Protocol of the Session on August 30, 2017

Argumente für das Für und Wider des Sonderkontingents für jesidische Frauen und Kinder wurden gerade in der Diskussion genannt. Ich habe meine Position in der Stellungnahme deutlich gemacht und will sagen – Frau Zais, anders, als Sie es dargestellt haben; ich will das wirklich persönlich an Sie adressieren –: Aus meiner Sicht können einzelne Länderprogramme das Problem kaum lösen. Die Bundesländer wären mit der Planung und Durchführung derartiger Evakuierungsmaßnahmen einer Minderheit in einem Land wie dem Irak schlicht überfordert. Das zeigen im Übrigen die Erfahrungen derjenigen, die das bisher gemacht haben. Es beginnt bei der Auswahl der aufzunehmenden Personen, es geht um speziell geschulte Jesiden, die gebraucht werden, die in das Kriegsgebiet kommen und vor Ort eine Beurteilung vornehmen, ob eine Frau oder ein Mädchen infolge von Vergewaltigung oder Sklaverei traumatisiert ist oder nicht. Anschließend bräuchte es das entsprechende Fachpersonal, welches in der Lage ist, die Patientinnen zu behandeln. Die Traumatherapeuten müssen Grundkenntnisse über die psychologischen und kulturellen Hintergründe der Jesiden mitbringen.

Deswegen sage ich ganz klar: Ein vom Bund koordiniertes Programm, wie es einige Bundesländer gefordert haben, wäre wesentlich wirkungsvoller. Hier sehe ich die Kapazitäten für die Bewältigung der Herausforderungen eher vorhanden als auf Landesebene. Ich kann für den Freistaat Sachsen wie sicherlich die allermeisten anderen Bundesländer erklären, wir würden uns natürlich entsprechend an einem solchen Bundesprogramm beteiligen. Wir sind auch interessiert, wie die Entwicklung weitergeht. Ich habe gerade erfahren, dass es in der Landesvertretung von Baden-Württemberg am Freitag zu diesem Thema wieder ein Gespräch gibt. Ich werde Mitarbeiter von Sachsen entsenden, damit wir bei dem Thema angekop

pelt sind, dabei sind. Das will ich Ihnen zum Ausdruck bringen; aber die Grundposition will ich dabei im Blick behalten.

Dennoch – das ist der zweite Aspekt – sollten wir auch bei dieser Überlegung die Gesamtsituation nicht aus dem Auge verlieren. Wir alle wissen: Der Nordirak ist mittlerweile Gott sei Dank zum großen Teil vom IS befreit. Auch da muss der Gedanke erlaubt sein, dass es durchaus kontraproduktiv wäre, alle Jesiden aus der Region herauszuholen und eine Region so zu destabilisieren. Es war nicht zuletzt das erklärte Ziel des IS, dass sie gesagt haben, wir wollen die Vertreibung der Jesiden.

Deshalb sollten wir alles daransetzen, dass auch eine Minderheit im Nordirak langfristig wieder eine Zukunft hat – genauso wie andere ebenfalls bedrohte Minderheiten. Es wäre aus meiner Sicht angemessener und wirkungsvoller, die Kapazitäten und die Kräfte des Bundes, der EU und die Erfahrungen der Vereinten Nationen für die Unterstützung vor Ort zu nutzen. Damit ist nicht nur der Schutz gemeint; es geht auch konkret um die psychosoziale Betreuung, die erheblich ausgebaut werden muss, und um die Förderung von Bildung. Diese Maßnahmen würden letztendlich zur Stabilisierung der Region beitragen und das kulturell-religiöse Überleben einer Glaubensgemeinschaft wie der Jesiden sichern.

Aus all den von mir genannten Gründen empfiehlt die Staatsregierung, diesen Antrag abzulehnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das Schlusswort hat die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN; Frau Abg. Zais, bitte, Sie haben das Wort.

