Deregulierung ist aus unserer Sicht durchaus etwas Vernünftiges. Daher ist das grundsätzlich ein überlegenswerter Vorschlag – allerdings sollte es im Rahmen der Novellierung der Bauordnung betrachtet werden. Eine einzige Vorschrift der Sächsischen Bauordnung aufzugreifen ist doch wohl unsinnig.
Ihr Gesetzentwurf hat darüber hinaus auch noch einen weiteren bitteren Beigeschmack: Sie sprechen nicht nur
sehr pauschal von einem Überangebot von KfzStellplätzen einerseits und einem Unterangebot an Fahrradstellplätzen andererseits – ohne dies konkret darlegen zu können –, sonden Sie projizieren ihre eigenen Vorstellungen und Wünsche nach einem „autofreien Wohnen“ auf alle Bürger in diesem Land. Das ist typisch grüne Politik, die wir – bei aller sachlichen Objektivität für die Zielrichtung des Gesetzentwurfs – nun einmal nicht teilen können. Im Übrigen habe ich noch nie erlebt, dass sich jemand über zu viele Parkplätze beschwert – das Gegenteil ist doch wohl eher der Fall.
Oder glauben Sie wirklich, dass in den Gemeinden im ländlichen Raum, wo der motorisierte Individualverkehr einfach notwendig ist, ein Bedürfnis der Bürger nach „autofreiem Wohnen" besteht? Nein? Dann sollten Sie dies auch nicht in einen Gesetzentwurf schreiben.
Eine Stellplatzpflicht widerspricht im Übrigen auch nicht dem autofreien Wohnen, denn sie ist ja keine Autobesitzpflicht.
Auch die Anhörung zum Gesetzentwurf war aus meiner Sicht sehr interessant. Sie hat gezeigt, dass man über eine Öffnung der Stellplatzpflicht generell nachdenken kann, da dies auch der Weiterentwicklung von Verkehrs- und Mobilitätskonzepten auf kommunaler Ebene dienlich sein könnte.
Dass besonders größere Städte inzwischen sehr unterschiedlichen Mobilitätsansprüchen gerecht werden müssen und dort auch eine Vielzahl an Verkehrsmöglichkeiten besteht, möchte ich nicht bestreiten. Gleichwohl heißt das aber auch, die Stellplatzfrage im Zusammenhang mit der städtischen Flächenverfügbarkeit, mit beruflichen und wirtschaftlichen Bedarfen und mit städtebaulichen sowie wohnungspolitischen Belangen zu sehen.
Ich möchte auch noch einmal zu bedenken geben, dass eine Aufhebung der Stellplatzpflicht dazu führen wird, die Parkplatznot in den Städten zu verschärfen. Ich sehe nicht, wie wir auf einmal mehr Stellplätze erhalten, wenn allein die Aufgabe übertragen wird.
Nahezu alle Sachverständigen haben in der Anhörung herausgestellt, dass der Gesetzentwurf noch Änderungs- und Anpassungsbedarf hat. Aus Sicht der Anzuhörenden, aber auch aus Sicht meiner Fraktion stellen beispielsweise die von Ihnen vorgesehenen Ermittlungs-, Beteiligungs- und Rechenschaftspflichten nur neue ordnungspolitische, bürokratische Eingriffe dar, und das, obwohl wir doch eigentlich deregulieren wollen.
Diese neuen bürokratischen Vorgaben lehnen wir ab. Unter den Voraussetzungen Ihres Gesetzentwurfs sehen wir derzeitig auch keinen Bedarf für eine derartige Regelung. Gegebenenfalls sollten wir uns eher mit der Frage beschäftigen, ob nicht die vom Sächsischen Städte- und Gemeindetag angesprochene Möglichkeit, von § 49 der Sächsischen Bauordnung abweichen zu dürfen, eine sinnvollere Alternative zur generellen Abschaffung wäre. Das wäre dann für die Kommunen eine echte Wahlfreiheit.
Wir plädieren dafür, die Frage der Stellplatzpflicht im Rahmen der Novellierung der Sächsischen Bauordnung angemessen aufzugreifen, und lehnen den vorgelegten Gesetzentwurf ab.
