schied geben, ob sie zu DDR-Zeiten in Einrichtungen der Jugendhilfe waren oder in Einrichtungen der Behindertenhilfe bzw. der Psychiatrie untergebracht waren. Deshalb sei noch einmal deutlich gesagt: Wir brauchen diesen Fonds.
Außerdem schlagen wir – das finden Sie auch im Antrag – eine wissenschaftliche Studie aller ostdeutschen Länder vor. Damit soll das System der Behindertenheime und Psychiatrien in der ehemaligen DDR und der dortige Umgang mit den Kindern aufgearbeitet werden. Die Ergebnisse dieser Studie sollen nach unseren Vorstellungen im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung präsentiert werden, um einen Beitrag und eine breite öffentliche Beteiligung der Aufarbeitung zu ermöglichen. Sinnvoll ist es auch, eine Ausstellung zu organisieren. Das schlagen wir vor. Auch die anderen ostdeutschen Länder sollen einbezogen werden. In diesem Sinne haben wir mit den GRÜNEN in Mecklenburg-Vorpommern und SachsenAnhalt gesprochen, wo es gleichlautende Initiativen gibt.
Wie Sie gesehen haben, gibt es einen gemeinsam mit der Koalition eingebrachten Änderungsantrag zu unserem Ursprungsantrag. Das macht aus unserer Sicht sehr viel Sinn. Die vorgeschlagenen Änderungen sind zielführend und entsprechen unseren Forderungen. Mit dem Änderungsantrag machen wir deutlich, dass sich Sachsen im Vorfeld gemeinsam für eine Aufarbeitung einsetzen soll. Wir wollen, dass alle ostdeutschen Länder angesprochen werden. Der Änderungsantrag ist auch ein klares Bekenntnis für die Hilfs- und Unterstützungsleistungen. Es ist sinnvoll und richtig aus unserer Sicht, dass der vorliegende Antrag um einen Berichtsantrag ergänzt wird.
Die Staatsregierung wird aufgefordert, zur aktuellen Umsetzung bereits getroffener Beschlüsse zu berichten. Das ist ein guter und kluger Vorschlag, für den wir uns bedanken. Auch über die Ergebnisse der Sozialministerkonferenz sollte der Landtag informiert werden. Damit wollen wir erreichen, dass die Beschlüsse, die Diskussion zwischen Bund, Ländern und Kirchen in dieser Angelegenheit transparent gestaltet werden. So viel zur Einbringung.
Meine Damen und Herren! Nun die CDU-Fraktion; Herr Abg. Krasselt. Herr Krasselt, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der GRÜNEN soll eine Lücke schließen, die es aus meiner Sicht so erst gar nicht hätte geben dürfen. Insofern bin ich den GRÜNEN sehr dankbar, dass sie dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt haben.
Die lange und schwierige Debatte zu den DDRHeimkindern und das von ihnen zum Teil erheblich erlittene Unrecht mündete schließlich nicht nur in einen von Bund und Ländern gemeinsam finanzierten Entschä
digungsfonds, sondern damit verbunden auch in die Anerkennung des erlittenen Unrechts. Gerade Letzteres ist für die Betroffenen sehr wichtig.
Bis zum heutigen Tage aber gilt das nicht für die Heimkinder in Behinderteneinrichtungen und Psychiatrien der DDR. Dabei handelt es sich nach meinem Verständnis gerade um die schwächste Gruppe von Heimkindern.
Der Antrag der GRÜNEN, der in einen gemeinsamen Änderungsantrag von CDU, SPD und GRÜNEN mündete – ich darf ehrlich sagen, dass es mich sehr freut, dass uns das gelungen ist –, wird sich mit dieser Thematik auseinandersetzen. Diese Dreierlösung hat genau zum Ziel, diese Lücke endlich zu schließen.
Die 91. Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat sich zwar bereits des Themas angenommen und 2014 einen entsprechenden Beschluss gefasst, aber wie nun weiter? Was hat die dankenswerterweise eingerichtete Arbeitsgruppe bis heute erreichen können? Auch das hat unser Antrag zum Ziel. Wir erwarten von der Staatsregierung einen Bericht zum aktuellen Stand und zur Frage, wie sich insbesondere die anderen ostdeutschen Länder dazu stellen.