Danke schön, Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich fand die Debatte wirklich interessant. Es ist mir vieles nahegegangen. Danke, Kollege Schultze, für die wirklich sehr gute Rede. Ich hätte das Emotionale eigentlich nicht besser rüberbringen können, aber es fehlt manchmal auch an der Zeit, und deshalb ist es gut, wenn man dann doch zusammenspielt; danke.

Zu Kollegen Hartmann möchte ich sagen: Ja, es war auch eine sachliche Rede und trotzdem kann ich Ihre Argumentation so nach dem Motto, weil das Elend so groß ist auf der Welt und es so viele verfolgte Gruppen gibt, fange ich erst gar nicht an, etwas zu tun, nicht ganz nachvollziehen. Ich finde, gerade wenn man sieht, wie groß das Elend ist, und man die Chance hat, jemandem zu helfen, dann sollte man das tun.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Es geht um 500 Menschen. Ich will hier nicht moralisieren oder irgendetwas, aber Sie haben auch mit dem Verweis auf Brandenburg nicht ganz recht. Ich habe auf diesen gemeinsamen Beschluss, wirklich LINKE, CDU, SPD und GRÜNE, verwiesen und es gibt einen zweiten

Anstrich, der da lautet, wenn der Bund diese Anordnung nicht macht, dann ist Brandenburg aufgefordert, mit den anderen Bundesländern in Verbindung zu treten und gegebenenfalls eine gemeinsame Aufnahmeanordnung zu machen und gegenüber dem Bund in stärkerer Position zu sein.

Insofern freue ich mich, Herr Innenminister, dass Sie bei der Beratung in Baden-Württemberg dabei sein werden. Vielleicht ergibt sich dort tatsächlich eine Gelegenheit, es konstruktiv anzugehen.

Ich will noch etwas zum Kollegen Pallas sagen: Man muss sich schon ganz schön winden, wenn man das Anliegen eigentlich in Ordnung findet – zumal es um ein Kontingent von nur 500 Menschen geht –, aber nicht zustimmen darf, weil nicht die gesamte Koalition zustimmen will. Ich finde, Sie machen sich ein bisschen einen schlanken Fuß. Ich hätte zumindest heute ein deutlicheres Signal von Ihrer Seite erwartet, dass Sie das Anliegen für richtig halten. Sie hätten das auch im Vorfeld mit uns besprechen können. Vielleicht hätten wir einen gemeinsamen Weg gefunden, so wie es in Brandenburg möglich gewesen ist. Das hätte ich mir sehr gewünscht.

Ich sage es noch einmal: Unsere Fraktion möchte wirklich nicht, dass es in dieser Frage um Parteiprogramme oder Ideologien geht. Auch eine Obergrenze für Hilfe und Humanität soll nicht formuliert werden. Wir möchten einfach anpacken und sagen: Hier gibt es eine Möglichkeit. Lasst es uns tun! Es ist wichtig!

Ich kann Sie nur noch einmal auffordern, unserem Antrag zuzustimmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag in der Drucksache 6/9700 seine Zustimmung geben möchte, zeigt das jetzt bitte an. – Die Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei Stimmen dafür und Stimmenthaltungen ist dieser Antrag dennoch nicht beschlossen worden.

Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 10

Jahresbericht 2016

Drucksache 6/9724, Unterrichtung durch den Sächsischen Ausländerbeauftragten

Drucksache 6/10466, Beschlussempfehlung des Innenausschusses

Heim-TÜV 2017 Teil I: Evaluation der dezentralen Unterbringung

und der unteren Ausländerbehörden im Freistaat Sachsen

Drucksache 6/9814, Unterrichtung durch den Sächsischen Ausländerbeauftragten

Drucksache 6/10467, Beschlussempfehlung des Innenausschusses

Das Präsidium hat dafür eine Redezeit von 10 Minuten je Fraktion festgelegt. Die Reihenfolge für die erste Runde: CDU, DIE LINKE, SPD, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wenn es gewünscht wird, ergreifen noch der Sächsische Ausländerbeauftragte und die Staatsregierung das Wort.