Den Fraktionen wird das Wort zur allgemeinen Aussprache erteilt. Es beginnt die Fraktion der GRÜNEN. Danach folgen: CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, NPD und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. – Frau Abg. Herrmann hat jetzt das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das aktive und passive Wahlrecht ist das Kernelement politischer Mitbestimmung – das Kernelement schlechthin. Es ist der zentrale Grundsatz unserer Demokratie. Es ist das fundamentale demokratische Grundrecht. Es ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, überhaupt die Voraussetzung dafür, dass wir heute hier im Hohen Haus zusammenkommen und über Entwicklungen und Weichenstellungen im Freistaat Sachsen debattieren können.
Dieses Recht steht grundsätzlich jeder Bürgerin und jedem Bürger zu. Das ist eine Errungenschaft, die sich sowohl im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als auch in der Verfassung des Freistaates wiederfindet. In der Verfassung des Freistaates heißt es in Artikel 4 Abs. 1:
„Alle nach der Verfassung durch das Volk vorzunehmenden Wahlen und Abstimmungen sind allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wahlen sollen also allgemein sein, das heißt, allen Bürgerinnen und Bürgern eines Staates offenstehen. Das ist ein menschenrechtliches und verfassungsgemäßes Gebot, das alle Phasen einer Wahl umfasst, und zwar von der Informationsbeschaffung im Vorfeld bis zur Wahlprüfung. Deshalb muss ich Ihnen hier sagen, dass es mich betroffen macht, was in der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf in den Ausschüssen zu dem demokratischen Grundrecht gesagt wurde. Ich habe mich schon gefragt, welches Verständnis von Demokratie sich in den Bemerkungen ausdrückt.
Erstens, zur Barrierefreiheit der Wahlverfahren und Wahllokale: Die gegenwärtigen wahlrechtlichen Vorschriften, die insbesondere Menschen mit Behinderungen die Wahlausübung ermöglichen sollen, greifen nach unserer Auffassung zu kurz. Wahlverfahren und Wahlmaterialien sind derzeit so ausgestaltet, dass es nicht allen
Menschen möglich ist, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Die Vorschriften zur Barrierefreiheit der Wahlräume entfalten keine ausreichende Wirkung und widersprechen deshalb schon der Definition von Barrierefreiheit nach § 3 im Sächsischen Integrationsgesetz. Dort steht unter anderem – ich zitiere nicht alles –: „Barrierefreiheit ist dann erreicht, wenn Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe alles zugänglich und nutzbar ist.“ – Es hindern also nach wie vor strukturelle Hürden Menschen am Gang zur Wahlurne. Dazu zählen zum einen komplizierte Wahlbenachrichtigungen, Briefwahlunterlagen, unübersichtliche Stimmzettel und Hinweisschilder – und alles noch dazu in kleiner Schrift. In den Wahlbenachrichtigungen fehlen außerdem Informationen, ob und welche Hilfestellungen es bei der Wahl gibt, zum Beispiel Assistenz vor Ort; und viele der Wahllokale sind nicht barrierefrei zugänglich.
Schon im Vorfeld der Bundestagswahlen haben zahlreiche Behindertenverbände auf diese Missstände aufmerksam gemacht. Auch die Kommunalwahl, die erst vor wenigen Wochen stattgefunden hat, hat genau gezeigt, dass die derzeitigen Regelungen im Kommunalwahlgesetz nicht geeignet sind, Menschen mit Behinderungen uneingeschränkt – so wie es das Integrationsgesetz verlangt – Zugang zu den Wahlen zu ermöglichen.
Im Gegensatz zur Europawahl, die am gleichen Tag stattfand, standen zum Beispiel in Dresden sehbehinderten und blinden Menschen keine technischen Hilfsmittel wie eine taktile Wahlschablone oder eine InformationsCD zur Verfügung, die eine selbstständige und geheime Wahl überhaupt erst möglich gemacht hätten.
