Als Einbringerin spricht zuerst die Fraktion DIE LINKE, vertreten durch Frau Kollegin Lauterbach. Danach geht es weiter: CDU, SPD, AfD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Bitte Frau Kollegin Lauterbach, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Was ist Familie heute? Verantwortlichkeit, Verbindlichkeit,
Familie ist kein weiches Thema, Familie ist heute harte Realität. Familienpolitik ist eine Querschnittsaufgabe, bei der man in allen Bereichen des politischen Lebens mitreden will und natürlich auch mitreden muss: von der Familienhebamme über Beratungsstellen, dem Landeserziehungsgeld, Kita, Schule, Schülerbeförderung bis zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gesundheit, Pflege und Rente. Es ist nichts, was von Familie zu trennen ist. Alles im Kontext macht Familie lebenswert.
Am 15. Mai war der Internationale Tag der Familie. Aus diesem Anlass steht heute die Große Anfrage zur Situation von Familien in Sachsen auf der Tagesordnung. Diese ist gegliedert in drei Schwerpunkte. Erstens, grundsätzliche Aspekte: Hierzu wurden 18 Fragen gestellt, vier Fragen nicht beantwortet. Zweitens Erwerbs- und Einkommenssituation: Hierzu wurden 30 Fragen gestellt und acht Fragen nicht beantwortet. Drittens Familienförderung und familienunterstützende Infrastruktur: Hierzu wurden 39 Fragen gestellt und 18 Fragen nicht beantwortet. Das sind summa summarum 26 % der Fragen, die nicht beantwortet worden sind.
Ich will meine Kritik gleich am Anfang voll ausschöpfen, damit ich am Schluss auch noch ein paar positive Punkte ansprechen kann: Entweder Sie sind für die Fragen nicht zuständig, Sie wissen es nicht, Sie beantworten die Frage nicht, weil diese eine Bewertung erfordert, oder es gibt keine Statistik. Die vier Möglichkeiten haben wir.
Hier stellt sich das Ministerium selbst ein Armutszeugnis aus, weil es viele Fragen gibt, die Sie eigentlich hätten beantworten können und auch gut beantworten können. Schauen wir uns das im Einzelnen an:
Im ersten Teil gibt es viel Statistik, auch immer wieder Hinweise, wo Daten im Internet zu finden sind, so zum Beispiel zu Arbeitsmarktanalysen oder Analysen der Bundesebene. Das ist nützlich, auch für die freien Träger, die die Große Anfrage für ihre Arbeit nutzen möchten.
Was uns sehr betrübt, sind die Antworten zu Familien, in denen ein Elternteil ein Handicap hat. Sie führen 23 Beratungsstellen auf, fünf davon sind barrierefrei – fünf! –, vier sind nicht barrierefrei und zu 14 Beratungsstellen gibt es keine Informationen. Die fünf barrierefreien Beratungsstellen halten auch alle eine „Geh-Struktur“ vor. Von den anderen 18 kann das nur eine Beratungsstelle leisten. Fast 80 % der Beratungsstellen – 80 %! – können von Menschen mit einem körperlichen Handicap nicht aufgesucht werden. Es gibt auch keine „Geh-Struktur“.
Ja, Frau Ministerin, es gibt auch positive Entwicklungen. Das finden wir im Koalitionsvertrag von CDU und SPD. Die Staatsregierung erkennt einen Wandel in den Familienformen als Teil eines gesellschaftspolitischen Veränderungsprozesses und die Vielfältigkeit von Familienformen an. Das wird Zeit.
Werte Abgeordnete, in der Großen Anfrage sind mehrmals alle Ministerien mit deren Maßnahmen für einen freundlichen Umgang mit ihren Mitarbeiterinnen genannt. Es sind im Wesentlichen die Möglichkeiten der Gleitzeit, der
Eltern-Kind-Zimmer, der Telearbeitsplätze oder der Verkürzung der Arbeitszeit – in diesem Fall leider bei Lohnverzicht. Lediglich das Justizministerium informiert zur Arbeit mit Familien der Inhaftierten in den Justizvollzugsanstalten – eine wichtige Aufgabe – und das Wissenschaftsministerium zur Unterstützung der Familien und Studenten und Studentinnen. Die Hochschulen und Unis sind gut aufgestellt, sie tun viel für ihre Familien, für Studentinnen und Studenten mit Kind oder Kindern. Das geht auch manchmal mit wenig Geld.
