetzentwurf nicht im Ansatz zu vereinbaren. Der Gesetzentwurf, den Sie vorlegen, ist zu offenkundig verfassungswidrig, sodass man ihm überhaupt nicht zustimmen kann – gleich welche politi

sche Auffassung man zur Burka hat –, wenn man seine eigenen Entscheidungen an der Verfassung misst.

Sie haben ein grundsätzliches Problem, meine Damen und Herren von der AfD. Ihre politischen Ziele lassen sich auf dem Boden des Grundgesetzes und der Sächsischen Verfassung nicht verwirklichen, weil Sie diesen Verfassungsrahmen, diese Verfassungsgrundsätze und diesen Verfassungsbogen nicht teilen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die SPDFraktion Herr Abg. Pallas, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! In einem Punkt gebe ich Frau Dr. Muster recht: Ich finde, diese Debatte ist ein wichtiger Beitrag für ein freies, friedliches Zusammenleben in Deutschland. Aber an der Stelle hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf, Frau Dr. Muster; denn es ist ein schlechter Gesetzentwurf mit einer falschen Zielstellung, der das Gegenteil indiziert.

Sie haben recht – und das klang auch schon an –, es gab zu diesem Gesetzentwurf eine Anhörung im Innenausschuss. Sie nehmen Bezug darauf und behaupten verschiedene Dinge, die ich so nicht stehen lassen möchte, Frau Dr. Muster. Sie behaupten, dass dort festgestellt wurde, dass der Islam keine Religion sei. Das ist nur von einem Sachverständigen, dem Ihrigen, angesprochen worden. Dem möchte ich, damit es im Protokoll steht, entgegenhalten, welche konkrete Stelle im Koran als Grundlage für das Tragen der Gesichtsverhüllung angesehen wird. Das ist die Sure 24, Vers 31: "Und sage den gläubigen Frauen, sie sollen ihre Augen niederschlagen und ihre Keuschheit bewahren, den Schmuck, den sie tragen, nicht offen zeigen, soweit er nicht normalerweise sichtbar ist, und ihre Tücher über ihren Busen ziehen."

(André Wendt, AfD: Das ist kein Verweis auf die Burka! – Zurufe von der AfD)

Das kann man sich dann ziemlich deutlich vorstellen, Frau Dr. Muster. Sie haben behauptet, es gebe keinen Verweis im Koran. Das sehen, glaube ich, relativ viele Religionswissenschaftler auf dieser Welt anders. Sie behaupten weiterhin, dass auch andere Sachverständige Ihren Gesetzentwurf für machbar gehalten hätten. Dazu muss ich sagen, das ist schlichtweg falsch. Auch hier war es einzig und allein Ihr eigener Sachverständiger, der das zumindest in Ansätzen gesagt hat.

Die Anhörung hat nicht nur die handwerklichen Mängel des Gesetzentwurfs aufgezeigt, sondern eben auch die Verfassungswidrigkeit des Vorschlags dargestellt. Es wurde deutlich, dass es bei der Frage eines Verschleierungsverbotes um weit mehr geht. Das Thema tangiert die vielschichtigen gesellschaftlichen Diskussionen über Integration, Gleichstellung, Offenheit und Vielfalt der Gesellschaft.

Ich möchte zunächst noch einmal kurz die rechtliche Dimension beleuchten, um dann auf die gesellschaftlichen Aspekte zurückzukommen. Zu dem Thema, ob Ihr Gesetzentwurf in die Religionsausübungsfreiheit eingreift, wurde, denke ich, von den Kollegen Anton und Bartl genug gesagt. Das möchte ich nicht noch einmal en détail ausführen. Ich finde, die beiden Kollegen haben vollumfänglich recht.

Auf die Bestimmtheit oder den Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz möchte ich noch einmal eingehen. Er ist ein Verstoß gegen Artikel 3 der Sächsischen Verfassung und gegen Artikel 20 Grundgesetz. Zum Beispiel ist der Begriff des öffentlichen Raums in Ihrem Gesetzentwurf nicht klar geregelt. Sind es neben dem Straßenraum etwa auch öffentliche Einrichtungen? Das Zugangsverbot – in dem Fall zu Behörden, Verwaltungen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen der Daseinsvorsorge – könnte durch Ihren Vorschlag tangiert sein. Das wäre deutlich unverhältnismäßig.