Der in der Landeshauptstadt Dresden für Wahlen zuständige Bürgermeister, Detlef Sittel, hatte vorher in der Sachverständigenanhörung zu unserem hier vorgelegten Gesetzentwurf ausgeführt, dass er keine Notwendigkeit für eine Regelung zur Barrierefreiheit sehe, da die Kommunen die Anforderungen umsetzt. Auch der Sachverständige Strohmeier hält Verpflichtungen – in Anführungsstrichen – hinsichtlich einer barrierefreien Erreichbarkeit, Zugänglichkeit und Einrichtung von Wahlräumen weder für sinnvoll noch für notwendig – Verpflichtungen dazu!
Dass dem nicht so ist, zeigen die geschilderten praktischen Erfahrungen der Kommunalwahl in Dresden. Außerdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, verpflichtet Artikel 4 Abs. 1a und 1b der UN-BRK gerade auch zum gesetzgeberischen Handeln.
Außerdem sind 5,45 % der Menschen in Sachsen funktionale Analphabeten; das geht aus einer Untersuchung der Evangelischen Hochschule hervor. Die Betroffenen können nur sehr einfache Texte lesen und nur schlecht oder fehlerhaft schreiben. Auch älteren Menschen fällt es schwer, Informationen in kleiner Schriftgröße zu lesen;
der Anteil der über 65-Jährigen liegt in Sachsen zurzeit bei 25 %, und er wird steigen, wie Sie wissen.
Wir wollen mit unserem heute vorgelegten Gesetzentwurf sicherstellen, dass Wahlverfahren, Wahleinrichtungen und Materialien so ausgestaltet sind, dass sie für alle Menschen geeignet, zugänglich, leicht zu verstehen und zu handhaben sind. Die Wahlräume sind deshalb nach Maßgabe des vorliegenden Gesetzentwurfs so auszuwählen, dass sie mit barrierefreiem, zugänglichem und öffentlichem Nahverkehr erreichbar und barrierefrei, zugänglich und nutzbar sind. Mit dem Änderungsantrag, den ich hiermit einbringe, haben wir klargestellt, dass die Wahlräume nicht in jedem Fall mit barrierefreiem, zugänglichem und öffentlichem Personennahverkehr erreichbar sein müssen, sondern dass die Erreichbarkeit fußläufig natürlich auch ausreichend ist, wenn die Entfernung zumutbar ist.
Zweitens, Unterstützung beim Wahlvorgang: Die gegenwärtigen Vorschriften, die die Unterstützung durch Dritte beim Wahlvorgang vorsehen, sind zu restriktiv formuliert und berücksichtigen vor allem nicht, dass es über das Nichtlesen- und Nichtschreibenkönnen hinaus auch Verständnisprobleme geben kann, die eine weitergehende Unterstützung an der Wahlurne erforderlich machen. Durch die weitgehend liberale Auslegung des Rechts zur Briefwahl, bei der sich jede Person ohne Überprüfung einer Assistenz bedienen kann, sollte eine entsprechende Liberalisierung auch bei der Urnenwahl vorgenommen werden. Daher haben wir eine Regelung getroffen, die es all jenen, die eine Unterstützung beim konkreten Wahlvorgang benötigen, ermöglicht, diese vertrauensvoll in Anspruch zu nehmen. Dabei ist natürlich dem Wahlgrundsatz der Freiheit der Wahl zu entsprechen.
An dieser Stelle mit einer wie auch immer gearteten Missbrauchsgefahr zu argumentieren ist schlichtweg falsch. Bei der Briefwahl ist die Missbrauchsgefahr ebenso hoch, was uns nicht davon abgehalten hat, diese zu ermöglichen. Bei der Unterstützung, die wir vorsehen wollen, handelt es sich vielmehr um eine Befähigung, also um eine angemessene Vorkehrung im Sinne der UNKonvention.
