Protocol of the Session on April 21, 2016

Wir kommen nun zu

Tagesordnungspunkt 4

Situation und Entwicklung des sächsischen Justizvollzugs

Drucksache 6/3640, Große Anfrage der Fraktionen CDU und SPD,

und die Antwort der Staatsregierung

Als Einbringer sprechen zuerst die Fraktionen CDU und SPD, danach folgen die Fraktionen DIE LINKE, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn sie das Wort wünscht.

Wir beginnen mit der Aussprache. Für die CDU-Fraktion Frau Abg. Dombois. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich am

Anfang meiner Ausführungen im Namen der CDUFraktion sehr herzlich bei der Staatsregierung für die sehr umfangreiche Beantwortung der Großen Anfrage bedanken.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Sie schließt sich an die Berichte und Anfragen über die Situation im Strafvollzug der letzten Jahre an und ist letztendlich eine Bestandsaufnahme zur Umsetzung unseres Sächsischen Strafvollzugsgesetzes, welches wir 2013 mit breitem Konsens über alle Fraktionen hinweg evaluiert haben. Es wurde nach Einschätzung nicht nur vieler Fachexperten, sondern auch durch die Anstaltsleitungen und die Mitarbeiter als eine der modernsten und anspruchsvollsten Gesetzgebungen im Ländervergleich im Bereich des Vollzugs eingeschätzt.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Die Umsetzung der gesetzlichen Grundlagen kann sich sehen lassen. Die Ausbrecherquote liegt praktisch bei null, das heißt, unsere sächsischen Gefängnisse sind und bleiben sicher. Die Rückfallquote hat sich wesentlich verbessert. Ein Drittel der Entlassenen ist rückfällig; das ist sicherlich noch immer zu viel, aber zwei Drittel schaffen den Absprung, was für eine gute Resozialisierungsarbeit spricht.

Wir verfügen über eine erfolgreiche Sozialtherapie, die wir mit wissenschaftlicher Begleitung weiterführen und ausbauen können. Der Vollzug in freien Formen – Seehaus – hat sich bewährt, und wir werden die Bestrebungen auf Erweiterung der Angebote in dieser Vollzugsform nachhaltig unterstützen.

Aber es gibt nichts, was man nicht noch besser machen könnte – auch mit Blick auf die zukünftige Gestaltung in den nächsten 20 Jahren. Diese wird sich aus neuen Erfahrungswerten der bisherigen Erkenntnisse und einer vielleicht veränderten Entwicklung der Haftzahlen ergeben und dabei auch manche Frage aufwerfen. Zum Beispiel, ob bei bestimmten Delikten eine Verurteilung in einem geschlossenen Vollzug wirklich noch sinnvoll ist. Ich denke dabei an die Ersatzfreiheitsstrafen, die gegenwärtig circa 40 % ausmachen, oder an ausländische Straftäter, die wegen Beförderungserschleichung verurteilt wurden.

Eine Spezialisierung von Haftanstalten auf neue Gefangenengruppen könnte ein weiteres zukünftiges Thema sein. Es ist bereits jetzt absehbar, dass wir mehr ältere Gefangene haben werden, sodass sich Seniorenstationen erforderlich machen, was mit einer entsprechenden medizinischen und sozialen Versorgung einhergeht. Auch mehr ausländische Gefangene, für die wir ausreichend gutes Personal mit sprachlichen und kulturellen Kompetenzen vorhalten müssen, werden zukünftig das Bild in unseren Vollzugsanstalten prägen.

Strafvollzug ist keine Verwahranstalt, aber auch kein Kuschelvollzug, wie es oft öffentlich dargestellt wird, sondern er bedarf einer individuellen Förderung jedes

einzelnen Straftäters zur Befähigung, künftig in sozialer Verantwortung ein straffreies Leben führen zu können.

Mit der Einführung des Diagnoseverfahrens nach dem Aufnahmeverfahren und der Vorbereitung der Vollzugs- und Eingliederungsplanung ist diese individuelle Aufarbeitung möglich geworden und hat positive Wirkungen erzielt. Dabei gilt es auch, den unterschiedlichen Ansprüchen zwischen den verschiedenen Vollzugsformen Rechnung zu tragen.

Während sich im Erwachsenenvollzug die Aufmerksamkeit mehr auf die Einrichtung von Arbeitstherapie und Beschäftigung richtet, bedarf es im Jugendstrafvollzug einer konzentrierten Ausrichtung auf schulische und berufliche Angebote. Dabei kommt der Mitwirkung durch Unternehmen, soziale Verbände, Vereine, der Jugendgerichtshilfe sowie dem bürgerschaftlichen Engagement eine sehr hohe Bedeutung zu.

