Protocol of the Session on December 17, 2014

Dann erwartet die Bevölkerung von uns doch eine ernsthafte Entscheidung. Ich kann jeden verstehen – – Das muss man jetzt nicht wiederholen. Manchmal hat man schon das Gefühl, in Rechtfertigungsnot zu kommen. Diesbezüglich geht es überhaupt nicht um Menschen, die berechtigt eine Zuflucht suchen, die verfolgt werden und auf die die Todesstrafe wartet. Insofern ist das Beispiel des Iran jetzt etwas relativierend, denn dorthin, wo staatlicherseits die Todesstrafe droht, ist nicht abzuschieben. Das ist ein subsidiärer Entscheidungsgrund und entzieht sich auch der politischen Diskussion.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Was ist mit der Antragsprüfung?)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich habe eine Zwischenfrage. Herr Hartmann, denken Sie, dass diejenigen, die meinen, einen Grund zur Flucht zu haben, nicht mehr herkommen, wenn wir zum Beispiel Tunesien oder Tschetschenien als sicheres Herkunftsland einstufen? Sie haben die Russische Föderation angesprochen. Es ist egal, über welches Land wir reden. Meinen Sie, dass das dazu führen wird, dass diese Menschen nicht mehr versuchen, nach Europa zu kommen?

(Alexander Krauß, CDU: Die gehen aber schneller zurück!)

Frau Zais, nein, das meine ich im ersten Ansatz nicht. Ich meine aber, dass sich unsere Gesellschaft für das Zusammenleben Regeln gegeben hat. Das ist der politische Diskurs, und Sie können in dieser Gesellschaft für Mehrheiten werben. Stellen Sie sich hin und werben Sie in Ihrem politischen Programm um politische Mehrheit. Wenn Sie die Mehrheit der Gesellschaft wählt, dann können Sie diesen Diskurs führen und die Entscheidung dafür treffen. Wir stehen als Union zu Regeln, die wir uns gegeben haben.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Wo haben die Regeln denn versagt, Herr Hartmann?)

Die heißen ganz klar: Es gibt Anerkennungsgründe, –

(Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

und es gibt entsprechend den Vereinbarungen, die wir getroffen haben, ein Recht auf Asyl. Dazu gehört die Genfer Flüchtlingskonvention. An die halten wir uns. Aber wir werden nicht jeden in dieses Land aufnehmen und integrieren können. Das gehört zur Wahrheit dazu. Das ist die Frage der Betrachtung zwischen den Herausforderungen einer verantwortungsvollen Asyl- und Flüchtlingspolitik gegenüber Menschen, die in Not sind und Hilfe brauchen, auf der einen Seite, und den berechtigten Erwartungen, Problemen und Herausforderungen der eigenen Gesellschaft auf der anderen Seite.

(Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

Wenn Sie Akzeptanz in der Gesellschaft wollen, müssen Sie klare Regeln formulieren. Dafür stehen auch wir. Wir werben dafür, dass derjenige, der Hilfe braucht, sie findet, dass er eine anständige Unterbringung und Betreuung hat, dass er sich individuell, eigenverantwortlich und menschenwürdig entfalten, sich in diese Gesellschaft integrieren kann und möglichst auch eine Ausbildung oder einen Job findet. Das ist selbstverständlich. Wenn Sie diese Akzeptanz in einer Gesellschaft wollen, müssen Sie klare Regeln formulieren. Sie müssen auch Handeln und Wort in Einklang bringen. Diesen Diskurs führen wir.

Ein letzter Satz sei mir zum Thema Pegida gestattet. Die Union wird nicht auf Pegida aufspringen und so tun, als ob Pegida die Meinungsbildung in ganz Deutschland oder in ganz Dresden vertritt. Es sind 15 000 Menschen. Die sind in ihren Positionen und in ihrer Diskussion ernst zu nehmen. Es sind aber nicht 540 000 Dresdner Einwohner. Sie sind auch nicht in den Diskurs zu 5 600 Gegendemonstranten zu setzen. Es zeigt aber, dass es in unserer Gesellschaft Bedenken und Probleme gibt, die man ernst nehmen und über die man sprechen muss.