Drittens, zu den Wahlrechtsausschlüssen: Das Sächsische Wahlgesetz und die Gemeindeordnung schließen all jene Menschen pauschal vom aktiven und passiven Wahlrecht aus, für die zur Besorgung all ihrer Angelegenheiten eine Betreuerin oder ein Betreuer bestellt ist. Ebenfalls ausgeschlossen sind Menschen, die eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben und aufgrund dessen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind. Das sind in Sachsen zum Stichtag 30. Juni 2013 4 512 Personen. Nach geltenden menschenrechtlichen Standards sind diese Ausschlusstatbestände nicht zu rechtfertigen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie stehen im Widerspruch zu den Zielen der UN-BRK über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die in Deutschland – damit auch in Sachsen – seit 2009 gelten
Nicht nur die Monitoringstelle für die UN-BRK, sondern auch die Sozialverbände fordern die Streichung der entsprechenden Passagen im Wahlrecht. Sechs Personen haben deshalb die letzte Bundestagswahl angefochten. Die Betroffenen sind mit Unterstützung des Bundesverbandes der Lebenshilfe sowie der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V. notfalls auch bereit, das Bundesverfassungsgericht in dieser Frage anzurufen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch hier mit Missbrauch zu argumentieren ist absurd. Es ist in einem demokratischen Staat nicht gerechtfertigt, Menschen Rechte vorzuenthalten, um eine potenzielle Missbrauchsgefahr auszuräumen.
Äußerungen in der Sachverständigenanhörung machen betroffen – jetzt zitiere ich: „Das heißt, zunächst einmal lässt es sich immer gut argumentieren, möglichst viele Leute wählen zu lassen, an der Wahl teilnehmen zu lassen. Allerdings, wenn sie nachher mehrheitsbildend sind – und das kann immer der Fall sein –, sind die dann der Mehrheit Unterworfenen der Mitbestimmung ausgesetzt. Will man das? – Da gibt es eine Umverteilungsproblematik.“ Und weiter: „Es gibt tatsächlich Bürger – unabhängig von der Frage der formalen Behandlung –, die aufgrund von gewissen Dispositionen nicht die Fähigkeiten mitbringen, genug Eignung zu haben, sich hinreichend interessieren zu können. Die können das ganz einfach nicht. Wenn so jemand wählen darf, ist das ein Problem, muss man ehrlich sagen. Noch einmal: Die Mehrheiten können davon abhängen.“ Diese Äußerung halte ich für fahrlässig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich erinnere Sie daran, dass vor nicht allzu ferner Zeit Männer auch Frauen für nicht wahlfähig gehalten haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wahlrecht ist kein Privileg einer wie auch immer definierten Elite. Oder anders ausgedrückt: Werden Kriterien herangezogen, nach denen eine Person wahlberechtigt ist, die andere aber nicht, ist das der Anfang vom Ende einer allgemeinen Demokratie, wie sie das Grundgesetz meint.
Biblisch gesprochen: Ihnen mangelt es an Zuversicht. Zum einen vertrauen Sie nicht darauf, dass die allermeisten Menschen – und gerade die ehemaligen Bürger der DDR – allgemeine und freie Wahlen als Errungenschaft und Recht schätzen und ernsthaft – ob mit oder ohne Unterstützung – damit umgehen. Zum anderen vertrauen Sie nicht auf Ausstrahlung und Kraft der Demokratie selber. Wer aber kann diese Ausstrahlung beeinflussen?
Ich kann es aber auch böse sagen: Für manche scheint es nicht ausreichend kalkulierbar zu sein, wie sich die Menschen, um die es hier geht – in Sachsen 4 512 –, bei einer Wahl entscheiden. Manche haben vielleicht Angst um ihr Mandat. Damit haben Sie den Geist der Demokratie nicht verstanden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Viertens schlagen wir zudem Änderungen hinsichtlich der Lage der Wahltermine außerhalb der Schulferien, des Zugangs von Wählervereinigungen zur Landtagswahl und zur ÖPNV-Erreichbarkeit der Wahlräume vor. Der heute vorgelegte Gesetzentwurf zielt darauf ab, den Zugang zu Wahlen zum Sächsischen Landtag und zu den Kommunalwahlen zu verbessern und Artikel 29 der UNKonvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung umzusetzen.