Wir beginnen mit der Aussprache. Für die CDU-Fraktion erhält Herr Abg. Hartmann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde meine Redezeit nutzen, um sowohl auf den Jahresbericht des Ausländerbeauftragten für das Jahr 2016 als auch gleich auf den Heim-TÜV 2017 – Teil I: Evaluation der dezentralen Unterbringung und der unteren Ausländerbehörden im Freistaat Sachsen – einzugehen.

Der Bericht des Ausländerbeauftragten zeigt eindrücklich, was wir bis 2016 beim Thema „Asyl und Integration“

schon geschafft haben, was wir noch schaffen wollen, aber auch, was wir noch schaffen müssen.

Diejenigen, die der Meinung sind, dass mit dem Jahr 2015 der Untergang des Abendlandes eingeläutet worden sei, nachdem die Bundeskanzlerin entschieden hatte, christliche Nächstenliebe oder andere Motivationen vor kühle Folgenabwägung zu stellen – es hat sich gezeigt, dass wir Menschen Aufnahme gewähren, dass Integration gelingen kann und dass es eine gemeinsame Zukunft geben kann –, irren genauso wie jene, die mit der rosaroten Brille, die alle Menschen in unserem Land willkommen heißen wollen. Die Integration der vielen Geflüchteten ist eine Herkulesaufgabe, die uns nicht nur in den kommenden Generationen beschäftigen wird, sondern die auch Schattenseiten mit sich bringt wie steigende Kriminalitätszahlen, größere gesellschaftliche Polarisierung und wieder erstarkende rechtsextremistische Tendenzen. Es ist also wie mit vielem im Leben: Es ist immer auch eine Frage der Perspektive und der Mittel.

Es geht nicht darum, allen zu helfen – das können wir nicht –; aber es geht auch nicht darum, sich vollständig zu verschließen. Wir wollen unserer Verantwortung vielmehr mit Maß und Mitte gerecht werden.

Gleichzeitig macht der Bericht deutlich, dass die Geflüchteten vielfach erheblicher Hilfe bedürfen, um sich hier zurechtzufinden. Sie müssen die Chance auf geregelte Bildung und Ausbildung erhalten, damit es ihnen möglich ist, zumindest perspektivisch ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.

Neben diesen lebenspraktischen Aspekten sind viele Flüchtlinge – wenn man es sich genau anschaut, stellt man fest: bis zu 40 % – auch auf psychosoziale Betreuung angewiesen. Auch wenn wir insoweit schon viel getan haben, scheint es eine Aufgabe zu sein, die auch in den kommenden Jahren mit erheblichen Anstrengungen seitens der Staatsregierung und der ihr zugeordneten Behörden verbunden sein wird, um ein landesweites Netz von Beratungsstellen aufzubauen.

Es erscheint mit Blick auf die Erfahrungen der letzten Jahre wichtig, das Gespräch mit den Migrantinnen und Migranten selbst zu suchen und den Dialog im Vorfeld zu starten, weil das die Zusammenarbeit und das Miteinander in der Perspektive vereinfacht.

Als vorletzten Punkt dazu möchte ich noch das Thema „Integrationsmonitoring“ ansprechen. Alle reden immer über das Thema „Integration“, darüber, wie sie gelingen kann, was gut und was schlecht läuft, wie erfolgreich sie ist oder sein sollte. Eine klare Faktenbasis existiert jedoch bisher für Sachsen nicht. Dass dieser Mangel mittels eines Integrationsmonitorings abgestellt werden soll, ist aus der Sicht unserer Fraktion ausdrücklich zu begrüßen. Ohne valide Zahlen, die sich in den kommenden Jahren auch rückblickend vergleichen lassen, werden wir nie wissen, ob wir Fortschritte bei der Integration machen, wo genau es hakt und welche Schrauben im System wir vielleicht nachjustieren müssen.