Für eine Lösung halten wir eine fundierte wissenschaftliche Studie für notwendig – Herr Zschocke hat es bereits deutlich gesagt –, die das System der Behindertenheime und Psychiatrien in der ehemaligen DDR untersucht. Auch dafür müssen freilich die anderen ostdeutschen Länder gewonnen werden; denn wirklich sinnvoll ist eine solche Studie nur, wenn sie sich über das gesamte ehemalige Staatsgebiet der DDR erstreckt. Selbstverständlich muss eine solche Studie, wenn sie Sinn macht, veröffentlicht werden. Sie muss diskutiert werden, damit man das System, das dahinterstand, versteht; denn nur damit lässt sich erklären, warum es auch mit Geld verbunden ist.
Von besonderer Wichtigkeit ist natürlich für die Betroffenen die materielle Entschädigung. Ob über einen gesonderten Entschädigungsfonds oder über bisher gegebene Regelsysteme, ist dabei unerheblich. Es geht darum, dass erlittenes Unrecht zumindest gelindert wird und Nachteile teilweise ausgeglichen werden. Dass man es heilen kann – das nehmen Sie mir sicher ab – wird nicht möglich sein.
Nun ist für ein Mitglied des Haushaltsausschusses die Frage nach der Höhe immer besonders wichtig. Diese Frage kann ich Ihnen leider nicht beantworten, weil es niemand weiß, und Schätzungen sind hierbei, denke ich, unangebracht. Aber da es um eine besonders benachteiligte Gruppe geht, dürfen wir meiner Meinung nach nicht zuerst über Geld reden, sondern über Ausgleich von erlittenem Unrecht, und ich hoffe sehr, dass wir in breiter Front diesem Änderungsantrag letztlich zustimmen können.
Ich möchte hinzufügen: Wir haben beide Anträge gemeinsam besprochen – Sie werden es gehört haben –, weil wir es letztendlich auf den Änderungsantrag ankommen
Meine Damen und Herren! Ich rufe die Fraktion DIE LINKE auf; Frau Abg. Lauterbach. Bitte, Frau Lauterbach, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Ich habe in den letzten Tagen in Vorbereitung dieser Debatte viel gelesen, und beim Stichwort „Heimkinder“ kommt im Internet zum Großteil „Heimkinder in der DDR“. Das müssen wir natürlich beachten.
Aber auch im Westen Deutschlands gibt es einen Heimkinderfonds. Auf dieser Grundlage wurde am 17. Februar 2009 ein „Runder Tisch Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“ ins Leben gerufen, nachdem der Petitionsausschuss des Bundestages die Notwendigkeit einer Aufarbeitung und Debatte verdeutlicht hatte. Dieser runde Tisch sollte sich mit der Aufarbeitung der Heimerziehung unter den damaligen rechtlichen, pädagogischen und sozialen Bedingungen beschäftigen sowie Hinweise auf an Heimkindern verübtes Unrecht prüfen. Wir wissen heute, dass beide Fonds notwendig waren.
Werte Abgeordnete, nachdem es bereits seit 2012 zwei Fonds Heimerziehung West und DDR gibt, ist nach jahrelangem Drängen nun endlich ein Fonds für ehemalige Kinder und Jugendliche aus Behinderteneinrichtungen und Psychiatrien in Sichtweite.
Die 91. Arbeits- und Sozialministerkonferenz 2014 hat sich dem Thema gewidmet und dem Anliegen der Betroffenen entsprochen. Eine Arbeitsgruppe wurde beauftragt, einen Vorschlag für eine Finanzierung vorzulegen. Dieser Vorschlag liegt nun vor. Erarbeitet wurde er von einer Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitgliedern des Bundes, der Bundesländer und der Kirchen. Der Vorschlag sieht vor, dass eine „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ gegründet werden soll. Sie soll für Menschen gelten, die als Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und der stationären psychiatrischen Einrichtungen der Bundesrepublik Unrecht und Leid erfahren haben.
