Protocol of the Session on November 9, 2016

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren! Nun spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abg. Meier. Bitte sehr, Frau Meier.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die GRÜNE-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf, oh Wunder, nicht zustimmen, da er weder zur Rechtssicherheit noch zur Rechtsklarheit beiträgt. Er tut nämlich genau das Gegenteil.

Kernstück des ursprünglichen Gesetzentwurfes war die Erweiterung der Befugnisse des Justizwachtmeisterdienstes. Das wurde schon angesprochen. Die Bediensteten sollen polizeiliche Maßnahme nicht mehr nur innerhalb der Gerichts- und Amtsgebäude ausführen dürfen, sondern jetzt auch im unmittelbaren räumlichen Umfeld. Wie weit dieses unmittelbare räumliche Umfeld geht, ist völlig unklar.

Wenn ich zum Beispiel an das Oberlandesgericht denke, dann frage ich mich, dürfen die Justizwachtmeister noch oben auf der Brühlschen Terrasse hinterherrennen oder geht es nur hinunter bis zur Treppe. Es ist völlig unklar.

Durch die Verwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes wird das eigentliche Ziel der Änderung, nämlich dass eine Rechtsklarheit für die Bediensteten hergestellt wird, völlig konterkariert und klar verfehlt.

Bei meiner Kritik geht es weniger um Erbsenzählerei oder Semantik. Es ist einfach absehbar, dass ein Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 42 im unmittelbaren räumlichen Umfeld eines Justizgebäudes wird prüfen und klarstellen müssen, wie weit dieses Umfeld reicht.

Wenn der Landtag diesen Paragrafen und dieses Gesetz heute so beschließt, dann dürfen wir sicher sein, dass ein Verwaltungsgericht alsbald klären wird, wie genau das räumliche Umfeld abzugrenzen ist.

Das ist aber nicht unser einziger Kritikpunkt an diesem Gesetz, sondern der viel weitergehende ist die Streichung der Entfristung des § 42 a Abs. 4.

Der Datenschutzbeauftragte hat bereits vor der Einführung vor gut zwei Jahren erhebliche Bedenken dagegen geäußert und diese jetzt auch wiederholt. Den Gerichtsvollziehern wird die Befugnis eingeräumt, bei der sächsischen Polizei anzufragen, ob sie personengebundene

Hinweise über die Gefährlichkeit oder Gewaltbereitschaft eines Schuldners gespeichert hat. Diese Befugnisse sollen jetzt dauerhaft eingeräumt werden. Begründet wird diese Entfristung damit, dass sich die Regelung in der Praxis bewährt habe.

Zum Beweis hat der Justizminister einen Bericht zur Evaluation dieser Regelung vorgelegt. Abgesehen davon, dass er reichlich spät kam, ist diese Evaluation wohl eher ein Witz. Herr Gemkow, Sie sind Jurist und kein Statistiker, aber auch Ihnen sollte klar sein, dass eine Evaluation, die sich auf lediglich 24 % der Vorgänge bezieht, das Gegenteil von repräsentativ ist. Die Daten kamen einmal von den Gerichtsvollziehern, einmal von der Polizei, aber nie so, dass wirklich belastbare Zusammenhänge zwischen ihnen hergestellt werden konnten.

Dieser Bericht ist eben keinesfalls eine aussagekräftige Grundlage für die Beurteilung der Frage, ob die massiven Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Vollstreckungsschuldner durch eine erhöhte Sicherheit für Gerichtsvollzieher gerechtfertigt werden können.

Mit der Evaluation wird auch offenbar, dass es eine Übermittlung in den meisten Fällen gar nicht gebraucht hätte; denn die Gerichtsvollzieher wissen in der Regel, wen sie vor sich haben und wer Schwierigkeiten macht. Dann fordern sie die Polizei natürlich einmal mehr an, als dass sie es zu wenig tun.

Die Polizei begleitet die Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher auch, wenn vorher keine Gefährdungsabfrage stattgefunden hat.

Schließlich – das wiegt am schwersten – hat der Bericht gezeigt, dass personenbezogene Daten zum Teil an Dritte übermittelt wurden. Hinzu kommt, dass die Polizei diese Auskünfte teilweise telefonisch erteilt hat. Das ist nicht nur inakzeptabel, sondern rechtswidrig; denn den Gerichtsvollziehern wurden durch die Polizei Informationen erteilt, die nicht von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage erfasst sind. § 42 a Abs. 1 erlaubt die Anfrage, ob personengebundene Hinweise über eine Gefährlichkeit oder Gewaltbereitschaft des Schuldners vorliegen. Streng genommen hätte die Aussage also nur sein dürfen: ja oder nein.

Die Evaluation hat aber zu Tage gebracht, dass die Polizei leider zum Teil fröhlich aus dem Nähkästchen geplaudert und noch andere personengebundene Hinweise zu den Betroffenen gegeben hat. Es stellt sich dann nicht nur grundsätzlich die Frage nach der Relevanz der Kennzeichnung von Menschen in polizeilichen Datenbanken mit Merkmalen wie „Betäubungsmittelkonsum“, „Sprayer“, „Rocker“ oder „suizidgefährdet“. Das ist das eine. Das andere aber ist die Frage, was die Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher mit diesem Wissen anfangen sollen. Das ist völlig unklar.

