Protocol of the Session on April 9, 2014

Eines ist völlig klar: Ohne Mut wird es nicht gehen. Diesen Mut wünsche ich Ihnen ganz einfach, meine Damen und Herren, weil Sie es dann ermöglichen, dass wirklich jeder am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann.

Lassen Sie mich noch eines sagen, meine Damen und Herren: Der Gesetzentwurf ist von den Experten sowohl in eigener Sache als auch von rechtskundigen Experten hoch gelobt und gewürdigt worden. Wir haben diesen Gesetzentwurf mit den Behindertenverbänden in fünf Sitzungen gemeinsam erarbeitet. Ich kann die vielen Stunden nicht alle zählen, die Hanka Kliese und ich mit unseren Mitarbeitern Dr. Martina Große und Ulrich Spieß zusammengesessen und diesen Gesetzestext entworfen haben, der von den Fraktionen dankeswerterweise bestätigt wurde.

Diese Arbeit hat sehr viel Spaß gemacht und ist das, was ich mir unter gemeinsamer parlamentarischer Arbeit vorstelle. Bitte geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Nächste Rednerin ist Frau Kliese für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jedes Jahr lassen 30 000 Frauen eine Untersuchung über sich ergehen, um festzustellen, ob ihr Kind mit einer Behinderung zur Welt kommen könnte. Hunderte dieser ungeborenen Babys – die meisten übrigens gesund – versterben dabei.

Seit einem Jahr geben inzwischen Hunderte Schwangere und ihre Partner Geld dafür aus auszuschließen, dass ihr Kind mit dem Downsyndrom auf die Welt kommen könnte; eine Chromosomenänderung übrigens, mit der es sich in vielen Fällen recht selbstständig und auch glücklich leben lässt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über diese Familien möchte ich nicht richten. Ich bin froh, dass sie ihre Entscheidungen frei treffen können. Ich möchte Sie aber fragen: Was sagen diese Zahlen über den Zustand unserer Gesellschaft aus? Für mich legen diese Zahlen Zeugnis ab über die Unfähigkeit, das Anderssein von Menschen zu akzeptieren. Über die Unfähigkeit zu Geduld, zu Toleranz und zu Solidarität.

Wir, die wir abgesichert in Frieden unter besten Bedingungen leben können, schaffen ein gesellschaftliches Klima, in dem es für manche Frauen offenbar besser ist, das Risiko einer Fehlgeburt einzugehen als mit einem Kind zu leben, das irgendwie anders ist. „Irgendwie

anders“, meine Damen und Herren – das möchte ich hier auch betonen –, sieht nicht immer so fröhlich aus, wie das Kind mit Downsyndrom in der „Aktion Mensch“Werbung. „Irgendwie anders“ heißt auch: Leiden, Krankheit und Abhängigkeit. Es bedeutet für die Eltern: beantragen, betteln und kämpfen. Nichts ist selbstverständlich. Alles ist mit Kraft, Aufwand, Zeit und Kosten verbunden.

Ist es nicht unsere Aufgabe, sehr verehrte Damen und Herren, diesen Menschen, Eltern wie Kindern, das Leben auf dieser Welt nicht zusätzlich zu erschweren? Unsere Gesellschaft behindert diese Menschen oft. Ich möchte das ändern. Ich möchte sie nicht bevorzugen. Ich möchte, dass sie ihre Rechte gewährt bekommen, ohne Anwalt, ohne Gericht, ohne Prozesskosten, ohne Urteilsbegründung – einfach durch eine verbindliche, dem geltenden Völkerrecht angemessene Gesetzgebung im Freistaat Sachsen.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Aus diesem Grund haben Horst Wehner und ich den Gesetzentwurf gemeinsam mit vielen aktiven Menschen aus der Behindertenbewegung erarbeitet. Da Sie ihn bereits in den Ausschüssen behandelt haben, erlaube ich mir heute, grundsätzlich auf dieses Thema zu sprechen zu kommen.

Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen! Sie haben uns Ihre Gründe für die Ablehnung bereits genannt. Ein Grund liegt für Sie offenkundig in der Verbindlichkeit. Sie wollen nicht festgelegt werden, nur nichts Einklagbares schaffen. Aber genau das wollen wir für Menschen mit Behinderungen einführen.

