Protocol of the Session on September 1, 2015

(Beifall bei den GRÜNEN, vereinzelt bei den LINKEN und Beifall der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Ich war bei den Ausschreitungen in Heidenau vor Ort und bin nach wie vor schockiert, wie so wenige Polizeibeamte dort regelrecht ins Feuer geschickt wurden. Im Einsatz sei aber alles gewesen, was zusammengekratzt werden konnte, sagt Polizeipräsident Kroll. Diese Sicherheitsgefährdung durch den fortgesetzten Stellenabbau bei der Polizei verantworten auch Sie, Herr Tillich. Ausbaden müssen es die Beamten, die angegriffen und verletzt wurden; und das sind wirklich alles andere als „verdächtig gute Jobs“. Der Versuch, im Zuge dieses verantwortungslosen Stellenabbaus jetzt auch noch die Versammlungsfreiheit zu opfern, ist völlig inakzeptabel. Herr Tillich, wenn Sie über die Stärke der sächsischen Demokratie reden wollen, dürfen Sie die fundamentale Schwächung eines zentralen Elements der Demokratie – und nichts anderes ist die Versammlungsfreiheit – nicht hinnehmen. Die Demokratie und ihre Grundwerte müssen stärker bleiben als gewaltbereite Neonazis, sonst haben wir verloren.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Herr Tillich, Sie sind als Regierungschef in der vollen Verantwortung für das Handeln Ihrer Staatsregierung. Deswegen möchte ich Ihnen zu Ihrem Innenminister noch etwas sagen.

Ich habe Herrn Ulbig vor vielen Jahren kennengelernt; er sprach damals als Bürgermeister auf unserem Parteitag in Pirna. Sein couragiertes Auftreten gegen die Neonaziszene in der Sächsischen Schweiz hat damals nicht nur mich sehr beeindruckt. Als Innenminister ist sein Ruf inzwischen erheblich ramponiert; seine öffentliche Akzeptanz ist gesunken. Beim Willkommensfest in Heidenau erlebte ich, wie er äußerst aggressiv beschimpft und beleidigt wurde, wie er ausgebrüllt und – das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen – auf völlig inakzeptable Weise regelrecht vertrieben wurde.

(Patrick Schreiber, CDU: Haben Sie sich dagegengestellt? – Weitere Zurufe von der CDU)

Diese Situation, meine Damen und Herren,

(Weitere Zurufe und anhaltende Unruhe bei der CDU)

zeichnet aber auch ein bedenkliches Bild vom Zustand der Koalition.

(Ministerpräsident Stanislaw Tillich: Also bitte! – Staatsminister Martin Dulig: Eine Frechheit!)

Die Regierung Tillich/Dulig übt den öffentlichen Schulterschluss –

Ihre Redezeit geht zu Ende.

– und hält gleichzeitig einen Innenminister, der eigentlich nichts mehr zu sagen hat, auf den aber jedes neue Desaster abgeladen werden kann und dessen Scheitern alle Welt besichtigen kann.

Die Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege!

(Christian Piwarz, CDU: Ganz schnell wieder hinsetzen!)

Herr Tillich und Herr Dulig, Sie müssen aufpassen, dass das Innenministerium nicht weiter zum Buhmann Sachsens verkommt.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Meine verehrten Damen und Herren! Die Rednerreihenfolge ist abgearbeitet; die Aussprache zur Erklärung des Ministerpräsidenten ist damit beendet.

Meine Damen und Herren, jetzt kommen wir zur Tagesordnung für unsere heutige Sitzung, die Ihnen vorliegt. Die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen haben sich darauf verständigt, beide Tagesordnungspunkte gemeinsam zu behandeln. Dies ist nach § 79 Abs. 5 der Geschäftsordnung selbstverständlich möglich. – Ich sehe keinen Widerspruch, also verfahren wir so.

Für die gemeinsame Behandlung der Tagesordnungspunkte 1 und 2 stehen damit folgende Redezeiten zur Verfügung: CDU 48 Minuten, DIE LINKE 34 Minuten, SPD 24 Minuten, AfD 21 Minuten, GRÜNE 17 Minuten und die Staatsregierung hat 55 Minuten.