Es gibt sicher Themen, bei denen ich sage, diese Argumente werde ich nie verstehen. Aber es gibt auch Positionen, über die man ernsthaft reden muss, wo man sagt, das ist ein Argument, es bedarf der Erklärung. Vielleicht ist es einfach so, dass eine Mutter Sorge davor hat, dass ein Asylbewerberheim vor ihrer Tür steht, und sagt, das sind dann auf einmal 30, 40 alleinstehende Männer. Ich habe Sorge um meine Tochter. Darüber muss man reden, und man muss miteinander über Lösungen sprechen. Diese Ebene muss man finden. Aber es bedingt klarer Regeln und Normen. Ohne diese wird glaubhafte Asylpolitik und vor allen Dingen Akzeptanz, um die es letztendlich geht, nicht erreichbar sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der AfD)

Für die SPDFraktion Herr Abg. Homann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, im Zusammenhang mit Willkommenskultur und der Aktuel

len Debatte über Pegida müssen wir über eines sprechen, und zwar über unsere Haltung. Welche Haltung vertreten wir? Mit welcher Haltung treten wir den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber?

Das beginnt für mich bei der Problembeschreibung. Ich finde nicht, dass wir eine Haltung an den Tag legen dürfen, in der wir von einem Flüchtlingsproblem sprechen.

(Beifall bei den LINKEN)

Es muss unsere Haltung sein, dass das Leute sind, denen wir im Grundsatz helfen. Es macht keinen Sinn, an dieser Stelle über Flutwellen zu sprechen. Wir reden über 8 000 Menschen in einem Land mit 4,2 Millionen Einwohnern und 200 000 leeren Wohnungen. Wer daraus ein Problem macht, der schafft ein Problem. Das sind genau die Leute, die diese politische Debatte über Flucht, Asyl und Integration vergiften. Wer von Flutwellen spricht, glaubt wahrscheinlich auch, dass in Berlin die Weihnachtsmärkte abgeschafft und dafür Wintermärkte geschaffen wurden. Das ist so eine klassische Verschwörungstheorie, bei der die Volksseele hochkocht. Am Ende stellte sich heraus, dass es ein paar findige Geschäftemacher gab, die gern wollten, dass ihre Weihnachtsmärkte länger als bis Weihnachten geöffnet sind, und diese deshalb „Wintermärkte“ nannten. Aber nein, so ein Märchen wird propagiert.

Oder: Wer von Flutwellen spricht, glaubt wahrscheinlich auch, dass alle 6 000 Demonstrantinnen und Demonstranten 10 Euro von der Sächsischen Staatsregierung bekommen haben, um dort demonstrieren zu gehen. Solche Legenden werden sogar von FDP-Politikern im Internet geteilt. So vergiftet man gesellschaftliche Debatten.

Genau das findet leider sehr häufig statt, und das ist eine Frage von Haltung. Ja, wir alle haben ein politisches Interesse daran, unserer Meinung in dieser Gesellschaft Gehör zu verschaffen. Aber es ist eine Frage von Fairness, dass wir nicht jedes Argument, auch wenn es verfängt, benutzen, sondern dass wir auf die Fairness unserer Argumente achten.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Es geht darum, Ängste, die real sind, ernst zu nehmen. Es gibt tatsächlich Leute, die da draußen stehen und Angst haben. Aber eines muss auch klar sein: Wir Vertreterinnen und Vertreter demokratischer Institutionen im Freistaat Sachsen verhandeln nicht mit Neonazis. Es muss auch klar sein: Die Organisatorinnen und Organisatoren von Pegida, die diese Situation missbrauchen, um Ängste zu schüren, disqualifizieren sich für den politischen Dialog. Sie haben ihr Recht verspielt.

