Protocol of the Session on September 29, 2016

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Die SPD-Fraktion; Frau Abg. Neukirch, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2004 werden in Sachsen Gesundheitsziele verfolgt. Die damalige

schwarz-rote Koalition einigte sich gleich zu Beginn der Legislaturperiode auf eine Mischung aus eher medizinisch geprägten Zielen, beispielsweise zum Thema Verbesserung der Versorgung bei Brustkrebs oder bei Diabetes – dazu hat Oliver Wehner gerade schon etwas ausgeführt –, aber auch auf weitergehende gesellschaftspolitische Zielstellungen, wie das Gesundheitsziel „Gesund aufwachsen“, damals noch das Ziel „Tabakkonsum reduzieren“ und die Gesundheitsförderung bei Erwerbslosen. Mittlerweile ist das Gesundheitsziel „Aktives Altern“ hinzugekommen, das ich eher dem gesellschaftspolitischen Teil zuordnen würde.

Hintergrund für die Einführung der Gesundheitsziele war damals die Erkenntnis, dass die Gesundheit von Menschen eben nicht nur von der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen und ärztlicher Versorgung abhängt, sondern auch von vielfältigen Einflüssen, Bedingungen, sozialen Bedingungen, Umweltfaktoren, aber natürlich auch vom Risikoverhalten der Menschen selbst. Die Erkenntnis war, dass man, wenn man versucht, auf diese Bedingungen Einfluss zu nehmen und gesundheitsfördernde Faktoren zu gestalten, die Gesundheit von Menschen viel nachhaltiger beeinflussen kann als durch die bloße Zurverfügungstellung ärztlicher Leistungen.

Solche Risiken und Einflüsse wirklich beeinflussen zu können ist nicht allein Sache der Gesundheitspolitik, die vorrangig bis dato auf medizinische, innovative oder Rehabilitationsleistungen ausgerichtet war. Hierzu bedarf es weitergehender struktureller und gesundheitsfördernder Maßnahmen in allen Politikbereichen. Insbesondere zählen hierzu die Bildungs- und die Sozialpolitik, aber auch, wie gerade erwähnt, eine aktive betriebliche Gesundheitspolitik – also Bereiche, auf die systematisch nur staatliche Institutionen und politische Initiativen Einfluss nehmen können, nicht allein eine Krankenversicherung.

Wir wissen weiterhin aus der Gesundheitsforschung, dass es insbesondere Zusammenhänge zwischen Armutslagen und Gesundheit, zwischen sozialen Stressfaktoren, beispielsweise bei Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung, aber auch bei moderner Arbeitswelt, entgrenzter Arbeit – Stichwort: Arbeit 4.0 – und der Gesundheit gibt.

Insbesondere möchte ich den Zusammenhang zwischen Bildungsstand und Gesundheit hervorheben. Es ist mittlerweile in internationalen Forschungen bewiesen, dass das Thema Bildung prioritär Einfluss darauf hat, in welchem Gesundheitszustand sich Menschen bis ins hohe Alter befinden, weil davon auch abhängig ist, wie man selbst gesundheitsfördernde Maßnahmen annehmen kann.

Maßnahmen in diesem Sinne verstanden, gehen, wie gesagt, über das Gesundheitssystem hinaus und erfordern einen bereichsübergreifenden Ansatz. Deshalb ist man zum Ansatz der Gesundheitsziele übergegangen.

In Sachsen sind dies schon seit vielen Jahren etablierte Zielstellungen. Ich finde, das ist ein wirklicher Erfolg gewesen. Dafür möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Sächsischen Landesvereinigung für Gesundheitsförderung danken, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die vor allem gesellschaftspolitischen Gesundheitsziele wie „Gesund aufwachsen in Sachsen“ von Anfang an verfolgen und immer wieder auf einen neuen Stand bringen.

Aber es ist auch deshalb ein Erfolg, weil wir hier im Landtag immer wieder versucht haben, politische Mehrheiten dafür zu gewinnen, die entsprechenden Ressourcen bereitzustellen.