Ein weiterer, immer wiederkehrender Grund – von der FDP meist aus vermeintlichen Liberalitätsgründen genannt – lautet: Das Gesetz würde eine Überregulierung bedeuten. Dabei hat selbst die CDU teilweise erkannt, dass das bisherige Integrationsgesetz nicht ausreichend ist. Und überhaupt: Wie sieht es eigentlich mit der Freiwilligkeit in Deutschland aus, in einem Land, in dem bei einem Bürgerentscheid in Hamburg Eltern mehrheitlich dafür gestimmt haben, dass ihre Kinder nicht gemeinsam mit anderen Kindern, die noch nicht einmal eine Behinderung haben, sondern nur etwas schlechter in der Schule sind, lernen dürfen?

Wie sieht es denn in so einem Land mit der Freiwilligkeit aus? Wohin sind wir mit diesem Prinzip der Freiwilligkeit gekommen? Genau zu jenen Zuständen, die ich eingangs beschrieben habe, und zwar dahin, wo Paare 1 200 Euro auf den Tisch legen, um herauszufinden, ob ihr Kind eventuell einen anderen Chromosomensatz als andere hat. Das sollte uns nicht als Parteigänger, sondern als Menschen beschämen.

Meine Damen und Herren! Horst Wehner hat bereits gesagt, dass das, worüber wir heute debattieren, ihn ein wenig an Faust erinnere. Wenn ich jetzt in die Reihen von CDU und FDP schaue, dann denke ich eher an Erich

Kästner, der einmal gesagt hat: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“

(Beifall bei der SPD und den LINKEN – Horst Wehner, DIE LINKE: Ja, genau!)

Als nächster Redner spricht für die CDU-Fraktion Herr Krasselt. Bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Die Einbringer des Gesetzentwurfes „Sächsisches Inklusionsgesetz“ haben einen durchaus dankenswerten Versuch unternommen, die Belange von Menschen mit Behinderung über die UN-Behindertenrechtskonvention hinaus genauer zu bestimmen und zu regeln. Ich will ausdrücklich betonen, dass Ihre Initiative Ausgangspunkt für weitere sachorientierte Diskussionen zu diesem Thema einer verbesserten Inklusion in Sachsen sein sollte.

Gleichzeitig kann ich meiner Fraktion die Zustimmung zu Ihrem Gesetzentwurf aus nachfolgenden Gründen nicht empfehlen. Zunächst halte ich es für unbedingt erforderlich, einem neuen Gesetz eine Analyse vorzuschalten, die die Wirksamkeit und Umsetzung bereits bestehender Gesetze untersucht und somit zu mehr Übersichtlichkeit und weniger Bürokratie führt. Im Auftrag des sächsischen Sozialministeriums ist derzeit das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik damit beschäftigt, den 5. Bericht zur Lage der Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen zu erstellen. Dieser soll zum einen eine umfassende Bestandsaufnahme und Analyse der Lebenssituation der Betroffenen in unserem Land liefern. Gleichzeitig soll er aber auch konkrete Vorschläge enthalten, wie noch bestehende Benachteiligungen abgebaut oder ganz verhindert werden können, um den Betroffenen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen. Um diese Vorschläge zu erarbeiten, werden selbstverständlich auch Anregungen der Betroffenen und der zuständigen Verbände einbezogen.

Aus meiner Sicht ist unbedingt erst dieser Bericht abzuwarten, ehe gesetzgeberisch gehandelt wird.

(Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Das werden wir sehen!)

Der vorliegende Gesetzentwurf hebt besondere Teilhabebereiche wie beispielsweise Schule und Hochschule hervor. Gerade hier, denke ich, sollten entsprechende Regelungen den jeweiligen Fachgesetzen vorbehalten bleiben. Auch sehe ich andere Bereiche dann möglicherweise benachteiligt. Ein Inklusionsgesetz sollte immer nur den allgemeingültigen Rahmen schaffen.

In der Anhörung ist festgestellt worden, dass im Gesetzentwurf teilweise falsche Zuständigkeiten angegeben sind. Das ist selbstverständlich ein behebbarer Fehler.

Für besonders erschwerend halte ich, dass zu den bestehenden Strukturen weitere Verwaltungsgremien geschaffen werden sollen. Das hört sich im ersten Moment

recht gut an. Wir können uns solche Doppelstrukturen nicht leisten, wenn nicht vorher der Beweis erbracht wird, dass sie wirklich unverzichtbar sind und anders ein Gesetz nicht wirksam umgesetzt werden kann, bis dahin, dass durch eine solche Doppelstruktur Kompetenzgerangel entstehen könnte.

