Meine Damen und Herren, ich lasse jetzt abstimmen über den Antrag, Drucksache 6/4149, von der AfD-Fraktion. Wer möchte die Zustimmung geben? – Die Gegenstimmen, bitte? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Eine Stimmenthaltung. Bei einer kleinen Anzahl von Stimmen dafür ist der Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Dieser Tagesordnungspunkt – –
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich möchte mein Abstimmungsverhalten erklären. Ich bin auch der Meinung, dass der Antrag nicht gut gemacht worden ist. Aber die Intention des Antrages könnte ich unterstützen, und aus diesem Grund habe ich mich hier der Stimme enthalten, weil wir durchaus in Sachsen auch eine Diskussion über die Technologie von Distanzwaffen für den Einsatz bei der Polizei brauchen. Ich erinnere nur daran: Im Dezember vorigen Jahres sind bei einem
Einsatz der Polizei durch gewaltbereite Demonstranten 60 Kollegen verletzt worden, und der Einsatz von Distanzwaffen hätte das durchaus verhindern können. Aus diesem Grund enthalte ich mich.
Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Es beginnt die Fraktion GRÜNE. Danach folgen DIE LINKE, CDU, SPD, AfD und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. – Herr Lippold, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde in meiner Rede nicht alle Details unseres Antrags in der vorliegenden Drucksache wiederholen. Mir geht es hier vor allem um die Darstellung, warum wir jetzt die Diskussion und die Beschlussfassung zum Antragsgegenstand für wichtig halten.
Wir beantragen mit unserer Initiative, die Staatsregierung aufzufordern, rasch über drohende und möglicherweise auch bedeutende Risiken für öffentliche Haushalte zu berichten und wirksame Maßnahmen zur Risikoabwehr zu ergreifen. Solche Risiken bestehen bereits jetzt. Sie resultieren aus der besonderen Exponiertheit des Freistaates im Zusammenhang mit dem jahrzehntelangen Braunkohlenabbau und mit der jahrzehntelangen Braunkohleverstromung. Diese Risiken werden rasch weiter wachsen, wenn die bisher übliche, aus heutiger Perspektive aber nicht mehr ausreichende Risikominderungspraxis unverändert ihre Fortsetzung finden sollte.
Es besteht auch ganz unmittelbar Handlungsbedarf, weil im Zusammenhang mit der entscheidenden Phase im Verkaufsprozess der Vattenfall-Braunkohlesparte diesbezüglich in den nächsten Wochen Weichen gestellt werden.
Wer hier bei uns Milliarden damit verdient hat, sächsische Bodenschätze ans Licht zu holen, der ist doch ganz selbstverständlich in der Pflicht, hinterher wenigstens die verursachergerechte Bezahlung des Aufräumens zu gewährleisten.
Die Antwort der Staatsregierung auf diese Forderung besteht bislang darin, auf bilanzielle Rückstellungen der Bergbautreibenden für Bergbaufolgekosten zu verweisen. Bilanzielle Rückstellungen sind eben gerade keine Rücklagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, erst recht keine finanziellen Rücklagen, wie Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben, der aber trotzdem gut ist und dem wir zustimmen werden.
Doch zurück zu den Rückstellungen. Vorsorgerückstellungen sind reine Passivpositionen in der Bilanz. Gleichwohl sieht die Staatsregierung darin geradezu die Garantie für die verursachergerechte Bezahlung der Bergbaufolgekosten. Die Werthaltigkeit der Rückstellungen sei schließlich durch Wirtschaftsprüfer im Zusammenhang mit den Jahresabschlüssen bestätigt, heißt es. Das hieß es aber jahrzehntelang auch in der Atomwirtschaft. Ich brauche hier wohl nicht zu erläutern, dass es dort heute nur noch um Schadensbegrenzung geht. Das Gezerre um die Altlasten aus dem Atomgeschäft sollte Warnung genug sein, was uns bei der Kohle blühen wird.
Die Sache mit den bilanziellen Rückstellungen hat nämlich einen gewaltigen Haken. Diese lassen sich künftig nur dann zur Generierung der notwendigen Erfüllungsbeiträge ohne einen existenzbedrohenden Substanzverzehr auflösen, wenn weiterhin dauerhaft eine stabile profitable Ertragssituation besteht. Genau dabei können wir im Jahr 2016 nicht mehr einfach aus der Vergangenheit in die Zukunft extrapolieren.