Herr Hartmann nannte die junge Mutter als Beispiel. Ich würde jetzt die Seniorinnen und Senioren ergänzen. Sie wissen, das Zusammenleben der Generationen ist ohne Senioren undenkbar. Wir müssen die Ängste dieser Menschen ernst nehmen. Das bedeutet aber nicht, dass ihre Ängste gut begründet sind. Die Angst vor der Muslimisierung, Islamisierung bei 0,4 % Muslimen in Sachsen

ist eine Angst, die real empfunden sein mag. Aber sie ist nicht real.

An dieser Stelle bin ich wieder bei der Haltung. Ich glaube, wir müssen die Haltung haben, den Menschen gegenüberzutreten und zu sagen, wir nehmen die Ängste ernst. Aber wir dürfen ihnen nicht nach dem Munde reden. Gute Politik schaut den Bürgerinnen und Bürgern auf den Mund, aber sie redet ihnen nicht danach. Man muss vor Ort bei der ersten Initiative gegen eine Flüchtlingsunterkunft nicht gleich einknicken und sagen, na ja, Sie haben ja nicht ganz unrecht, sondern dann muss man stehen. Man muss sagen, dass ein Muslim nicht gleich ein Islamist ist. Man muss sagen, dass man keine Angst vor Überfremdung zu haben braucht. In diesen Debatten müssen wir stehen! Dort müssen wir Haltung zeigen!

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Wenn wir über Willkommenskultur sprechen – und wir haben in dieser Debatte viel zu wenig über Willkommenskultur gesprochen, obwohl es die Überschrift ist –, wenn wir über Ängste sprechen, sage ich einmal, welche Ängste ich für real halte. Das sind die Ängste von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, die Angst davor, wie es hier ist. Wird es hier wirklich besser, wenn es in Deutschland aus sich neu formierenden möglichen Terrororganisationen wieder Brandanschläge auf geplante Flüchtendenunterkünfte, wenn es versuchte Anschläge auf den Deutschen Bundestag gibt. Lassen Sie uns diese Ängste auch ernst nehmen. Dann haben wir einen wichtigen Schritt hin zur Willkommenskultur getan.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Wird von der AfD noch das Wort gewünscht?

(Dr. Frauke Petry, AfD: Nein!)

Das ist nicht der Fall. Fraktion GRÜNE? – Auch nicht. Mir liegt noch eine Wortmeldung von der Fraktion DIE LINKE vor. Herr Abg. Richter, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es stimmt, wir haben heute die Debatte erst begonnen und werden sie in den nächsten Monaten weiterführen müssen. Das ist vollkommen klar, wenn man sich die Situation anschaut. Es wird weiter so sein, dass Menschen auf der Suche nach Schutz vor Krieg, Verfolgung und auch vor Verarmung, und zwar vor tödlicher Verarmung, zu uns flüchten. Es wird so sein, dass sich diese Situation weiter fortsetzt. Ich sage für uns ganz deutlich: Asyl ist ein Menschenrecht und für uns nicht verhandelbar.

(Beifall bei den LINKEN)

Andererseits wird es weiter so sein, dass in diesem Land Menschen zu Demonstrationen zusammenkommen. Wenn

es über 10 000 Menschen sind, kann das niemandem von uns vollkommen egal sein.