Außerdem, denke ich, tun wir damit den bisher arbeitenden Behindertenbeauftragten und Gremien unrecht. Als ehemaligem Kommunalvertreter werden Sie mir sicher nachsehen, dass ich insbesondere bei Eingriffen in die kommunale Selbstverwaltung sehr kritisch bin. Bei der zwingenden Bestellung zusätzlicher kommunaler Bediensteter wäre das zum Beispiel so.

Ich befürchte, dass mit weiteren Sondergremien und Normierungen eines der Hauptanliegen in der Behindertenpolitik, nämlich die Sensibilisierung und das Verständnis in unserer Bevölkerung, weniger Beachtung findet. Dabei bin ich mir sehr im Klaren darüber, dass gerade in diesem Bereich noch sehr viel zu tun ist, ohne die erzielten Fortschritte kleinreden zu wollen. Ich erinnere an mein schon erwähntes Beispiel mit dem auf dem Fußweg parkenden Auto, das dem Rollstuhlfahrer im Wege steht.

Auch wenn mir das jetzt keinen Beifall einbringen wird, muss ich an dieser Stelle dennoch das Thema Geld ansprechen. Es gab im Vorfeld der Besprechung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf keine Aussage zu den finanziellen Belastungen der öffentlichen Kassen. Zugegeben, meine sehr verehrten Damen und Herren der SPD- und Linksfraktion, Sie sind nicht in der Regierungsverantwortung und tun sich mit Fragen der Bezahlbarkeit leichter als die Regierungsfraktionen. Aber weil CDU und FDP in dieser Verantwortung stehen und aus den hier im Hohen Haus hinlänglich bekannten Fakten für eine längere Zeit eine degressive Einnahmensituation des Freistaates erwartet wird, muss diese Frage gestellt werden.

Überdies habe ich bisweilen den Eindruck – das gilt nicht nur für dieses Gesetz –, dass zu leicht vergessen wird, dass wir lediglich Geld verteilen, welches von den vielen Menschen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, erst erarbeitet wird. Diese Menschen haben aus meiner Sicht ein Recht darauf, von uns im Vorfeld eines Gesetzes zu erfahren, mit welchen Belastungen zu rechnen ist und wie diese finanziert werden. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass Sachsen als einziges Bundesland eine gesetzliche Verpflichtung eingeführt hat, Haushaltsmittel für die Förderung von Projekten zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bereitzustellen. Im laufenden Haushaltsjahr sind das knapp 20 Millionen Euro.

Lassen Sie mich abschließend wiederholen: Der von Ihnen eingebrachte Gesetzentwurf ist trotz allem eine gute Diskussionsgrundlage, auf der sich aufbauen lässt.

Zu Recht sagen Sie: Erstens. Die UN-Behindertenrechtskonvention gilt auch in Sachsen. Zweitens. Bei deren Umsetzung gibt es für uns noch viel zu tun, auch wenn – und auch das muss man sagen dürfen – in den letzten Jahren eine ganze Menge erreicht wurde.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der FDP und der Staatsregierung)

Frau Schütz für die FDP-Fraktion.

(Horst Wehner, DIE LINKE: Sie rücken es wieder gerade!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf der beiden Fraktionen SPD und DIE LINKE greift ein Thema auf, das unsere Gesellschaft heute und in Zukunft noch viel mehr beschäftigen muss und wird. Wie erreichen wir eine selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft, in einer sehr wohl alternden Gesellschaft? Altern geht nun einmal auch mit Hör-, Seh- und Gehbehinderungen einher. Wie erreichen wir, wie gesagt, eine selbstbestimmte Teilhabe in allen relevanten Bereichen? Wie schaffen wir es, die im Jahre 2008 ratifizierte und damit in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention auch bei uns im Freistaat Sachsen vollumfänglich umzusetzen?

Sie werden hier im Sächsischen Landtag – vielleicht abgesehen von den Herrschaften ganz rechts außen – niemanden finden, der sich diesem wichtigen Anliegen verschließen wird.