Der Gesetzentwurf regelt auch völlig unzureichend, wann eine verbotene Gesichtbedeckung überhaupt vorliegen soll, welche Kombination von Kleidungsstücken noch geht und welche nicht. Sind etwa bei sommerlichen Temperaturen, wie wir sie zum Glück noch haben, ein großer Sonnenhut und Sonnenbrille oder im Winter eine Pudelmütze und ein ins Gesicht gezogener Schal bereits ein Verstoß gegen Ihr Gesetz? Dürfte ein Schweißer, der in der Öffentlichkeit Arbeiten auszuführen hat, keine Schweißerbrille tragen? Was ist mit verschleierten Bräuten, Skibrillen oder Motorradfahrern mit Gesichtsmaske? Wir haben es eben gehört.

Die Beispiele zeigen, wie exzessiv und gleichzeitig unbestimmt der Gesetzentwurf ist. Schließlich haben wir auf der rechtlichen Seite erhebliche Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz der Länder. Als Sächsischer Landtag haben wir nun einmal keine Kompetenz, das deutsche Religionsverfassungsrecht, das im Grundgesetz normiert ist, grundsätzlich zu verändern.

Für die rechtliche Seite möchte ich abschließend feststellen: Dem Gesetzentwurf liegt eine Vorstellung von Religionsfreiheit, Minderheitenschutz und staatlicher Neutralität zugrunde, die aus meiner Sicht unvereinbar mit dem Grundgesetz und der Sächsischen Verfassung erscheinen. Allein das ist Grundlage genug für eine Ablehnung des Gesetzentwurfs.

Aber in der Debatte über die Vollverschleierung oder ein Verschleierungsverbot geht es nur scheinbar um eine fachliche sachliche Frage, die man mit einem Gesetz so einfach lösen kann. Es geht vor allem – das sage ich ganz bewusst so – um einen Kulturkampf, um einen Kampf zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Sichtweisen. Es geht scheinbar, wie von Ihnen behauptet, um den Kampf Islam gegen Demokratie oder Orient gegen Okzident oder die offene, vielfältige Gesellschaft, gegen den Mythos der homogenen Gesellschaft.

Für Gegner einer offenen Gesellschaft ist der Einsatz gegen den Islam als eine der großen Weltreligionen ein

wichtiges Symbol. Das verstehe ich noch, Frau Dr. Muster. So ist es wenig verwunderlich, dass Ihr Sachverständiger in der Anhörung das Gesetz kaum tangiert, sondern sich nur am Islam abgearbeitet hat. Ich finde, er hat dabei ziemlich abenteuerliche Thesen aufgestellt. Entgegen Ihrer Falschbehauptung bin ich froh, dass die anderen Sachverständigen das Bild wieder zurechtrücken konnten.

So warf etwa Frau Khasbullah, die derzeitige Marwa ElSherbini-Stipendiatin der Landeshauptstadt Dresden, berechtigte Fragen auf. Was will die einbringende Fraktion mit dem Verbot bezwecken, wenn es in Sachsen nicht viele Trägerinnen von Vollverschleierung gibt? Welches Problem wollen wir damit lösen? Ist es Symbolpolitik als Antwort auf Islamophobie? Warum trifft dieses Gesetz nur Frauen?

Der Sachverständige Al-Saadi ordnete dann die Relevanz eines Verschleierungsverbotes für Ostdeutschland ein. Zunächst gebe es in Deutschland keine hier ansässigen Burkaträgerinnen. Die in Deutschland eigentlich sichtbare Form der Vollverschleierung ist der Nikab. Da die Zahl der Trägerinnen äußerst gering ist, sei sie sehr schwer zu erfassen. Letztlich kann man es nur schätzen, und er leitete es ab. Er schätzte die Zahl der in Ostdeutschland lebenden vollverschleierten Frauen auf ungefähr 70.

