Protocol of the Session on May 21, 2014

Schauen wir uns einmal die Familiensituation einer Familie genauer an. Familie M., verheiratet, drei Kinder, die Frau hat Arbeit, der Mann ist auf Montage und nur am Wochenende zu Hause, also eine ganz normale Familie. Frau M. holt ihre drei Kinder nicht aus der Kita ab. Wieder einmal nicht. Das Jugendamt hat längst Feierabend, die Polizei wird gerufen. Sie bringt die Kinder ins Kinderheim. Die Kinder sind natürlich traumatisiert, sie kennen das. Der Große, 2. Klasse, weiß inzwischen, was mit der Mutti los ist. Er muss oft einspringen. Frau M. ist zu Hause. Sie ist nicht ansprechbar, wieder einmal nicht ansprechbar. Sie ist abhängig von Crystal. Crystal ist gefährlicher als Heroin und Kokain, und es ist billiger.

Ich denke, das Problem mit der Droge wird politisch nach wie vor ganz tief gehängt. Die Folgekosten im Jugend- und Sozialbereich spielen für den Staat die größte Rolle. Frau M. braucht jedoch schnellstens eine gute Beratung – Wartezeit: ein Vierteljahr. Das ist viel zu lange. Das geht gar nicht. Sie hat inzwischen eine Therapie angenommen.

(Zuruf der Staatsministerin Christine Clauß)

Ja, aber schon bei der Beratung, Frau Ministerin, scheitern die Koalition und die Regierung. Die Wartezeit von einem Vierteljahr ist einfach viel zu lang.

Die Beratungsstellen sind inzwischen trotz Erhöhung im letzten Haushaltjahr an ihre Grenzen gekommen. Eine gute präventive Arbeit kann so nicht geleistet werden. Eine Aufstockung ist dringend notwendig. Wir werden das natürlich in der Haushaltsplanung strengstens überwachen. Die Beratungsstellen sagen selbst – das ist ein Zitat –: „Seit 2009 sehen wir viele Leute, die den Konsum mitmachen, um den eigenen Leistungsansprüchen nachzukommen.“ Das trifft auch für Frau M. zu. Sie hat

inzwischen Hilfe angenommen, aber die Kinder werden noch einige Zeit im Kinderheim verbringen müssen. Das Jugendamt ist damit natürlich total überfordert; denn drei Kinder – das ist jeden Monat mit 10 000 Euro nicht zu hoch gerechnet. Die Studie zeigt: Frau M. ist kein Einzelfall.

Wie nun weiter? Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, persönliche Bezugspersonen – das wäre sehr hilfreich, es ist jedoch nicht überall verfügbar. Langzeittherapien sind notwendig. Das alles gibt es nicht zum Nulltarif.

Der 10-Punkte-Plan „Sachsen gegen Drogen“ wurde vorgestellt. Ich denke, das sind gute Vorsätze. Es ist ein anspruchsvoller Plan. Wir werden sehr aufmerksam seine Umsetzung kontrollieren.

Die Ziele Vorbeugung, Beratung, Behandlung, Kontrolle, Ansprechpartner in den Schulen sind nicht zum Nulltarif zu bekommen. Die Forderungen aus unserem Antrag aus dem Jahr 2012 – auch wir LINKEN haben dazu einen Antrag gestellt – zielten darauf ab, unter Einbeziehung der Leistungserbringer der Droge Crystal mit Prävention, Beratung, Begleitung, Therapie und Nachsorge zu begegnen. Diese Forderungen haben wir schon 2012 gestellt.

Frau Staatsministerin, Sie haben eine aussagefähige Antwort gegeben. Aber die ist eben schon zwei Jahre alt.

Frau Lauterbach, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Der letzte Satz.

Der 10-Punkte-Plan „Sachsen gegen Drogen“ und die Studie sind sicher eine Aktuelle Debatte wert. Aber die Studie zeigt auch: Ein Drittel konsumiert Crystal Meth seit elf Jahren.

Liebe Regierung, es ist 5 nach 12!

(Beifall bei den LINKEN – Alexander Krauß, CDU: Es ist 25 nach 12!)

