Protocol of the Session on June 10, 2015

Ich muss noch zwei Punkte benennen, bei denen ich ziemlich erstaunt war und erschrocken bin. Dazu möchte ich eine Antwort haben.

Wir haben im Freistaat Sachsen in den letzten drei Jahren in der Integration Rückschritte erlebt. Vor zwei Jahren wurden die Zuweisungen für die Integration am Gymnasium von 3,5 auf 2,5 Stunden heruntergenommen. Jetzt – Herr Schreiber, ich habe mich inzwischen informiert – plant das Kultusministerium für das kommende Schuljahr an den Grundschulen – das ist Substanz – die pauschal zugewiesenen Stunden – 1,5 pro Integrationskind – auf eine Stunde zu senken, weil man festgestellt hat, dass es mit den zur Verfügung gestellten Lehrerstunden und Mitteln nicht gelingen kann, den Unterricht vernünftig abzusichern. Das heißt nach dem jetzigen Stand – ich habe es ausgerechnet –: Sie sparen mit dieser halben Stunde 64 Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer, und zwar auf Kosten der Integration und auf Kosten der Schüler, die an den Einrichtungen sind. Das kann ja wohl nicht wirklich unser Ziel sein.

(Beifall bei den LINKEN)

Liebe Kollegen der SPD, lassen Sie sich das nicht gefallen!

Kommen wir zu den baulichen Maßnahmen. Wir brauchen an den Schulen ganz klar Barrierefreiheit; das ist gar kein Thema. Insofern, Frau Kliese, haben Sie neulich recht gehabt. Natürlich gibt es dort erste Schritte; gar kein Thema.

Aber im Kultushaushalt sind 5 Millionen Euro für den entsprechenden Umbau von Schulen geplant. Wir haben zurzeit 1 352 staatliche Schulen. Dabei habe ich die Schulen in freier Trägerschaft noch gar nicht berücksichtigt. Es ist eine Rechenaufgabe. Ich weiß, es ist auch nicht ganz legitim. Das gebe ich auch ehrlich zu. Aber das heißt – um es mal deutlich zu machen –: Für jede Schule haben wir 3 700 Euro. Dafür bekomme ich noch nicht einmal eine Tafel. Das ist jetzt ein Beispiel, denn möglicherweise kostet sie etwa so viel.

Das heißt, wir müssen zügig, schneller vorankommen und die Schulen nach einem bestimmten System auch wirklich umbauen. Ab 2016 soll das laufen, aber bis jetzt gibt es noch keine Förderrichtlinie. Ich denke, die Schulträger brauchen dafür einen gewissen Vorlauf, damit es nachher nicht wieder heißt: Die haben es ja gar nicht abgerufen.

Kommen wir zum Schulversuch ERINA. Ja, auch ich – wie meine Kollegin von der CDU – bin der Auffassung, die freien Schulen jetzt noch in das ERINA-Projekt einzubauen ist nicht zielführend. Das hätte man damals machen müssen. Das war von dem Minderheitenvotum des Expertengremiums eine Aussage. Das werden wir

nicht mehr hinbekommen. Das bringt auch nichts mehr, denn es läuft jetzt noch ein Jahr.

Sie haben das auch erwähnt: 150 Inklusionsassistenten – mir gefällt es nicht, dass es über die EU geht – werden wieder über freie Träger angestellt. Davon habe ich schon gehört. Sie werden wieder nur befristet für ein Jahr über die gesamte Laufzeit eingestellt. Das halte ich alles für schwierig, weil es keine langfristige Tätigkeit ist. Dann haben wir wieder das Problem: Die ESF-Mittel laufen aus – und was machen wir dann? Aber gut, wir haben das Geld und wir sollten es dafür ausgeben.

Aber die 150 Inklusionsassistenten sind ja hauptsächlich für die Versuchsschulen vorgesehen. Zumindest habe ich es so verstanden. Da wird garantiert was abgebaut werden. Zumindest sind die Informationen jetzt so. Dort muss ich ja Personal reinstecken. Wir müssen natürlich schauen, dass von diesen 150 Inklusionsassistenten auch die freien Schulen welche abbekommen. Immerhin sind sie gleichwertig. Wir wollen gerade ein Gesetz machen, mit einer Gleichwertigkeit. Da frage ich natürlich ganz klar: Wie viele von diesen Inklusionsassistenten – vielleicht kann das ja nachher eine Ministerin beantworten – werden den freien Schulen zur Verfügung gestellt? Oder wer als Erster kommt, mahlt zuerst – das kann es ja auch nicht sein.

Zu den Zuweisungen für die Integrationsstunden des kommenden Schuljahres an den Grundschulen fordere ich Sie hier noch einmal auf: Bitte keine Verkürzung! Das ist ein Rückschritt in der Integration, und da bin ich noch gar nicht bei der Inklusion – noch lange nicht.

Auch im Ländervergleich – das wird ja meistens von der CDU sehr gut und häufig benutzt – stehen wir ganz weit hinten. Wir sind noch nicht bei der Inklusion, sondern wir sind erst auf der Ebene der Integration, und diese funktioniert nach unserer Auffassung noch gar nicht.

