Protocol of the Session on March 15, 2017

Wir haben mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge den europäischen Integrationsprozess begonnen. Damit sind unbestreitbar die politische, wirtschaftliche und soziale Dimension und die Stellung Europas in der Welt gestärkt worden. Ja, Herr Gebhardt, es ist so: Die wirtschaftliche Dimension ist die eine Seite, und auch ich bin der Meinung, dass wir bei der sozialen Integration noch mehr tun müssen. Aber dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, und es ist wohlfeil, noch einmal darzustellen: Wir haben auf der sozialen Seite in ganz Europa, insbesondere in Südeuropa, aufgrund der hohen Jugendarbeitslosigkeit auch Schwierigkeiten. Das muss man anerkennen.

Man muss aber auf der anderen Seite auch klarstellen, dass die Wirtschaftspolitik der Nationalstaaten selbst in hohem Maße zu dieser Situation beigetragen hat. Es wäre sicher der falsche Ort, dies hier auszuführen, aber darüber könnte man noch einmal diskutieren. Das sei auch der deutschen Politik durchaus zugestanden.

Zu der politischen Einigung drei grundsätzliche Bemerkungen. Basierend auf den gemeinsamen Werten Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung

der Menschenrechte schafft der europäische Staatenverbund einen nie dagewesenen Raum von Freiheit, Sicherheit und Recht in Europa. Nun mag man uns in der Politik entgegenhalten – Frau Petry, Sie haben das mit zwei Bemerkungen getan –, Frontex sei noch nicht so umgestaltet, dass sie tatsächlich zu einer Grenzsicherheitsagentur geworden ist.

In den letzten neun Monaten hat die Europäische Kommission auf diesem Gebiet unglaublich viel geleistet. Frontex war eine Koordinierungsstruktur für die Grenzsicherung. Mittlerweile ist Frontex so umgestaltet worden, dass sie zur Grenzsicherung eingesetzt werden kann, und ich finde, dass hierbei auch erste Erfolge zu erkennen sind. Natürlich kann man immer noch besser werden.

Die zweite politische Botschaft erfolgt zum Weißbuch; auch dies wurde von Rednern angemerkt. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf die Diskrepanz zwischen Ihnen, Herr Stange, und Herrn Schiemann zum Thema Nationalstaat eingehen. Ich persönlich glaube – das zeigt auch die Diskussion in Brüssel –, dass das Konzept des Europas der Regionen derzeit nicht intensiv weiterverfolgt wird. Man hat gesehen, dass wir mit dem Konzept – Herr Lehmann ist derjenige, der das in der Arbeit für den Freistaat Sachsen vertritt – des Ausschusses der Regionen zurzeit auch in einem neuen Findungsprozess sind.

Denn man muss noch einmal zu den Grundlagen der EU zurückkommen und festhalten, dass wir bei der Integration unsere Integritätsrechte zum Teil abgegeben haben. Was nicht passieren darf, ist, dass die Nationalstaaten in eine Verzwergung verfallen. Dies führt dazu, dass die Nationalstaaten viel stärker auf Europa schauen und überprüfen, ob die Übertragung der Souveränitätsrechte tatsächlich zu einer Verbesserung in der politischen Umsetzung und in der Administration beigetragen hat.

Deshalb bin ich überzeugt, dass der Nationalstaat nämlich nicht infrage gestellt wird. Er wird seine Rückbindung für die Verwirklichung der EU-Politik, insbesondere auch deren Vermittlung, in Zukunft weiter behalten, jedenfalls auf absehbare Zeit. Den Beweis für diese These finden wir meines Erachtens im Weißbuch. Ich will nicht wiederholen, dass der Präsident der EU-Kommission fünf Szenarien vorgeschlagen hat. Diejenigen, die sich fachpolitisch damit beschäftigen – wir werden dies auch im Ausschuss tun –, werden dann mit uns gemeinsam darüber diskutieren können.

Was mir noch wichtig ist darzustellen: Für die sächsische Positionierung – wir haben uns das Weißbuch natürlich angeschaut – kann ich heute im Plenum sagen, dass wir über die Option 4 intensiver nachdenken sollten. Das liegt genau auf der Linie der Koalitionsredner: weniger, aber effizienter handeln und beispielsweise auch überlegen, was wir mit unseren Subsidiaritätsbeschwerden erreichen konnten. Auch dafür gilt – ich möchte daran erinnern –, dass es dieses Parlament war, das die Subsidiaritätsbeschwerde sehr früh erhoben hat, und wir haben es als

Staatsregierung in die Europaministerkonferenz weitergetragen.