Für die SPD-Fraktion kommt als nächste Rednerin Frau Neukirch.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über Crystal. Crystal, das steht fest, ist eine der gefährlichsten Drogen, die derzeit im Umlauf sind, weil sie insbesondere ganz vielen jungen Menschen die Zukunft nimmt. Sie ist auch deshalb so gefährlich, weil sie auf einen Zeitgeist unserer modernen Leistungsgesellschaft trifft, der die Menschen zunehmend überfordert. Deshalb muss man bei einer Gesamtstrategie, die man zu diesem Problem vorlegt, auch diese Punkte beachten. Da reicht sicher kein Lebenskompetenzportal im Internet aus. Nein, da sind umfangreichere Maßnahmen erforderlich.

Seit 2011 steigen die Klientenzahlen aufgrund von Crystal-Konsum in den Beratungsstellen jährlich um 20 bis 40 %. Nun endlich hat die Staatsregierung das Problem erkannt und einen 10-Punkte-Plan vorgelegt. Das Positive

an diesem Plan ist gleichzeitig das, was mich nachdenklich stimmt, weil ich das für selbstverständlich halte: Erstens. Verschiedene Ressorts arbeiten zusammen. Zweitens. Sie arbeiten an einer Gesamtstrategie. Das ist das Positive. Aber ich finde, das ist noch nicht so viel, dass man sich dafür feiern darf.

Der vorliegende 10-Punkte-Plan ist aus unserer Sicht noch keine Gesamtstrategie. Zwar fasst er viele wichtige Punkte und Anforderungen zusammen, gerade vor dem Hintergrund der Frage, wie es geschafft werden kann, Information und Beratung möglichst schnell in den unterschiedlichen Hilfesystemen an die Betroffenen zu bringen, aber keiner der Punkte enthält einen Hinweis auf die Ressourcen, die dafür zur Verfügung gestellt werden sollen. Deshalb bleiben viele offene Fragen und auch Skepsis.

Beispiel 1 zu den Ressourcen. Im Punkt 2 wird von 1,4 Millionen Euro mehr für das Suchthilfesystem gesprochen. 4,1 Millionen Euro erhalten die Suchthilfeberatungsstellen derzeit jedes Jahr, und das, obwohl der Freistaat beispielsweise aus den Lottomitteln 58 Millionen Euro im Jahr 2012 eingenommen hat. 2013 waren es 62 Millionen Euro. Diese Lottomittel sollen vorrangig für soziale Zwecke und Suchtprävention verwendet werden. Aus unserer Sicht ist der Anteil der zur Verfügung gestellten Mittel nicht ausreichend.

Beispiel 2 für unsere Skepsis. Der gleiche Punkt des Plans verweist auf die kompetenten Ansprechpartner in den Schulen. Das klingt gut und ist notwendig. Aber die Diskussionen um die Schulsozialarbeiterstellen, die wir in jedem Plenum führen, lassen doch gewaltige Zweifel daran aufkommen, wie dieser Punkt in der Praxis umgesetzt werden wird.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Beispiel 3. Im Punkt 7 des Planes wird darauf verwiesen, dass für die Konsumenten eine Soforthilfe so greifen soll, dass sie möglichst schnell in das Hilfesystem überführt werden. Dabei sollen Ärzte, Pädagogen, Polizisten zusammenarbeiten, um diese Überführung zu bewerkstelligen. Das ist gut. Woher kommt unsere Skepsis? Die Suchthilfeberatungsstellen arbeiten bereits jetzt am Limit. Für den empfohlenen Personalschlüssel von einer Fachkraft auf 20 000 Einwohner fehlen derzeit in ganz Sachsen 28 Fachkraftstellen. Das heißt, der bestehende Mehrbedarf für die Crystal-Konsumenten geht zulasten der Betreuung und Beratung von anderen Abhängigkeitskranken. Das ist derzeit schon der Fall. 8 % weniger Alkoholkranke erhalten derzeit aufgrund des gestiegenen CrystalKonsums die notwendige Hilfe. Das ist aus meiner Sicht auch nicht die Lösung des Problems.