(Beifall bei den LINKEN)

Verehrte Kollegin Falken, gestatten Sie mir den Hinweis, dass Sie in Ihrem Redebeitrag natürlich ausführen können, dass Sie jemanden von der Staatsregierung gerne hier hätten. Aber es gibt den § 85 in der Geschäftsordnung, und da gibt es eine Spielregel, wie das zu erfolgen hat. Ich würde als Präsident also darauf nicht reagieren.

(Cornelia Falken, DIE LINKE: Das war sehr lieb von Ihnen; ich habe es aber nicht so gemeint!)

Meine Damen und Herren! Wir setzen die Aussprache fort. Die SPD-Fraktion; Frau Abg. Kliese.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jeden Morgen werden in Dresden 20 Kinder, die blind oder sehbehindert sind, um 05:15 Uhr in einen Bus gesetzt, um im 90 Kilometer entfernten Chemnitz eine Schule zu besuchen, die eine spezielle Einrichtung für Blinde und Sehbehinderte ist.

Die Chemnitzer Blindenschule – das weiß ich sehr genau und das wissen auch viele Kollegen hier – ist eine sehr gute Schule.

Dennoch frage ich: Ist das notwendig? Ist das zumutbar? Stellen Sie sich einmal Ihren Tagesablauf vor, wenn Sie jeden Morgen Ihr Kind – gewaschen, angezogen, mit Frühstück in der Tasche – um 05:15 Uhr an eine Bushaltestelle bringen müssten. Kindern ohne Behinderung werden nur Schulwege bis zu einer bestimmten Distanz zugemutet. Für Kinder mit Behinderung gibt es dieses Kriterium nicht.

Das verwundert doch. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Kinder, die nach der überholten Fürsorgerhetorik konservativer Sozialpolitiker gern als die Schwächsten in der Gesellschaft bezeichnet werden, die größten Belastungen tragen müssen.

Nicht nur sie, auch ihre Eltern, die ohnehin vor anspruchsvolle Aufgaben gestellt sind, kämpfen im Freistaat Sachsen täglich einen harten Kampf für die inklusive Bildung ihrer Kinder, die ihnen bis heute oft verwehrt bleibt. Wir dürfen es diesen Eltern nicht noch schwerer machen. Diese Eltern sind keine Bittsteller. Diese Eltern sind die wahren Helden des Alltags.

(Beifall bei der SPD und des Staatsministers Martin Dulig)

Ich kenne viele solcher Eltern aus verschiedenen Elterninitiativen. Ich will meine Rede auch dafür nutzen, sie einmal ausdrücklich zu würdigen. Das, was ich an diesen Eltern am meisten bewundere, ist: Sie tun das, was sie tun, nicht nur für ihre eigenen Kinder. Viele haben schon Kinder im Erwachsenenalter, die die Schulbildung abgeschlossen haben. Sie engagieren sich auch, damit es den Kindern nach ihren Kindern besser geht. Das ist ein unheimlich vorbildliches Engagement, das wir viel mehr fördern müssten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin optimistisch gestimmt, was den Antrag angeht; denn wir haben immerhin in den letzten Wochen und Monaten drei Dinge geschafft:

Erstens haben wir – das wurde bereits angesprochen – mit einem Betrag von fünf Millionen Euro eine vernünftige Geldsumme für die Umsetzung der Inklusion an Schulen eingestellt. Natürlich wird uns das in Zukunft noch viel, viel mehr Geld kosten, aber es ist auf jeden Fall ein realistischer Anfang im Vergleich zu den 600 000 Euro aus dem letzten Haushalt.

Der zweite Punkt ist der Gesetzentwurf zu den Schulen in freier Trägerschaft, der noch nicht verabschiedet worden ist. Dort wird es auch darum gehen, wie Inklusion an sächsischen Schulen umzusetzen ist, nämlich, indem die Ressourcen den Schülerinnen und Schülern folgen und nicht umgekehrt.

Drittens wird es eine interministerielle Arbeitsgruppe geben – darüber wird sicherlich Frau Klepsch noch informieren –, welche sich unter dem Titel „Bildung“

genau damit befasst, wie die UN-Behinderten

rechtskonvention in diesem Bereich umgesetzt werden soll. Sie arbeitet unter Federführung des SMS parallel zu den Bemühungen, die durch das SMK getroffen werden. Ich verspreche mir viel davon, weil in dieser Kommission erneut Experten einbezogen werden sollen.

Im Zusammenhang mit dem Koalitionsvertrag möchte ich noch einen Satz vorlesen, der für uns maßgeblich war, denn es wurde bereits angesprochen, dass es so viel Inklusion, wie nur geht, geben soll und Inklusion nicht die Ausnahme sein sollte. Das ist genau unsere Haltung, und wir haben diese im Koalitionsvertrag niedergeschrieben mit folgendem Satz: „So viel gemeinsamer Unterricht an der Regelschule wie möglich und so viel Unterricht an der Förderschule wie nötig.“ Das ist unsere Zielmarke und diese wollen wir umsetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Motor zur Umsetzung der UN-Behinderrechtskonvention an Sachsens Schulen ist nun endlich installiert. Wir müssen aber deutlich an Tempo gewinnen – das sehe ich auch so –, und meine Fraktion wird sich dabei für deutlich mehr PS einsetzen.