Ich weiß nicht, wer sich an die Debatten zum Nichtraucherschutzgesetz erinnert. So einfach war es wirklich nicht immer.

(Horst Wehner, DIE LINKE: Ja!)

Es könnte immer mehr gewesen sein, und es hätte dem Anliegen sicher auch nicht geschadet, wenn es mehr gewesen wäre, was an finanziellen Ressourcen zur Verfügung hätte gestellt werden können. Aber ich denke, bis auf die Jahre 2010 und 2011 – die Jahre der großen Sozialkürzungen in Sachsen – haben sich alle Beteiligten und politisch Verantwortlichen immer um eine Stabilität für diesen Bereich bemüht. Stabilität ist im Bereich der Prävention ein sehr wichtiger Faktor, weil nur langfristige Maßnahmen den nachhaltigen Erfolg sicherstellen können.

Wenn das nun alles in Sachsen so gut läuft, kann man sich fragen: Warum brauchen wir unseren Antrag? Das Stichwort ist schon gefallen: Wir sind in der Umsetzung des Bundespräventionsgesetzes. Die Akteure, die vom Bundesgesetzgeber dazu den Auftrag bekommen haben, haben in Sachsen verhandelt. Sie haben kurz vor dem Sommer eine Rahmenvereinbarung zur Umsetzung des Präventionsgesetzes in Sachsen verhandelt und unterschrieben.

Es gibt nun einmal in diesem Punkt viele Überschneidungen mit dem gesamten Bereich Gesundheitsziele, wie es in Sachsen bisher gelaufen ist. Deshalb ist es gut, über einen Antrag im Landtag unsere Erwartungen aus dem politischen Bereich und Zielstellungen zu formulieren und über die Staatsregierung in den nun neuen Steuerungskreis für die Gesundheitsprävention in Sachsen einfließen zu lassen; denn leider gibt es in dem bisherigen vorgese

henen Konstrukt Steuerungskreis keine politischen Akteure, die dort mitmachen können.

Ich bedaure das sehr, weil ich es gerade beim Thema Primärprävention unerlässlich finde, dass Politik, die die Rahmenbedingungen für Kitas, Schulen und die Arbeitswelt gestaltet, mit am Tisch sitzt, wenn es um gesundheitsfördernde Verbesserungen von Strukturen in diesen Bereichen geht. Hier appelliere ich noch einmal an die Akteure, dass das gewählte Konstrukt vielleicht noch einmal überdacht werden könnte.

Kurz noch einmal zu den Punkten in unserem Antrag. Bevor wir eine Neujustierung, eine Neuausrichtung der Gesundheitsziele in Sachsen vornehmen, halten wir es für geboten, dass die bisher durchgeführten Maßnahmen und Ziele evaluiert werden und aus dieser Erfahrung Erkenntnisse in die Neujustierung der jetzigen Systematik einfließen können.

Wir halten es weiterhin für erforderlich, dass es eine einheitliche Datengrundlage gibt, auf deren Basis die zur Verfügung stehenden Ressourcen zielgerichtet zur Anwendung kommen können. Hierzu findet sich in der Landesrahmenvereinbarung zur Umsetzung des Präventionsgesetzes nur ein Hinweis auf vorhandene verschiedene Quellen von den beteiligten Akteuren. Das sollte aus unserer Sicht nachvollziehbarer und transparenter gestaltet werden.

Nicht zuletzt sollten alle Maßnahmen und Projekte, die durchgeführt werden, von Beginn an in die Überlegungen einbezogen werden, wie man die daraus gewonnenen Erkenntnisse in die jeweilige Regelversorgung, in die Systeme im Gesundheits- und Pflegebereich einfließen lassen kann; denn nachhaltige Gesundheitsförderung kann nur gelingen, wenn die Regelversorger frühzeitig und ständig in die Modelle und Präventionserkenntnisse einbezogen werden.