Beispiel 4. In Punkt 6 wird von einer Kooperation und Vernetzung aller in den Hilfesystemen arbeitenden Menschen gesprochen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Frau Clauß hat bei der Vorstellung des Suchtberichtes im

Januar davon gesprochen, dass es um eine enge Kooperation der angrenzenden Lebens- und Hilfebereiche geht.

Schauen wir uns diese Bereiche an. Für die Kinder- und Jugendhilfe stehen seit 2010 ein Drittel weniger Ressourcen zur Verfügung. Die Schulsozialarbeit habe ich bereits angesprochen. Wir haben nicht ausreichende Personalschlüssel in den Kitas. Wir haben Lehrermangel in den Schulen, und wir haben einen Mangel bei den Angeboten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Das sind alles Bereiche, die zusammenarbeiten sollen, aber unter einem eklatanten Personalmangel leiden.

Beispiel 5 für meine Skepsis. Die Bedarfe, die man in Gesprächen mit den Suchthilfeberatern hört, finden sich in diesem Plan nicht. Die Berater sagen, dass CrystalKonsumenten eine deutlich ungünstigere schulische, berufliche und Beschäftigungssituation vorweisen und man deshalb andere zielgruppenspezifischere Angebote braucht. Wir brauchen den Ausbau von speziellen Angeboten und Angebotserweiterungen in den suchtspezifischen Eingliederungshilfen. Das findet sich derzeit im Plan noch nicht.

Man muss sich aus unserer Sicht nicht nur darüber Gedanken machen, wie man die Menschen schnell erreicht, sondern auch darüber, was man ihnen dann an konkreten Hilfen anbietet. Dort ist noch ein Mangel zu verzeichnen.

Frau Neukirch, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Ein letzter Satz.

Der 10-Punkte-Plan bedarf der Konkretisierung und Untersetzung mit Ressourcen. Er braucht auch ein Ausstrahlen als Querschnittsaufgabe in die anderen Bereiche, die ebenfalls nicht über ausreichende Ressourcen verfügen.

Ich bitte darum, dass die Umsetzung des Plans nicht so lange dauert wie die Zurverfügungstellung des Plans überhaupt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Frau Herrmann für die GRÜNEN.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Beste, was man über den 10Punkte-Plan, den die Staatsregierung vorgelegt hat, sagen kann, ist, dass wir ihn endlich haben und dass sich die Staatsregierung damit dem Problem Crystal stellt. Spätestens seit 2008 hätte auch die Staatsregierung erkennen können, dass da ein Problem wächst, und geeignet reagieren können. Ich weise auf die Sächsische Landesstelle gegen Suchtgefahren hin, die regelmäßig einen Jahresbericht herausgibt, sowie die Berichte der Suchtkrankenhilfe. Daraus war dieser Anstieg schon vor Jahren abzuleiten.

Jetzt hat die Staatsregierung diesen Plan vorgelegt, nachdem sie ihn im Dezember nach der Sitzung des Landespräventionsrates angekündigt hat. Meine erste Skepsis – da bin ich bei dem, was Frau Neukirch gerade gesagt hat – speist sich daraus, dass ich mich frage, wie weit tatsächlich die verschiedenen Professionen, die vor Ort zum Beispiel in der Suchtberatung tätig sind, einbezogen wurden. Das scheint mir nicht wirklich gelungen zu sein. Schon im Juli 2013 gab es auch von der Landesstelle gegen Suchtgefahren eine Vorlage, in der Problembereiche, Zielgruppen und Handlungsempfehlungen für die Suchthilfe im Zusammenhang mit Crystal – aber nicht nur in Bezug auf Crystal – aufgelistet waren. Darin spielt zum Beispiel die Entwicklung frauenspezifischer Beratungsangebote eine Rolle, weil Alkoholismus, und zwar verdeckter Alkoholismus, zum großen Teil Frauen betrifft. Darin konnte man auch lesen, dass mit steigender Anzahl von Crystal-Konsumenten das Personalkontingent erhöht werden muss, um dieselbe Anzahl von Menschen angemessen betreuen zu können.