Was wir wissen wollten – vielleicht haben wir auch nicht so deutlich danach gefragt –: Was machen die Ministerien nach außen, nach Sachsen? Was tragen die Ministerien zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei? Sie tun doch etwas. Es ist doch nicht so, dass sie nichts machen; ich kenne verschiedenes. Warum antworten Sie nicht auf diese Frage, wenn es dort gute Antworten gibt? Das ist einfach schade.
Werte Abgeordnete, es sind zahlreiche Gesetze aufgeführt, die einen familiären Bezug haben. Es sind ein paar interessante Themen dabei, und ich habe mir zwei ausgewählt. Zum Beispiel: das Kinderschutzgesetz. 2009 war Sachsen ein Vorreiter in Sachen Kinderschutz. Es wurde zum Ende der 4. Wahlperiode durchgeboxt. Das Tempo hat uns alle nicht glücklich gemacht, aber es war ein wichtiges Thema; es musste etwas passieren. Es war kein schlechtes Gesetz, und es war wirklich richtig wichtig, dass das gekommen ist. Es war befristet bis 30.06.2015. Es ist schade für mich, dass es so sang- und klanglos untergegangen ist.
Was bleibt, ist die Arbeit vor Ort zu den frühen Hilfen. Das ist natürlich wichtig; das ist das, was das Gesetz ausmacht. Die Vernetzung, die Arbeit in den Familien, die Hilfe brauchen, oder auch die Familienhebammen sind das, was bleibt.
Es gibt jetzt ein Bundesgesetz – reicht das? Und es gibt noch ein wichtiges Gesetz: Es gibt einen Rechtsanspruch auf eine frühkindliche Förderung in Kitas oder Kindertagespflege ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, also genau im Anschluss daran – ein weiterer Baustein für einen guten Start ins Leben.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche freiwillige oder zu beantragende Leistungen. Ob Familienpass, Familienerholung, Wohngeld, Kindergeld, Unterhaltsvorschuss – der Dschungel ist unmöglich zu durchschauen, und ich glaube, keine Familie in Sachsen kann allumfänglich erfassen, welche Antragsmöglichkeiten sie hat.
Zum zweiten Teil: Erwerbs- und Einkommenssituation. Wichtig für mich ist die Frage zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es gibt familienunterstützende Angebote wie die Kitabetreuung oder – ist es besser? – das Erziehungsgeld. Für unsere Fraktion wäre es für eine funktionierende Partnerschaft oder für Alleinerziehende besser, die Rahmenbedingungen für eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch geeignete Arbeitszeitmodelle zu vervollkommnen. Es werden Projekte benannt, zum Beispiel die Förderung von Chancengleichheit, jedoch
keine Ausführungen zu Nutzen, zu Mittelabruf, zur Auswertung oder dazu getroffen, wie es nach Beendigung des Modellprojektes weitergeht. Eine Wertung durch das Ministerium findet nicht statt; das müssen wir uns dann selbst beantworten.
Was ich feststelle, ist, dass immer noch viel zu viele Geringverdiener und Alleinerziehende länger pausieren, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen, weil die Chancen auf dem Arbeitsmarkt schlecht sind. Sie untersetzen das auch selbst mit Ihren Antworten, denn Sie teilen uns mit, dass es in Sachsen keine Unternehmen und staatlichen Stellen gibt, die das Qualitätssiegel „Familienfreundliche Arbeitgeber“ führen. Warum ist das so? Das Zertifikat kostet Geld, viel Geld. Das ist nicht gerade eine Belohnung für die Unternehmen, die familienfreundlich sein wollen.
Zum letzten Schwerpunkt: Familienförderung und familienunterstützende Infrastruktur. Leistungen und Förderungen für Familien werden für die einzelnen Ministerien dargestellt, einzelne Gesetzesgrundlagen, Richtlinien und Stiftungen auch finanziell unterlegt. Was wir nicht erfahren: Wie viele Anträge mit welchem Antragsvolumen liegen vor? Was wurde warum bewilligt oder nicht bewilligt? Reicht das Geld oder werden Mittel nicht ausgeschöpft? Hier haben wir wohl nicht ganz konsequent nachgefragt.
Auch Informationen zu ausländischen Familien erhalten wir leider nicht. Es gibt einige Fragen, die wirklich inhaltlich richtig gut beantwortet wurden, zum Beispiel die Nutzung und die Problemlagen in Familienberatungsstellen. Viele Fragen sind statistisch hinterlegt. Die Aussagen zu Familienerholung sind gut dargestellt – nicht so zu Familienerholungsstätten, Familienbildungsstätten, Mehrgenerationenhäusern, Frauenzentren und den lokalen Bündnissen für Familie. Das reicht nicht, um eine gute Arbeit zu machen, und ist sehr unbefriedigend für uns in der Auswertung.