Ein drittes politisches Thema möchte ich ansprechen: die globale Sicht auf die Europäische Union. Darüber mache ich mir für unsere weitere Entwicklung in Europa doch erhebliche Gedanken. Man muss sich einmal die Zahlen anschauen, wie sich die EU weiterentwickeln wird. Es ist so, dass sich die EU im Grunde genommen in bestimmten Positionen, man kann sagen, marginalisieren wird. Stellten die Europäer nämlich bis 1950 noch mehr als 20 % der Weltbevölkerung, so werden es Mitte des

21. Jahrhunderts nur noch 7 % sein. Der Anteil an der globalen Wertschöpfung wird bis 2050 auf etwa 10 % schrumpfen. 1950 lag er noch bei 30 %.

Wenn wir Kontakt zu ausländischen Investoren haben, insbesondere aus dem asiatischen Raum – Sie haben vielleicht mitbekommen, dass wir mit einigen Unternehmen, die aus Asien kommen und sich für uns interessieren, derzeit im Gespräch sind –, so stellen diese am Beginn der Diskussion fest: Europa ist zerstritten. Wir wissen ja gar nicht, ob ihr zusammenbleiben wollt.

Aus diesem Grund halte ich es für immens bedeutsam, dass wir versuchen, in Europa zusammenzubleiben und es aus sich heraus zu reformieren. Das ist bedeutsam, da wir sonst für viele Investoren als Großraum Europa mit über 500 Millionen Menschen nicht mehr attraktiv sein werden.

Lassen Sie mich deshalb mit einem Zitat schließen, das der künftige Träger des Karlspreises 2017, der britische Historiker Timothy Garton Ash, Professor in Oxford und mit Deutschland aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit hier sehr vertraut, in Abwandlung eines Wortes von Winston Churchill ausgedrückt hat: „Wir haben das schlechteste aller Europas, abgesehen von allen anderen, die wir schon ausprobiert haben.“

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und des Staatsministers Martin Dulig)

Die Erste Aktuelle Debatte ist damit beendet. Ich rufe auf

Zweite Aktuelle Debatte

Löhne und Renten niedrig – Lebenshaltungskosten hoch.

Zeit für einen Politikwechsel zur Beendigung der

Benachteiligung der Menschen in Ostdeutschland

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Die Fraktion DIE LINKE beginnt die Debatte. Es spricht Herr Gebhardt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 26 % der 18- bis 29-jährigen Sächsinnen und Sachsen sagen, zumindest bei den Erhebungen für den „Sachsenmonitor“, sie hätten durch die Wiedervereinigung überwiegend Nachteile. Insgesamt sagen das nur 17 % der Gesamtbevölkerung. Wir müssen uns also ernsthaft Gedanken darüber machen: Wenn ein Viertel der jungen Generation von Nachteilen der Wiedervereinigung spricht, worin liegen die Gründe dafür bzw. worin könnten sie liegen?

Eine sächsische Altenpflegerin verdient 900 Euro weniger als ihre Kolleginnen in Bayern. Ich frage mich: Warum eigentlich? Welchen Grund gibt es, dass man in Sachsen im Bereich Pflege 900 Euro weniger verdient? Das mittlere Bruttoeinkommen einer Vollzeitbeschäftigten liegt zum Beispiel im Landkreis Erzgebirge, in meinem Heimatkreis, bei 2 036 Euro, während eine Vollbeschäftigte in Wolfsburg 4 600 Euro verdient, also 2 500 Euro mehr – das Doppelte! Ist sie doppelt so viel wert? Oder ist man im Erzgebirge nur die Hälfte wert? Eine Fachkraft in Hessen verdient im Durchschnitt 47 597 Euro, in Mecklenburg-Vorpommern sind es 30 607 Euro, also 17 000 Euro weniger.

Was folgt daraus? Die Renten sinken im Osten seit vielen Jahren. Mehr als zwei Drittel erhalten eine Rente von unter 1 000 Euro. In Sachsen sind es bei den Frauen sogar mehr als 90 %. Noch schlimmer finde ich die offizielle Kinderarmutsquote. Sie liegt in Sachsen mittlerweile bei 16,9 % und damit fast 2 % über dem Bundesdurchschnitt. Man kann es auch in absoluten Zahlen sagen: Es geht um 150 000 Kinder, die im Freistaat Sachsen in Armut leben.