Deswegen ist es unsere Aufgabe, genau hinzuhören und genau hinzuschauen. Ich will das aber nicht so verstanden wissen, wie es der SPD-Vize Ralf Stegner gesagt hat, dass man den Verfassungsschutz jetzt auf Pegida ansetzen muss, sondern es geht darum, politische Fragen im politischen Raum zu diskutieren, und zwar vernünftig zu diskutieren und mit einer gewissen Gelassenheit zu diskutieren. Es reicht auch nicht mehr, in dem Land das Thema Asyl quasi geschäftsmäßig abzuhandeln, sondern das, was wir brauchen, ist ein breiter Bürgerdialog. Dieser Bürgerdialog muss geführt werden mit denen, die humanistisch gesinnt sind, und nicht mit denen, die sich politisches Kapital versprechen auf dem Rücken von schwachen Menschen. Es geht in Sachsen auch nicht um die Verteidigung des Abendlandes. In Wirklichkeit geht es um die Verteidigung westlicher Werte. Dazu gehören unbedingt die universellen Menschenrechte. Dort steht überhaupt nichts drin von Ausgrenzung und Diskriminierung, sondern von Humanismus, und dafür stehen wir.

Wir brauchen viele Akteure. Viele Akteure haben sich auch zu Wort gemeldet: Der Landesschülerrat zum Beispiel. Die wollen einbezogen werden. Ich finde es auch gut, dass sich in vielen Orten von Sachsen mittlerweile Vereine und Initiativen zusammenfinden zu Willkommensbündnissen. Das ist ein ermutigendes Zeichen für uns. In vielen Gemeinden unseres Landes finden sich auch Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die die Verantwortung erkannt haben und sich in die erste Reihe stellen. Das halte ich für eine ermutigende Sache, und ich will diese Bürgermeister weiter darin ermutigen und auch selbst, soweit es geht, daran teilnehmen, zumindest in dem Kreis, in dem ich Verantwortung trage. Die Kraft des Amtes des Bürgermeisters kann einiges bewirken und viel zur Entspannung beitragen. Ich finde, dass wir alle diese Aufgabe haben.

Ich will in diesem Land nie wieder erleben, dass wir eine Situation wie in den frühen Neunzigerjahren haben, als – meine Kollegin hat das vorhin in der anderen Debatte schon gesagt – der rassistische Mob Brandanschläge verübt hat und niemand mehr in der Lage war, dies zu stoppen. Wir hatten eine Situation, die niemand in diesem Haus wieder wollen kann. Deshalb brauchen wir das Bündnis von solidarischen, demokratischen Menschen. Wir bieten ihnen das Bündnis der Humanisten an. Dazu sind wir als LINKE bereit.

Vielen Dank

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Petra Zais, GRÜNE)

Für die CDUFraktion spricht noch einmal Herr Abg. Hartmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Asyl nach Artikel 16 a Grundgesetz ist in der Verfassung der Bun

desrepublik Deutschland verankert und in der Tat damit ein geltender Grundsatz und nicht verhandelbar. Die Verpflichtungen in den Menschenrechtskonventionen, denen wir beigetreten sind, sind bindend. Daraus ergibt sich ein Rahmen. Genau um den geht es.

Für keinen von uns – und in der Sächsischen Union schon überhaupt nicht – steht in Abrede, dass der, der unter diesen Schutzstatus fällt, Unterstützung und Hilfe bekommt. Aber es ist ganz klar kein pauschales Individualrecht, das nicht an Voraussetzungen geknüpft ist. Auch unser Staat, unser Land und unsere Gesellschaft brauchen Normen und Regeln des Zusammenlebens. Ich bemühe es ungern, aber ich sage es trotzdem einmal: Es bedarf auch der Verantwortung von Politikern, die einen Eid auf den Freistaat Sachsen oder die Bundesrepublik Deutschland geleistet haben. Insoweit haben wir diese Verantwortung vor den hier lebenden Menschen im Kontext mit der Verantwortung für die, denen wir helfen wollen – und das zu Recht. Diesen Ausgleich müssen wir miteinander finden. Da sind pauschale Positionen höchst ungeeignet.

Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie zu einem Dialog einladen. Aber gleichzeitig beschränken Sie ihn – und das ist meine Kritik – auf die humanistisch denkenden Menschen. Das unterstellt einem Teil der Gesellschaft etwas anderes. Darüber hinaus ist es eine Formulierung, die den Diskurs einschränkt, weil die Diskussion nicht möglich ist.