Wenn die Befugnisse in einem Maße überschritten werden, wie hier geschehen, dann ist der Eingriff in die datenschutzrechtlichen Grundrechte nicht mehr zu rechtfertigen. Dass wir GRÜNEN – das wissen Sie – mit

personenbezogenen Hinweisen grundsätzlich ein Problem haben, dürfte für Sie nicht neu sein.

Wie und warum die sächsische Polizei eines von diesen 26 Merkmalen bestimmten Personen zuordnet, wissen wir bis heute nicht. Das ganze System dieser personengebundenen Hinweise ist intransparent und in höchstem Maße stigmatisierend.

Wenn neben der Polizei nun auch noch Gerichtsvollzieher und deren Umfeld Kenntnis von diesen abwertenden Maßnahmen erhalten, dann kommt diesem Ausmaß der Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Ausverkauf des Grundrechts auf Datenschutz gleich. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dabei werden die GRÜNEN nicht mitmachen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde in der Aussprache. Gibt es aus den Reihen der Fraktionen Wortmeldungen für eine zweite Runde? – Das kann ich nicht feststellen. Ich frage die Staatsregierung, ob das Wort gewünscht wird. – Jawohl. Herr Staatsminister Gemkow, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Schwerpunkt des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfes zur Änderung des Sächsischen Justizgesetzes und des Richtergesetzes des Freistaates Sachsen sind zwei sicherheitsrelevante Problemkreise: erstens die Erweiterung der Befugnisse von Justizwachtmeistern bei Gerichten und Staatsanwaltschaften und zweitens das Fortbestehen der Möglichkeit von Gefährdungsanfragen durch Gerichtsvollzieher bei der Polizei.

Die Staatsregierung schlägt vor, präzisierende Regelungen im Hinblick auf die Befugnisse der Justizwachtmeister in Justizgebäuden in das Justizgesetz aufzunehmen.

Justizwachtmeister verhindern und beseitigen Gefahren und Störungen in Justizgebäuden. Dazu dürfen sie auf die Befugnisse nach dem Sächsischen Polizeigesetz mit Ausnahme des Schusswaffengebrauchs zurückgreifen.

Immer wieder führen Besucher von Gerichten verbotene oder gefährliche Gegenstände mit sich. Allein im ersten Halbjahr 2016 wurden mehr als 18 000 gefährliche Gegenstände registriert, unter anderem Schlagringe, Elektroschocker, Messer im Sinne des Waffengesetzes, Tausende Reizstoffsprays und mehr als 16 000 sonstige Messer oder andere gefährliche Gegenstände.

Mit dem Gesetzentwurf sollen Justizwachtmeister die Befugnis erhalten, verbotene Gegenstände, vor allem Waffen oder Betäubungsmittel, zu beschlagnahmen, wenn Besucher diese Gegenstände mitgebracht haben. Die aufgefundenen verbotenen Gegenstände sollen natürlich nicht wieder zurückgegeben werden müssen; in solchen Fällen mussten erforderliche Beschlagnahmen bisher aber durch herbeizurufende Polizeibeamte durchgeführt

werden. Das soll jetzt einfacher werden, und das ist auch

sinnvoll, weil diese verbotenen Gegenstände ja schon im Rahmen der Einlasskontrollen durch die Justizwachtmeister festgestellt und in Verwahrung genommen worden sind. Damit wird Rechtssicherheit für die Justizwachtmeister geschaffen und letzten Endes auch die Polizei entlastet.

Eine andere Änderung – darüber wurde schon gesprochen – bezieht sich auf eine geringfügige Erweiterung des räumlichen Zuständigkeitsbereichs der Justizwachtmeister. Diese Befugnisse der Justizwachtmeister sollen jetzt nicht mehr an der Schwelle des Gebäudeeingangs enden, denn viele unserer Justizgebäude verfügen über Eingangstreppen oder Innenhöfe, und sie liegen außerhalb der Eingangstüren der Gebäude. Sie befinden sich damit bisher außerhalb der Zuständigkeit der Justizwachtmeister. Wenn hier Störungen festgestellt worden sind, mussten bislang immer Polizeibeamte angefordert werden. Jetzt soll ein Eingehen auf Störungen auch in räumlich unmittelbarer Nähe zu den Amtsgebäuden möglich sein. Das ist, glaube ich, mehr als sinnvoll.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen haben im Verfassungs- und Rechtsausschuss einen Änderungsantrag eingebracht, der weiterhin Gefährdungsanfragen durch Gerichtsvollzieher bei der Polizei ermöglichen soll. Die Staatsregierung begrüßt diese Änderungen. Am 9. August 2014 ist die grundsätzliche Vorschrift in Kraft getreten. Sie ermöglicht unseren Gerichtsvollziehern, bei den örtlichen Polizeidienststellen vor Vollstreckungsmaßnahmen, die zu einem schwerwiegenden Eingriff beim Schuldner führen, anzufragen, ob dort Erkenntnisse zu einer Gefährlichkeit oder Gewaltbereitschaft des Schuldners vorliegen. Die Norm wurde in enger Abstimmung mit dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten erarbeitet. In seinem 17. Tätigkeitsbericht bezeichnet er die Vorschrift als angemessenen Ausgleich zwischen dem Interesse der Gerichtsvollzieher, mit ihrer hoheitlichen Tätigkeit ungefährdet ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen, und dem Recht betroffener Schuldner auf informationelle Selbstbestimmung.