Ich sehe keine weiteren Änderungsvorschläge oder Widerspruch gegen die Tagesordnung; die Tagesordnung der 18. Sitzung ist damit bestätigt.

Meine Damen und Herren, ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1

Fachregierungserklärung des Staatsministers des Innern und

der Staatsministerin für Gleichstellung und Integration beim

Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz

zum Thema „Gesamtaufgabe Asyl – gemeinsam für Unterbringung, Sicherheit und Integration“

Tagesordnungspunkt 2

„Konzept der Staatsregierung zur Gewährleistung

menschenwürdiger Aufnahme sowie verlässlicher Teilhabe-,

Bleibe- und Zukunftsperspektiven für Flüchtlinge in Sachsen“

Drucksache 6/2500, Antrag der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wir beginnen mit der Fachregierungserklärung, und ich übergebe zunächst das Wort an den Staatsminister des Innern, Herrn Kollegen Markus Ulbig.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wie gerade gehört, teilen wir uns diese Fachregierungserklärung, und ich werde mit dem ersten Teil beginnen.

Zunächst möchte ich betonen, dass ich sehr froh bin, dass wir am vergangenen Wochenende Bilder gesehen haben, die ein anderes Sachsen zeigen. Es gab ein Willkommensfest, es gab friedliche Demonstrationen in Dresden, es gab viele Aktionen für Flüchtlinge, und es gab wieder Tausende Helfer, die tatkräftig angepackt haben. Gerade ihnen gilt unser Dank. Was wir derzeit in Sachsen an ehrenamtlichem Einsatz sehen, das ist wahrlich ermutigend.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Im Vorfeld des angesprochenen Willkommensfestes hat es ja viele Diskussionen gegeben. Ich habe persönlich sehr viele Gespräche geführt, unter anderem auch mit Herrn Gebhardt und Herrn Özdemir, weil für mich von Anfang an und zu jeder Zeit klar war:

Wir wollten Bilder, die dieses Fest letztendlich auch gezeigt hat – mit einer Ausnahme, darüber ist gerade gesprochen worden –, in jedem Fall ermöglichen. Bilder wie am 21. und 22. August galt es zu verhindern. So etwas ist nicht zu akzeptieren. Deshalb möchte ich an dieser Stelle den Einsatzbeamten ein herzliches Dankeschön sagen. Denjenigen, die verletzt worden sind, wünsche ich gute Genesung. Ich möchte klar und deutlich erklären: Die Strafverfolgung läuft auf Hochtouren. Wir werden konsequent gegen diesen braunen Mob vorgehen, und wir werden dieses auch zur Anklage bringen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung – Zuruf von der CDU: Bravo!)

Nun noch zum vergangenen Wochenende: Tatsache ist, am vergangenen Wochenende hatten wir in Sachsen 16 Hundertschaften im Einsatz. Bei 13 Hundertschaften handelte es sich um Kräfte aus Sachsen; diese waren teilweise mehrfach eingesetzt. Es waren Beamte dabei, die auf ihren freien Tag verzichtet haben, und sogar einige, die ihren Urlaub nicht antreten konnten. Was die Kollegen der sächsischen Polizei an diesem Wochenende wieder geleistet haben, mit wie viel Aufwand sie diese vielen Aufgaben bewältigt haben, das war wieder einmal ganz stark. Im Namen der gesamten Staatsregierung bedanke ich mich noch einmal dafür; denn unsere Polizei hat ein weiteres Mal für Ruhe und Ordnung im Freistaat gesorgt.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD; der AfD und der Staatsregierung)

Es war im Vorfeld nicht ganz so abzusehen; denn neben den routinemäßigen Abfragen für andere Kräfte habe ich mich auch persönlich um Verstärkung bemüht. Eines ist dabei sichtbar geworden: Die Polizei ist momentan in ganz Deutschland über die Maßen gefordert.