Das sind die Anliegen unseres Antrages. Ich hoffe auf Zustimmung, damit der in Sachsen stattfindende Prozess der Ausrichtung von Gesundheitszielen weiterhin erfolgreich laufen kann und auf einem guten Weg bleibt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU und des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE)

Jetzt spricht der Abg. Wehner für die Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Namensvetter, lieber Oliver Wehner! „Wir können etwas für die Gesundheit tun“, waren Ihre Worte. Dabei fällt mir ein: Wir könnten auch etwas für unsere eigene Gesundheit tun, wenn wir beispielsweise Landtagssitzungen mit einer Mittagspause versehen würden,

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei der CDU)

denn das würde uns allen guttun.

Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist begrüßenswert, dass ein solcher Antrag auf die Tagesordnung kommt.

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, zum Punkt II Ihres Antrages möchte ich Ihnen herzlich gratulieren. Sie möchten eine umfassende Evaluierung über bisher erreichte Ziele und weiterhin notwendige Bedarfe veranlassen. Das ist gut so; denn bereits mit dem Antrag der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 5/7725, vom Januar 2012, welcher einen Bericht und eine Evaluation der Programme und Projekte der sächsischen Gesundheitsziele forderte, sollte eine derartige Evaluation vorangetrieben werden. Damals war das leider erfolglos beantragt worden, aber ich möchte Ihnen mitteilen, dass wir natürlich nach wie vor von der Notwendigkeit überzeugt sind und deshalb dem Antrag zustimmen werden, liebe Frau Neukirch und lieber Herr Wehner.

Die Staatsregierung teilte in der damaligen Antwort mit: „Darüber hinaus befasst sich mit der Frage der Evaluation sächsischer Gesundheitsziele eine am 28.11.2011 vom Steuerungskreis Gesundheitsziele Sachsen eingesetzte Strategie-Arbeitsgruppe.“

Dies wirft nun wiederum eine Reihe von Fragen auf. Hat die genannte Gruppe getagt und, wenn ja, welche Ergebnisse wurden vorgelegt?

Welche Gründe gibt es dafür, weitere fünf Jahre später eine erneute Bewertung vorzulegen? Das kann nicht allein mit dem Präventionsgesetz in Zusammenhang gestellt sein.

Weiterhin können wir uns Ihrer im Punkt III geforderten kontinuierlichen Landesgesundheitsberichterstattung

hinsichtlich der in den Gesundheitszielen genannten Zielgruppen natürlich nicht verschließen. Auch wir wollen wissen: Geht es nun den Kindern und Jugendlichen, den Seniorinnen und Senioren und den Erwerbslosen gesundheitlich besser oder schlechter?

Dass die Arbeit mit Gesundheitszielen generell besser in die bestehenden Gesundheits- und Pflegestrukturen einbezogen werden soll, so wie im Punkt IV gefordert, ist für uns selbstredend und bedarf eigentlich keiner besonderen Beantragung. Aber wir müssen es im Blick haben, und insofern unterstützen wir das.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum Gesundheitszustand der Bevölkerung anlässlich des 3. Oktober machen. Ich beziehe mich hier auf den „Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2016“. Wir können dort auf Seite 58 ff. nachlesen: Mit der Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung ist auch die durchschnittliche Lebenserwartung in Ostdeutschland in den letzten 25 Jahren merklich gestiegen.

Die geschlechtsspezifische Lebenserwartung hat sich bei der Geburt in Ost- und Westdeutschland inzwischen angenähert. Frauen leben in beiden Regionen Deutschlands mittlerweile gleich lang: in den alten Ländern 83,12 Jahre und in den neuen Ländern 83,11 Jahre. Bei den Männern hat die Lebenserwartung mit 77,11 Jahren in

den neuen Ländern das Niveau in den alten Ländern mit 78,41 Jahren noch nicht ganz erreicht.

Auch die Sterblichkeit in Ost- und Westdeutschland hat sich bei den Frauen angeglichen und den Männern angenähert. Ein großer Teil der Verringerung der Ost-WestUnterschiede in Lebenserwartung und Sterblichkeit ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückgegangen ist: Anfang der Neunzigerjahre war die kardiovaskuläre Sterblichkeit bei Frauen und Männern in Ostdeutschland etwa 1,5-mal höher als in Westdeutschland. Für das Jahr 2014 sind die Unterschiede dagegen vergleichsweise gering.