Die befristet ausgestaltete Abfragebefugnis sollte bis zum Ende des Jahres 2016 evaluiert werden. Dieser von der Staatsregierung beschlossene Evaluationsbericht liegt vor. Er kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Regelung bewährt hat. Zwar hat es nicht die noch 2014 vermutete hohe Anzahl an Gefährdungsanfragen gegeben, das deutet aber in meinen Augen mehr auf einen sorgsamen Umgang unserer Gerichtsvollzieher mit diesem datenschutzrechtlich sensiblen Instrument hin als auf seine fehlende Erforderlichkeit.

Die erhobenen Zahlen sprechen aber für sich, auch wenn es nur eine gewisse Schnittmenge ist. Allein im Bereich der Polizeidirektionen Chemnitz, Leipzig, Görlitz und Zwickau waren die Anfragen zu 60 % positiv und führten entweder zu einer polizeilichen Begleitung der Amtshandlung oder einer höheren Sensibilisierung des Gerichtsvollziehers für seinen Eigenschutz.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn mit der Anfragemöglichkeit auch nur ein Angriff auf einen unserer Gerichtsvollzieher verhindert werden kann, hat sich das Instrument in meinen Augen bewährt und sollte unseren Gerichtsvollziehern dauerhaft an die Seite gestellt werden. Auch die jüngsten Ereignisse bei Vollstreckungsmaßnahmen in Bayern und Sachsen-Anhalt, wo es zu Übergriffen und sogar zu einem traurigen Todesfall durch sogenannte Reichsbürger kam, zeigen, dass dieses Instrument sehr wichtig sein kann. Ich finde es ein bisschen doppelzüngig, wenn wir auf der einen Seite die Gefährlichkeit der Reichsbürger heute in der Debatte bejahen und sagen, wir wollen entschlossen dagegen vorgehen, und andererseits unseren Gerichtsvollziehern diese Schutzmöglichkeit verwehren wollen.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe trotzdem den uns vorliegenden Evaluationsbericht dazu genutzt, den Präsidenten des Oberlandesgerichts und das Staatsministerium des Innern zu bitten, unsere Gerichtsvollzieher und Polizeibeamten noch einmal für die Beachtung des datenschutzrechtlichen Rahmens zu sensibilisieren.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Vielen Dank, Herr Staatsminister.

Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zur Abstimmung. Aufgerufen ist das Gesetz zur Änderung des

Sächsischen Justizgesetzes und des Richtergesetzes des Freistaates Sachsen, Drucksache 6/5387, Gesetzentwurf der Staatsregierung. Abgestimmt wird auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Verfassungs- und Rechtsausschusses, Drucksache 6/6892. Es liegen keine Änderungsanträge vor. Ich schlage artikelweise Abstimmung vor und möchte Ihnen ferner vorschlagen, dass ich die Bestandteile des Gesetzes artikelweise benenne und en bloc zur Abstimmung aufrufe. Möchte jemand widersprechen? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.

Aufgerufen ist im Gesetzentwurf die Überschrift, Artikel 1 Änderung des Sächsischen Justizgesetzes, Artikel 2 Änderung des Richtergesetzes des Freistaates Sachsen, Artikel 3 Einschränkung von Grundrechten, Artikel 4 Bekanntmachungserlaubnis, Artikel 5 Inkrafttreten. Wer möchte seine Zustimmung geben? – Vielen Dank. Wer ist dagegen? – Vielen Dank. Gibt es Stimmenthaltungen? – Bei zahlreichen Stimmenthaltungen und Stimmen dagegen ist den Bestandteilen des Gesetzentwurfes mit großer Mehrheit entsprochen worden.

Damit rufe ich zur Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf Gesetz zur Änderung des Sächsischen Justizgesetzes und des Richtergesetzes des Freistaates Sachsen auf. Wer möchte seine Zustimmung geben? – Vielen Dank. Wer ist dagegen? – Vielen Dank. Wer enthält sich der Stimme? – Danke. Bei Stimmen dagegen und zahlreichen Stimmenthaltungen ist das Gesetz beschlossen, meine Damen und Herren. Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Wir kommen nun zum

Tagesordnungspunkt 6

Zweite Beratung des Entwurfs

Landessehhilfengesetz

Drucksache 6/5392, Gesetzentwurf der Fraktion AfD

Drucksache 6/6898, Beschlussempfehlung des

Ausschusses für Soziales und Verbraucherschutz, Gleichstellung und Integration