Zur Finanzierung von Projekten der Familienarbeit ein kurzes Statement von uns: Wenn Vereine und Verbände im April – Herr Zschocke hat es heute Morgen schon angesprochen – immer noch auf ihr Geld warten, dann ist das nicht tragbar. Es sind Personalkosten zu finanzieren, es sind Projekte aufrechtzuerhalten. Die Menschen stehen mit ihren Problemen vor der Tür, sie kommen nicht wieder. Sie verkriechen sich dann mit ihren Problemen, die sie nicht allein bewältigen können, zu Hause und so manche freien Träger, wie zum Beispiel der Verband alleinerziehender Mütter und Väter, beantragen keine Fördermittel mehr, weil sie sich so ein Finanzgebaren der öffentlichen Hand nicht mehr leisten können.
Familien, Frau Ministerin, sind kein Projekt und damit auch nicht als Projektförderung geeignet. In Ihrem Koalitionsvertrag steht: Familie ist dauerhaft. Das steht dort drin. Eine dauerhafte Finanzierung mit einer Zielvereinbarung kostet Sie keinen Pfennig mehr. Denken Sie wenigstens einmal darüber nach.
Die Frage, ob das Förderverfahren oder die Fördervoraussetzungen noch aktuell sind oder angepasst werden müssen, wird nicht beantwortet; das verstehe ich auch. Es wäre ja eine Wertung der eigenen Arbeit, also nicht wirklich selbstkritisch. Wir sehen enormen Änderungsbedarf. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Träger und SMS, die Sie bescheinigen, sieht einfach anders aus. Familien brauchen nicht noch mehr Beratungsstellen. Sie brauchen familienverträgliche Arbeitszeiten. Familien brauchen auch nicht noch mehr Förderrichtlinien. Sie brauchen eine Steuerklasse, bei der am Ende des Monats noch etwas übrig ist. Sie brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur.
Zum Schluss möchte ich mich bei denen bedanken, die helfen, Familie lebenswert gestalten zu können: Vereinen und freien Trägern, die trotz widriger Umstände Familien begleiten und helfen, ihr Leben in schwierigen Situationen zu meistern – im Interesse der Kinder.
Der Antrag wurde für die Fraktion DIE LINKE von Frau Kollegin Lauterbach eingebracht. Jetzt schließt sich für die CDU-Fraktion Herr Kollege Krauß an.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ehe und Familie sind die kleinste, aber wichtigste Einheit unserer Gesellschaft. Dieses Bild, Familie ist die kleinste Zelle der Gesellschaft, kommt natürlich aus der Biologie. Wenn man das Wort Zelle einmal fortschreibt, dann kann man dazusagen, dass die Pflanze nicht ohne die Zelle auskommt und nicht funktionieren wird.
Deswegen wird ein Gemeinwesen und ein Staat nur funktionieren können, wenn er gesunde Familien hat, und deswegen ist es auch so wichtig, dass wir heute über dieses Thema sprechen. Ich bin der LINKEN dankbar, dass sie dieses Thema gestellt hat. Ich bin der LINKEN nicht häufig dankbar, aber in diesem Fall bin ich es schon einmal, weil es doch die Gelegenheit bietet, über die Familienpolitik zu sprechen.
Ich bin Frau Staatsministerin Klepsch und den anderen Häusern dankbar, dass sie die Fragen gut und ausführlich beantwortet haben. Natürlich sind auch Wünsche der LINKEN offen geblieben; aber wenn es keine Statistik gibt, dann kann man auch keine Statistik erwähnen. So einfach ist das. Ich glaube auch, wir müssen nicht unbedingt für alles Auflagen zur statistischen Erhebung einführen, nur um sicherzustellen, dass wir die Daten kennen. Wir sollten zunächst einmal mit dem Datenmaterial, das wir haben, arbeiten.
Zu einigen Fragen sage auch ich: Da hätte ich mir eine Antwort gewünscht, zumindest ein Nachdenken. Letzteres können aber auch wir machen. Ich will Ihnen eine Frage vorlesen, von der ich finde, dass man darüber diskutieren sollte:
„Auf welche Höhe können die jährlichen Einsparungen beziffert werden, weil Landeserziehungsgeld in Anspruch genommen wurde und dafür keine Plätze in Kindertageseinrichtungen gebraucht werden?“
Richtig ist, dass es dafür keine Statistik gibt. Aber ich finde, man sollte der Frage schon einmal nachgehen. Wenn hier auf der einen Seite der Finanzminister und auf der anderen Seite die Sozialministerin sitzt, dann ist das etwas, was man sehr gut miteinander ausdiskutieren kann.