Nur weil Braunkohlegruben jahrzehntelang auch Goldgruben waren, ist keineswegs gesichert, dass das so bleibt.
Vor zehn Tagen hat die Barclays-Bank eine umfangreiche Beratung und Analyse von E.ON und RWE veröffentlicht. In einem Szenario, welches das soeben völkerrechtlich verbindlich beschlossene Zwei-Grad-Ziel ansteuert, hat E.ON perspektivisch Aufwärtspotenzial, während bei RWE erhebliches Abwärtspotenzial besteht. Der Grund: RWE hat wesentlich mehr Braunkohle am Bein, und die Braunkohle-Assets beider Unternehmen werden mit null bewertet.
So verwundert es auch nicht, dass die ach so schönen neuen Braunkohlekraftwerke von Vattenfall in Sachsen offensichtlich wertlos sind, einschließlich Hunderter Millionen Tonnen Kohle. Das liegt nicht daran, dass diese Kraftwerke nicht schön oder nicht modern oder nicht effizient genug wären. Das liegt schlicht an der mangelnden Geschäftsperspektive bei zugleich riskanter werdenden Rahmenbedingungen.
Diese Einschätzung zieht sich im Kohle-Strom-Geschäft in der Wertschöpfungskette nach unten durch. Jetzt hat auch die MIBRAG einen drastischen Stellenabbau angekündigt. Das alles sind Warnsignale, meine Damen und Herren, deutliche Warnsignale, dass es höchste Zeit ist, sich die Risiken der Bergbaufolgekosten für die öffentliche Hand neu und sehr genau anzuschauen sowie alle Absicherungsmöglichkeiten zu nutzen, die uns bereits heute zur Verfügung stehen. Genau das beantragen wir hier.
Diejenigen, die hoffen, in der Wirtschafts- und Energiepolitik des Freistaates mit einem Weiter-so wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, sollten sich genauer umschauen; denn sie treiben sinnbildlich auf einem durch den Klimawandel schmelzenden Eisberg irgendwo mitten im Meer.
Doch wie groß wird das Erschrecken erst sein, meine Damen und Herren, wenn Sie voller Vertrauen auf Rettung vom Eisberg auf das heranrauschende Schiff gesprungen sind und nach einer Verschnaufpause feststellen, dass „Titanic“ am Bug steht. Dann steht Ihnen eine kurze, aber ereignisreiche Zeit mit der Bordkapelle bevor. Hören Sie genau hin: Es könnte sein, dass sie bis zur letzten Minute böhmische Weisen spielt.
Nein, die bilanziellen Rückstellungen und die Wirtschaftsprüfer bieten eben keine hinreichende Sicherheit dafür, dass die öffentliche Hand nicht der sprichwörtlich Letzte sein wird, den die Hunde beißen.
Es ist leider durchaus die Regel, meine Damen und Herren, dass die ganz großen systemischen Risiken in Konzernbilanzen erst durch Staatsanwaltschaften aufgeklärt werden, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Wo ist ein Testat Beleg für langfristige Risikovorsorge, wenn sich in der gegenwärtigen Ertragssituation in der Energiewirtschaft bereits beim nächsten Jahresabschluss herausstellen kann, dass einfach nicht mehr genug Vermögenswerte vorhanden sind, um den Erfüllungsbetrag der Vorsorgerückstellungen auch bedienen zu können?
(Staatsminister Martin Dulig: Es mag Ihnen die Energiepolitik nicht passen, aber jetzt kriminalisieren Sie sie!)
Es hätte jedem die Augen öffnen müssen, auch Ihnen, Herr Minister, als RWE-Vorstand Terium im Zusammenhang mit der Diskussion über den Klimaschutzbeitrag, um dessen Einführung Ihr Bundeswirtschaftsminister hart gerungen hat, sinngemäß verkündete, wenn die Politik das Kohlegeschäftsmodell beschädige, dann müsse eben der Steuerzahler die Entsorgung der Atomkraftwerke bezahlen – der Atomkraftwerke! Ja, meine Damen und Herren, das Geld für deren Rückbau muss erst noch im laufenden Kohlegeschäft verdient werden. Womit wollen diese Unternehmen denn später eigentlich das Geld für die Kohlealtlasten verdienen, wo sie doch nach eigener Einschätzung den Einstieg in ein nachhaltiges profitables Energiegeschäft gründlich verschlafen haben?