Beim Robert-Koch-Institut des Bundesgesundheitsamtes können wir nachlesen: „25 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit“, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Die Unterschiede betreffen neben der bereits aufgeführten mittleren Lebenserwartung Herz-KreislaufErkrankungen, die Krebserkrankungen und psychische Störungen.

Wir möchten für ganz Deutschland annähernd gleiche Lebensverhältnisse. Diese müssen sich auch im Gesundheitszustand der Bevölkerung im Osten widerspiegeln. So könnten die heute noch vorzufindenden Ost-WestUnterschiede in der Gesundheit zumindest teilweise darauf zurückzuführen sein, dass trotz der Annäherung der Lebensverhältnisse weiterhin sozioökonomische

Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland bestehen.

Neben der gesundheitlichen Lage und den Risiko- und Schutzfaktoren muss auch die Gesundheitsversorgung in den Blick genommen werden. Die geringe Bevölkerungsdichte und fortschreitende Alterung der Bevölkerung in vielen Regionen der neuen Bundesländer, die auch mit Veränderungen in der Infrastruktur einhergeht, stellt die Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung vor neue Herausforderungen. Dies betrifft nicht nur die ambulante und stationäre Versorgung, sondern auch andere Versorgungsbereiche wie Rehabilitation und Pflege.

Die Arbeit mit den Gesundheitszielen kann einen Beitrag zur Verbesserung der Gesamtsituation leisten, zumal seit 2010 einige Zeit ins Land gegangen ist und es durchaus an der Zeit ist, ein Fazit über die Umsetzung der einzelnen Ziele – sie sind hier genannt worden: von „Gesund aufwachsen“ über „Aktives Altern“ bis hin zu „Altern in Gesundheit, Autonomie und Mitverantwortung“ – zu ziehen und gegebenenfalls auf neue Entwicklungen zu reagieren.

Notwendig ist ohne Zweifel, auch eine kontinuierliche Berichterstattung und Evaluierung der einzelnen Gesundheitsziele in ihrer Gesamtheit vorzunehmen. Gesundheitsziele sind strategische Steuerungsinstrumente zur Verbesserung der Gesundheit und sie führen die relevanten Akteure zusammen. Gesundheitsziele bilden Handlungsrahmen, die in definierten Bereichen und für bestimmte Gruppen gesundheitsfördernd wirken sollen und auf die Stärkung individueller Gesundheitspotenziale und die

Verbesserung der Strukturen in der Gesundheitsversorgung abstellen.

Die Ziele haben auch den Vorteil, dass sie in der Regel eine hohe politische Akzeptanz erfahren, allerdings ihre Umsetzung dagegen meist schleppend verläuft.

Meine Damen und Herren, gesundheitliche Chancengleichheit ist eine grundlegende Voraussetzung, um Gesundheitsziele effektiv und nachhaltig umsetzen zu können. Die Verteilung von Risikofaktoren und Erkrankungen über die Bevölkerung ist in vielen Fällen durch die Ungleichverteilung über verschiedene soziale Schichten und Bevölkerungsgruppen charakterisiert. Alter, Geschlecht, sozialökonomischer Status, Erwerbsstatus, Lebensform, Bildungsstand, Wohnregion und Migrationshintergrund – Frau Neukirch ist auf einige dieser Punkte bereits eingegangen – sind von entscheidender Bedeutung, wenn es um die Umsetzung von Gesundheitszielen geht. Leider geraten solche Bedingungen bei der konkreten Diskussion von Gesundheitszielen oftmals viel zu sehr in den Hintergrund.

Wir müssen heute zur Kenntnis nehmen, dass es signifikante Zusammenhänge zwischen ungünstigen sozialökonomischen Bedingungen und schlechter Gesundheit bis ins hohe Alter gibt. Und es gibt sie, die sozialen Unterschiede im Gesundheitsverhalten – sowohl in der akuten Behandlungsphase als auch und noch viel mehr im Bereich der Vorsorge.