Besonders hervorzuheben ist die engagierte und erfolgreiche Arbeit vieler Vereine in der Opferarbeit, wie zum Beispiel der Weiße Ring mit seinem Landesvorsitzenden Geert Mackenroth und seinem Team.

Auch im Bereich von Kunst, Kultur, Sport oder Musiktherapie ist die Mitwirkung Außenstehender unverzichtbar. Dieser Mitwirkung oftmals vieler Ehrenamtlicher gilt unsere besondere Anerkennung und unser besonderer Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD sowie vereinzelt bei den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Dennoch tragen letztendlich die Vollzugsbediensteten vollumfänglich die Verantwortung für die Umsetzung der Maßnahmen und für einen gesicherten Ablauf im Vollzug.

Leider ist die momentane personelle Situation in den JVAs nicht ausreichend. Aus der Erfahrung meiner Arbeit im Anstaltsbeirat der JVA Dresden, Hammerweg, sowie seit vielen Jahren in der Jugendstrafvollzugsanstalt RegisBreitingen kann ich einschätzen, dass sich der in den letzten Jahren vollzogene Personalabbau in vielen Bereichen des Vollzugs kritisch ausgewirkt hat. Trotz einer Anpassung im letzten Landeshaushalt im Personalbestand zu den neuen gesetzlichen Regelungen im Vollzug, besonders im psychologischen und Sozialdienst, stoßen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit.

Der Krankenstand im Vollzug ist übermäßig hoch. Die damit angefallenen Fehlschichten müssen von anderen Bediensteten übernommen werden. Damit steigen auch die Überstunden ins kaum noch vertretbare Maß. Eine permanente Unterbesetzung von Personal führt zudem unweigerlich zu Konflikten zwischen Bediensteten und Strafgefangenen. Der gesetzliche Resozialisierungs- bzw. Erziehungsauftrag kann zum Teil nur noch eingeschränkt vollzogen werden. Abstriche bei Aufschlusszeiten, im Freizeitangebot, in der Therapiearbeit oder bei der Betreuung im Besucherbereich sind auf Dauer nicht hinzunehmen und führen oftmals zu Unruhen bis hin zu Übergriffen und gefährden damit auch die Sicherheitslage.

Wechselnder Bediensteteneinsatz aus anderen Bereichen führt dazu, dass feste Ansprechpartner für die Gefangenen nicht präsent sind, mühsam aufgebaute Vertrauensverhältnisse sowie wichtige Beziehungsarbeit verloren gehen und die Distanzlosigkeit von Gefangenen gegenüber den Mitarbeitern wächst.

Der Verzicht des geplanten Stellenabbaus im Bereich der Justiz – und damit auch den Justizvollzug betreffend – war daher eine konsequente und nicht aufschiebbare Entscheidung. Die in Zukunft zu besetzenden 50 neuen Stellen werden die Situation deutlich verbessern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bild der Straftäter hat sich in den vergangenen Jahren massiv verändert. Die Gewaltbereitschaft ist größer und die Hemmschwellen sind niedriger geworden. Zunehmend beobachten wir auch im Vollzug einen Anstieg an Drogenabhängigkeit durch neue chemische Substanzen, die schon bei Einnahme von geringen Mengen zu einer irreparablen erheblichen körperlichen Schädigung führen. Dieser Tatsache entgegenzutreten bedarf einer vollumfänglichen Präventionsarbeit, die zusätzlich Kräfte in unserem Vollzugsdienst binden wird.

Es ist aus all den vorgenannten Gründen unausweichlich, die Personalentwicklung in unseren Strafvollzugsanstalten im Blick zu behalten und entsprechend den Altersabgängen und den notwendigen Ausbildungskapazitäten anzupassen.

Trotz dieser schwierigen Situation wird die Arbeit durch die Vollzugsbediensteten in unseren Vollzugsanstalten in hohem Maße engagiert, motiviert und zielführend durchgeführt.

Dafür möchte ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Namen meiner Fraktion den herzlichsten Dank aussprechen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der AfD und vereinzelt bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Die intensive ganzheitliche Betreuung der Straftäter hat nach neuesten kriminologischen Erkenntnissen die Rückfallquote sinken lassen.

Letztlich zeigen die praktischen Beispiele, dass den Mitarbeitern des Strafvollzugs im Rahmen des Übergangsmanagements eine wichtige Rolle in der Begleitung der Gefangenen, aber auch der bereits Entlassenen für eine erfolgreiche Integration in unsere Gesellschaft zukommt.

