Meine Damen und Herren! Dieser Antrag umfasst alles und nichts – das war mein erster Eindruck beim Lesen. Es
Das Problem, das ich beim ersten Lesen hatte – das muss ich ganz ehrlich sagen –, weist auf ein größeres hin.
Das größere Problem ist, dass Schule gemeinhin als Domäne der Bildungspolitiker verstanden wird. Mit Kinderarmut, Armut und Benachteiligung befassen sich Sozialpolitiker. Jetzt haben Sie sich irgendwie geeinigt: Jetzt sitzt Frau Kurth hier und nicht die Frau Klepsch. Ähnliche Abgrenzungen haben wir auch hinsichtlich der konkreten Verantwortlichkeiten zwischen Bund, Land, Kreis und Kommunen. Jeder dieser fünf Punkte des Antrages der LINKEN erfordert das Überwinden von Ressortdenken und Ressortgrenzen.
(Beifall bei den GRÜNEN – Sebastian Scheel, DIE LINKE: Genau darum geht es! – Weitere Zurufe von den LINKEN)
Das ist ganz simpel. Die Voraussetzungen für gutes Lernen hängen nicht nur von Schulgebäuden in gutem Zustand ab,
obwohl: Da hätten wir schon ausreichend Handlungsbedarf –; gutes Lernen hängt auch – das zeigt nicht nur die Bertelsmann-Studie – deutlich von sozialen Umfeldern ab, vor allem von dem familiären und sozialen Kontext, in dem Schülerinnen und Schüler aufwachsen. Wenn man sich überlegt, dass die in den Bildungsagenturen zentral geplanten Maßnahmen funktionieren sollen, dann stellt man fest, dass das an Grenzen stößt. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen in den Regionen, zwischen den Städten und in den Kommunen.
Wichtig wird es daher sein, die örtlich Verantwortlichen von Schulen, von Nachbarschaften und von Quartieren besser in die Lage zu versetzen, zugunsten von Familien, auch den von Armut gefährdeten Familien, und deren Kindern aktiv zu werden. Das ist der entscheidende Punkt.
Viele Kommunen machen das bereits und beginnen damit, starre Zuständigkeitsgrenzen aufzulösen, um sich an den realen Bildungsverläufen von Kindern und Jugendlichen
zu orientieren. Dafür sind die ressortübergreifende Zusammenarbeit und die Vernetzung zwischen Ämtern, Trägern der lokalen Wirtschaft und engagierten Mitgliedern der Zivilgesellschaft notwendig. Bei der Etablierung – Sie sprechen in Ihrem Antrag ja auch von kommunalen Bildungslandschaften – geht es nicht nur um den Ausbau von Bildungsinfrastruktur, sondern es geht um die Vernetzung mit dem Sozialraum, um die Herstellung von Chancengleichheit, um die Öffnung von Bildungseinrichtungen für Integrationsfunktionen, auch um die Stärkung des lebenslangen Lernens und natürlich auch um die Familienbildung, weil ein besserer Lernerfolg von Jugendlichen mit der Stabilisierung ihres familiären und sozialen Umfeldes zumindest wahrscheinlicher wird.
Von einer solchen systematischen Vernetzung im Bildungsbereich, meine Damen und Herren, profitieren nicht nur die Kinder und Jugendlichen. Wenn Bildung ihr sozialintegratives Potenzial vor Ort wirklich entfaltet, dann stärkt das auch den sozialen Frieden vor Ort und dann wird Segregation – das haben Sie bei der Einbringung deutlich gemacht – vermieden.
Gute kommunale Bildungslandschaften werden auch zu einem Standortfaktor, zum Beispiel für Familien, aber auch für Unternehmen. Die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit der Regionen hängt davon ab, ob es den ansässigen Unternehmen ausreichend gelingt, gut ausgebildete Fachkräfte zu gewinnen. Das haben wir erst vorgestern Abend mit dem Sächsischen Handwerkstag ausführlich diskutiert.
Die Etablierung von Bildungslandschaften fördert zudem auch noch einen ganz anderen, modernen Politikstil. Dabei geht es um mehr Offenheit gegenüber zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteuren.
Viele von uns haben Kinder. Wir wissen, wie schwierig gerade die Übergänge zwischen den einzelnen Bildungsetappen sind. Die Kernidee von Bildungslandschaften ist, Bildung entlang der Biografie von Kindern und Jugendlichen und an ihrem Lebensumfeld zu orientieren. Viele Kommunen tun dies bereits. Ich habe mir einmal angeschaut, wer mit solchen Vernetzungskonzepten für Bildungslandschaften arbeitet. In Leipzig gibt es seit 2014 ebenfalls ein Modellprojekt, und die Landeshauptstadt sowie der Kreis Görlitz nehmen an dem Programm „Lernen vor Ort“ teil. Ich habe mir einmal die Berichte angeschaut und bin wirklich sehr überrascht von den vielen guten Ansätzen, die zum Beispiel über das Programm „Lernen vor Ort“ aufgegriffen und weiterentwickelt werden.
