Einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung, wie Sie ihn hier in § 37 des Gesetzentwurfes bei den Gemeinden mit über 10 000 Einwohnern und den Landkreisen mit über 100 000 Einwohnern planen, lehnen wir an dieser Stelle tatsächlich ab.
Einen weiteren wichtigen Gedanken, sehr geehrte Damen und Herren, habe ich aus der öffentlichen Anhörung zu dem Punkt „Schaffung von neuen Institutionen“ mitgenommen. Frau Bold vom Kommunalen Sozialverband Sachsen hatte diesen Gedanken geäußert.
Ist es beim Thema Inklusion nicht gerade unser Anliegen, den Betroffenen die gleichberechtigte Teilhabe an unserer Gesellschaft in allen Bereichen zu ermöglichen? Und ist es dann wirklich zielführend, wenn wir ihnen mit immer neuen Institutionen und Beauftragtenstellen immer wieder eine Sonderrolle oder – wie es Frau Bold ausdrückte – Sonderwelten schaffen?
Noch einen weiteren Punkt kann ich Ihnen in der heutigen Debatte leider nicht ersparen: die unklare Kostenkalkulation im Gesetzentwurf. Wir finden im Bereich der Infrastrukturmaßnahmen noch die anteiligen Investitionssummen in Sachsen in Höhe von 2,7 Millionen Euro im Gesetzentwurf, jedoch konnte die Höhe der Mehrkosten im Bildungsbereich zum Beispiel noch nicht genau beziffert werden. Beispielsweise angesichts sehr weitreichender Kostenübernahmeregelungen für Kommunikationshilfen würde dies bei der Gesamtbeurteilung des Entwurfes allerdings sehr hilfreich sein.
Uns wäre es auch wichtig gewesen, dass dem Gesetzentwurf ein darstellbarer Zeitplan beigelegt wäre. Dieser wäre nach den Schwerpunkten, nach der Umsetzbarkeit abzuarbeiten gewesen. Denn der Gesetzentwurf sieht jetzt nur vor, dass sofort nach Inkrafttreten des Gesetzes Rechtsansprüche geltend gemacht werden, das heißt, die Gemeinde, die Stadt, der Landkreis am Tag danach diese Rechtsansprüche zu erfüllen hätten. Dabei – darin müssen Sie uns einfach zustimmen – tragen wir eine Gesamtverantwortung für unser Land.
Die guten Ansätze, sehr geehrte Damen und Herren der einbringenden Fraktion, in Ihrem Vorhaben werden leider durch einen gewaltigen Aufwuchs von neuer Bürokratie überdeckt. Zusammen mit der unklaren Kostensituation ist Ihr Entwurf für uns so nicht zustimmungsfähig, sodass wir ihn ablehnen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich wirklich sehr, dass wir heute hier über diesen Gesetzentwurf beraten können. Noch mehr freue ich mich, dass neben mir ein Gebärdensprachdolmetscher steht und damit alle Kolleginnen und Kollegen auch der CDU und der FDP die Gelegenheit haben, hier im Landtag zu sehen, wie Barrierefreiheit funktionieren kann.
Der Gesetzentwurf, über den wir heute diskutieren, hat einen langen Entwicklungsprozess hinter sich. Er ist entstanden unter Einbeziehung der Verbände und Vereine von Menschen mit Behinderung, und das ist außergewöhnlich. So wie die UN-BRK eine Menschrechtskon
vention der UN war, die unter Einbeziehung von Betroffenen zustande gekommen ist, so ist das mit diesem Gesetzentwurf auch geschehen, und das sollte Schule machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die UN-Konvention gilt in Sachsen schon lange. Wir haben verschiedene Versuche gemacht, dieser Konvention im Lande Geltung zu verschaffen. Es gibt dafür sicher mehrere Wege. Ein Weg wäre gewesen, sich über einen Landesaktionsplan Schritte in den verschiedenen Bereichen – Bildung, Arbeit usw. – vorzunehmen, mit einem Zeitplan zu versehen, genau zu sehen, was nacheinander finanziert werden kann, und nach diesem Aktionsplan vorzugehen. Diesen Vorschlag haben wir und andere Fraktionen hier im Landtag gemacht – er ist abgelehnt worden.