Meine Damen und Herren! Ja, die Belastung für unsere Beamten ist nun schon sehr lange enorm hoch. Seit mehr als einem halben Jahr haben wir eine deutliche Zunahme der vielen Aufgaben im Freistaat. Denken Sie an die vielen Demonstrationen in Leipzig und Dresden. Zum Teil waren es sehr aufwendige Einsatzlagen. Hinzu kommen jetzt die stetig steigenden Flüchtlingszahlen, es müssen Demonstrationen abgesichert und auch Heime geschützt werden. All das erhöht das Pensum unserer Polizei, vor allem der Bereitschaftspolizei.

Deshalb gilt es auf der einen Seite, jetzt langfristig die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Expertenkommission zur Stellenüberprüfung, die eingesetzt worden ist, wird aus dieser Lage die richtigen Schlüsse ziehen. Ich habe persönlich mit den Mitgliedern dieser Expertenkommission gesprochen und ihnen die Sicht des Ministers aufgrund der veränderten Aufgabensituation deutlich gemacht. Ich werde der Expertenkommission nicht vorgreifen, aber ich habe deutlich gemacht, dass ich

kurzfristig Ergebnisse erwarte, damit die notwendigen Anpassungen in der sächsischen Polizei erfolgen können, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Ein Stück dieses Weges sind wir bereits gegangen. Ich denke dabei an die Erhöhung des Einstellungskorridores. Gerade heute werden in Schneeberg wieder 100 zusätzliche Polizeianwärter am neuen Polizeischulstandort des Freistaates vereidigt. Ich denke an die Zulagen für die Bereitschaftspolizisten, die im Koalitionsvertrag verankert sind und die noch in diesem Jahr gelten werden. Auf der anderen Seite müssen wir kurzfristig Mittel in Betracht ziehen, um die Verfügbarkeit der Polizei zu erhöhen.

Viele Kolleginnen und Kollegen – gerade im Bereich der Bereitschaftspolizei, aber auch andere Kollegen – haben mittlerweile enorm viele Überstunden anhäufen müssen. Für sie gibt es derzeit kaum eine Möglichkeit, diesen Berg abzutragen. Die Auszahlung ist deshalb ein Ausweg, der schnell Erleichterung bringt und den Kolleginnen und Kollegen auch entgegenkommt. Ich weiß, Geld ersetzt nicht die verlorene Freizeit, aber es ist durchaus eine Anerkennung der Leistung.

Wir werden andererseits zügig ein Anreizsystem schaffen, welches Beamte dazu animiert, ihren Ruhestand, auf den sie sich eigentlich gefreut haben, hinauszuschieben. Natürlich ist die Freude auf den Ruhestand nach einem harten Polizeiberufsleben groß. Aber wenn wir es schaffen, dass die erfahrenen Beamten – beispielsweise durch Versorgungszuschläge oder andere finanzielle Anreize – bleiben, dann hätten wir auch dabei viel gewonnen.

Schlussendlich möchte ich noch die Einrichtung einer Wachpolizei ansprechen. Ohne dabei dem Gesetzgeber vorzugreifen, möchte ich sagen: Im Innenministerium bereiten wir uns darauf vor, dass der entsprechende Gesetzentwurf vorgelegt wird, und wir ergreifen parallel dazu die notwendigen Maßnahmen. Von einer solchen Wachpolizei erwarten wir uns kurzfristig Entlastungsmaßnahmen bzw. Entlastungseffekte für die Polizei.

Nun zur Entwicklung der Zahlen der Asylbewerber in diesem Jahr, meine sehr verehrten Damen und Herren. Vielleicht kann sich der eine oder andere von Ihnen noch erinnern: Am 18. Februar 2015 prognostizierten die Experten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge 250 000 Asylbewerber. Schon am 7. Mai sind es 400 000, am 19. August lagen wir schließlich bei 800 000. Dreimal innerhalb eines halben Jahres ist diese Prognose nach oben korrigiert worden. Diese Zahlen zeigen eine Entwicklung, die mittlerweile als wirklich größte nationale Herausforderung angesehen werden muss. Es ist eine Entwicklung, von der wir alle überholt worden sind: Europa, der Bund, das Land und auch die Kommunen.