Damit ist klar: Der Gesetzentwurf hat keine tatsächliche Relevanz. Er löst kein Problem, weil es das schlicht nicht gibt. Aber was will die einbringende Fraktion dann damit erreichen? Ich glaube, es soll einzig und allein eine islamfeindliche Einstellung in der Bevölkerung bedient und verstärkt werden. Oder besser noch: Er bedient das, wofür viele Menschen den Islam halten. Das hat aber mit der Realität nicht zwangsläufig etwas zu tun. Um es konkret zu machen: Es geht um einen angeblichen Herrschaftsanspruch des Islams. Es geht den Einbringern darum, eine Weltreligion als eine rein politische Ideologie zu brandmarken. Das verfängt nicht. Aber der Versuch muss auf jeden Fall benannt werden.

Die Anhörung hat deutlich gezeigt, dass die Sichtweise falsch ist. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir uns immer wieder auch hier in der Debatte für eine sachliche Betrachtung einsetzen und dieses schräge Bild vom Islam geraderücken.

Ich möchte aber eines deutlich sagen: Natürlich gibt es, wie in jeder Religion, auch im Islam Strömungen, die versuchen, religiöse Symbolik, religiöse Praktiken zu politisieren. Darüber müssen wir kritisch reden. Wir müssen über Radikalisierung sprechen. Auch das wurde in der Anhörung durch Herrn Al-Saadi deutlich angesprochen.

Er sagte aber ebenfalls, dass sich die Mehrheit der Muslime hier vom Islamismus überhaupt nicht repräsentiert fühlt. Das macht einmal mehr deutlich, wie schädlich der Vorschlag eines Verschleierungsverbots für die Integration von Musliminnen und Muslimen ist.

Dabei brauchen wir doch die bereits hier lebenden Muslime, um die Menschen, die zu uns als Geflüchtete gekommen und mehrheitlich Muslime sind, in Deutschland und auch Sachsen zu integrieren. Besonders schädlich wäre ein Verschleierungsverbot für die Integrationsbemühungen bei muslimischen Frauen.

(Peter Wilhelm Patt, CDU: Das sehe ich nicht so!)

Die Frauen würden gleichzeitig zu Tätern und Opfern gemacht. Sie werden bereits jetzt in der Debatte stigmatisiert.

(Zuruf der Abg. Dr. Frauke Petry, AfD)

Das betrifft nicht nur sie. Es betrifft alle Muslime oder Menschen, die nur als Muslime wahrgenommen werden.

Ein solches Gesetz würde das gesellschaftliche Klima beeinflussen bzw. beeinflusst es schon jetzt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Einen Augenblick bitte.

Sachsen weist so schon in besonderem Maße islamfeindliche Einstellungen auf. Eine solche Stigmatisierung würde die Islamophobie bei uns im Land nur verstärken und ausweiten.

Jetzt gestatte ich die Zwischenfrage, Frau Präsidentin.

Bitte, Herr Wippel.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Kollege Pallas, vielleicht können Sie mir einmal folgende Frage beantworten: Sie sagten, dass die Burka- oder Nikabträgerinnen für die Integration der Muslime in Deutschland unheimlich nützlich wären. Ich habe dieses Bild vor Augen. Wie würde es wohl ausgehen, wenn diese Frau ihren Mann zu Hause fragen und sagen würde: Schatz, – –

Bitte stellen Sie nur die Frage.

Ja, es ist eine Frage.

Nein, es ist eine Feststellung.

Doch, es ist eine Frage.

Das ist keine Frage.

Wie würde es ausgehen, wenn diese Frau die Frage stellt.

Herr Wippel, bitte stellen Sie eine Frage an den Abgeordneten.

Sie sagt: Ich gehe heute mit den Mädels an den Strand, lasse die Burka hängen und du

kümmerst dich um die Kinder. Sehen Sie das als integrationsfördernd an und ist das das Ziel?