Jahrelang wurde Sachsen als Niedriglohnland angepriesen. Die Konsequenzen habe ich gerade vorgetragen. Nun fehlen die Köpfe, weil sehr viele abgewandert sind. Aber warum sollten sie auch wiederkommen? Warum sollte jemand wiederkommen, obwohl es ja jetzt genügend Arbeitsplätze gibt? Warum sollte jemand im Durchschnitt 17 000 Euro jährlich oder 2 500 Euro oder als Altenpfleger 900 Euro monatlich weniger verdienen wollen als in den Altbundesländern?

Die Frage ist also: Was muss getan werden? Ich denke, wir müssen dafür sorgen, dass es eine größere Tarifbindung in den sächsischen Unternehmen gibt. Wir müssen für die Beschäftigten endlich ein positiveres Bild von den Betriebsräten zeichnen. Wir müssen endlich aufhören, Lohnsteigerungen als etwas Negatives anzusehen, sondern sie positiv begleiten.

(Beifall des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE)

Wir müssen endlich aufhören, Bittprozessionen zu global agierenden Unternehmen vorzunehmen, sondern eigene Strukturpolitik machen, und wir brauchen endlich mehr Belegschaftsbeteiligung, unter anderem dann, wenn wir den großen Konzernen wieder einmal, damit sie hierbleiben, Geld zur Verfügung stellen.

(Petra Zais, GRÜNE: Dazu würde die Belegschaft aber auch nicht Nein sagen!)

Obwohl 1989/1990 die Grenzen verschwunden sind, sind die sozioökonomischen Grenzen zwischen Ost und West auch bis zum heutigen Tag mehr als deutlich zu sehen. Ich denke, dass wir endlich deutlich machen müssen, dass die Menschen im Osten keine Menschen zweiter Klasse sind, sondern dass sie genauso wie die Bürgerinnen und Bürger in den alten Ländern an den Vorteilen dieser Gesellschaft partizipieren müssen, und wir müssen endlich für mehr soziale Sicherheit und Gerechtigkeit auch für die Kinder- und die Enkelgenerationen der nach der Wiedervereinigung Geborenen sorgen. Ich habe darauf aufmerksam gemacht: Wenn ein Vierteljahrhundert nach der politischen Wiedervereinigung 26 % der Bevölkerung sagen, sie fühlen Nachteile, dann fragt man sich schon, warum.

Ich denke, wir haben viel zu tun. Lassen Sie uns darüber sprechen, welche die richtigen Wege sind. Wir wollen heute damit beginnen und diese Debatte anstoßen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Die CDU-Fraktion, Herr Abg. Krauß.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir steigen sehr gern in die Debatte ein, aber mir wäre es schon lieb, wenn wir bei den Fakten und bei der Wahrheit bleiben würden.

Wenn der Eindruck erweckt wird, die Menschen würden nicht von der Wiedervereinigung profitieren, insbesondere die jungen Menschen, dann verkennt man wirklich die Realität in diesem Land. Wie dankbar ist man, wenn man ins Ausland fahren kann – was vorher, als Ihre Vorgängerpartei, die SED, regiert hat, nicht möglich war. Welche Möglichkeiten haben junge Menschen heute in unserem Land! Wie toll ist das! Wie toll ist es, dass man nicht ideologisch von einer Partei wie der SED indoktriniert wird! Welche Möglichkeiten hat man, zu studieren, was man möchte, ohne dass es einem jemand verbietet oder jemand ausgegrenzt und gesagt wird: Deine politische Meinung gefällt mir nicht, deshalb darfst du den Beruf nicht ergreifen. Heute ist dies alles möglich. Das ist die Botschaft, die man auch einmal nach außen senden sollte, und nicht nur solchen Quatsch erzählen, dass es den Menschen nach der Wiedervereinigung schlechter gehe.

(Beifall bei der CDU)

Richtig ist: Wir haben im Osten, auch in Sachsen logischerweise, Gehälter, die um ein Viertel niedriger sind als in Westdeutschland. Aber man muss sich auch einmal die

Entwicklung anschauen. 1990 waren die Gehälter nur halb so hoch. Wir haben also eine Angleichung erreicht; das ist auch gut so, und wir wollen, dass die Gehälter noch weiter steigen, dass die Menschen mehr verdienen.

Woran liegt das? Wir haben kleinere Unternehmen. Wir haben keine DAX-Konzerne, die natürlich höhere Gehälter zahlen als vielleicht das kleine Handwerksunternehmen nebenan. Deshalb ist es richtig, darüber nachzudenken: Wie kann das gelingen? Die Politik wird es nicht machen können. Wir können als Politik nicht sagen: Ihr zahlt ab sofort 100 oder 200 Euro mehr. Das geht nicht, jedenfalls nicht in der freien Wirtschaft.