Der umfangreiche Gesetzentwurf der beiden Oppositionsfraktionen versucht, die eingangs gestellten Fragen zu beantworten. Neben allgemeinen Vorschriften wie einem Gleichstellungsgebot und einem Diskriminierungsverbot enthält der vorgelegte Entwurf Regelungen für fast alle Teilbereiche des Lebens. Herausgegriffen seien erst einmal nur Wohnen, frühkindliche Bildung, schulische Bildung, Teilhabe an Beschäftigung und Arbeit.

Leider gehen die einbringenden Fraktionen augenscheinlich davon aus, dass sich in Sachsen seit der Verabschiedung des Integrationsgesetzes und der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention auf diesem Gebiet nichts getan hätte. Dem möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich widersprechen.

(Beifall des Abg. Carsten Biesok, FDP)

Beispielsweise im Bereich Teilhabe an Arbeit und Beschäftigung haben wir bereits seit Längerem eine erfolgreiche Zusammenarbeit von allen wichtigen Akteuren wie Gewerkschaften oder auch der Vereinigung sächsischer Wirtschaft etabliert. Gerade auf diesem Feld wissen wir, dass es ohne starke Partner allein dem Freistaat Sachsen nicht möglich sein kann, einen für Menschen mit Behinderung frei und gleichberechtigt zugänglichen Arbeitsmarkt hier in Sachsen zu schaffen. Dafür wird im Augenblick sehr viel Aufklärungsarbeit in den Unternehmen geleistet. Mitunter ist es nur die einfache Aufklärung, das Zeigen, was geht. Wir haben Probearbeiten. Wir haben eine enge Zusammenarbeit mit den Werkstätten für Behinderung, um hier Übergänge schaffen zu können.

Letztendlich ist die Integration in Kindertageseinrichtungen in den letzten Jahren sehr, sehr weit vorangeschritten. Wir haben neu geschaffene, umgebaute Kindertageseinrichtungen, die so gestaltet wurden, dass sie Kindern mit körperlicher Beeinträchtigung den Zugang erleichtern, ebenso auch für Eltern. Gleichzeitig wurde, was die Qualifizierung von Erzieherinnen betrifft, viel geleistet, zum Beispiel mit der Zusatzqualifikation im heilpädagogischen Bereich, sodass sie im integrativen Bereich arbeiten können. Hier sei ein Appell an die Tarifpartner gerichtet: Es ist nach wie vor nicht verständlich, warum Erzieherinnen im Bereich der Sondereinrichtungen einen höheren Verdienst haben als Erzieherinnen mit der gleichen Ausbildung, die integrativ arbeiten. Ich denke, hier haben wir gemeinsam in Sachsen noch einen Weg zu gehen.

Zurück zum Gesetzentwurf: Gut daran hätten Sie getan, wenn Sie die bestehenden Gesetze, Strukturen und Institutionen vorher überprüft hätten. Ich denke dabei an das Thema Denkmalschutz; alles Themen, bei denen wir fragen, wie die bereits bestehenden Regelungen bisher umgesetzt wurden bzw. zukünftig verändert werden müssen.

Beim Durcharbeiten des Gesetzentwurfes drängt sich einem besonders im Abschnitt 4 der Eindruck auf, dass das Prinzip „Neue Besen kehren gut.“ die Feder geführt hätte – frei nach dem Motto: Hauptsache neu.

In diesem Abschnitt geht es unter anderem um die unabhängige sächsische Inklusionsstelle, die sächsische Ombudsperson für Inklusion, den sächsischen Landesinklusionsrat sowie die kommunalen Beauftragten und Beiräte für die Belange von Menschen mit Behinderung. Die Liste der neu zu schaffenden Institutionen und Ansprechpartner klingt an dieser Stelle beeindruckend. Wäre nicht auch die entsprechende Stärkung der Funktion des bereits bestehenden Behindertenbeauftragten der Staatsregierung ein Weg gewesen?, drängt sich mir die Frage auf.

Zu Recht hat daher auch der Vertreter des Sächsischen Landkreistages in der öffentlichen Sachverständigenanhörung am 13. November 2013 darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit, Beauftragte für besondere Bereiche zu bestellen, für Landkreise nach § 60 der Sächsischen Landkreisordnung schon jetzt besteht, und für Gemeinden gilt dies nach § 64 der Sächsischen Gemeindeordnung.

Einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung, wie Sie ihn hier in § 37 des Gesetzentwurfes bei den Gemeinden mit über 10 000 Einwohnern und den Landkreisen mit über 100 000 Einwohnern planen, lehnen wir an dieser Stelle tatsächlich ab.