Das zeigt sich auch in einer Studie vom Deutschen Institut für Menschenrechte, die zu dem Thema, das wir heute auch noch auf der Tagesordnung haben, nämlich inklusive Bildung, geschrieben wurde. Am 20. März ist diese Studie erschienen und dort ist Sachsen als einziges Land beschrieben, das noch keinen Landesaktionsplan hat. Wir hören, dass die Staatsregierung das jetzt vorbereitet, aber bisher haben wir ihn noch nicht.
Wenn die Koalition hier sagt, wir wollen die Vorschläge des 5. Berichtes abwarten, dann frage ich: Was ist denn mit den Vorschlägen und Empfehlungen des 4. Berichtes?
Haben wir diese vielleicht umgesetzt? Nein! Wir hätten auf der Grundlage des 4. Berichtes zur Lage von Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen handeln können. Das haben wir vorgeschlagen und das ist hier abgelehnt worden. Jetzt haben die beiden Fraktionen einen anderen Weg gewählt, und zwar den über das Sächsische Integrationsgesetz. Wie Sie alle wissen, war das Gesetz schon bei der Einführung umstritten, und zwar unter anderem wegen des Geltungsbereiches. Jetzt haben die Fraktionen gesagt, wir nehmen diesen Weg, um die UN-Konvention auch in Sachsen umzusetzen, und das ist ein guter Weg.
Sicher gab es die eine oder andere Kritik in der Anhörung, aber insgesamt haben die Sachverständigen gesagt, das ist ein Weg, die Menschenrechte auch für Menschen mit Behinderungen umzusetzen und damit Teilhabechancen zu verbessern.
Der Geltungsbereich des Gesetzes ist von den Vorrednern schon angesprochen worden. Sie wissen alle, dass wir zum Beispiel im Bereich schulischer Inklusion, aber auch im Bereich der Frühförderung immer wieder diskutiert haben, dass Eltern lange kämpfen müssen, um ihre Ansprüche durchzusetzen; das würde einfacher werden. Und, ja, es gibt auch jetzt schon die Möglichkeit für die Landkreise, Beauftragte zu benennen oder Beiräte zu bilden – nur leider machen das nicht alle. Was ist denn mit den Menschen, die in den Landkreisen leben, in denen es eben kein Gremium gibt, das bei der Umsetzung der Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen unterstützt?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein guter Entwurf, eine gute Möglichkeit, das dicke Brett zu bohren – ich bin mir sicher, wir sind heute noch nicht durch mit dem Bohrer, aber das Thema ist wieder auf der Tagesordnung.
Eines möchte ich Ihnen zum Schluss noch mitgeben: Wir sollten uns um Barrierefreiheit hier in unserem Haus kümmern.
Diese Barrierefreiheit muss von einem Gremium bearbeitet werden. Bisher ist an einer Stelle die IT-Abteilung verantwortlich, das Präsidium und vielleicht an einer anderen Stelle sind die Fraktionsvorsitzenden. Wir brauchen ein Gremium, das einen barrierefreien Landtag will und klärt, wie wir da hinkommen wollen, welche Schritte zu gehen sind. Dabei denke ich an Gebärdendolmetscher und an Kommunikationshilfen, und zwar nicht nur hier im Plenum, sondern auch bei den Anhörungen. Ich denke an das Landtagsdokumentationssystem, an Hinweisschilder, an Induktionsschleifen, an Zugänglichkeit und nicht zuletzt auch an Freundlichkeit gegenüber Menschen, die mit Einschränkungen zu uns kommen und die hier teilnehmen wollen wie alle anderen auch.