Das Fazit ist: Wir sind gut beraten, angesichts der dramatischen Ertragssituation und der wachsenden Geschäftsrisiken in der Braunkohlewirtschaft von der Staatsregierung vorsorglich darüber Auskunft zu fordern, wie dadurch die Risikosituation für öffentliche Haushalte beeinflusst wird. Es geht um die Erhaltung des finanziellen Gestaltungsspielraums für den Freistaat und für die betroffenen Kommunen.
Wir sind gleichfalls gut beraten, die Staatsregierung aufzufordern, ab sofort wenigstens die Vorsorgemaßnahmen zu treffen, die ganz leicht möglich wären. Es bedarf nach § 56 des Bundesberggesetzes nur eines Federstrichs, um vor der Genehmigung eines Bergbaubetriebsplans Sicherheiten für die Beseitigung der Bergbaufolgen zu verlangen. Das entzieht dem Unternehmen auch nicht notwendigerweise Liquidität. Das kann nämlich auch eine Versicherung oder eine Sicherheit sein. Davon wird bislang für Braunkohletagebaue kein Gebrauch gemacht. Für andere Bergbautätigkeiten ist das hingegen sehr wohl üblich, und selbst für jede Windenergieanlage müssen heute Bargeld oder Bürgschaften hinterlegt werden.
Lassen Sie mich noch auf eines der eher verdeckten Risiken eingehen. Schadstoffbelastete Reststoffe aus Braunkohlekraftwerken, also Filteraschen und Reststoffe aus der Rauchgaswäsche, werden in Sachsen in Tagebauen und Landschaftsbauwerken als Baustoff genutzt, 25 Millionen Tonnen belasteter Reststoffe seit dem Jahr 1999.
Diese Reststoffe enthalten unter anderem auch erhebliche Mengen an Quecksilber. Die Genehmigung dafür wurde auf der Grundlage eines Gutachtens im Jahr 1997 erteilt. Die zugrunde liegenden Modellrechnungen beruhten auf damaligen Annahmen über die stoffliche Zusammenset
zung des Filterkuchens und anderer Reststoffe, die aber spätestens seit dem Jahr 2010 nicht mehr zutreffen.
Im Vattenfall-Kraftwerk Lippendorf wurden im Jahr 2010 technische Veränderungen an der Abgasreinigung vorgenommen. Bis dahin landete der Löwenanteil des Quecksilbers aus der Kohle in der Luft, was zu einem erschreckend großen Quecksilberausstoß von mehr als 1 200 Kilogramm im Jahr in der Hauptwindrichtung von Leipzig führte. Nach dem Umbau ist das Quecksilber aber nicht weg, es ist nur woanders. Während bis zum Jahr 2010 nur ein Zehntel in Aschen und im Ausschleuswasser landete, waren es danach drei Viertel, und dieses Quecksilber landet nun im Boden. Ob dieses Verfahren jetzt überhaupt noch von der Genehmigung des Sonderbetriebsplanes gedeckt ist, möchten wir gern wissen.
Die Schadstofffrachten bei Einbau der Reststoffe werden nicht einmal gemessen, und die Zusammensetzungen haben sich im Laufe der Jahre prozessbedingt gravierend geändert. Deshalb ist es nicht möglich, das Gefährdungspotenzial für das Wassersystem und die Gesundheit der Bevölkerung für die Zeit nach der Beendigung des Bergbaus überhaupt einzuschätzen. Übrigens: In Brandenburg und Nordrhein-Westfalen werden diese in Millionen Tonnen anfallenden Reststoffe seit Längerem auf extra eingerichtete, abgedichtete Deponien gebracht. Warum wohl? Die Einrichtung solcher Deponien kostet viel Geld. Deren Betreiber haben millionenschwere Sicherheitsleistungen zu erbringen. Sind die nun im Unterschied zum Vorgehen in Sachsen nur zu dumm, diese Stoffe kostenlos zu entsorgen? Oder haben sie ihre Gründe?
– die es den Kraftwerksbetreibern so billig und bequem wie möglich machen sollte. Wir haben die Staatsregierung gefragt, wer dafür aufkommen soll, wenn diese Stoffe umgelagert werden.
Ich komme sofort zum Schluss. – Die Staatsregierung war der Meinung, das müssten die Betreiber tun. Das werden sowohl Verkäufer als auch Käufer in einem potenziellen Vattenfall-Deal ganz anders sehen.