So könnte ich natürlich leicht sagen: schöner Antrag; aber solche Prozesse zu initiieren ist erst einmal Aufgabe der Kommunen. Die Städte und Kreise müssen in die Lage versetzt werden, solche Prozesse zu initiieren und die Initiative zu ergreifen. Der Freistaat ist, das möchte ich deutlich sagen, gesetzlich verpflichtet, die Tätigkeit der öffentlichen und freien Jugendhilfe sowie ihre Weiterentwicklung anzuregen – das steht im SGB VIII – und entsprechende Initiativen offensiv zu fördern. Rahmenbe
dingungen für die Etablierung ressortübergreifenden Handelns und ressortübergreifender Arbeit in der Bildungslandschaft zu schaffen ist somit ebenfalls eine Aufgabe des Landes; deshalb ist der Adressat dieses Antrages auch wirklich richtig.
Die Kommunen bleiben aber in der Verantwortung, ihre Konzepte für die kommunalen Bildungslandschaften zu koordinieren und bei Erfolg auch dafür zu sorgen, dass diese nicht nach Ablauf von Förderlaufzeiten in sich zusammenbrechen. Die präventive Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im Umfeld von Schulen vermag nämlich auch enorme Kosten abzuwenden, die dann im Bereich der Pflichtaufgaben der Jugendhilfe und der sozialen Sicherung später viel teurer zu Buche schlagen würden.
Nach intensiver Beschäftigung mit diesem Thema möchte ich Ihnen daher – trotz meines ersten Eindrucks – Zustimmung zu diesem Antrag empfehlen.
Vielen Dank, Herr Zschocke. Das war die erste Runde. Wir kommen zur zweiten Runde. Die Fraktion DIE LINKE beginnt, es spricht Frau Abg. Falken, bitte sehr.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf meine Vorredner eingehen, bevor ich mich noch zu einigen inhaltlichen Themen etwas detaillierter äußere.
Frau Saborowski-Richter, wenn ich zusammenfasse, was Sie gerade sagten – ich weiß, ich überspitze es, das möchte ich gleich vorausschicken –, dann muss ich davon ausgehen, dass Sie der Auffassung sind: a) wir haben in Sachsen überhaupt keine armen Kinder, und b) wenn wir welche hätten, wären die Eltern schuld. Wir bauen flächendeckend genügend Schulen und Kindergärten; denn das haben wir gerade getan oder sind mittendrin. Die Betreuungszeit für Vormittag, Nachmittag und ganztags steht selbstverständlich auch für die armen Kinder zur Verfügung. – Ich habe es jetzt überspitzt, aber im Wesentlichen kommt das dabei heraus.
Ich muss an dieser Stelle ganz klar und deutlich feststellen, dass all die Fakten, die Sie nannten, nicht wirklich dazu dienen, die Kinderarmut im Freistaat Sachsen zu bekämpfen. Kinderarmut ist ein prägendes und gravierendes Element der Betroffenen, aber auch der Gesellschaft. Wer einmal in seinem Leben – ich denke, alle, die hier sitzen, haben es noch nie erlebt – arm gewesen ist, insbesondere als Kind oder Jugendlicher, der weiß, dass dies ein so prägendes, einschneidendes Erlebnis ist, dass man dagegen gesamtgesellschaftlich vorgehen muss.
In Artikel 3 der Kinderrechtskonvention ist ganz klar festgelegt: „Soziale Sicherheit ist ein soziales Menschenrecht und unverzichtbar für das Erreichen von Kindes
Ich gehe noch einmal auf die einzelnen Punkte ein, die Sie dargestellt haben, Frau Saborowski-Richter. Es ist ganz klar nachweisbar, dass arme Kinder nicht so viel Betreuungszeit in den Einrichtungen haben wie die anderen Kinder. Es ist ganz klar, dass wir, wenn wir von Bekämpfung der Armut im Kindes- und Jugendalter sprechen, allein mit Schul- und Kitahausbau überhaupt nicht weiterkommen, sondern wir müssen gerade in ganz bestimmte Regionen – in einzelnen Städten, aber auch im ländlichen Raum – gezielt und besonders personell und inhaltlich agieren.
Sie wissen, ich komme aus Leipzig. Wir haben Stadtteile, in denen sehr viele arme Kinder leben, sowohl im Kita- als auch im Schulbereich. Aber auch diese Klassen und Gruppen sind genauso stark wie jene, die nicht in solchen Regionen leben und nicht arm sind. Das heißt, schon hier haben wir als Gesellschaft abzusichern – das kann man selbstverständlich über das Kultusministerium regeln und muss es nicht zwingend durch die Kommunen tun –, dass in diesen Klassen und Gruppen entweder zusätzliches Personal zur Verfügung steht oder die Gruppen kleiner sind – am besten natürlich beides, gar keine Frage. Die Formulierung, die Sie heute ebenfalls trafen, hört man sehr häufig: Daran sind die Eltern schuld, sollen die sich kümmern. Kinderarmut ist kein individuelles Problem, Kinderarmut ist ein gesellschaftliches Problem.