Eine Zustimmung zu diesem Antrag – das wissen Sie – kann ich nicht geben. In der letzten Plenardebatte, die wir zum Thema Inklusion hatten, wurde dann unterstellt, es wäre alles, was man dazu zu sagen habe, nur eine Art Rechtfertigung. Dazu muss ich Ihnen sagen: Ich und meine Fraktion haben zum Thema Inklusion eine klare Haltung, und wer eine Haltung hat, der braucht keine Rechtfertigung.

(Beifall bei der SPD und des Staatsministers Martin Dulig)

Die Fraktion AfD; Herr Abg. Wurlitzer. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Das Thema Inklusion ist immer wie ein Minenfeld. Ich werde versuchen, nicht allzu viele Minen auszulösen.

Die AfD bejaht die Inklusion grundsätzlich, aber wir sagen auch, dass Inklusion dem Menschen dienen muss und nicht der Mensch der Inklusion. Ich habe einmal gelernt, dass 90 % des Erfolgs die Vorbereitung ist, und um diesen Erfolg bei einer möglichen Inklusion zu haben, brauchen wir noch eine Menge Vorbereitung. Leider kann ich diese Vorbereitung hier nicht wirklich erkennen.

Man könnte jetzt alles auf die Finanzierung reduzieren und sagen, dass es vorn und hinten nicht reicht, oder man könnte sagen: Wer bestellt, bezahlt. – Bestellt hat letztendlich die UN. Das wäre die einfachste und billigste Variante, das ist mir schon klar. Uns ist durchaus auch klar, dass man das Ganze nicht so einfach sehen kann. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es sich die UN relativ einfach gemacht hat. Wenn ein solcher Beschluss gefasst wird, dann legt man ihn den Nationen vor, erwartet, dass er umgesetzt wird. Leider werden zu diesem

Beschluss wenig Konzepte zu einer Finanzierung mitgeliefert, von inhaltlichen Dingen einmal ganz abgesehen.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Lassen Sie mich ausreden!

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Dann kommen die nationalen Parlamente in Deutschland und verpflichten sich im vorauseilenden Gehorsam, diese Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Dabei spielt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch unsere Geschichte und die vermeintlich anhaltende Schuld für Verbrechen, die keiner in diesem Haus persönlich zu verantworten hat und die nunmehr 70 Jahre zurückliegen, eine Rolle.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Wollen Sie das relativieren?)

Nee, hören Sie zu! Es würde unheimlich weiterhelfen an dieser Stelle.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Ich höre sehr genau zu!)

Dann verstehen Sie es vielleicht nicht.

Wenn ich das alles ausblende, finde ich immer noch eine Menge Gründe, eine übereilte und schlecht vorbereitete Inklusion abzulehnen. Wir haben zu diesem Zweck Eltern, Lehrer und auch Direktoren befragt. Die verschiedenen Gründe: Da wären einmal die Lehrer, die für derartige Konzepte nicht ausgebildet sind, zweitens fehlen unzählige Lehrer – es ist noch nicht evaluiert worden, wie viel gebraucht werden –, drittens, die Klassenstärke, die es einem unmöglich macht, behinderte Menschen erfolgreich zu unterrichten, viertens Schulgebäude, die in den allermeisten Fällen nicht ansatzweise geeignet sind und mit einem enormen Aufwand umgebaut werden müssten.

Wir haben dazu den Direktor einer Förderschule befragt und er hat uns erklärt, dass in einer Förderschule alle Glasflächen, die in der Reichweite von Kindern und Jugendlichen sind, mit Sicherheitsglas ausgestattet sein müssen. Ich kenne keine einfache Schule, in der so viel Sicherheitsglas verbaut ist. Fünftens, da sind noch die Eltern der behinderten Kinder und die Eltern von Kindern ohne Behinderung, die zu dem Thema übehaupt nicht befragt worden sind. Auch von dort gibt es sehr kontroverse Einstellungen. Sechstens, da sind auch noch die Lehrer, die von der Inklusion zum Teil überhaupt nicht überzeugt sind und sie zum großen Teil ablehnen. Dazu hat es verschiedene Presseberichte gegeben.

Es gibt verschiedene Direktoren, die mit dem Konzept nicht einverstanden sind und es ablehnen. Zum Schluss ist auch noch das Konzept zur Bewertung von schulischen Leistungen, die dann nicht mehr richtig greifen. Ein Beispiel: Zwei junge Leute, 10. Klasse, der eine beweist den Satz des Pythagoras und der andere beschäftigt sich in derselben Klasse gerade mal mit dem Einmaleins. Wie wollen Sie beide ordentlich bewerten?