Sie sehen, bereits im Westen wurden diese Menschen vergessen und eine Hilfe aus dem Heimkinderfonds nicht gewährt. Deshalb werden auf Bundesebene in die weitere Betrachtung alle Bundesländer einbezogen, nicht nur die ostdeutschen. Notwendig ist eine Gleichbehandlung aller Antragsteller; eine Gleichbehandlung von ehemaligen Heimkindern und Kindern und Jugendlichen aus Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie; eine Gleichbehandlung von Kindern und Jugendlichen in Ost und West ebenso.
Werte Abgeordnete! Es gibt sehr wenige Studien zum Thema. Ein differenziertes Bild zeichnet eine Untersuchung aus dem Jahr 2007 über die Situation geistig
behinderter Kinder und Erwachsener in der DDR. Hier werden den dokumentierten Missständen in einigen stationären Einrichtungen in der DDR auch positive Beispiele gegenübergestellt. Auch eine erneute Studie, die sicher notwendig ist, muss nicht nur den Osten bedienen. Eine Studie über alle Bundesländer ist notwendig.
Der Vorschlag der Arbeitsgruppe sieht deshalb auch vor: öffentliche Anerkennung, wissenschaftliche Aufarbeitung, Hilfe durch pauschale Geldleistungen und Rentenersatzleistungen, längere Laufzeiten und Anmeldefristen, unbürokratische Nachweisführung, Anlauf- und Beratungsstellen in den Ländern. Die Arbeit ist also schon weit fortgeschritten. Das ist gut so, denn bereits 2016 soll die Stiftung arbeitsfähig sein. Ob Fonds oder Stiftung, lasse ich hier mal dahingestellt sein. Bund und Kirchen haben finanzielle Unterstützung zugesagt. Nun liegt es an den Ländern, den erteilten Auftrag mit Leben zu erfüllen – und natürlich auch mit Geld.
Für den Ausgangsantrag der GRÜNEN hätte ich meiner Fraktion eine Enthaltung empfohlen. Der jetzt vorliegende Änderungsantrag der drei Parteien stellt einiges klarer dar. Deshalb können wir dem Antrag so, wie er dann vorliegen sollte, auch zustimmen.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich in den 1990er-Jahren meinen Freiwilligendienst in einem Heim für Menschen mit psychischen Erkrankungen und schwerst Mehrfachbehinderungen antrat, konnte man auf den Fluren dieser Einrichtungen zuweilen noch spüren, was sich dort zu DDRZeiten zugetragen haben muss. Fotos dokumentierten ein grausames Erbe. Die Menschen wurden gleichsam wie Vieh gehalten, festgebunden, Tag und Nacht sediert. Einige von ihnen lebten seither in einem dauerhaften Dämmerzustand. Ihren eigenen Willen zu bekunden war ihnen längst nicht mehr möglich, hatte man ihnen über die Jahre doch abgewöhnt, ihn zu artikulieren.
Fehlende Krankenakten machten es mir unmöglich, ihre Lebens- und Leidensgeschichten nachzuvollziehen.
Das ambitionierte Objekt der Enthospitalisierung, das wir Ende der Neunzigerjahre mit großem Enthusiasmus vorangetrieben haben, kam für viele dieser Menschen zu spät. Zu spät kommt auch der heutige Antrag für einige dieser Menschen – doch eben nicht für alle von ihnen –; und daher ist es umso wertvoller, dass wir überhaupt dieses beschämende Thema, diese Lücke im System heute auf die Tagesordnung gesetzt haben.