Mit Bezug auf den Heim-TÜV möchte ich sagen: Martin Gillo, der vormalige Ausländerbeauftragte, hat den sogenannten Heim-TÜV, der sich mit der Unterbringungssituation in Gemeinschaftsunterkünften des Freistaates auseinandersetzte, im Jahr 2010 aus der Taufe gehoben.

Nun, im Jahr 2017, halten wir den ersten Teil des neuen Heim-TÜVs in Händen. Der derzeitige Ausländerbeauftragte, Geert Mackenroth, hat ihn um zwei wesentliche Perspektiven erweitert, nämlich die dezentrale Unterbringung im Freistaat Sachsen und die Perspektive der Ausländerbehörden im Freistaat Sachsen.

Dieser erste Teil des neuen Heim-TÜVs gibt uns somit einen Überblick über die Arbeit der sächsischen unteren Ausländerbehörden und die Praxis der dezentralen Unterbringung im Freistaat. Er bleibt jedoch nicht bei der Beschreibung des Status quo stehen, sondern identifiziert Best-Practice-Beispiele aus den unterschiedlichen Landkreisen und Kommunen und leitet daraus Handlungsemp

fehlungen ab, die sich in der Summe auf eine beachtliche Zahl summieren. So bietet der Bericht neben einer Bestandsaufnahme auch einen klaren praktischen Mehrwert für Behörden und Organisationen, die mit der Flüchtlingsarbeit betraut sind, und natürlich auch für uns, die Politik auf lokaler und auf Landesebene.

Ich möchte kurz auf die vier Kritikpunkte an dem Bericht eingehen: erstens, dass die Perspektive der Betroffenen vollkommen ausgeblendet werde; zweitens, dass bestimmte Definitionen von Begriffen fehlten; drittens, dass kein Anreiz für die Umsetzung der Handlungsempfehlungen gegeben werde; viertens, dass nur eine Teilgruppe der Ausländer im Freistaat im Fokus dieser Bewertung gestanden habe.

Zu erstens: Ja, die Perspektive der Betroffenen wäre durchaus als Ergänzung wünschenswert gewesen. Sie kommt jedoch indirekt zum Tragen über die Aussagen der Sozialarbeiter, der Behördenmitarbeiter und der sonstigen Engagierten. Dass dies kein Ersatz für eine direkte Befragung sein kann, ist, so denke ich, durchaus einleuchtend. Geert Mackenroth hat daher schon angekündigt, dies im nächsten Bericht entsprechend zu berücksichtigen und aufzunehmen.

Zu zweitens: Weshalb ein Bericht, der die dezentrale Unterbringung im Freistaat evaluiert, eine Definition für die zentrale Unterbringung enthalten muss, erschließt sich mir nicht ganz, zumal dieser Punkt mit Sicherheit im zweiten Teil des Berichts wiederum eine Rolle spielen wird.

Zu drittens: Die Vielzahl praktischer Handlungsempfehlungen stellt, wie der Name schon sagt, Empfehlungen dar. Es ist nicht die Aufgabe des Ausländerbeauftragten, diese Empfehlungen in Umsetzung zu bringen; ich denke, die Aufgabenverteilung ist klar geregelt. Hier sind in erster Linie die Behörden, Verwaltungen und Organisationen der Flüchtlingshilfe gefragt, in letzter Konsequenz auch die Staatsregierung und wir als Gesetzgeber. Gleichzeitig wäre es wünschenswert, alle Handlungsempfehlungen thematisch strukturiert in einer kurzen Zusammenschau verfügbar zu machen. Ich denke, das könnte den Anreiz für deren Umsetzung an der einen oder anderen – auch behördlichen – Stelle erhöhen.

Zu viertens: Auch dieser Kritikpunkt ist für mich nicht ganz nachvollziehbar, da es sich bei diesem Bericht um den ersten Teil mit einem spezifischen Fokus auf die dezentrale Unterbringung und die Arbeit der unteren Ausländerbehörden handelt. Der zweite Teil des Berichts wird die Perspektive wieder erweitern und sicherlich wieder alle Ausländer im Freistaat in den Fokus nehmen.