Ich würde Kommunikationshilfen auch nicht auf Debatten beschränken, in denen es um Belange von Menschen mit Behinderungen geht; sondern immer, wenn sich jemand anmeldet, der Unterstützungsbedarf hat, sollten wir diesen gewährleisten. Das ist eine Aufgabe für uns alle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat des Sachverständigen Jürgen Neumann aus dem Landkreistag zur Anhörung beginnen: „Die beiden Fraktionen haben einen sehr umfassenden Gesetzentwurf zur Umsetzung der Inklusion im Freistaat Sachsen vorgelegt. Nach unserer Auffassung wäre es zunächst richtig gewesen, das Sächsische Integrationsgesetz auf seine Umsetzung und Wirksamkeit zu analysieren und daraus Leitlinien zur Umsetzung der UNBRK zu erarbeiten, wie die Inklusion im Freistaat Sachsen umgesetzt und entwickelt werden soll. Im Gesetzentwurf werden Begriffsdefinitionen und Rechtsansprüche formuliert. Somit ist es ein institutionelles Gesetz, mit dem neue Gremien geschaffen werden sollen.“
Da hätten wir laut Ihrem Gesetz die unabhängige sächsische Inklusionsstelle, einen sächsischen Ombudsmann für Inklusion, einen Landesinklusionsrat und, nicht zu ver
gessen, die kommunalen Beauftragten und Beiräte für die Belange von Menschen mit Behinderungen, die es teilweise schon gibt. Frau Schütz hat das vorhin erwähnt. Frau Bold vom KSV sprach in diesem Zusammenhang von der Schaffung neuer Sonderwelten. Wir bezeichnen das als Parallelstrukturen, und zwar als überflüssige Parallelstrukturen.
Der Änderungsantrag verschärft diesen Sachverhalt noch. In § 31 soll es nun heißen: „Die Sächsische Ombudsperson für Inklusion ist durch die Staatsregierung rechtzeitig an allen Gesetzes-, Verordnungs- und sonstigen Vorhaben zu beteiligen.“ Abgesehen davon, dass dies kaum praktikabel sein dürfte, fragt man sich schon, ob hier der Iran mit seinem Wächterrat Pate gestanden hat.
Wenn man in Abschnitt 1 den § 1 unter der Überschrift „Zweck und Ziel des Gesetzes – Grundsätze“ nachliest, bekommt man sowieso den Eindruck, dass dieses Gesetz in einem behindertenpolitischen Entwicklungsland
installiert werden soll. Ich zitiere wieder: „Mit diesem Gesetz wird der rechtliche Rahmen für die Wahrung der Würde und der Rechte von Menschen mit Behinderungen als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für den Freistaat Sachsen bestimmt.“
Aber, meine Damen und Herren, wir finden, wir haben in Deutschland im internationalen Vergleich ein hohes Niveau bei der Gleichstellung und selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen bereits erreicht. Aber der bisher erreichte Entwicklungsstand spielt überhaupt keine Rolle, und den Menschen wird auch nicht zugetraut, eigenständig zu handeln und bewährte Wege mit erforderlichen Fortschritten zu verbinden. Das Zitat von Herrn Neumann habe ich ja bereits gebracht.
Vor einigen Wochen haben wir uns hier zum Thema Barrierefreiheit ausgetauscht. Mein Kollege Szymanski warf dabei die Frage auf, die, übertragen auf den heutigen Gesetzentwurf, lauten muss: Wie weit werden wir noch eine reale Verbesserung der Situation von Behinderten vorantreiben und auch erreichen können, und wie lange wird das Geld für die dafür notwendigen Schritte noch zur Verfügung stehen?
Die Kosten können Sie in Ihrem Gesetzentwurf ja auch nicht genau beziffern. Um noch einmal Herrn Neumann zu zitieren: „Bezüglich der finanzielle Auswirkungen kommen die Einreicher selbst zu der Erkenntnis, dass die Kosten derzeit nicht genau bezifferbar sind. Insofern hängt die Umsetzung der Inklusion auch von der künftigen finanziellen Situation im Freistaat ab.“ Herr Krasselt sprach vorhin ja auch von der degressiven Einnahmensituation des Freistaates.