Dies steht im Gegensatz zu den erst jüngst gemachten Aussagen von Herrn Direktor Galli, der der Auffassung ist, dass alle Gefängnisse abgeschafft werden sollten, weil sie keine erkennbaren Erfolge erzielen würden.

Wichtig wird es sein, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vollzug für die kommenden Aufgaben weiter nachhaltig zu qualifizieren. Schwerpunkte sehe ich dabei im Umgang mit anderen Kulturkreisen bis hin zu Möglichkeiten, sich in diesen Sprachen zu üben, sowie in der

Vermittlung von Handlungsanweisungen für die Arbeit mit zunehmend psychisch auffälligen Gefangenen.

Positiv ist zu erwähnen, dass die Überprüfung verschiedener sächsischer Anstalten auf menschenwürdige Unterbringung und Behandlung der Straftäter durch die europäische Menschenrechtskommission durchgehend anerkennende Ergebnisse erbracht hat. Im Bereich Suizid liegen wir unter dem Bundesdurchschnitt. Dennoch ist jeder Suizid einer zu viel.

Der gesundheitlichen und seelsorgerischen Betreuung wird große Bedeutung beigemessen. Mit dem Neubau des Haftkrankenhauses in Leipzig werden weitere Voraussetzungen für eine gute medizinische Versorgung geschaffen.

Begrüßenswert ist das uneingeschränkte Bemühen auch vonseiten der Staatsregierung, Arbeitsplätze in den Vollzugsanstalten zu schaffen. Es hat sich gezeigt, dass trotz einer gesetzlich nicht bestehenden Arbeitspflicht die Beschäftigung für die Strafgefangenen eine große Rolle spielt.

(Beifall der Abg. Alexander Krauß und Martin Modschiedler, CDU)

Neben der Einsicht, dass die Chance auf Wiedereingliederung in das normale Leben außerhalb des Vollzugs durch die erworbenen Fähigkeiten leichter ist, wird auch das Selbstwertgefühl des Einzelnen dadurch gestärkt, leistungsfähig und finanziell unabhängig zu sein. In diesen Bemühungen sollten wir nicht nachlassen und entsprechend den Möglichkeiten in den Vollzugsanstalten weiter an einer Ausweitung der Arbeitsplatzangebote arbeiten.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Karin Wilke und Uwe Wurlitzer, AfD)

Gleiches gilt für Bildungs- und Qualifizierungsangebote. Wir unterstützen die Staatsregierung in ihren Bemühungen, trotz auslaufender Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds an den Bildungsangeboten festzuhalten und die bestehenden Kooperationsvereinbarungen mit den Bildungsträgern weiter aufrechtzuerhalten.

Es gilt, jetzt die Weichen zu stellen. Arbeit, Ausbildung, Schule und Behandlung sind dabei als Ganzes zu betrachten.

Feste Behandlungstage, eingebettet in die Bildung und Beschäftigung, und die schrittweise Überleitung von geförderten Maßnahmen in neue Modelle, beispielsweise Produktionsschulen, können ein Weg sein. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vollzug sind kreativ und haben dazu schon viele neue Ideen entwickelt.

Auch der Bereich der Familienbetreuung wurde weiter ausgebaut. Der Familienbezug ist eine der wichtigsten Grundlagen und hat in der Gesamtwirkung der Strafzeit eine große Bedeutung für den Strafgefangenen. Die Suche nach Geborgenheit und der Wunsch, nach dem Vollzug wieder ein normales, in die Gesellschaft und in die Familie integriertes Leben führen zu können, ist eine große Motivation, insbesondere im Umgang mit und für die Verarbeitung der eigenen Straftat. Deshalb sollten die

Familienbegegnungen und die kontinuierliche Einbeziehung von Familienmitgliedern in die Prozesse der Strafanstalt weiterhin gefördert und unterstützt werden.

Die Umsetzung dieser vollumfänglichen Aufgaben im Strafvollzug wird durch die Anstaltsbeiräte positiv begleitet. Die Zusammensetzung der Beiräte aus dem politischen, sozialen, wirtschaftlichen, Bildungs- und seelsorgerischen Bereich ist sinnvoll und wichtig, um alle Bereiche absichern zu können.

Die Anstaltsbeiräte sollten sich auch weiterhin als Vermittler zwischen Anstaltsleitungen, Vollzugsbediensteten und Strafgefangenen verstehen.