Anders als in der UdSSR und in Rumänien wurde die Psychiatrie in der DDR nicht systematisch als Instrument gegen politisch Missliebige eingesetzt. Dennoch lautet
das Ergebnis einer ost- und westdeutsch besetzten Kommission aus Psychiatrieexperten, die sich nach 1990 bildete – ich zitiere –: „… dass die Einwirkungen des autoritären Staates auf die Psychiatrie nicht unerheblich und weiter zu untersuchen waren. So hatten die Inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit ärztliche Schweigepflicht gebrochen, Patienteninteressen verraten und ihre Kollegen bespitzelt, und nicht alle Psychiater hatten dem Druck widerstanden, störende Kranke in den Kliniken zu behalten, wenn hoher Staatsbesuch bejubelt durch die Straßen rollte.“
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin sehr froh, dass es bei diesem Antrag schnell Einigkeit darüber gab, dass das Anliegen der einreichenden Fraktion berechtigt ist. Denn: Gleichwohl es in der DDR Menschen gab, die auch mit einer Behinderung ihren Weg machen durften – ich denke zum Beispiel an Blinde und Sehbehinderte, die in Königs Wusterhausen eine sehr gute Schulbildung erhalten haben –, überwiegt doch für die meisten, was ein promovierter Rehabilitationswis
senschaftler unlängst in einer Studie feststellte – ich zitiere: „Der politisch deklarierte Anspruch, nach dem im Zuge des sozialistischen Humanismus die Lebensbedingungen für alle Bürger der DDR verbessert werden sollten, erreichte die Personengruppe der Menschen mit Behinderung und psychisch Kranken nicht oder nur selten.“
Wir haben den Antrag geprüft und teilen sein Grundanliegen voll und ganz. Eine Änderung aus dem Änderungsantrag, der bereits eingebracht ist, möchte ich Ihnen gern erläutern: Wir zielen nicht darauf, eine Strafverfolgung zu prüfen. Hier wird zum einen eine Verjährung gegeben sein; zum anderen sehe ich durch eine Strafverfolgung keine effektive Hilfe für die Betroffenen gewährt.
Ich weiß, dass eine konsequente Strafverfolgung für viele Opfer der SED-Diktatur eine Genugtuung wäre – und aus ihrer Sicht ist das sicherlich auch nachvollziehbar. Doch aus unserer Position heraus sollten wir eine „Auge-umAuge-Zahn-um-Zahn-Mentalität“ hier nicht forcieren.
Sehr verehrte Damen und Herren, die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Studie erschloss sich mir bereits bei den Recherchen für diese Rede. Obwohl ich selbst viele Opfer der SED-Diktatur und auch Heimkinder aus meinem Ehrenamt kenne, war es mir absolut nicht möglich, einen Zeitzeugen für das heutige Thema, für diese Geschehnisse ausfindig zu machen. Es handelt sich um eine verborgene Gruppe, die dringend eine Stimme braucht. Ich freue mich, dass wir ihr heute dank der antragstellenden Fraktion eine solche Stimme geben können.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Unser Dank geht an die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ihr Antrag ist richtig und wichtig und wir unterstützen ihn und freuen uns, dass Sie ihn eingebracht haben.
Es ist eine dunkle Geschichte der ehemaligen DDR, obwohl der Artikel 19 Nr. 2 der Verfassung der DDR – ich zitiere ihn einmal wörtlich – eigentlich etwas anderes aussagt: „Achtung und Schutz der Würde und Freiheit der Persönlichkeit sind Gebot für alle staatlichen Organe, alle gesellschaftlichen Kräfte und jeden einzelnen Bürger.“ Dagegen kann man nichts sagen – leider sind Gebot und Wirklichkeit auseinandergedriftet.
Heimkinder, meine Damen und Herren, sind Kinder, die es besonders schwer hatten; denn keine einzige Lebensform kann wirkliche Eltern – Vater und Mutter – ersetzen, selbst dann nicht, wenn Heime gut geführt werden.
Wir haben wenige Informationen über diese Behindertenheime – deswegen ein Beispiel aus den Spezialheimen, zu denen die Jugendwerkhöfe gehörten –, wie es so lief. Wir hatten 1989 31 Einrichtungen mit über 3 000 Plätzen. Sie wurden in der Regel nach dem Konzept des Herrn Semjonowitsch Makarenko geführt, den ich sogar noch aus der Schulzeit kenne. Seine Theorie wurde uns gelehrt, er war ein Psychologe aus der Sowjetunion. Das Ziel für alle Heime galt – auch für die Behindertenheime –, die Eigenheit der Persönlichkeit der Kinder zu überwinden, die Eigenheit im Denken und Verhalten zu beseitigen und sie somit sozialistisch zu erziehen. Das war die Denkweise von Herrn Makarenko.
Auch die Ausnutzung als billige Arbeitskraft war Praxis in allen Heimen in der DDR; aber auch – hier muss ich Frau Lauterbach recht geben – in den westdeutschen Bundesländern gab es solche Verfehlungen. Das sollte man hierbei nicht vergessen.