Ich komme zu einigen konkreten Überlegungen, die ich Ihnen verdeutlichen möchte. Dass die Startvoraussetzungen für arme Kinder in der Gesellschaft wesentlich schwieriger und problematischer sind, ist unstrittig – ich hoffe es zumindest. Dies beginnt bei solchen Dingen, dass Kinder aus armen Familien, die nicht so schnell in der Schule mitkommen, oftmals keine zusätzliche Hilfe erhalten. In den Schulen erhalten sie keine zusätzliche Hilfe, ganz einfach, weil der Förderunterricht, den wir hatten, gestrichen wird. Reiche Eltern können sich Nachhilfe leisten, kaufen sich die zusätzliche Bildung einfach dazu. Das ist für die Eltern armer Kinder überhaupt nicht möglich. Wenn Sie sich einmal die Statistiken anschauen, dann haben wir an den Förderschulen im Freistaat Sachsen prozentual viel mehr arme Kinder als andere. Sie sind nicht von Geburt an dümmer als der Rest, sondern dort fehlt einfach die klare Zuwendung durch den Staat, die finanzielle und personelle Unterstützung für diese Familien, insbesondere natürlich für die Kinder.
Es gibt auch Studien, bei denen ich beim Lesen immer eine Gänsehaut bekomme, weil ich selbst Lehrerin bin; Sie wissen das. Diese Studien zeigen, dass die soziale Herkunft auch einen Einfluss auf die Benotung von
Schülerinnen und Schülern hat. Das ist, denke ich, ebenfalls gravierend. Frau Staatsministerin, das müssen wir noch einmal besonders anfassen.
Herr Zschocke, Sie sagten, die Kommunen müssten besser ausgestattet werden. Das ist auch eine Forderung in unserem Antrag. Wir möchten gern, dass wir bei der Überlegung, Kinder aus der Armut zu holen, diese dort abholen, wo ihr Lebensalltag ist. Dort, wo sie leben, wo sie sind, müssen wir sie abholen. Wir können sie nicht dorthin schicken und dorthin stecken, sondern wir müssen gemeinschaftliche Systeme entwickeln. Formal sind sie sogar schon da, aber wir müssen sie entwickeln, damit sie zusammenarbeiten – das ist genau das, was Sie gerade formuliert haben –, ressortübergreifend; denn sonst werden wir diese Situation nicht wirklich in den Griff bekommen. Dort müssen wir uns alle Facetten anschauen: über den Kindergarten zur Schule, zum Freizeitbereich usw.
Wir brauchen Strukturen der öffentlichen Kinder- und Jugendarbeit. Ich möchte dazu einige Beispiele nennen, wir haben schon einiges dazu gehört: Jugendhäuser, Jugendklubs, Ferienfreizeiten sowie natürlich auch die öffentliche Daseinsvorsorge wie beispielsweise
Schwimmbäder, Bibliotheken, Musikschulen und Ähnliches. Sie alle wissen, dass dies keine Pflichtaufgaben der Kommunen sind, und Sie wissen auch, dass in vielen Kommunen immer wieder überlegt wird: Wo können wir gegebenenfalls noch Mittel streichen oder nicht mehr einstellen? Genau das sind die Räume, wo wir die Kinder und Jugendlichen abholen müssen, und zwar übergreifend und nicht nur bezogen auf die Institutionen, vor allem bezogen auf die Freiräume, in denen Bildung für die Kinder und Jugendlichen stattfinden kann.
Mich erschreckt immer unglaublich, dass ich in Leipzig Familien und Kinder erlebe, die noch nie aus ihrem Stadtbezirk herausgekommen sind. Sie leben und bewegen sich in ihrer Kindheit in der Regel in einem Stadtbezirk, in diesen sozialen Räumen. Es ist für uns alle hier überhaupt nicht vorstellbar, dass man nicht mobil sein kann über die Stadt hinaus, nicht Urlaub machen kann oder auch nicht die Erfahrung eines Auslandsbesuchs hat. Das haben diese Kinder und Jugendlichen nicht, hier müssen wir ganz klar etwas tun.
Etwas tun müssen wir im kommunalen Bereich, aber wir müssen auch die Kommunen so ausstatten, dass sie die sächlichen und personellen Voraussetzungen schaffen können, um genau in diesen sozialen Räumen wesentlich aktiver zu sein. Das bezieht sich natürlich auf Mittel des Landes, und – ich gehe so weit – natürlich auch auf Mittel des Bundes, um hierbei endlich voranzukommen.
Ein Kind, das wir gesellschaftlich zurücklassen, wäre für die Gesellschaft verloren und würde in den nächsten Jahren wesentlich mehr Geld kosten, als wenn wir es jetzt in Kita, Schule und Freizeitbereich stecken würden.
Meine Damen und Herren! Gibt es weitere Wortmeldungen aus den Reihen der Fraktionen? CDU Fraktion? – Das ist nicht der Fall. SPD-Fraktion? – Weitere Signale sehe ich nicht. Dann frage ich die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Frau Staatsministern Kurth. Bitte sehr.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Eines möchte ich vorab sagen: In Sachsen hat jeder junge Mensch das Recht auf eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Bildung und Erziehung, und zwar unabhängig von Herkunft oder wirtschaftlicher Lage. Ich möchte das im Folgenden unterstützen und erläutern.