Bisher hat sich die Staatsregierung diesem Thema verweigert. Immer wieder gab es im Landtag Anträge und Debatten zu diesem Thema. Im Folgenden beziehe ich mich auf einige Zitate aus einer Debatte am

13. März 2013.

Die CDU hat damals gesagt: „Weiterhin konzentrieren Sie“ – die Antragsteller, also DIE LINKE und wir – „sich nur auf Crystal“. Wir müssten endlich die Gesamtdrogenproblematik sehen und einen ganzheitlichen Ansatz finden. Frau Neukirch ist schon darauf eingegangen, dass der 10-Punkte-Plan, über den wir heute reden, kein ganzheitlicher Ansatz ist. Allerdings ist wieder ein Jahr vergangen. Abgesehen davon hatten wir schon in den Haushaltsberatungen gefordert, dass Beratungskräfte eingestellt werden, die sich des Themas Crystal annehmen. Diejenigen, die in der Vergangenheit für dieses Thema gestanden haben, waren die Oppositionsfraktionen. Insbesondere DIE LINKE und wir haben immer wieder Kleine Anfragen, Anträge und Nachfragen gestellt, zuletzt eine mündliche Anfrage von mir im Plenum, wann dieser Plan vorgelegt wird, nachdem er im Dezember angekündigt worden war.

Die Staatsregierung hat 2013 offenbar nicht verstanden, dass das Sofortprogramm deshalb notwendig ist, damit in den Suchtberatungsstellen überhaupt die Voraussetzungen geschaffen werden können, dass der Ansturm der CrystalUser bewältigt werden kann. Tatsächlich geht auch derzeit noch die zunehmende Zahl von Crystal-Usern, die Beratung suchen, auf Kosten anderer Suchtkranker, unter anderem der Alkoholiker. Der abflachende Anstieg bei der Zahl der Alkoholerkrankten weist darauf hin, dass diese keinen Zugang mehr haben, weil ein Crystal-User in der Regel viel dramatischer daherkommt als jemand, der jeden Tag seinen Alkohol trinkt. So jemand tritt in der Regel nicht so fordernd auf und muss eben warten mit der Folge, dass wir ihn dann vielleicht gar nicht mehr erreichen können.

Die FDP hat damals gesagt: „Die Suchthilfe ist gut aufgestellt. Wir haben uns an den Forderungen der Praxis … orientiert. Mehr geben geht immer“. Da sage ich: Besser geht auch immer. Das würde ich mir auch bei dem 10-Punkte-Plan wünschen; denn es fehlt die Untersetzung mit Ressourcen. Das hat meine Vorrednerin bereits ausgeführt.

Mir fehlen auch fachliche Auseinandersetzungen, die damit im Zusammenhang stehen, unter anderem über die Frage, ob das Punktesystem in der Suchtberatung CrystalUsern überhaupt gerecht wird. Man muss nämlich die Struktur der Beratungsstellen und das Zeitmanagement verändern, weil sich ein Crystal-User nicht so einfach auf 08:50 Uhr bestellen lässt, sondern dann vielleicht erst um 15:15 Uhr auftaucht. Das heißt, sie brauchen freie Zeit, die sie aber bisher nicht in ausreichendem Maße abrechnen können.

Auch damals schon hat die FDP gesagt, wir bräuchten mehr Zollbeamte und mehr Bundespolizei. Das hat sie heute wiederholt. Ich frage mich nur, wer damals in der Bundesregierung war. Das war doch die FDP. Sie hätte es doch damals selbst regeln können.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der NPD)

Frau Clauß sagte damals, die Hauptprobleme seien die vergleichsweise leichte Verfügbarkeit und der niedrige Preis, deshalb müsse die Bekämpfung vor allem mit repressiven polizeilichen Mitteln erfolgen.

Frau Herrmann, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Ich komme zum Schluss. – Diese Auffassung teilen wir nicht. Darin sind wir uns offenbar mit dem Kollegen der CDU einig, der eben gesprochen hat. Repression muss einen Anteil ausmachen, aber nicht den Hauptanteil. Der Hauptanteil muss Prävention sein.

Als Letzes möchte ich – – –

Frau Herrmann, Ihre Redezeit ist jetzt wirklich zu Ende.