Also, eine Überreglementierung, zahlreiche zusätzliche Gremien, die etabliert werden sollen, und Kosten in ungewisser Höhe, das wären eigentlich schon genug Gründe für eine Ablehnung dieses Entwurfs. Ich möchte aber noch auf etwas anderes aufmerksam machen, auf ein Kuriosum, das Ihnen – Rot, Links, Grün – regelmäßig unterläuft: In § 5 gehen Sie ausdrücklich auf Frauen mit
Behinderungen ein, in § 6 auf Kinder und Jugendliche. Dann aber reden Sie wieder von Gleichstellung. Deshalb frage ich Sie jetzt: Warum gibt es eigentlich keinen Männerparagrafen, in dem Sie die geschlechtsspezifischen Besonderheiten von behinderten Männern thematisieren? Das würde da noch fehlen.
Meine Damen und Herren, es mag in Einzelfällen möglich sein, die in Werkstätten für Behinderte angestellten Personen im regulären Arbeitsmarkt unterzubringen. Aber die im Gesetzentwurf beschriebene inklusive Arbeitswelt ist nichts als ein schöner Traum, der an der Wirklichkeit völlig vorbeigeht. Wir sind der Meinung, dass eine Weiterentwicklung des Sächsischen Integrationsgesetzes allemal sinnvoller wäre als dieses, wenn auch äußerst penibel ausgearbeitete Inklusionsgesetz. Wir werden ihm aus den bereits genannten Gründen nicht zustimmen.
Meine Damen und Herren, das war die erste Runde. Ich frage: Gibt es Wortmeldungen in der zweiten Runde? Mir liegen keine vor. – Es spricht Herr Wehner für die Fraktion DIE LINKE.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat, es lagen keine Wortmeldungen vor, aber nach den vielen Beiträgen, die es hier gegeben hat, ist es, glaube ich, notwendig, nochmals nach vorn zu gehen.
Lieber Herr Krasselt, vielen herzlichen Dank zumindest für die Feststellung, dass wir einen beachtenswerten Versuch unternommen und damit die Diskussion zur Umsetzung der UN-Konvention angestoßen haben. Ja, das ist natürlich schon eine Absicht, und doch hätten wir noch ein bisschen mehr von Ihnen erwartet, nämlich, dass Sie tatsächlich auch das machen, was Sie immer wieder einmal sagen.
Frau Schüßler, es überrascht nicht wirklich, wie Sie hier auftreten, denn es ist längst bekannt, dass Sie für die Aufrechterhaltung des Status quo sind. Wir haben schon häufig die Formulierung gehört, was Menschen mit Behinderungen anbelangt. Das hohe Niveau, von dem Sie sprechen, bezieht sich bestenfalls auf den Leistungskatalog aus dem Sozialgesetzbuch, den Menschen mit Beeinträchtigungen in Anspruch nehmen können unter dem Titel „Teilhabe und Rehabilitation“.
Aber das ist genau das Problem. Was nützt es denn, wenn jemand Nachteilsausgleiche für sich persönlich in Anspruch nehmen kann und tatsächlich in der physischen Umwelt eben nicht teilhaben kann, weil da Barrieren in Form von Stufen sind oder weil die Induktionsschleifen fehlen oder, oder, oder? Genau das ist doch das Problem. Dafür gibt es nämlich keinen Leistungskatalog, und da machen es uns andere Länder in Europa vor. Dabei denke ich an Dänemark, dabei denke ich an Holland, an Finnland, an Schweden. Skandinavien ist da wirklich sehr gut.
Herr Krasselt, es macht mich richtig wütend, wenn Sie hier sagen, was die Finanzierung betrifft, dass das natürlich Geld kostet und dass man sich darüber Gedenken machen muss, wo das herkommen soll, und wenn Sie sich dann noch trauen zu sagen, dass das das Geld von denen sei, die das erarbeiten und verdienen, was dann verteilt werden soll. Ich frage Sie: Und was ist mit denen, die gern arbeiten wollen und es einfach nicht können, weil der Arbeitsplatz nicht barrierefrei ist oder weil Menschen mit Behinderungen eben nicht von A nach B können? Denken Sie denn das überhaupt einmal mit?