Richtig ist – das haben Sie angesprochen und wir haben es auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben –: Wenn die Tarifbindung erhöht wird, dann ist es gut, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer organisieren und dann gemeinsam verhandeln.

Aber schauen wir uns einmal die wirtschaftliche Entwicklung an: Wie ist die Arbeitslosenquote? Sie ist mittlerweile in Sachsen einstellig. Wir sind nicht nur besser als Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg, sondern wir haben mittlerweile auch westdeutsche Bundesländer überholt, wie Bremen und Berlin. Das größte westdeutsche Bundesland, Nordrhein-Westfalen, hat eine höhere Arbeitslosenquote als Sachsen. Wer von uns hätte vor fünf Jahren gedacht, dass wir dort ankommen? Als Erzgebirger füge ich hinzu: Wir sind in der Arbeitslosenquote besser als das Saarland, als SchleswigHolstein und Thüringen. Wir sind also auf einem außerordentlich guten Weg.

Wenn ich mit Unternehmern spreche, dann sagen sie mir: Wir suchen Arbeitskräfte, uns fehlen Leute. Wir haben nicht mehr das Problem, dass die Menschen für einen Arbeitsplatz Schlange stehen. Wenn es um das Thema Auszubildende geht, dann ist es mittlerweile fast schon so, dass sich die Firmen bei den Auszubildenden bewerben und nicht die Auszubildenden bei den Unternehmen. Das ist mittlerweile die Realität im Land, und ich finde das aus der Sicht der jungen Leute gut.

Thema Rente. Wenn Sie sagen, die Renten würden sinken, dann ist das falsch. Sie müssen sich einmal die aktuellen Zahlen anschauen: Wir hatten 1990 ein Rentenniveau von 40 % im Vergleich zu den alten Bundesländern. Jetzt sind wir bei 94 % angekommen. Sie wissen, wir haben vor, die Angleichung weiter fortzusetzen. Daran sieht man – bei allen Problemen, die wir haben und über die wir auch sprechen müssen –, dass es gebrochene Erwerbsbiografien gibt, für die das nicht unbedingt gut ist. Aber wenn man sich einmal anschaut, dass die Menschen wesentlich länger arbeiten, als das früher der Fall war, und man nicht mit 60 Jahren automatisch aus dem Arbeitsmarkt gedrängt wird, sondern viele bis in den Ruhestand arbeiten können, dann führt das dazu, dass sie auch höhere Rentenanwartschaften haben. Gerade wenn Sie sich einmal anschauen, wie sich das bei den Frauen nach oben entwickelt hat, werden Sie feststellen, dass dort in den letzten Jahren sehr viel geschehen ist. Die Renten sind gerade bei den Frauen

gestiegen, weil sie länger arbeiten, als dies früher der Fall war, als man, wie in den 1990er-Jahren, vielleicht mit 55 oder 60 Jahren aus dem Arbeitsmarkt gedrängt worden ist.

Wenn Sie dann sagen, die Lebenshaltungskosten seien hoch, so ist das auch gelogen. Man kann es nicht anders sagen. Es gibt Untersuchungen, wie hoch die Kaufkraft ist, zum Beispiel von Prognos. Sie besagen, dass in München 1 000 Euro nur 767 Euro wert seien, da die Mieten höher sind. In Sachsen haben Sie in allen Gebietskörperschaften eine höhere Kaufkraft. Beispielsweise bekommen Sie im Erzgebirge für 1 000 Euro – Bundesdurchschnitt – 1 128 Euro.

Zu mir kommen Leute – da Sie es angesprochen haben –, junge Familien, die in München gelebt haben, aber aus dem Erzgebirge stammen und gesagt haben: Wenn ich mir einmal durchrechne, was ich dort für einen Kindergartenplatz oder die Miete bezahle, dann lebe ich im Erzgebirge dreimal besser. Sie sind zurückgekommen und haben gesagt: Wir wollen unsere Familie hier gründen, wir wollen hier arbeiten. Und das ist gut so. Reden Sie also, bitte schön, unser Land nicht schlecht, sondern schauen Sie nach vorn und sehen Sie sich an, was in den letzten Jahren hier entstanden ist. Ich bin überzeugt, dass wir dabei auf einem sehr guten Weg sind.

Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.