Ich möchte, dass es Wahlfreiheit gibt. Ich möchte, dass die Eltern entscheiden können: Soll das Kind in die Krippe gehen? Soll es zur Tagesmutter gehen? Soll es zu Hause bleiben? – Aus meiner Sicht sollen das die Eltern entscheiden.
Dann ist es aber berechtigt – wir in Sachsen haben das Landeserziehungsgeld, mit dem wir es ermöglichen wollen, dass die Kinder zu Hause bleiben –, dass man sich die finanziellen Auswirkungen anschaut. Ein Krippenplatz kostet 1 000 Euro pro Monat. Das finanziert der Staat, also wir alle; das ist richtig. Jemandem, der sein Kind zu Hause betreuen möchte, geben wir nur 150 Euro pro Monat. Angesichts dessen ist es berechtigt, die Frage zu stellen, zu welchen Einsparungen es führt, wenn Eltern sich dafür entscheiden, ihr Kind zu Hause zu erziehen. Ich finde, dass man auch in den Haushaltsverhandlungen über eine solche Frage reden muss. Denn natürlich führt das Landeserziehungsgeld dazu, dass Steuergelder effizienter eingesetzt werden, was auf der anderen Seite zu einer Entlastung führt.
Aus meiner Sicht muss die Ableitung daraus sein, Überlegungen anzustellen, wie wir das Landeserziehungsgeld stärken können. Wir wollen doch Wahlfreiheit haben. Wir jedenfalls wollen den Eltern nicht vorschreiben, wie sie ihre Kinder erziehen. Die Eltern sollen darüber selbst entscheiden. Wenn das Landeserziehungsgeld auch dazu führt, dass der Staat Geld spart, dann kann uns das eigentlich nur recht und billig sein.
Wie leben unsere Familien? Dazu kann man aus der Antwort auf die Große Anfrage durchaus Informationen herausziehen, auch wenn es vorher schon entsprechende Berichte des Statistischen Landesamtes gab. Ich finde, Familien sollten nicht nur in Bezug auf die Kindererziehung selbst entscheiden, sondern auch in Bezug darauf, wie sie zusammenleben wollen.
In Ihrem Entschließungsantrag weisen Sie von den LINKEN darauf hin, dass es in Sachsen weniger Ehen gibt. Die Feststellung ist richtig. Aber man kann aus den Daten dennoch ersehen, dass die übergroße Mehrheit der Sachsen Sicherheit auch in der Ehe sucht. Die meisten Sachsen sind der Auffassung, dass der sicherste Hafen für die Familie, insbesondere für das Aufziehen von Kindern, die Ehe ist. Wenn Kinder da sind, dann entscheiden sich viele Paare zur Heirat; auch das wird in der Antwort deutlich. Beim ersten Kind sind drei Viertel der Mütter nicht mit dem Vater verheiratet, beim zweiten Kind ist es dann schon weniger als die Hälfte. Insoweit ist also eine Entwicklung festzustellen.
Insgesamt sehen wir, dass vier von fünf Sachsen, die zusammenleben, in der Ehe leben. Anders formuliert: 80 % der Sachsen, die zusammenleben, haben sich für die Ehe entschieden. Auch dies gilt es wahrzunehmen und zu würdigen.
Frau Kollegin Lauterbach hat die gleiche Entscheidung wie ich getroffen; wir haben uns für die Ehe entschieden. Ich glaube – das darf ich sagen, weil ich auch Hochzeitstag habe –, wir haben es nicht falsch gemacht, sondern es war eine Entscheidung.
Ich will jetzt ein Thema ansprechen, über das wir wesentlich häufiger diskutieren als über die Fragen von Ehe und Familie; das sind eingetragene Lebenspartnerschaften. Gegen diese bin ich nicht. Es ist das legitime Recht, in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft zu leben. Wir wissen, dass sich 80 % der Sachsen für die Ehe und 0,001 % der Sachsen – das ist vollkommen in Ordnung – für eine eingetragene Lebenspartnerschaft entscheiden. Ich möchte, dass wir die 80 % nicht hintanstellen und nur über eingetragene Lebenspartnerschaften reden, sondern dass wir auch über das reden – heute ist eine gute Gelegenheit, das zu tun –, was der Alltag der meisten Menschen hier in Sachsen ist; die meisten Menschen haben sich nämlich für Ehe und Familie entschieden.
(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Früher habt ihr immer applaudiert, wenn so etwas gesagt wurde! – Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Eine Selbstverständlichkeit!)